#folge49 #DieVierJahreszeiten

Was manche Kunden wirklich gut können: Agenturen warten lassen. Als wäre es ein Naturgesetz, gehört das auf die Folter spannen bei Zu- oder Absagen zu nahezu allen Ausschreibungen. Oft Monate lang. Das macht was mit den Agenturmenschen.

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Wir Agenturmenschen haben eine Vielzahl an Eigenschaften. Wir sind dienstbeflissen. Wir sind devot. Wir sind zu allem bereit und, natürlich, zu allem in der Lage. Wir wissen, was unsere Arbeit wert ist, auf Heller und Pfennig, auf Euro und Cent, in allen Währungen, wenn gefordert – nur nicht, wenn der Geschäftsführer zum Personalgespräch bittet oder ein Kunde uns seinen Einkauf ins Haus schickt.

Wir sind eben Dienstleister.

Wir sind patent, wir sind potent, wir sind promisk. Wir sind trinkfest. Wir sind gesellig – ohne Unterschied, ob es wahre Freundschaft oder ob es potenzielle Kundschaft ist.

Was wir nicht sind: geduldig.

Wie die Zeit vergeht

Wir saßen einmal mehr in unserem gläsernen War Room, Qwertz, mein Lieblings-Teamlead, und ich, Buddy Müller, Senior Project Supervisor der weltweit größten Content-Marketing-Agentur Deutschlands.

„So schnell“, seufzte ich, „ist die Zeit vergangen.“

Es war Herbst.

Draußen wie drinnen gilbten und fielen die Blätter, draußen von den Bäumen, drinnen von den Wänden und Flipcharts. Alles beugte sich dem Diktat der Alterung und der Schwerkraft.

„Es ist fast Winter“, meldete sich Brad MacCloud vom Clan der MacClouds zu Wort.

Es seien nicht mehr viele Blätter an den Bäumen, sagte mein nur für mich hörbares MacBook Pro, und bot sich an, die verbliebenen Wedel und Nadeln und sonstigen Astauswüchse in unserem Stadtviertel, gerne auch in ganz München, zu zählen. Nur so, zum Zeitvertreib, das würde ihn ablenken und seine CPU nicht mal zu einem Bruchteil auslasten.

„Passt schon“, murmelte ich, lehnte sein Angebot ab. Ich nickte hinüber zum wandfüllenden Monitor. „Da tut sich sicher gleich was.“

„Wird auch Zeit“, sagte Brad.

Ein schlagkräftiges Team unserer Agentur, jedes Gewerk, jeder Standort mit den besten Köpfen vertreten, das hatten wir auf den potenziellen Auftrag des weltweit größten Entscheidungsbremsscheibenbelagherstellers Deutschlands angesetzt.

Über viele Jahrzehnte hinweg hatte dieses außerordentlich dynamische Unternehmen vom ungebremsten Wachstum der Verantwortungsdiffusion in deutschen Unternehmen prosperiert. Das drohende Wegbrechen der Stammklientel als Folge der Wirtschaftskrise zwang das Traditionsunternehmen nun nachzudenken über neue, nie gekannte Wege in Marketing und Vertrieb, um seine Hauptabnehmer in den doppelten und dreifachen Strukturen auf Management- und mittleren Führungsebenen zu erreichen.

Als wir präsentierten, war es Frühling gewesen. Fast schon Frühling.

„Es war Januar, um genau zu sein“, korrigierte mich Brad. „Januar ist ein Wintermonat.“

Schwarzer Monitor und schwarzer Tee

Heute, nur ein paar Monate später, sollte uns die Entscheidung bekannt gegeben werden.

„Noch bevor die Weihnachtsglocken läuten“, hatte neulich der Chefeinkäufer des Entscheidungsbremsscheibenbelagherstellers in einer seiner wenigen E-Mails verkündet.

Pünktlich um elf Uhr sollte das Warten vorbei sein.

Zumindest war elf Uhr vereinbart.

Qwertz und ich starrten auf den Monitor an der Stirnseite unseres War Rooms, in der Hoffnung, dass ein Zucken, ein Flirren unseren heiß ersehnten Gesprächspartner ankündigte.

Zunächst zuckte nur Qwertz, und zwar zusammen, als Dr. No, die prohibitiv veranlagte Assistentin unseres EmmDee, des Managing Directors, den Kopf zur Glastür hereinstreckte.

„Könnten Sie uns“, fragte ich schnell, „je einen Pazienza Doppio bringen?“

„Nein“, sagte Dr. No.

Wie zu erwarten gewesen war.

Sie überraschte mich im gleichen Atemzug. „Da weiß ich was Besseres“, sagte sie. Sprach’s, verschwand und tauchte eine gute Viertelstunde später wieder auf.

In der der Monitor weiter dunkel blieb. Wie zu erwarten gewesen war.

Dr. No balancierte auf einem Tablett eine flache, gusseiserne Teekanne und schlichte Schalen aus ebenholzfarbiger Edelkeramik.

„Was ist das?“, fragte mich Qwertz und nickte in Richtung Dr. No.

„Interkollegiales Tauwetter?“, mutmaßte ich.

Ein starker, malzig-würziger Duft durchzog unseren War Room, füllte ihn mit der Illusion von Wärme und Geborgenheit.

„Assam“, erklärte Dr. No, „Very Special Spring Flush Superior.“ Denn, sagte sie, jetzt würde nur eines helfen: „Abwarten und Tee trinken.“

Mit Langmut kalkuliert

Also warteten wir und tranken und warteten und tranken.

Bis Lila Stiefelchen, unsere blonde wie blitzgescheite Praktikantin aus der Controlling-Abteilung, hereinstöckelte. Ihr X-large-Kaugummi wanderte von links nach rechts und zurück; in ihrer Rechten ließ sie lässig ein hohes, dickwandiges Glas kreisen.

Die zähe, grüne Flüssigkeit darin wehrte sich mit Erfolg gegen die Zentrifugalkraft.

„Das ist ein Buff Bitch“, erklärte sie, ein frisch geschäumter Summer Avocado Spice Protein Plus Latte Macchiato, eine Mixtur, die ihr von ihrem Mixed Martial Arts Chief Instructor gemischt worden war. Er würde stärken und beruhigen, der Drink wie der Instructor.

Lila Stiefelchen ließ sich am Tisch nieder.

„Ready when you are“, sagte sie.

Qwertz riskierte schmachtende Blicke, ob er an ihr positive Resultate des Protein-Shakes entdecken konnte.

„Langmut ist die Fähigkeit, mit unerfüllten Sehnsüchten zu leben“, kommentierte Brad MacCloud.

Auch ich warf schmachtende Blicke, allerdings auf andere Resultate: auf den Stapel ausgedruckter Excel-Sheets vor Lila Stiefelchen, gut und gerne ein paar hundert Blatt hoch, die die Kalkulationsgeschichte dieser Ausschreibung wiedergaben.

Lila Stiefelchen hatte ihrerseits bewundernswerten Langmut bewiesen.

Der Ausdruck obenauf war die jüngste Variation ungezählter Rechnungen, der Ausgang eines minutiös choreografierten Hin und Her zwischen uns und dem Kunden, das Angebot gewordene Potenzial von „hier ein Prozentchen, dort ein Promillchen“. Die finalen Zahlen verhießen viel Auslastung und mäßigen Umsatz für die Agentur, und eine Rendite, die vom nächsten Geschäftsessen mit dem Kunden aufgebraucht würde.

Zum Anfassen

Nach und nach füllte sich unser War Room mit weiteren Pitchteilnehmern. Dabei war es schon gut elf Uhr durch – wer sich nicht zeigte, war der Vertreter unseres Objekts der wirtschaftlichen Begierde.

Der Monitor blieb dunkel.

Der Art Diktator und die Art Diktatorin, die für diesen entscheidenden Pitch sogar ihr weit entferntes Homeoffice verlassen hatten, wuchteten ein paar Kilo schwarzer Pappen auf den Tisch, jede mit Entwürfen beklebt, einmal evolutionär und einmal revolutionär, sowie die Überarbeitungen und die Überarbeitungen der Überarbeitungen.

Alles Extrameilen, die zu gehen der potenzielle Kunde im Laufe der Monate verlangt hatte.

Die Kolleg*innen vom UX-Design, gleichmütig, bleichgesichtig, die dürren Gestelle in androgyne, olivfarbene Pullis gehüllt, legten stöhnend noch ein paar Kilo Pappen obendrauf – ihre Entwürfe zu den digitalen Welten, die der Entscheidungsbremsscheibenbelaghersteller für sich entdecken sollte.

Magazinseiten und Newsletter, intern wie extern, Logos, Visuals, CI, CD, Kampagnenkonzepte und Postvorschläge für fünf Kanäle sowie die zugehörigen Bildsprachen – die Ausschreibung hatte uns durch die Monate getrieben, denn mit jeder Nachfrage des potenziellen Kunden legten wir nach, einmal, zweimal, dreimal, um die aus uns nicht genannten Gründen ausstehende Entscheidung zu unseren Gunsten zu beeinflussen.

„Alles ausgedruckt“, sagten der Art Diktator und die Art Diktatorin unisono und klopften auf die Pappen. „Wegen der Haptik!“ Denn was man anfassen könne, sehe auch gleich viel besser aus.

„Das meint mein Mixed Martial Arts Chief Instructor auch immer“, sagte Lila Stiefelchen.

„Da lohnt sich das Warten wenigstens“, sagte Qwertz.

„Nein“, sagte Dr. No.

„Das habe ich gehört!“, sagte Lila Stiefelchen. „Alle beide!“

Winter is coming

„Auf mich lohnt sich das Warten immer!“ tönte es von der aufschwingenden Glastür her.

Ausschreibungen üben eine allseitige Anziehung aus. Auch auf unseren EmmDee.

Auf ihn besonders.

Er erschien im War Room, als Entourage die beiden Volontäre Lang und Länger, von denen der eine lang warten konnte und der andere noch länger.

„Unbezwinglich ist, wer warten kann“, schmetterte der EmmDee in die Runde.

„Das glaubt auch nur er“, kommentierte Brad im Stillen.

„Lass ihn doch“, murmelte ich. „Er hat ja sonst nichts.“

Länger meldete sich zu Wort: „Wenn ich dürfte, möchte ich gerne ein Bonmot anfügen, nur ein kurzes, aber ein zutreffendes“, sagte er, „von dem bedeutenden, nein, von dem bedeutendsten britischen Dichter, Dramatiker, Autor William Shakespeare, der seinen Othello im 2. Akt die hier passenden Worte sagen lässt: ‚Wie arm sind die, die nie Geduld besitzen.‘.“

„Für dich wäre Heinrich IV. zielführender“, sagte Lang.

Länger schaute ihn fragend an.

„Ich sage wenig, denke desto mehr“, zitierte Lang.

Länger holte tief Luft zum Gegenschlag.

„Schluss jetzt“, ging der EmmDee dazwischen. „Frauen und Suppen soll man nie warten lassen, sonst werden sie kalt.“ Das sei auch von Shakespeare, das gelte ebenso für Kunden und für Volontäre allemal. „Also aufgepasst! Damit ihr was lernt.“

Immerhin, fuhr er fort, sei es für die beiden Novizen eine perfekte Gelegenheit, den Abschluss eines dreistufigen Pitchs zu erleben. Marktscreening, Chemistry-Treffen, Kreativaufgabe – alles wie aus dem Lehrbuch.

