Wie sich Dissoziation auf Beziehungen auswirkt: Ein Leitfaden für Betroffene und Angehörige
Einleitung: Was ist Dissoziation?
Dissoziation ist ein psychischer Zustand, der dazu führt, dass eine Person das Gefühl hat, von ihrer eigenen Umgebung, ihren Gefühlen oder sogar von sich selbst losgelöst zu sein. Dieser Zustand kann als eine Art Schutzmechanismus auftreten, um mit intensiven oder überwältigenden Emotionen umzugehen. Dissoziation kann in verschiedenen Formen auftreten – vom Gefühl der Unwirklichkeit bis hin zu vollständigem „Abschalten“ von Gefühlen oder Gedanken. Betroffene erleben oft eine Art Trennung von sich selbst, als ob sie aus ihrer eigenen Haut herausgetreten wären oder in einer Art Traumzustand leben.
Ein typisches Beispiel aus dem Alltag: Stellen Sie sich vor, eine Person gerät in einen Streit, und plötzlich fühlt sie sich von den eigenen Emotionen und der Situation völlig getrennt. Sie erlebt den Streit, als ob er aus der Ferne beobachtet wird – als wäre sie nicht wirklich anwesend, obwohl sie physisch dort ist. Diese Art der Dissoziation kann für Außenstehende schwer zu verstehen und noch schwerer zu akzeptieren sein. Doch dieser Zustand ist oft eine unbewusste Reaktion auf emotionale Überforderung oder traumatische Erlebnisse, bei denen das Gehirn versucht, sich zu schützen.
Hauptteil: Die Auswirkungen von Dissoziation auf Beziehungen
Kommunikationsprobleme
Dissoziation hat oft gravierende Auswirkungen auf die Kommunikationsfähigkeit der betroffenen Person. Das Fehlen einer emotionalen Verbindung in belastenden Momenten führt häufig dazu, dass Betroffene Schwierigkeiten haben, ihre Gefühle auszudrücken oder auf die Bedürfnisse ihrer Mitmenschen einzugehen. In einer Partnerschaft kann dies dazu führen, dass der Partner sich ignoriert oder missverstanden fühlt, selbst wenn das nicht die Absicht der betroffenen Person ist. Da die betroffene Person in solchen Momenten emotional „abwesend“ ist, können Gespräche und Konflikte nicht auf gesunde Weise gelöst werden. Dies verstärkt die Isolation und das Missverständnis in der Beziehung.
Beispiel: Angenommen, eine Person möchte in einer Partnerschaft ein schwieriges Thema ansprechen, aber die andere Person beginnt, während des Gesprächs zu dissoziieren. Dies führt dazu, dass sie sich desinteressiert oder ablehnend verhält, obwohl sie innerlich völlig überfordert ist. Der Partner nimmt diese Reaktion als Desinteresse wahr, was zu Enttäuschung und Frustration führt.
Missverständnisse und Konflikte
Ein weiteres Problem entsteht durch die unterschiedlichen Wahrnehmungen der beiden Partner. Angehörige und Freunde von Menschen, die dissoziieren, können die Reaktionen oft nicht nachvollziehen. Sie könnten glauben, dass ihre Partner oder Familienmitglieder sie bewusst ignorieren oder ablehnen. Da Dissoziation eine innere Abspaltung darstellt, ist sie für Außenstehende schwer zu erkennen oder zu verstehen. Für den Partner, der von außen auf die Situation blickt, könnte es den Eindruck erwecken, dass die betroffene Person ihre Gefühle oder Gedanken absichtlich zurückhält.
Dies führt häufig zu Missverständnissen und Konflikten, da die betroffene Person möglicherweise nicht in der Lage ist, die eigene Erfahrung richtig zu kommunizieren oder zu erklären, was sie fühlt. Dies kann den emotionalen Abstand zwischen den Partnern weiter vergrößern und das Gefühl der Verbundenheit gefährden.