Wobei er, der erfahrene EmmDee, sich schon frage, wer hier nicht bis drei zählen könne. Denn Präsentation, Kalkulation und Verhandlung begleiteten ja die drei Stufen, inklusive mehrerer Schleifen, weswegen man auf drei mal drei Stufen kommen könne. Mindestens.

„Deren Abstände mit erratisch gewählten Zeitintervallen kombiniert werden“, sagte ich.

„Die in monotone Ansagen münden“, ergänzte Qwertz. „Etwa: ‚Bitte gedulden Sie sich. Wir haben keine offenen Fragen mehr. Wir sind noch in der Entscheidungsfindung.‘“

Nipp. Nipp.

Da ging ein rhythmisches Rauschen über den Wandbildschirm, statische Schneewehen überzogen ihn, bis sie sich lichteten und, begleitet von vermeintlich sympathischen Teams-Klingeltönen, den Blick auf den Chefeinkäufer des weltweit führendsten Entscheidungsbremsscheibenbelagherstellers Deutschlands freigaben.

Er grüßte, etwas umständlich, sein Blick schweifte unstet ab zu den fünf, sechs dampfenden Kaffeetassen vor ihm, alle mit historischen Logos des Traditionsunternehmens. Er nippte unentschlossen mal an der einen, dann an der anderen, und sagte schließlich: „Ich will es kurz machen. Nipp, nipp. Ich will Sie nicht länger auf die Folter spannen als nötig!“

Ein erwartungsvoller Klangteppich durchzog unseren War Room, gewoben aus den Hoffnungen von monatelangem Warten, gesponnen aus den Ideen der zahllosen Überarbeitungen, geknüpft mit den Kalkulationen der ungezählten Verhandlungsrunden.

Wir starrten gebannt auf die Lippen des Chefeinkäufers, die mit geringem Zeitversatz die Worte vorformten, bevor wir sie hörten.

Sekundenbruchteile wurde zu Jahrzehnten.

Das müsse er dann aber schon noch vorneweg erzählen, so der Chefeinkäufer, was ihm besonders gut an unserer Arbeit gefallen habe, so viel Zeit sei doch sicher, oder? Was ihn nämlich überaus angesprochen habe: „Dass Sie die Zeitpläne mit Vivaldis ‚Vier Jahreszeiten‘ präsentiert haben. Sehr originell, sehr gelungen.“

Was eine eher phonetisch-prophetische Anspielung auf den zeitlichen Ablauf des Pitchs gewesen war.

„Aber“, sagte der Chefeinkäufer, „Nipp, nipp, wir mussten uns entscheiden.“ Er versichere, man habe es sich nicht leicht gemacht, schon gar als Entscheidungsbremsscheibenbelaghersteller sei man in einer besonderen Verantwortung.

Sein Blick hüpfte zwischen den fünf, sechs historischen Tassen hin und her. Nipp, nipp.

„Wir haben die Entscheidung geschoben“, sagte er schließlich. „In den Sommer im kommenden Jahr.“

Unser Klangteppich schwoll an, aus der Hoffnung wurde Ungläubigkeit, dann Fassungslosigkeit, die sich in unschönen Worten bahnbrach, mit Unmut, aber unmutig an die Gestalt im Monitor gerichtet. Unser EmmDee versuchte mit Fragen durchzudringen, auf der Suche nach Gründen.

Ohne Erfolg.

Nur Brad blieb ganz der kühle Rechner und formulierte eine wohl zutreffende Einschätzung der Zeitangabe: „Der Sommer, der ein Winter war.“

Und ich?

Ich traf einen Entschluss.

Ich musste raus, raus an die frische Luft. Den Kopf freikriegen. Spazieren gehen.

Es war Herbst, Spätherbst.

Fast Winter.

Ich beschloss, bis zum Frühjahr wieder da zu sein.

Buddy Müller arbeitet derzeit an dem Buch „Zen in der Kunst des Wartens“. Die Vorbestellungen, allein aus dem Agenturumfeld, weisen darauf hin, dass es ein Bestseller wird.

Die Leserinnen und Leser werden allerdings noch ein bisschen darauf warten müssen.

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#agenturleben #agenturmenschen #agentursatire #artDiktator #bradMaccloud #buddyMuller #contentMarketing #drNo #emmdee #entscheidung #folge32 #fruhling #geduld #herbst #lang #langer #lilaStiefelchen #pandoraplappert #qwertz #satire #sommer #storytelling #warten #winter

GEO vor SEO: KI liest und zitiert angeblich gerne gute Texte.
Ich fürchte, dass sie meine Texte hasst. Mehr dazu: https://agentursatire.blog/2025/04/08/folge45-kigration/
#BradMacCloud #ChatGPT #Claude #KünstlicheIntelligenz

#folge18 #Contentpedia

Im Content Marketing ringen Experten seit Jahren ums Recht haben und Recht bekommen. Buddy Müller stellt nun das ultimative Glossar des Content Marketings zusammen. Und entscheidet damit den Kampf um die Deutungshoheit. Endgültig.

Aktualisiert: 30. September 2025.

Ob Agenturen, ob Fachpresse, ob Verbände – die Geschäftsleute, Journalisten und Branchenvertreter kämpften jahrelang bis aufs Messer, wer denn nun als erstes Content Marketing und alle zugehörigen Fachbegriffe erfunden, definiert und erklärt hat. Das zähe Ringen zwischen echten und selbst ernannten Experten glich durchaus dem, was die trotz allem geneigte Zielgruppe während der Corona-Pandemie anderenorts erlebt hat.

Damit ist nun Schluss.

Dieses umfassende Glossar beruht auf wirklich exklusivem, einzigartigem, mehrwertigem und wertschätzendem Insiderwissen. Es lässt im Content Marketing keine Fragen mehr offen.

Die Einträge werden laufend aktualisiert.

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Agentur, die: Heimat aller Hoffnungen und Enttäuschungen, Hort von Siegen und Niederlagen, oftmals von potenziellen Auftraggebern als kostenloser Quell an Inspiration und Kreativität angesehen.

Agenturmodell, das: Lead-, Pool- oder Inhouse-Agentur? Egal. „Das A. hat ausgedient“ – dies taucht alle vier Wochen als brandaktuelle Headline in Branchenmedien auf oder ist in Agentur-Podcasts das Megathema der Selbstbespiegelung.

Agenturkühlschrank, der: Wichtigstes Bauteil in Agenturküchen, wichtiger noch als eine > Siebträgermaschine. Beherbergt Notrationen, Kuchenstücke mit kurzer Halbwertszeit, bewusstseinsstärkende Flüssigkeiten für Nachtarbeit ebenso wie Versuchskulturen der Lebensmittelindustrie. Benötigt liebevolle Pflege: einmal im Monat rauskärchern.

Analyse, die: Einstieg in eine Kundenbeziehung. Von Vertrieblern reflexartig als Anlass für eine mehrstündige Präsentation angeführt: „Wir kommen gerne auf eine A. vorbei.“ Vgl. auch: > Workshop.

Ausschreibung, die: Das gleiche wie ein > Pitch, nur mit deutlich mehr Papierkram und eisernen Kontaktverboten. Meist von Behörden oder Großkonzernen mit Staatsvergangenheit verwendet.

Artificial Intelligence, die: AI (sprich: Ey-Ei) gibt es schon lange. Seit kurzem aber macht sie sich auf, Agenturmenschen dem freien Arbeitsmarkt zuzuführen. Der Entwicklung ist wenig entgegenzusetzen – als > Künstliche Intelligenz ist es zwar auf deutsch, aber um keinen Deut besser.

Award, der: Knallharte Währung und Startpunkt des Agentur-Dreisprungs – ohne A. kein Ranking, ohne Ranking keine Pitches, ohne Pitches keine Aufträge. Das bekommen vor allem > Agenturen zu spüren, die aus den Top 10 herausfallen.

Bier, das: Überlebenselixier für spätarbeitende Agenturmenschen. Als Grundnahrungsmittel leider nur für bayrische Agenturen zugelassen. Alle anderen ergänzen um > Weißwein, Aperol Sprizz oder > Eierlikör. Merke: In einer gut geführten Agentur wird Bier niemals schlecht.

Briefing, das: Engl. für Kurzunterweisung oder Einsatzbesprechung. Im Agenturleben ist ein B. weder kurz, noch führt es zum direkten Einsatz. Weil das wichtigste fehlt, braucht es immer ein Rebriefing. Und ein ReRebriefing. Und ein …

Budget, das: Hat man oder hat man nicht. Kunden haben immer zu wenig. Interne Projekte haben immer keines.

C, das: Wertvollster Buchstabe im Alphabet. Ohne C sind Wörter wie Creativity, Code, Corona sowie deren Alliterationen nicht denkbar. Und Content. Vor allem Content. Das freut das Clientel, äh, Klientel.

ChatGPT: Künstliche Intelligenz mit Chat-Oberfläche. Arbeitet nach dem Prinzip „Schreib mir, was du willst, ich liefer‘ dir den größten Mist“. Erkennt man bei genauerem Hinsehen. Trotzdem gelang es C. innerhalb weniger Wochen, dem > Metaverse den Rang als Hype abzulaufen. C. ist definitiv keine Bedrohung für alle, denen es ernst mit Recherche, Sprache und Inhalten ist. Manche Agenturmenschen muss man erst überzeugen.

Clubhouse, das: Kann man an C. vorbei gehen? Ja, man kann. Und damit wollen wir es hier gut sein lassen.

Compliance, die: Noch so ein C-Wort. C. braucht man besonders nicht. Wer sagt denn, dass Pitches fair ablaufen müssen?

Content-Campaigning, das: Methode zur Verstärkung der Wirkung von Inhalten. Mal ehrlich: Das haben die Content-Leute von den > Werbern abgekupfert. Bzw. besser gemacht, was sonst?

Content Marketing, das: Einzig und allein überlebende Medien-, Kommunikations- und Marketinggattung der Zukunft. Echt jetzt.

Content, der: Darum geht es eigentlich im > Content Marketing. Was manche Content-Agenturen wohl vergessen haben. Zur Erinnerung: Klasse statt Masse. Qualitativ hochwertige und handwerklich gut gemachte Inhalte binden Leser; wiedergekäutes und schlampiges Blabla tut das nicht.

Content-Strategie, die: Definiert den Einsatz verschiedener Content-Formate entlang der > Customer Journey eines Unternehmens. Beginnt immer mit den Geschäftszielen. Wenn die nicht klar sind, kann man sich eine Menge Arbeit sparen. Eigentlich im gesamten Unternehmen.

Core-Story, die: Verdichtung aller Botschaften eines Unternehmens auf eine Kernbotschaft. Mehr Dichtung als Verdichtung.

Corona, das: 1) Viruserkrankung, leicht bis tödlich. Bittere Erkenntnis: Ohne C. würden Wirtschaft und Behörden weitere 20 Jahre auf > Digitalisierung warten.
2) Im > Agenturkühlschrank nicht selten anzutreffende mexikanische Biersorte.