Die Perspektive der Betroffenen
Für die betroffene Person ist Dissoziation oft ein unbewusster Mechanismus, der aktiviert wird, wenn sie mit emotionaler Überforderung konfrontiert wird. Es ist eine Art psychischer „Fluchtweg“, der ihr hilft, mit schmerzhaften oder überfordernden Gefühlen umzugehen. Doch obwohl Dissoziation kurzfristig Erleichterung verschaffen kann, bringt sie langfristig Herausforderungen mit sich.
Erinnerungslücken: Ein häufiges Problem bei Dissoziation ist das Fehlen von Erinnerungen an bestimmte Ereignisse. Das bedeutet, dass Betroffene wichtige Gespräche oder Erlebnisse nicht vollständig in Erinnerung behalten, was wiederum zu Missverständnissen in Beziehungen führen kann. Sie können sich beispielsweise nicht an bestimmte Details eines Gesprächs erinnern, was die Kommunikation mit dem Partner oder anderen beeinträchtigt.
Isolation: Aufgrund des Gefühls, nicht vollständig präsent zu sein, kann es den betroffenen Personen schwerfallen, sich mit anderen zu verbinden oder in sozialen Situationen zu agieren. Die emotionale Abkoppelung macht es schwierig, sich mit anderen auf einer tiefen Ebene zu verbinden, was zu sozialer Isolation führen kann. Betroffene haben oft das Gefühl, dass sie niemanden wirklich erreichen können, selbst wenn sie es wollten.
Schuldgefühle: Betroffene leiden oft unter Schuldgefühlen, weil sie ihre Emotionen nicht kontrollieren können oder das Gefühl haben, ihre Angehörigen zu enttäuschen. Sie sind sich bewusst, dass ihr Verhalten in den Augen der anderen schwierig und schwer verständlich ist, was zu zusätzlichen Belastungen führt.
Die Perspektive der Angehörigen
Angehörige von Menschen, die regelmäßig dissoziieren, erleben oft ein starkes Gefühl der Frustration und Hilflosigkeit. Sie möchten der betroffenen Person helfen, wissen aber nicht, wie sie reagieren oder welche Unterstützung sie bieten können. Dies führt zu einem ständigen Gefühl der Unsicherheit. Angehörige sind häufig überfordert, wenn es darum geht, die Ursachen der Dissoziation zu verstehen und damit umzugehen. Sie verstehen oft nicht, warum ihre Partner, Freunde oder Familienmitglieder in bestimmten Situationen plötzlich „abwesend“ sind.
Die Schwierigkeit, mit Dissoziation umzugehen, kann zu Spannungen und emotionalem Stress führen. Angehörige fühlen sich möglicherweise selbst emotional distanziert oder unsicher in ihrer Beziehung zur betroffenen Person. Es kann auch zu Missverständnissen kommen, da sie die Reaktionen des Betroffenen möglicherweise als Ablehnung oder Desinteresse missverstehen.
Lösungsansätze: Wie man mit Dissoziation umgehen kann
Praktische Tipps für Betroffene und Angehörige
Trigger erkennen: Um die Dissoziation zu bewältigen, ist es hilfreich, die Situationen zu erkennen, die sie auslösen. Dies kann durch das Führen eines Tagebuchs geschehen, in dem die betroffene Person und ihre Angehörigen gemeinsam Muster identifizieren. Auf diese Weise können sie proaktiv vermeiden, in stressige oder überwältigende Situationen zu geraten, die Dissoziation hervorrufen.Erdungstechniken anwenden:- Sinnesfokus: Eine bewusste Wahrnehmung der Umgebung kann helfen, die Verbindung zur Realität wiederherzustellen. Beispielsweise kann das Halten eines kalten Gegenstands oder das Konzentrieren auf Geräusche im Raum helfen, sich wieder „im Hier und Jetzt“ zu verankern.
- Atemübungen: Tiefes Atmen hilft, den Körper zu beruhigen und das Bewusstsein zu schärfen. Übungen wie das langsame Einatmen und Ausatmen können eine sofortige Beruhigung herbeiführen und dabei helfen, die Kontrolle über die Situation zurückzugewinnen.
- Feste Routinen: Ein strukturierter Alltag kann den betroffenen Personen ein Gefühl von Stabilität und Sicherheit geben, was dazu beiträgt, die Häufigkeit der Dissoziation zu verringern.