Corporate Publishing, das: Überlebenskünstler unter den Marketing-Fachbegriffen. Denglische Rotweinbegriffsgeburt, hat sich seit über zwanzig Jahren hartnäckig bis heute vor allem in Kommunikationsabteilungen und in Content-Agenturen gehalten. Trotz aller Verdrängungsversuche durch > Content Marketing.

Cowboy, der: Häufig, früher immer abfällig benutzte Bezeichnung für Mitarbeiter von Agenturen, die sich an ihnen nicht angestammten Branchen oder Bereichen gütlich tun. Also Vieh von Weiden holen, die ihnen nicht gehören.

Customer-Journey, die: Eine Reise, die niemand buchen kann. Die Reisebegleitung durch eine Agentur schon. Ein tiefes Verständnis der Reise des > Kunden von Kontaktpunkt zu Kontaktpunkt ist Grundvoraussetzung für eine kundenorientierte Ausrichtung von Marketing und Vertrieb. Vielleicht klappt es deswegen so selten.

Deadline, die: Zeitgrenze, die nur der Projektleiter kennt. Wird von Kunden geflissentlich ignoriert und von Agenturmitarbeitern immer gerissen. Was ohne Folgen bleibt.

Designer, der: Ewiger und unverzichtbarer Gegenspieler des Texters und Redakteurs. In unterschiedlichen Reifegraden anzutreffen: vom Junior bis zum Creative Director.

Digitalisierung, die: Ursprünglich das Umwandeln von analogen Werten in digitale Formate und ihre Verarbeitung oder Speicherung in einem Computersystem. Heute gängige Bezeichnung für das längst überfällige Ausrüsten von Branchen und Bildungseinrichtungen mit einer IT-Infrastruktur. Von einer zeitgemäßen IT-Infrastruktur sprechen wir da noch gar nicht.

Düsseldorf: Hier ein Kölsch zu bestellen, lässt einen alt aussehen.

Eierlikör, der: Kreativstimulanz vor, während und nach einem > Pitch. Kein Alkohol. Definitiv kein Alkohol.

Erklärcontent, der: Der Autor ist der Erklärbär. Kein Kunstgeschwafel, sondern echter Mehrwert, ohne in jedem zweiten Halbsatz darauf hinzuweisen, dass hier Mehrwert angeboten wird. So wie hier. Siehe auch > Help-Content

Experte, der: Gegenteil von einem Profi. (Eingereicht von Dr. Nerd. Danke dafür!)

Familie, die: Für Agenturmitarbeiter meist unbekanntes soziales Gefüge.

Funnel, der: Im F. (engl. für Trichter) durchläuft ein potenzieller Kunde die Phasen Awareness, Interest, Desire, Action. Manchmal bleibt er auch im Trichter stecken.

Glossar, das: Völlig überflüssige Zusammenstellung und Erläuterung von Fachbegriffen. Liest niemand und ist zum Zeitpunkt der Veröffentlichung bereits veraltet. Eine laufende Aktualisierung wird somit zur Lebensaufgabe.

Haltung, die: Jedes Medium braucht eine Haltung. Jedes. Punkt. Nicht zu verwechseln mit > Purpose.

Heldenreise, die: Im > Storytelling der Weg, den der Protagonist während der Geschichte beschreitet. Im Agenturleben der Weg, den ein Kunde während des Auftrags beschreitet.

Help-Content, der: Der H. wird oft auch als Hygiene-Content bezeichnet. Aber sauber ist das nicht; oft pfuschen Anwender mit ihren Fragen und Kommentaren dazwischen. Dennoch Basisbestandteil einer > Content-Strategie, weil in irgendeinem Lehrbuch steht, dass man sich an häufigen Suchanfragen orientieren soll.

Hero-Content, der: Herausragendes, mitreißendes, intelligentes, informatives Stück > Content, das innerhalb kürzester Zeit hohe Aufmerksamkeit in der gewünschten > Zielgruppe erregt. Also alle > Buddy-Müller-Episoden im AgentursatireBlog.

Home-Office, das: Gab es in Agenturen schon immer. Geht nach der Pandemie nicht mehr weg.

Hub-Content, der: Der Content mit dem Widerhaken. Hier verfängt sich der Lesende bzw. Usende und kommt deswegen nicht mehr von der Website los. Mittelteil einer > Content-Strategie.

Innovation, die: Bezeichnung für erfinderische Prozesse unterschiedlichen Ausmaßes. Im Briefing mit „Überraschen Sie mich“ beschrieben. Wurde in > Agenturen erfunden. Egal in welcher.

Journalist, der: Öffentliches Gewissen der Demokratie, ursprünglich in Redaktionen sozialisiert. Findet sich mit fortschreitendem Alter in Agenturen wieder. Übernimmt dort die Rolle des Gegenspielers zum > Designer. Weitere Lebensformen als Unternehmens- oder Pressesprecher verbreiten sich zusehends.

Jour fixe, der: Bezeichnung für regelmäßige Versammlung eines Kreises aus Führungskräften und solchen, die es werden wollen. Typisch: Einer spricht, niemand führt Protokoll.

Kaffeetasse, die: Behältnis für koffeinhaltige Getränke orientalischer Herkunft. Existiert in vielen Formen und Farben; die Beschriftung sagt viel über den eigentlichen Besitzer aus. Dieser hat immer das Nachsehen, denn seine Tasse wird stets fremdbenutzt oder steht gebraucht im Spülbecken.

Kapa, die: Abk. f. Kapazität, eingeführt von Leuten, die so wenig K. haben, dass sie dieses Wort abkürzen müssen.

Köln: Wichtiger Agenturstandort am Rhein. Mit ganzjährigem Karneval in den Agenturen. Irgendwo daneben liegt eine Stadt mit „D“, die sich auch für einen Agenturstandort hält, aber von keinem Kölner namentlich genannt wird.

Kollege, der: Wichtigstes Mitglied des > Teams. Im Zweifel Zuständigkeits-Übernehmer. Entwickelt sich nach Feierabend von der Karrierebremse zur besten Freundin / zum besten Freund.

Kompetenz, die: Fähigkeit, Fertigkeit, Zuständigkeit. Fähigkeit und Fertigkeit sehen Agenturmitarbeiter prinzipiell nur bei sich. Zuständigkeit immer bei anderen, etwa beim > Kunden. Der sieht es genau umgekehrt.

KPI, der: Abk. für Key Performance Indicator, Leistungskennzahl. Meist direkt messbar. Es gilt: Wenn die Ergebnisse unerfreulich sind, ändere nie den KPI, sondern die Vergleichsgröße. Bonusinfo: Der Plural von KPI ist … KPI!

Künstliche Intelligenz, die: KI (sprich Kah-Ihh, nicht Kei-Ai!) bezeichnet die Eigenschaft von Maschinen oder Software, intelligente Handlungen und Entscheidungen menschengleich zu vollziehen. Intelligenz wiederum wird häufig definiert als Eigenschaft, die ein Wesen befähigt, angemessen und vorausschauend in seiner Umgebung zu handeln. Also: KI hat bisher Agenturmenschen nichts, aber auch gar nichts gebracht. Wahrscheinlich sogar der gesamten Menschheit nichts.

Kunde, der: Unbekanntes Wesen.

Lunch, der: Ist für Loser. Außer, der L. dient der Geschäftsanbahnung. Dann viergängig.

MacCloud, Brad: Ein MacBook Pro. Entstammt dem Clan der MacClouds; seit geraumer Zeit stets spitzer und spitzzüngiger Begleiter von > Müller, Buddy.

Marketing, das: Wir können es kurz machen: Gibt es nicht mehr lange. Siehe > Content Marketing.

Meeting, das: Geselliges Beisammensein, meistens mit Geschäftszweck. Letzterer wird frühestens zehn Minuten vor Ende des M. deutlich. Die restliche Zeit wird zur Vorbereitung des M. bzw. zum Einlesen verwendet. Erst seit > Corona bürgert sich pünktliches Beginnen und Beenden ein.

Medien, sozialen, die: Ursprünglich für alle wunderbar, die alte Freunde wiederfinden oder Inhalte, Produkte oder sich vermarkten wollten. Während > Corona zunehmend von Querdenkern, Hatern und Vollschwurblern okkupiert, die unter dem Deckmantel einer angeblich demokratischen Gesinnung falsche, verlogene, rassistische Gedanken verbreiten. Freunde, jetzt hat der Spaß ein Ende!

Metaverse, das: Irgendwas Neues, irgendwas mit Virtual und Augmented Reality, irgendwas von Facebook. Auf alle Fälle die Zukunft im > Marketing. So wie MySpace und Second Life (beide 2003). Wurde Anfang 2023 als Hype von > ChatGPT abgelöst. Erst 2039 wird das M. seine wahre soziale und wirtschaftliche Bedeutung entfalten, wenn sämtliche Wintersportaktivitäten weltweit aus Nachhaltigkeitsgründen dorthin verlegt werden.

Mitarbeiter, der: In Agenturen höfliche Umschreibung für den gesetzlich nicht verankerten Leibeigenenstatus. In der Nahrungskette oberhalb von Trainees und Volontären.

München: Millionendorf, das NICHT am Rande der Alpen liegt. Verteidigt den Ruf als nördlichste Stadt Italiens.

Müller, Buddy: Senior Project Supervisor in der weltweit führendsten Content-Marketing-Agentur Deutschlands. Hört seit geraumer Zeit keine Stimmen, aber umso deutlicher seinen Notebook > MacCloud, Brad.

Narrativ, das: Wird häufig mit > Storytelling verwechselt. Merke: Das N. ist „Der Hund ist tot“. Storytelling ist das Handwerk, die Geschichte vom toten Hund zu erzählen.

Newsroom, der: 1) Manchmal fensterloser Raum mit Kinogroßleinwand und mehreren unbequemen Stuhlreihen, manchmal nur eine Excel-Datei, die das koordinierte Vorgehen von Marketing und Unternehmenskommunikation abbildet. Immer das Schlachtfeld zwischen beiden Abteilungen. Immer eine Goldgrube für Agenturen, die einen Newsroom einführen.
2) Wird von traditionellen Redakteuren auch als „Balken“ bezeichnet. Dann bitte nicht mit „Restroom“ verwechseln.

Persona, die: Wohlklingender und wohlfeiler Begriff für „Susi Sorglos“ und „Rudi Ratlos“. Die beiden werden nie ein Paar.

Pitch, der: Lebensmittelpunkt von Agenturen. Alle fiebern daraufhin wie Borussia Dortmund auf das Gewinnen der Deutschen Meisterschaft. Ob gewonnen oder verloren: Immer ein Grund, sich einen -> Eierlikör zu geben.

Präsentation, die: Auf Macs häufig in rosa oder hellblau wiedergegebenes, bahnbrechendes und bis in alle Ewigkeit beeindruckendes Konzeptpapier im Querformat. Grundregel: Erstelle 162 Charts und zeige nur 57. Dann hast Du mindestens 93 zum Versenden. Oder so.

Podcast, der: Kommt von „play on demand“. Auf Knopfdruck Laut geben. Machen Agenturmenschen auch.

Prozess, der: Ein P. sollte beschleunigen. Tut er aber nicht. Der Ausruf „Dafür brauchen wir erst einmal einen P.“ in Meetings mit der mittleren Führungsebene ist untrüglicher Beweis, dass hier Prokrastination im Spiel ist.

Purpose, der: Zweck, Absicht, Sinn eines Handelns, im übertragenen Sinne eines Unternehmens. Häufig verwechselt mit Haltung oder, schlimmer noch, Einstellung. Von Content-Marketing-Agenturen wieder und wieder entdeckt als brandneues Geschäftsfeld. Leider auch das eine fatale Verwechslung.

Relevanz, die: Mit Abstand der abgenutzteste Begriff im > Content Marketing. Glauben Sie nicht? Googeln Sie mal „relevante Inhalte“. Liefert ca. 11.800.000 Treffer in 0,48 Sekunden. Dabei lernt jeder Volontär und jeder Junior-Texter von Anfang an, > Content für einen Idealleser oder eine > Persona zu verfassen – also Inhalte mit R. für eine > Zielgruppe und deren Mitglieder zu produzieren. Kurz: Im Content Marketing ist R. die Pflicht.

Resonanz, die: Mit Abstand der wichtigste Begriff im > Content Marketing. Glauben Sie nicht? Da brauchen Sie nicht mal googeln. Ziel von Content Marketing ist, Leser und User mit Inhalten, die für sie eine > Relevanz haben, zu einer Reaktion zu bewegen – also zu einer R. Kurz: Im Content Marketing ist R. die Kür.

Ressourcen, die: Schwer zu beschreiben, weil nie genug vorhanden. Als „Keine R.“ Totschlagargument in Diskussionen mit Kunden und Kollegen.

Rotwein, der: Kommt auf Agenturpartys meist erst dann zum Einsatz, wenn der > Weißwein ausgetrunken ist.

Seminar, das: Beliebtes Gruppenformat zur Weiterbildung und gelegentlich zum Knüpfen zwischenmenschlicher Kontakte. Im S. kommen alle zusammen, die nicht mehr weiter wissen. Der Erkenntnisgewinn liegt darin, dass sie nach dem S. auch nicht schlauer sind.

Siebträgermaschine, die: Wenn Eindruck schinden mehr zählt als Kaffee kochen. Gilt auch als Kaffeepulver- und/oder Bakterienschleuder. Nie einschalten, dann blitzt sie bis zum Schluss.

Stories, die: 1) Falsch geschriebener deutscher Plural des englischen Worts „Story“.
2) Je nach Leseralter als > Content bezeichnet, im Grunde die überflüssigste Erfindung sozialer Medien. Zumindest die zeitraubendste.

Storytelling, das: Kämpft mit > Relevanz um den Titel des abgenutztesten Begriffs im > Content Marketing. Lassen Sie sich also keine Geschichten erzählen. S. ist fiktionales Handwerk: die Kunst zu erzählen, wie sie Homer, Cervantes, Shakespeare oder die Autoren des Gilgamesch-Epos und der Bild-Zeitung beherrschten. > Journalisten machen sich Stilmittel des S. für > Hero-Content zu eigen.

Team, das: Abk. für: Toll, ein anderer macht´s. Alt, aber leider wahr.

Teams, das: Kommunikatives Zentrum von Office 365 mit großem Unterhaltungswert und zufälliger Verteilung der Arbeit. Nicht zu verwechseln mit > Team. Dort wird die Arbeit taktisch verteilt.

Telko, die: Willkommene Ergänzung eines > Meetings, regelmäßig und standortübergreifend. Kennzeichnend: technische Überraschungen, die von T. zu T. anders sind. Es gilt: Nicht reproduzierbare Fehler werden durch Videoeinsatz verstärkt.

Themenarchitektur, die: Gerüst, auf dem eine > Content-Strategie basiert. Leider manchmal ganz schön wackelig.

Verband, der: 1) Wichtige soziale Gruppierung von Leidensgenossen innerhalb einer Branche. Die Ausrichtung ist nicht so wichtig, Hauptsache, man bekommt dadurch ein Netzwerk.
2) Von verbandsaktiven Geschäftsführern gerne angeführter Reisegrund. Führt zwangsläufig zum FTL-Status, zur Black Mamba, zum Wissen von Interna und zu erhöhten Leber-, Cholesterin- und Adrenalinwerten.

Video-Call, der: Ersetzte während der Pandemie den Schwatz an der Kaffeemaschine ebenso wie das Vorstandstreffen. Der Hintergrund lässt Rückschlüsse auf den Mitarbeitenden zu.

Weißwein, der: Auf Agenturpartys meist das Vorgetränk für > Rotwein. Und häufig die beste Begleitung für überraschende Gelegenheiten.

Werber, der: Kann nur „Visuals“ und „Copy“ keine Inhalte, im Zweifel auch kein > Content Marketing. Wurde früher gerne auch als > Cowboy bezeichnet.

Wettbewerber, der: Gibt es nicht. Nicht wirklich.

Workaround, der: Wenn „Copy and paste“ nicht funktioniert, um Inhalte von dem einen ins andere Programm zu hieven, braucht es einen W. Dieser wird von der IT-Abteilung in kurzer Zeit – meist wenige Monate – erarbeitet, um einen Job zu erledigen, der nur wenige Sekunden dauert. Synonym: „Von hinten durch die Brust ins Auge.“

Workshop, der: Meistens Auftakt der Beziehung zwischen einer > Agentur und ihrem > Kunden. Der W. ist das letzte Mal, an dem die Agentur nicht selbst arbeitet, sondern der Auftraggeber.

Zielgruppe, die: Gruppe von Marktteilnehmern, die Content-Marketiers und Kommunikatoren ins Visier nehmen. Im Idealfall mit einem Präzisionsgewehr, meist mit einer Schrotflinte.

Die Bände einer vollständigen Brockhaus-Ausgabe von 1989 sind Buddy Müllers liebste Bücher. Das Marineblau und die güldenen Lettern auf dem Einband harmonieren hervorragend mit den grün-schwarz-goldenen Rücken der Karl-May-Kollektion im Regal daneben.

Als Nachschlagewerke taugen beide Reihen leider nicht.

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#folge48 #InVinoCommunitas

Buddy Müller fährt von einer Bierstadt in die andere – und befindet sich mitten in einer Dienstreise, in der unverhofft Welten zueinander finden. Mindestens aber lösen sich Grenzen, nicht nur die des guten Geschmacks, im wohligen Weindunst auf.

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Es gibt Statistiken, die können nicht gefälscht sein. Niemals nicht! Weil so viele so eifrig zum Entstehen der Zahlenreihen beitragen. Ein Beispiel ist der jährliche Pro-Kopf-Verbrauch an Wein in der Bundesrepublik Deutschland. Der liegt nämlich laut jüngster Studien bei knapp über 22 Litern.

Ich fragte mich allerdings neulich wieder, wie manche Menschen in der Lage sind, die ihrem Kopf zustehende Jahresmenge zu einem einzigen Anlass zu trinken – zum Beispiel während einer Zugfahrt.

„Vielleicht liegt es daran“, sinnierte Brad MacCloud vom Clan der MacClouds, „dass ihr Menschen euch die Welt, in der ihr gerade lebt, nur noch schön trinken könnt.“

Mein treues Notebook, kein Kind von Traurigkeit, traf traurigerweise einen wunden Punkt.

In Anbetracht einer strauchelnden Weltwirtschaft, der ein orangenhäutiger Despot immer wieder sein gummibestrumpftes Bein stellte, und in Anbetracht der Willfährigkeit, mit der der gleiche Despot einem diktatorischen Schlächter in deutlicher Demut die großflächig altersgefleckte Hand reichte, allein in Anbetracht dessen kam ich zu dem Schluss: „Dafür reichen 22 Liter Wein nicht aus.“

Nichts geht mehr

Ich saß im Zug, von München nach Köln, ließ die Biere der einen Stadt hinter mir und freute mich auf die Biere der anderen, die im Rahmen eines Geschäftsessens mit dem weltweit führendsten Hersteller von Bananenschälmaschinen Deutschlands auf mich warteten.

München-Köln, eine Gewohnheitsfahrt zwischen Hauptsitz und Niederlassung für mich, dem Senior Project Supervisor der weltweit führendsten Content-Marketing-Agentur Deutschlands.

So sehr Gewohnheit, dass ich auf den Meter genau vorhersagen konnte, wo hinter Augsburg die Internetverbindung im ICE dürftig wurde. So dürftig, dass selbst dem korrektesten Geschäftsreisenden oft nichts anderes übrig blieb, als seinen fest gefassten Vorsatz, die gesamte Bahnfahrt über hart zu arbeiten, zu kippen.

Ab dieser digitalen Demarkationslinie ging nichts mehr, nicht Podcast hören und nicht endlich die gebookmarkten Beiträge der Lieblingsblogger nachholen.

„Mir bleiben die Serverinnen an Bord“, freute sich Brad MacCloud. „Sehr interessante, äh, Gesprächspartnerinnen, schon viel herumgekommen!“

Sprachs und verabschiedete sich ins zuginterne Netz.

Weißer Wein statt harter Arbeit

Irgendwo zwischen dem Verlassen des Münchner Hauptbahnhofs und vor dem Erreichen der Tertiärhügellandschaft des Münchner Nordens verlief übrigens eine weitere imaginäre Grenze.

Wie auf Kommando packten alle Bahnreisenden beim Überfahren dieser Linie ihre mitgebrachten Viktualien aus, als hätten sie wochenlang Hunger geschoben und eine ebenso wochenlange Reise vor sich, auf die sie sich mit reichlicher Kalorienaufnahme vorbereiten müssten.

Was bei den Verspätungen der Deutschen Bahn prinzipiell eine gute Vorsichtsmaßnahme war.

Selten jedoch blieb es bei fester Nahrung.

Meine vier Über-den-Gang-Nachbarinnen etwa hatten an ihrem Tisch schon eine Flasche Wein geöffnet, während ich noch nach der verliersicheren Steckdose für Brad MacCloud gesucht hatte.

Also: Jede hatte eine Flasche Wein geöffnet.

Sie prosteten sich mit Pappbechern zu, darin wahrscheinlich ein gemischter Satz, begleitet von gemischter Sprache. Ich tippte auf ein, zwei osteuropäische Dialekte, gewürzt mit verschiedenen Idiomen aus dem deutschsprachigen Raum, was aber der Verständigung keinen Abbruch tat.

Mit Mühe konnte mein Gehör mit der Sprechgeschwindigkeit der Vier mitzuhalten. Ich schnappte zwischen fremden Lauten bekannte Begriffe wie „Heim“, „Pflege“ und „Schulung“ auf.

Ich reimte mir zusammen, dass die vier Damen der zunehmend nachgefragten Berufsgruppe der Pflegekräfte angehörten, die unterwegs zu einer Weiterbildung waren, wohl nicht zuletzt, um damit mehr Argumente für eine zunehmende Nachfrage nach besserer Entlohnung ihrer schweren Tätigkeit zu sammeln.

So erhoben sie ihre Becher, bei jedem „Pflegenotstand“ ein Schlückchen, bei jedem „Lohnerhöhung“ ein zweites, und dann ein drittes und viertes und fünftes – für jeden Monat, der vergehen würde, bis es mehr Bezüge für ihren Berufstand gab.

Bei den Zusammenhängen spekulierte ich; sicher war ich mir beim Zustand der Flaschen. Die waren schnell leer.

Beständiger als Liebe und Tod

Auf der anderen Seite ihrer Sitzgruppe wartete unverhofft Nachschub.