Offene Kommunikation: Eine der wichtigsten Maßnahmen, um Missverständnisse zu vermeiden, ist eine ehrliche und offene Kommunikation. Es ist entscheidend, dass sowohl Betroffene als auch Angehörige ihre Gefühle und Bedürfnisse teilen, um das gegenseitige Verständnis zu fördern. Kommunikation sollte immer in einem respektvollen und verständnisvollen Ton erfolgen.Therapeutische Ansätze
Es gibt verschiedene therapeutische Ansätze, die Menschen mit Dissoziation helfen können, ihre Symptome zu bewältigen:
- EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing): Diese Therapieform hat sich besonders bei der Behandlung von Trauma und der Verarbeitung von belastenden Erinnerungen als wirksam erwiesen. Sie hilft, emotionale Blockaden zu lösen, die durch traumatische Erlebnisse verursacht wurden.
- DBT (Dialektisch-Behaviorale Therapie): Diese Therapie kombiniert Achtsamkeitsübungen und Strategien zur Emotionsregulation, um Menschen zu helfen, ihre Reaktionen auf Stress und Überforderung zu steuern.
- Psychotherapie: Eine regelmäßige Psychotherapie hilft, die Ursachen der Dissoziation zu verstehen und langfristige Bewältigungsstrategien zu entwickeln.
Schluss: Hoffnung und Unterstützung
Dissoziation kann eine erhebliche Herausforderung für Beziehungen darstellen, aber mit Geduld, Verständnis und den richtigen Strategien ist es möglich, eine gesunde und liebevolle Verbindung zu erhalten. Es ist wichtig, dass sowohl Betroffene als auch Angehörige nicht zögern, sich professionelle Hilfe zu suchen, wenn sie Unterstützung benötigen. Offene Kommunikation, das Erkennen von Triggern und therapeutische Ansätze können dabei helfen, die Auswirkungen von Dissoziation zu minimieren und das Vertrauen in der Beziehung zu stärken.
Ressourcen: Für weitere Unterstützung können Selbsthilfegruppen oder Online-Plattformen wertvolle Hilfe bieten. Diese Gemeinschaften können Betroffenen und ihren Angehörigen eine wichtige Quelle der Unterstützung und des Verständnisses bieten.
Hier sind einige hilfreiche Links:
- Dissoziationsstopps und Erdungstechniken: Eine Sammlung erprobter Methoden, um Betroffenen aus der Dissoziation zu helfen und sie beim Grounding zu unterstützen. Dis-SOS
- Dissoziative Störungen – Symptome und Therapie: Ein umfassender Artikel über die verschiedenen Formen dissoziativer Störungen, deren Ursachen, Symptome und therapeutische Ansätze. NetDoktor
- Selbsthilfegruppen für Betroffene und Angehörige: Informationen zu Selbsthilfegruppen, die sich gezielt mit dem Thema Dissoziation und verwandten Störungen beschäftigen. Dissoziation Forum
- Umgang mit dissoziativer Identitätsstörung in Beziehungen: Ein Leitfaden für Angehörige, wie sie das Zusammenleben mit Menschen, die an dissoziativer Identitätsstörung leiden, besser bewältigen können. WikiHow
- Therapieansätze bei dissoziativen Störungen: Ein Überblick über multimodale Behandlungsansätze, einschließlich der verschiedenen Phasen der Psychotherapie bei dissoziativen Störungen. Therapie.de
- Unterstützung für Angehörige von Menschen mit Dissoziation: Tipps und Ratschläge, wie Angehörige Betroffene unterstützen können, ohne unbeabsichtigt negative Reaktionen auszulösen. Dissoziation Forum
- Dissoziation verstehen und bewältigen: Ein Leitfaden zur therapeutischen und alltäglichen Unterstützung von Menschen mit Dissoziation, einschließlich Informationen zu spezialisierten Psychotherapeuten und Selbsthilfegruppen. Praxis Psychologie Berlin
Hier ist ein Glossar mit Fachbegriffen:
Dissoziation: Ein psychischer Zustand, bei dem eine Person das Gefühl hat, von ihrer Umgebung, ihren Gefühlen oder sich selbst losgelöst zu sein. Dies kann als Schutzmechanismus in stressigen oder traumatischen Situationen auftreten.