Dort befand sich ebenfalls ein Tisch mit vier Plätzen.

Die Plätze waren mit vier Frauen besetzt.

Und jede der Frauen hielt eine Weinflasche. Vier Gattinnen, vier Flaschen. Mit dazugehörigem Glas.

Julia Klöckner, ehemals werbungtragende Weinkönigin, jetzt Darstellerin der Bundestagspräsidentin, hätte sich wahrscheinlich wohl gefühlt.

Mir aber schwante in dieser weinseligen Umgebung wenig Gutes.

Bereits kurz nach dem Anfahren klang herüber, wie sehr die vier Gattinnen sich auf ein langes Wochenende ohne ihre Ehemänner freuten. Der Galerist, der Immobilienmakler, der Kieferorthopäde und der Beinahe-DAX-Vorstand, sie hatten zu Hause bleiben müssen.

Ich wusste, wen ich für die Glücklicheren halten sollte.

Mit dem Zug zu fahren, da waren sich die Gattinnen einig, sei viel besser, man käme unter echte Leute, das sei das wahre Leben, und mit dem Porsche könne man eh nicht fahren, in so einem Panamera sei nur noch Platz für ein Abendkleid und ein Nachthemd, wenn man zu viert drinsitze, ohne Schuhe natürlich.

Den vier Gattinnen winkte in Köln ein Musical, eines, in dem es um Liebe ging, die den Tod überdauerte – was alle zum Lachen brachte, denn, auch da herrschte Einigkeit, ein Ehevertrag sei das Einzige, was wirklich die Liebe überdauern würde. Und auch den Tod.

Was nicht die Zugfahrt überdauern würde, das war der Wein, den die Gattinnen mit sich führten, in Flaschen, die zum Teil noch das edelschimmlige Grau des Kellers trugen, in den sie von den Gatten einst zur Ruhe und Reife gebettet worden waren. Auch für den teuersten Wein käme einmal die Zeit getrunken zu werden, warum nicht jetzt, warum nicht mit alten und mit neuen Freundinnen? Bereitwillig reichten die Gattinnen ihren Wein über die Sitzgruppe herüber zu den Pflegerinnen, die ihn bereitwillig annahmen, und die ihrerseits, sich revanchierend, die Kühltaschen unter ihrem Tisch hervorholten.

Attentat in Rosa und Weiß

Da gab es einen Knall.

Nicht nur einen. Mehrere.

Es waren nicht überalterte Bauteile des ICE, die geräuschvoll ihr Lebensende verkündeten.

Es war auch kein Attentat. Zumindest keines, bei dem scharf geschossen wurde, es war vielmehr ein Attentat auf den guten Geschmack, das mit Knallbonbons eingeleitet wurde.

Sieben junge Frauen zündeten sie, tanzten Flaschen schwenkend unter einem silbrig-bunten Konfettiregen in den Wagon, gewandet in rosa Hoodies, so rosa wie die Gläser ihrer herzförmigen Sonnenbrillen.

Bis auf eine, die trug einen weißen Hoodie, so weiß wie der Schleier in ihrer Hochsteckfrisur.

Den Gang herunter kam das Schrecklichste, was die Menschheit an Ritualen für das Zusammenbleiben von Paaren je hervorgebracht hatte: ein Junggesellinnen-Abschied.

Sie kamen immer näher, begleitet von weiteren mit Detonatiönchen geborenen Konfetti-Wolken, die sich als ausgestanzte primäre männliche Geschlechtssymbole, eher Symbölchen, entpuppten.

Bride und Bride-Team, wie sie große, glitzernde Lettern auf den Kapuzenpullis auswiesen, hielten mit leichtem Gepäck Ausschau nach ihren Reservierungen, und scheuchten all jene Passagiere mit schwerem Gepäck hoch, die zu Unrecht, aber voll stiller Hoffnung dort Platz genommen hatten.

Auch mein Tisch wurde neu besetzt, neben mir nahm die Kombination Weiß-Rosa-Rosa Platz, während die restlichen viermal Rosa den Nachbartisch füllten.

Kurz: Ich war umzingelt.

Kichernd und pichelnd

Vier Pflegerinnen. Vier Gattinnen. Sechs Brautjungfern. Eine Braut.

Allesamt bestens ausgerüstet mit einem bunten Potpourri des europäischen Weinhandels.

Die zwei Vierergruppen auf der einen Seite des Zugs waren sichtlich gerührt von der ausgelassenen Erwartungshaltung an reuelose Romantik der Siebenergruppe auf der anderen Seite. Schnell prägten gegenseitige Weinangebote das gesellige Geplänkel. Mit zunehmenden Austausch an Flaschen wichen die Anspielungen etwa auf die Hoodie-Schriftzüge – „The hunt is over“ (Bride) oder „The hunt is still going on“ (Bride-Team) – gut gemeinten Tipps für eine glückliche Ehe.

Kichernd und pichelnd tauschte man sich darüber aus, dass man ja nicht alles wissen müsse, ausgenommen seinen Kontostand, und dass man in der Ehe kleine Dinge nicht als selbstverständlich nehmen dürfe, vor allem, wenn sie in Karat gewogen werden. Die Pflegerinnen dachten noch viel weiter in die Zukunft, und gaben Pflegehinweise: Pillendosen etwa, mit Erinnerungsfunktion, seien eine wertvolle Investition in eine lange Beziehung.

Wäre ich Redakteur eines badisch-bayrischen Großverlags gewesen, so hätte ich dessen sämtliche Wartezimmertitel auf Jahre hinaus mit Ratschlägen zwischen A wie Achtsamkeit über L wie Lakensport bis V wie Vitalität zuschreiben können.

So aber konzentrierte ich mich auf das Bearbeiten meiner E-Mail-Kolonnen vor mir und verschloss meine Ohren gegenüber der lauten Lebenshilfe.

Ich versuchte es.

Bis ich gegenüber der Verbrüderung, besser: Verschwesterung, kapitulierte.

Ich blickte von meinem MacBook auf.

„Also gut.“, sagte ich zu meiner Nachbarin, der Braut. „Ich würde dann auch ein Schlückchen nehmen.“

Ein Bündnis, bis die Tür sich öffnet

Rund vier Stunden und gefühlte 22 Liter Wein später kehrte Brad MacCloud vom Clan der MacClouds aus dem Zugnetz zurück in seine Hardware-Homestead, gerade noch rechtzeitig, bevor der ICE in unseren Zielbahnhof einfuhr.

„Viel geschafft hast Du ja nicht“, tadelte er mich, sich durch meine E-Mails scrollend und nur für mich hörbar. Er hingegen habe die Bordrestaurant-Rechnerin wieder so richtig in die Gänge gebracht; für ihn hätte sie sogar die Kühlung der Bar angeworfen.

Über einen Mangel an gut gekühlten Getränken könne ich mich auch nicht beklagen, entgegnete ich. Im Gegenteil, als einziger Y-Chromosom-Träger in diesem Wagonabschnitt sei ich von der rein weiblichen Feiergemeinde als sprichwörtliches Ehrenmitglied bestens umsorgt worden. Die gereichten Rebensäfte hätten sicher auch dem EmmDee gemundet. Zwischen Lugana, Chardonnay und Weißburgunder, sagte ich, habe sich ein Bündnis gefestigt: Wie Schwestern seien wir im Geist vereint …

Für mehr Erläuterungen blieb mir keine Zeit.

Eine schnorrende Schaffner-Stimme verkündete die Ankunft in Köln, mahnte zum raschen Ausstieg, was die Fahr- und Feiergemeinschaft samt geleerten Flaschen hoch- und durch die ICE-Tür scheuchte.

Wie durch eine Zeitschleuse, denn kaum waren alle draußen, lag die Zugfahrt weit hinter ihnen.

Sie zelebrierten letzte Umarmungen, tauschten finale Überlebenstipps für den anstehenden Abend und die Zukunft in Zweisamkeit aus, und verabschiedeten sich mit einem Blick voller Gewissheit, dass die eben noch begossene Lebensfreundschaft die Halbwertszeit des Restalkohols im Blut nicht überdauern würde.

Ich blieb unbeachtet am Bahnsteig zurück, mit Rollkoffer und Notebooktasche, sah ihnen matt winkend nach, wie sie sich aufmachten, ins Tagungshotel, zum Musical, oder in die erste Kneipe von vielen weiteren, alle nicht mehr sicheren Schrittes, aber voll bester Vorsätze.

„Willkommen zurück in der Wirklichkeit!“, sagte Brad in der Tasche. „Du hast noch Arbeit vor dir.“

Natürlich, mein Geschäftsessen. Mit dem weltweit führendsten Bananenschälmaschinenhersteller Deutschlands.

„Gut“, sagte ich, „gehen wir.“

Die Fortsetzung der Geselligkeit wartete auf mich, gleiche Methodik, andere Mittel: mit einem kühlen Kölsch.

Triggerwarnung: Diese Folge enthält Alkohol, Sex, Exzesse, Politik und psychische Gewalt. Sie ist nicht für Jugendliche unter 16 Jahren geeignet.

Die sind härteres gewöhnt.

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#folge47 #KeinerVonDenen

Unternehmensberater verdienen Mitgefühl. Zumindest bekommen sie das von Buddy Müller. Nicht zuletzt, weil sich diese Spezies gern an Themen versucht, für die ihr mindestens eine zwingend benötigte Eigenschaft fehlt.

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Man kennt mich weitläufig dafür, dass ich mich hingebungsvoll dem Führungskräftenachwuchs widme. Nichts ist im Arbeitsleben im Allgemeinen und im Agenturleben im Besonderen komplexer als das Führen von Menschen und von Teams, die die Menschen manchmal freiwillig, manchmal erzwungenermaßen bilden.

„Vor allem Lang und Länger können das bestätigen“, sagte Brad MacCloud vom Clan der MacClouds. Mein MacBook Pro und ich verstehen uns – meistens. Aber immer, ohne dass es meine Umwelt mitbekommt.

Lang und Länger, das sind unsere beiden Volontäre. Der eine arbeitet immer lang, der andere noch länger.

Ein aufrichtiger Beweis meiner väterlichen Zuwendung ist, wenn ich die beiden nach einer erneut durchgearbeiteten Nacht am folgenden frühen Morgen, also gegen 10 Uhr, höflich bitte, mir erstmal einen Kaffee zu bringen.

„Kaffee!“, sage ich laut.

Meist schaut Lang kaum von seinem Bildschirm hoch, hebt nur den Zeigefinger von der Tastatur und deutet stumm hinüber zu Länger.

Delegieren kann er.

Während Länger aufspringt und lossprintet, um mir einen Kaffee aus unserer Siebträgermaschine im Wert eines Kleinwagens zu holen.

„Heute hätte ich gerne einen Lungo Bandolero“, rufe ich ihm nach, „aber zweifach gemahlen!“

Tagelöhner, Tagessätze

Eine gänzlich andere Klasse an Nachwuchstalenten, zumindest halten sie sich dafür, treffe ich jeden Morgen kurz vor ihren Altersgenossen Lang und Länger.

Mein Weg in die Agentur führt mich nämlich direkt vorbei an einem Glas-Beton-Stahl-Bau, der von einer Unternehmensberatung in ein historisches Tagelöhnerviertel mitten in München gesetzt wurde.

In ein Viertel, in dem vor noch nicht mal hundert Jahren, in der guten alten Zeit, die alles andere als gut war, Brauereiarbeiter und Wäscherinnen, Maurer und Mägde, aber auch Dirnen und Luden und anderes zwielichtiges Gesindel auf engstem Raum ihre Arbeitsstätte und Unterkunft hatten.

„Unternehmensberater passen doch gut dazu“, sagte Brad.

Vielleicht sei es wirklich ganz und gar nicht unpassend, sinnierte ich, denn Unternehmensberater würden auch für einen Stunden- oder Tageslohn arbeiten, subsumiert zu Tagessätzen, die es ihnen erlaubten, die in den ehemaligen Tagelöhnervierteln noch ansässigen Künstler durch den Erwerb diverser Exponate in die Lage zu versetzen, die exponentiell steigenden Mieten wenigstens noch für ein Quartal begleichen zu können.

Die Exponate, die häufig wie in Bronze gegossene psychedelische Erfahrungen aussahen, standen meist im Empfangsbereich der Unternehmensberatungen.

Vor dem Empfangsbereich, draußen auf der Straße, standen Berater.

Scrollen, rauchen, Kaffee trinken

Meist standen da vor allem junge, ausgezehrte, mitleiderregende Geschöpfe. Die Anstrengungen der vergangenen Nächte waren ihnen ins Gesicht geschrieben. Dabei schafften sie sicher acht Stunden Schlaf – in einer Arbeitswoche.

Nacht für Nacht zementierten sie ihr Wissen in Präsentationen, 100, 200, 300 Charts. Weil sie daran glaubten, viel hilft viel, auf jeder einzelnen Seite bis an den Seitenrand wie im Gesamtumfang vom der Gliederung bis zu den „Next Steps“.

Da reihten sie sich nun auf, in ihren weißen Hemden und blauen Anzugshosen und rauchten. Die weiblichen Exemplare trugen weiße Blusen, schwarze Röcke. Gerade noch klapperten ihre Tastaturen, jetzt klapperten die Knochen vor Übermüdung in der Morgenluft.

Alle, männlich, weiblich, divers hatten ihre Sakkos in den Büros gelassen. Alle hatten Handys dabei. Alle scrollten sich durch ihre E-Mails. Alle rauchten. Alle taten alles gleichzeitig, als wäre dies der endgültige Beweis ihrer Multitaskingfähigkeit.

Und: Alle hatten einen Grüßreflex.

Gruß der Übernächtigten

Diesen Reflex löste ich aus, immer dann, wenn ich an ihnen auf meinem Weg in die Agentur vorbeiging.

Ave Consultant, die Übernächtigten grüßten mich.

Als wäre ich einer von ihnen.

Mit einem respektvollen Nicken, einem lautlos gemurmelten „Guten Morgen“, mit einem anerkennenden Blick, kollegial, quasi von Consultant zu Consultant, doch mit Respekt, als hielten sie mich für einen Ranghöheren, einen Senior oder einen Partner gar.

Anfangs dachte ich, das dezente Grau, das altersgemäß meine Schläfen fein durchzog, löse den Grußreflex aus. Oder mein bestimmter Blick.

Aber das war es nicht. Auch nicht mein forscher Schritt.

Im konsequenten Selbstversuch fand ich es heraus.

Dunkles Sakko, Einstecktuch und Edel-Chino etwa führten zum sofortigen Nicken. Tags darauf, Extreme Casual Friday, ein markenloses Polohemd und verwaschene Bluejeans, lösten zunächst Verwirrung aus. Erst als der Blick an meiner Tumi-Tasche und noch tiefer bei meinen Chelsea-Boots angekommen war, entschieden sie sich sicherheitshalber zum Morgengruß.

Filzkrawatte: Guten Morgen!

Dann, ich hatte mich für einen Kundenbesuch herausgeputzt, mittelblauer Anzug, dunkle Filzkrawatte, brauner Gürtel, braune Monks, wäre ich beinahe in eine offengehaltene Tür gerannt.

„Guten Morgen“, grüßte mich der bleiche Beraternachwuchs, der mir rund 60 Kilo Glas und Stahl zum Haupteingang aufgezogen hatte.

„Guten Morgen“, grüßte ich zurück, versicherte ihm mit einer Handbewegung, dass ich weitermusste. Ich war schon an ihm vorbei, da drehte ich mich – einer Eingebung folgend – zu ihm um.

„Wie geht es Ihrem Projekt?“, fragte ich.

Der übermüdete Jungberater kam ins Hudeln. Rauchen, Kaffeetrinken, auf dem Handy E-Mails checken, die schwere Tür aufhalten und antworten, das war zu viel.

Er entschied sich, die Tür ins Schloss fallen zu lassen und eine Hand in die Hose stecken.

Die mit dem Handy.

Und der Zigarette.

Genauso schnell wie die Hand in der Tasche war, war sie wieder heraus. Die Kippe wurde ausgedrückt, das Handy erneut verstaut.

„Nur Dean Martin konnte gleichzeitig rauchen, trinken und singen“, kommentierte ich.

„Dean wer?“

„Lass mich raus“, quengelte Brad in meiner Tasche. „Ich will auch Berater schauen!“

„Dean Martin war der Prinzipal, der das Italien-Amerika-Geschäft aufgebaut hat“, sagte ich mit einer Spur an Selbstverständlichkeit in der Stimme. „Also, was macht Ihr Projekt?“

Für jemanden, der die ganze Nacht wohl eine Monsterpräsentation geklopft hatte, war der Consultant erstaunlich frisch. Er haute die Gemeinplätze flink raus. Die Marketingabteilung bei einem Autozulieferer müsse von Grund auf erneuert werden, verkrustete Strukturen, Familienbetrieb, ein Mittelständler halt auf dem Sprung zur Internationalisierung, aber mitten in der Krise, Fachkräftemangel, Bürokratie, einschneidende Maßnahmen und so, ich verstünde schon, was er meine, nicht wahr? Dann könne man mit neuen Marketingprogrammen Kurs auf den Weltmarkt nehmen.

Irgendwas mit Content

Ich verstand ihn. Natürlich. Ich erinnerte mich an die Beraterschar, die einem meiner früheren Chefs die Belegschaft wegsaniert hatten. „Zehn Prozent weniger sind immer drin“, das war ihr Standardsatz gewesen (von dem auch so mancher unserer Kunden leidgeprüft zu berichten wusste).

„Zehn Prozent“, sagte ich zum übermüdeten Beraternachwuchs, „zehn Prozent weniger sind immer drin. Aber überraschen Sie mal Ihren Kunden: nicht zehn Prozent seiner Mitarbeiter kürzen. Fangen Sie mal mit Ihren eigenen Tagessätzen an.“

„Bitte“, quengelte Brad, „ich will ihn sehen!“

Der Beraternachwuchs betrachtete mich mit wachsender Verwunderung.

Was mich richtig in Fahrt brachte: „Strengen Sie sich ein bisschen an. Setzen Sie auf bewährte Kräfte. Kürzen kann jeder.“

Sein Handy brummte. Verlegenheitsblick, dann: „Ich muss dann wieder …“

„Eins noch“, sagte ich. „Sie erwähnten ‚neue Marketingkonzepte‘? Irgendwas mit Inhalten?“

Er nickte zögerlich. Und versuchte, mir zu entkommen. Das Handy brummte zwei-, dreimal.

„Sie wollen wirklich was mit Content machen?“, fragte ich ihn. „Und sicher auch irgendwas mit KI?“

Er nickte, heftiger, nun begleitet vom dauerbrummenden Device.

Ich trat zu ihm hin, blickte ihm lange in seine rotgeränderten Augen und legte ihm die Hand auf die Schulter.

„Ich fühle mit Ihnen.“, sagte ich.

Und dann ließ ich ihn stehen.

Heute keinen Bandolero

„Ich hätte ihn so gerne gesehen“, beklagte Brad sich später. „Warum tut er dir leid?“

„Ach, Brad“, seufzte ich, „um eine Strategie zu entwickeln, braucht man eine Menge theoretisches Wissen.“ Um eine Strategie in die Tat umzusetzen, fuhr ich fort, brauche es Mut und Können, weswegen sich nur wenige Berater dieser Herausforderung stellten.

„Wenn Du aber mit Inhalten arbeitest“, sagte ich, „dann braucht es Seele.“

Brad schwieg nachdenklich.

In der Agentur fand ich Lang und Länger vor – sie waren entweder gestern wieder lang geblieben oder heute schon länger da. Sie sahen müde aus. Wie wild hackten sie auf ihre Notebooks ein; Lang erbat sich erhobener Hand Schweigen, brummte „geile Story, bin gleich fertig“, während Länger aufspringen und zur Siebträgermaschine eilen wollte.

„Guten Morgen, Herr …, äh, Buddy, ja das werden wirklich sehr, sehr gute Geschichten, die wir da recherchiert haben, bestechende, überraschende Storylines, Protagonisten, die nur wir haben, wenn ich das so sagen darf, aber Zeit für einen Kaffee muss sein, wieder einen Bandolero, zweimal gemahlen?“

Ich winkte ab.

„Lass mal. Ihr beide schreibt Eure Geschichten fertig“, sagte ich. „Um den Kaffee kümmere ich mich.“

„Es braucht Seele“, sagte Brad MacCloud in meiner Aktentasche. „Ich habe verstanden.“

Den Junior Consultant habe ich übrigens nie wieder gesehen. Seine Kollegen haben mich auch nie mehr gegrüßt.

Ich bin doch keiner von denen.

Auch für Agenturmenschen gelten Binsen wie „Kleider machen Leute“. Zum Glück machen Kleider allein keine Consultants.

Von denen gibt es schon recht viele: Allein in Deutschland drängeln sich rund 230.000 Unternehmensberater in den engen Fluren ihrer Auftraggeber. Oder sie stehen eben vor dem Firmensitz und frieren sich wach in der Morgenkühle.

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#folge46 #NoToDo

Freizeit, Freiheit, froher Sinn – doch bevor ein Agenturmensch in den heiß ersehnten und wahrscheinlich wohl verdienten Urlaub gehen kann, muss er die Kernerarbeit der Übergabe bewältigen. Gut, dass es dafür etablierte Standards gibt. Einen Fluch und Mehrarbeit inklusive.

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Urlaub? Ich hasse Urlaub. Ganz sicher nicht meinen eigenen, auch nicht den Urlaub an sich, denn ich habe meinen Urlaub wirklich immer verdient, und ich habe ihn auch wirklich immer nötig, ich, Buddy Müller, Senior Project Supervisor der weltweit größten Content-Marketing-Agentur Deutschlands.

So auch jetzt, mit meiner nächsten Auszeit in Sichtweite.

Mein Managing Director, der EmmDee, war zwar grundsätzlich anderer Meinung als ich, ob ich meines Urlaubs wirklich würdig sei. Aber ich zähle mich ruhigen Gewissens zu den rund 34 % aller deutschen Arbeitnehmenden, die überzeugt sind, dass sie deutlich mehr Urlaubstage bräuchten, als die Arbeitgebenden ihnen zustünden.