Wikipedia
Dissoziative Störungen: Eine Gruppe von psychischen Erkrankungen, die durch eine Störung der normalen Integration von Bewusstsein, Gedächtnis, Identität, Emotion, Wahrnehmung und Verhalten gekennzeichnet sind.
MSD Handbuch
Dissoziative Identitätsstörung (DIS): Früher als multiple Persönlichkeitsstörung bekannt, ist dies eine dissoziative Störung, bei der eine Person zwei oder mehr unterschiedliche Identitäten oder Persönlichkeitszustände hat, die abwechselnd die Kontrolle über das Verhalten übernehmen.
Wikipedia
Depersonalisation: Ein Zustand, in dem eine Person sich selbst als unwirklich oder losgelöst empfindet, oft begleitet von einem Gefühl, den eigenen Körper oder die eigenen Gedanken von außen zu beobachten.
Wikipedia
Derealisierung: Ein Gefühl der Unwirklichkeit oder Entfremdung gegenüber der Umgebung, bei dem die Welt als fremd, verzerrt oder traumartig wahrgenommen wird.
Wikipedia
Amnesie: Gedächtnisverlust oder Unfähigkeit, sich an wichtige persönliche Informationen zu erinnern, oft im Zusammenhang mit traumatischen oder stressigen Ereignissen.
MSD Handbuch
Trigger: Spezifische Reize oder Situationen, die Erinnerungen an traumatische Ereignisse hervorrufen und dadurch Symptome wie Dissoziation auslösen können.
EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing): Eine psychotherapeutische Methode zur Verarbeitung traumatischer Erinnerungen, bei der durch geführte Augenbewegungen die Verarbeitung belastender Erlebnisse erleichtert wird.
DBT (Dialektisch-Behaviorale Therapie): Eine Form der kognitiven Verhaltenstherapie, die Achtsamkeit, Emotionsregulation und zwischenmenschliche Fertigkeiten kombiniert, um insbesondere bei Borderline-Persönlichkeitsstörungen und dissoziativen Symptomen zu helfen.
Selbsthilfegruppen: Zusammenschlüsse von Betroffenen oder Angehörigen, die sich regelmäßig treffen, um Erfahrungen auszutauschen, Unterstützung zu bieten und gemeinsam Bewältigungsstrategien zu entwickeln.
Psychotherapie: Behandlung psychischer Störungen durch Gespräche und therapeutische Techniken, um Verhaltensweisen, Emotionen und Gedankenmuster zu verändern und zu verbessern.
Borderline-Persönlichkeitsstörung: Eine psychische Erkrankung, die durch Instabilität in zwischenmenschlichen Beziehungen, Selbstbild und Emotionen sowie durch impulsives Verhalten gekennzeichnet ist.
Konversionsstörung: Eine psychische Störung, bei der psychischer Stress in körperliche Symptome umgewandelt wird, ohne dass eine organische Ursache vorliegt.
Wikipedia
Achtsamkeit: Ein mentaler Zustand, in dem man sich bewusst auf den gegenwärtigen Moment konzentriert, ohne ihn zu bewerten, oft genutzt zur Stressreduktion und Emotionsregulation.
Trauma: Ein emotional belastendes Ereignis, das die Bewältigungsmechanismen einer Person überfordert und langfristige psychische Auswirkungen haben kann.
Identitätsstörung: Eine Störung, bei der das Selbstbild oder die persönliche Identität einer Person gestört oder fragmentiert ist, oft im Zusammenhang mit dissoziativen Störungen.
Somatoforme Störungen: Psychische Störungen, bei denen körperliche Symptome ohne erkennbare organische Ursache auftreten, oft im Zusammenhang mit psychischem Stress.
Affektregulation: Die Fähigkeit, eigene Emotionen zu beeinflussen, zu kontrollieren und angemessen auszudrücken.
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