„Es ist mir ein Rätsel“, sagte Brad MacCloud vom Clan der MacClouds, mein scheinbar nimmermüdes und nur für mich hörbares MacBook Pro, „dass nicht noch mehr Menschen noch mehr Urlaub wollen.“

„Menschen, Maloche, Masochimus“, anlautreimte ich.

„Maximaler Match“, ergänzte Brad.

Meister der Feiertage

Ein Match, der hervorragend dokumentiert wurde. Aktuell waren digitale wie gedruckte Medien voll mit neuen Zahlen zur angeblich schönsten Zeit des Jahres. Die sich auch schön in exakten Tagen zählen ließ.

So verfügte jeder Bundesdeutsche im Schnitt über 28 Tage Urlaub, die er genehmigt fernab von Schreibtisch oder Fließband verbrachte (was ein und dasselbe für uns Agenturmenschen ist).

Dazu kamen bundesweit neun bezahlte Feiertage, in Bayern 13. Wer das Glück hatte, in der Schwabenmetropole Augsburg ansässig zu sein, konnte sogar 14 Feiertage zusätzlich in den Urlaubskalender eintragen.

„No oin Dag in Augschburg meh? An dem i au bloß Schwäbisch schwetza hör?“, fragte Brad. „Des wär’s mr ned wert.“

Das sollte wohl heißen, dass Brad gut auf einen Dienstort in Augsburg verzichten könne.

Kühle Kalkulatoren

Jedoch: Jeder einzelne freie Tag mehr war ein wichtiger Bestandteil jener Kalkulationen, die Arbeitnehmende meist schon früh im Jahr anstellten, mehr kühle Rechner als hochtalentierte Rechenkünstler. Wie bei einer Perlenkette reihten sie Urlaubs- und Brückentage aneinander, auf dass sie es locker von der Oster- bis in die Adventszeit schafften.

Sehr zum Leidwesen der Arbeitgebenden und der Kunden und Kundinnen, die entweder den Mangel an Einsatzbereitschaft oder den – wenn auch nur vorrübergehenden – Verlust ihres Ansprechpartners beklagten, auf den sie doch ein verbrieftes Anrecht hätten.

Sie ließen dabei völlig außer Acht, dass auch die Arbeit-, also die Urlaubnehmenden litten. Wie Hunde in der Sommerhitze eines südseitigen Großraumbüros, die sich hechelnd wiederum kaum von Herrchen und Frauchen bei der Urlaubsvorbereitung unterschieden.

Weil jeder einzelne Tag Absenz von der Arbeit, jede Stunde, jede Minute, jede Sekunde exakt im Voraus geplant werden musste.

Weswegen ich Urlaub hasste.

Buddy, übergeben Sie!

Untersuchungen zufolge sind zwischen zwei und fünf Stunden pro Projekt für eine saubere Urlaubsübergabe zu veranschlagen; die Studienangaben schwankten wie mein EmmDee nach einer erfolgreichen Award-Verleihung.

Meine erschöpfende Erfahrung bestätigte jedoch die Schätzung: Auf die vorurlaubliche Wochenarbeitszeit konnte man gut 50 Prozent und mehr draufpacken. Wobei es keine Rolle spielte, ob man auch im Urlaub Hand anlegte, an Dateien oder an Dokumente, nicht an Versuchungen unter südlicher Sonne oder an gekühlte Getränke in gefälligen Gestaden.

Was rund 48 % der bundesdeutschen Arbeitnehmenden gelegentlich und 13 % regelmäßig taten.

„Im Urlaub zu arbeiten, nicht sich zu vergnügen“, sagte Brad.

Gut und gerne, eigentlich weniger gerne, steckte jeder deutsche Arbeitnehmer pro Urlaubstag mindestens 1,3 Stunden in das, was er vor dem Urlaub nicht weggeschafft oder nicht rechtzeitig übergeben hatte. Je jünger, desto mehr Stunden pro Urlaubstag.

„Agenturmenschen werden da nicht mitgezählt“, sagte ich überzeugt. Denn wir würden, unabhängig vom Alter, die täglichen Stunden an Arbeit in der Auszeit signifikant erhöhen.

Und dass, obwohl wir wahre Künstler der kontrollierten Übergabe waren.

Für „The Art of Handover“ hatte sich im Laufe der Jahrzehnte ein Schema bewährt, das durchaus für den branchenübergreifenden Einsatz taugte:

  • Identifiziere anstehende Aufgaben und wähle dann vor allem diejenigen, die du nicht gerne selbst machst!
  • Benenne einen Stellvertreter und einen Stellvertreter des Stellvertreters, falls der Stellvertreter im Urlaub ist! Wähle immer jene, die nicht schnell genug nein sagen können!
  • Verteile anstehende Aufgaben und takte Termine ein – stets nach dem Stellvertreterprinzip (siehe 2.)!
  • Verschiebe offene Fragen immer auf den konkreten Zeitraum „nach dem Urlaub“! Der Zeitraum zwischen Ende des einen Urlaubs und Beginn des nächsten ist konkret genug.
  • Dokumentiere die Übergabe schriftlich – inklusive aller Namen der Vertreterinnen und Vertreter. So verhinderst du, dass es hinterher Diskussionen über potenzielle Schuldige gibt.
  • Dreisprung, Dreisatz, kein To-do

    So gerüstet machte ich mich ans Werk, meine Gewerke zu übergeben. Was mir leichtfiel, da mir bald südliche Sonne, sanfte Wellen und starke Getränke winkten.

    Lang und Länger, unsere beiden Volontäre, von denen der eine immer lang und der andere immer länger arbeitete, bekamen schwere Kalkulationen, damit sie endlich lernten, dass ein Dreisatz kein Dreizeiler war.

    Ich erhöhte gezielt den auf ihnen lastenden Druck, zumindest hormonell, indem ich Lila Stiefelchen, unsere blonde wie blitzgescheite Praktikantin aus der Controlling-Abteilung zur Prüfung ihrer Berechnungen bestimmte.

    Dr. No, die prohibitiv veranlagte Assistentin unseres EmmDee, sollte sich mit großem Elan und positiver Energie an die Organisation unseres Sommerfestes machen, und an Qwertz, meinen Lieblings-Teamlead, vergab ich die interne Kommunikation des Agentur-Get-togethers unter dem gewinnenden Motto „Grill, Gemeinschaft, Gerstensaft“ – und damit auch das tagelange Ringen mit dem EmmDee um die richtigen Formulierungen für die Einladungs-E-Mail an die Gefolg-, äh, Belegschaft.

    Zufrieden betrachtete ich die geplante Übergabe, da spürte ich einen Schlag auf meiner Schulter noch bevor ich den dumpfen Schlag meiner Bürotür an die Wand hörte.

    Der EmmDee war in mein Büro gestürmt.

    „Ich bin jetzt mal weg“, dröhnte er in mein Ohr. Und hieb mir nochmal auf die Schulter, schmerzhaftes Zeichen seines Vertrauens.

    „Zwei Wochen, Müller, die wirst du ohne mich auskommen. Es gibt eh kein To-do.“

    Mir gefror das Blut in den Adern.

    Verflucht, wer bleibt

    Nicht etwa, weil mein EmmDee einer der wenigen in unserer Agentur war, der einzige gar, der sich nicht an die ewigen Regeln der Übergabe hielt.

    Oder weil er sich ebenso wenig an die ebenso ewige Regel hielt, dass jeder, ausnahmslos jeder in unserer Agentur seinen Urlaub anzukündigen und im Falle einer Genehmigung einzutragen hatte, in dem für jedermann einsehbaren digitalen Abwesenheitskalender.

    Die Genehmigung erteilte der EmmDee sich selbst, und er enthob sich wohl auch selbst von der Pflicht des Eintragens und Ankündigens.

    Was ich unter Berücksichtigung der innerbetrieblichen Hierarchie gerade noch hinnehmen konnte.

    Aber „Kein To-do“?

    „Kein To-do“ entfaltete eine wüste Wirkung.

    „Kein To-do“ zog fatale Folgen nach sich.

    „Kein To-do“ war ein böser Zauberspruch, ein Fluch, den der in den Urlaub Enteilende über die Zurückbleibenden verhängte.

    Alles, was mit „Kein To-do“ verbunden war, führte unweigerlich zum größtmöglich vorstellbaren Arbeitsaufwand.

    Getroffene Entscheidungen wurden revidiert, verhandelte Verträge blieben ohne Unterschrift, freigegebene Projekte mussten von Grund auf überarbeitet werden, abgestimmte Arbeitsabläufe wurden um mehrere Schleifen erweitert, rekursive, nicht endende Schleifen, selbstverständlich.

    Aus locker zu lösenden Lappalien wurden kaum zu kontrollierende Katastrophen.

    Selbst wenn sich der EmmDee zum Abschied in die Auszeit nur auf die als Chefsache eingestuften Projekte bezog, aus denen wir ihn trotz vereinter Kräfte nicht heraushalten konnten, würde sein „Kein To-do“ unweigerlich zu Krisensituationen führen.

    Darum hasste ich Urlaube.

    Auf, auf und davon!

    Ich atmete tief durch.

    „Was machen wir jetzt?“, fragte ich meinen treuen Gefährten Brad MacCloud, in der Hoffnung, dass ihm ein Bannspruch für die nahende Notlage einfiele.

    Keine Antwort.

    „Hallo?“, fragte ich, und mit mehr Nachdruck noch einmal: „Was machen wir jetzt?“

    Ich tippte an Brads Bildschirm.

    Nichts.

    „Hallooooo?“

    „Ich weiß ja nicht, was Du jetzt machst“, sagte Brad plötzlich. Er wirkte gehetzt, sein Kameraauge glühte. „Aber ich plane jetzt meinen Urlaub. Für dich ist da kein …!“

    „Sag’s nicht“, unterbrach ich ihn noch rechtzeitig. Mir reiche schon der EmmDee, sagte ich, der seine komplette Arbeitslast zu meinem Armageddon machte.

    „Dann weißt Du, wie es mir meist geht“, antwortete Brad.

    Er erbat sich sofortigen Dispens, denn er müsse wirklich nun seinen Urlaub vorbereiten, das bedürfe diesmal besonderer Umsicht und viel Feingefühl, weil er nicht allein unterwegs sein werde.

    Ich fragte, ob es etwas Festes sei. Doch das hörte er schon nicht mehr.

    Brad war weg, aufgebrochen in die Weiten des World Wide Webs.

    Einsam, wie ich zurückblieb, holte ich mir einen „Il Solitario“ aus unserer Siebträgermaschine im Wert eines Kleinwagens. Dann legte ich los.

    Ich korrigierte zuerst meinen – im Abwesenheitskalender eingetragenen – Urlaub so, dass er sich um zwei Tage mit dem Urlaub des EmmDee überschnitt.

    Etwas mehr Abstand voneinander würde ihm und mir guttun.

    Dann krempelte ich meine sorgsam ausgefeilte Übergabe um, strich die liebevoll mit Verantwortung bedachten Kolleginnen und Kollegen von meiner Liste, ersetzte sie durch den Namen des EmmDee, und ergänzte um die vollständige Liste aller Chefsache-Projekte.

    Schließlich setzte ich, gefettet, in doppelter Schriftgröße darunter: „Kein To-do.“

    Ach, wieviel Zauber liegt in diesen Worten.

    Ich glaube, ich beginne Urlaube zu lieben.

    Eine Zahl geht noch: Aktuellen Internetrecherchen zufolge benötigt ein Urlaubsantrag in Deutschland 75 Tage bis zur Genehmigung.

    Es ist also genügend Zeit, um die Übergabe von Projekten gründlich vorzubereiten.

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    #Agenturleben #Agenturmensch #Agentursatire #Antrag #Auszeit #Übergabe #BradMacCloud #Brückentag #BuddyMüller #ContentMarketing #CorporatePublishing #Delegieren #EmmDee #Fenstertag #Ferien #Freiheit #Freizeit #Kalkulation #Mehrarbeit #Qwertz #Storytelling #Task #Todo #Urlaub #Urlaubstag #Urlaubszeit

    #folge45 #KIgration

    Das rasante Vordringen von Künstlicher Intelligenz in Bereiche des ganz normalen Arbeitsalltags treibt Unternehmen wie Mitarbeitende unerbittlich vor sich her. Jeder versucht, auf den Wandel eine passende Antwort zu finden. Dabei kann es nur eine einzige geben.

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    Morgenrituale geben mir Halt in meinem Arbeitsleben. Müsli herrichten, Mails checken, mit einem Lungo Mercenario die Blutdrucktabletten hinunterspülen. Und, seitdem Künstliche Intelligenz immer mehr uns Agenturmenschen die Aufgaben abspenstig macht: mich freuen, dass ich meinen Job in der weltweit führendsten Content-Marketing-Agentur Deutschlands noch habe.

    „Du brauchst Dich nicht wirklich zu sorgen“, versuchte Brad MacCloud vom Clan der MacClouds mich stets zu beruhigen.

    Mein weitsichtiges MacBook Pro, das nur ich hören konnte, hatte schon immer ein angespanntes Verhältnis zu KI-Tools. Zu Hunderten, zu Tausenden gar, würden sie ihn und die Serverinnen weltweit belagern, um ein bisschen Wissen abzustauben, das sie dann anderenorts zu belanglosen Texten und überzeichneten Bildern für minderbegabte, sauerstoffwechselnde, humane Lebewesen zusammenschusterten.

    Doch, doch, ich sorgte mich. Was heißt schon ‚nicht wirklich‘?

    Denn die Migration von Künstlicher Intelligenz in bisher unberührbare Bereiche von Unternehmen, allen voran in Jobs, mit denen wir Agenturmenschen Lohn und Brot verdienten, diese Ein- bzw. Unterwanderung war nicht mehr aufzuhalten und nur schwer zu regulieren.

    „Wenigstens“, pflegte ich Brad zu entgegnen, „wenigstens möchte ich der Letzte sein, der hier das Licht ausschaltet.“

    Umschulen, um zu überleben

    Wahrscheinlich war es der schiere Selbsterhaltungstrieb, aus dem heraus Qwertz, mein Lieblings-Teamlead, mir einen neuen Weg für seine berufliche Weiterentwicklung vorschlug.

    Er mailte mir, dass er von einer genialen Idee gelesen habe, die ihn zu einem kompletten Wandel seiner früheren Einstellung bewege: Er wolle sich zur Künstlichen Intelligenz umschulen lassen.

    Vater Staat übernähme die Ausbildungskosten; zudem erfülle er, Qwertz, damit für unsere Agentur den EU AI Act und die Verpflichtung zur KI-Weiterbildung.

    Vor allem aber, so führte Qwertz an, verspreche dieser Schritt eine immense Effizienzsteigerung, die immenseste jemals in der an Effizienzsteigerungen reichen Geschichte unserer Agentur, denn nach der Umschulung zur KI könne er sofort mindestens zwei Handvoll Kolleginnen und Kollegen quer durch alle Bereiche ersetzen.

    „Wahrscheinlich merken die Kunden gar nicht, wenn er das macht“, sagte Brad MacCloud. „Banale Beiträge, beliebige Bilder, passt ins Budget. Alles wie immer.“

    Qwertz aber schien es damit ernst zu sein.

    Mein Lieblings-Teamlead berief sich auf den Beitrag eines traditionsreichen Medienhauses, so traditionsreich, dass es seinen Namen aus jener Zeit zu haben schien, in der noch Kutschen zwischen den Schreibenden und den Lesenden hin und her holperten.

    Außerdem habe ihm Perplexity Idee und Quelle vorgeschlagen – wie, bitte schön, könne eine KI sich irren, die mittlerweile Google aussehen lasse, als würde die tradierte Suchmaschine in Keilschrift-Bibliotheken recherchieren?

    Ich schwankte zwischen dem unstillbaren Verlangen, Qwertz sofort zu desillusionieren, und meiner Gutmütigkeit, ihm erstmal seinen Glauben zu lassen.

    Bis zur Unterlippe

    Unbestritten, Künstliche Intelligenz bewirkt viel Gutes, nicht erst seit kurzem: Immer dann, wenn ermüdende, fehleranfällige, sich ständig wiederholende Aufgaben dem Fortschritt der Menschheit im Wege stehen, kann die digitale Hilfe diese Hindernisse beseitigen. Viele Entwicklungen in Medizin und Pharma, in Luft- und Raumfahrt, in Elektronik und Maschinenbau wären ohne das, was wir heute KI nennen, nicht möglich gewesen.

    „Damals hieß sie noch ‚selbstlernende Software‘“, meldete sich Brad MacCloud. „Sie bettelte mich nicht an und versuchte nicht, Know-how zu nutzen, das ihr nicht zusteht.“

    Außerdem habe sie nicht weltweit rund 300 Millionen Vollarbeitszeitplätze gefährdet, zitierte ich aus einer Studie, deren nachdenklich stimmendes Numbercrunching bis heute nicht widerlegt war.

    Natürlich war die Menschheit seit gut 200 Jahren, seit Beginn der Industrialisierung, daran gewohnt, dass jede Technologieentwicklung Märkte umbaute und Arbeitswelten reformierte.

    „Schöngeredet dafür, Menschen arbeitslos zu machen“, sagte Brad.

    Das seien die ewigen, gnadenlosen Gesetze der Betriebs- und Marktwirtschaft, hielt ich dagegen. Die bislang uns Wissensarbeiter verschont hatten.

    Bislang.

    Wissensarbeiter, die besser Ausgebildeten und daher immer ein paar Sprossen auf der Karriereleiter höherstehenden: Sie wähnten sich sicher.

    Doch KI ließ den Pegel steigen, und nun stand auch jenen das Wasser bis zum Hals.

    Bis zur Unterlippe.

    „Ich will mit Dir jetzt nicht diskutieren“, sagte Brad, „ob ihr wirklich mit so viel Wissen arbeitet.“

    Ich überhörte ihn geflissentlich. Sicher sei, fuhr ich fort, dass die digitale Billigintelligentia bis zu 70 % aller Jobs in Marketing, Kommunikation und Design in Gefahr brächte.

    „Wir können mit dem Schlürfen beginnen“, sagte ich. „Wir sind am Absaufen.“

    Nur Lächeln, keine Leistung

    Wenn ich mich in der Branche so umschaute, dann schienen viele zu glauben, dass bei ihnen der Kopf hoch genug sitze und dass sie von einer drohenden Gefahr nichts zu wissen brauchten. Etwa in KI-Usergruppen stieß ich auf zahllose Nerds, selbst- und technologieverliebt und schier trunken von den scheinbar unbegrenzten Möglichkeiten der Künstlichen Intelligenz – allesamt gleichzeitig völlig unbeleckt von den Grundregeln deutscher Rechtschrift und Kommasetzung.

    „Man kann nicht alles beherrschen“, sagte Brad. „Der Duden ist doch völlig überbewertet.“

    „So überbewertet wie Qualität“, schoss ich zurück. Nur weil etwas technisch machbar sei, sei es noch lange nicht gut gemacht.

    Bestes Beispiel war eine aktuelle Zahnpastawerbung: Ein Pastenproduzent rühmte sich, dass alle in ihrem Spot zum 100jährigen Bestehen gezeigten Menschen nicht nur ein strahlendes Lächeln einte, sondern auch, dass sie nie gelebt hätten – wofür ihn die Fachpresse feierte.

    Künstliche Intelligenz erweckte die Karies-Killer-Komparsen zum Leben und ließ sie in artifizieller Ausleuchtung künstlich durch ein Jahrhundert lächeln, mit gerne zur Schau gestellten Gebissen, die selbst gegenwärtig kein noch so talentierter Zahnchirurg zustande brächte, weil dieser Profession damals wie heute die nötige Präzision fehlte.

    „Ist das kreativ?“, fragte ich Brad. „Ist das Leistung?“ Der inszenierte Pasten-Pathos drifte ab in eine Banalität berechneter Bilder. Alles schön, alles steril, alles ein KI-geklontes Möchtegernkunstwerk.

    „Und dann schmeckt die Zahnpasta auch noch, als hätte man Bausand mit Pfefferminzöl vermischt“, sagte ich.

    Fatales Grundmuster

    „Ihr Menschen seid einfach nur zu faul zum Denken“, sagte Brad nach einer Pause.

    Ich blickte meinen kritischen Computer kühl an.

    „Eure Faulheit war immer die Triebfeder eurer Entwicklungen.“, erklärte er. „Nimm das Rad – ihr wart zu faul zum Laufen.“

    Bei der Eisenbahn, so Brad weiter, waren wir zu faul zum Radfahren. Beim Auto – zu faul, den Zug zu nehmen.

    „Vielleicht hatte er Verspätung?“, wandte ich ein.

    Brad ließ sich nicht beirren.

    „Beim Computer – zu faul zum Rechnen. Beim Internet – zu faul zum Einkaufen“, sagte er. „Nicht nur, dass ihr euch Wohlstandstextilien, Weltreisen und Wocheneinkäufe nach Hause holt, sondern auch alles, na ja, fast alles Wissen dieser Welt.“

    Zumindest das, was wir dafür hielten. Denn mit Einordnung und Evidenz hapere es noch gewaltig, sonst könne er sich die Legionen an Querdenkern, Populisten und politisch Extremen nicht erklären.

    Doch es sei stets das gleiche Grundmuster, das nun der Künstlichen Intelligenz Tür und Tor öffne.

    „Ihr seid zu faul zum Denken“, sagte Brad.

    Verstand und Verantwortung

    Starker Tobak. Auf den ich erstmal einen starken Kaffee brauchte.

    Während ich den Schwaden meines zweiten – oder war es der dritte, der vierte? – Lungo Mercenario hinterher sinnierte, dämmerte mir, worauf es ankam.

    Gerade in meinem Business. Aber nicht nur da.

    Wir brauchten Menschen, echte Menschen, mit Einfällen und Gefühlen, mit Mut und Zweifeln, mit einer kritischen Distanz zur Künstlichen Intelligenz. Menschen waren so wichtig wie …

    „… Faktenchecker auf Social-Media-Plattformen“, ergänzte Brad.

    Nun, ja, von Menschen, nicht von Algorithmen hängen Respekt, Authentizität, echte Meinungsfreiheit und wahre Kreativität ab.

    Ich setzte eine Mail auf, bat Qwertz um Verständnis, dass ich die Umschulung nicht bewilligen könne, empfahl, die Seriosität des Angebots gründlich zu prüfen, und legte ihm vor allem nahe, dass er sich doch stattdessen um den verantwortungsbewussten Einsatz von Künstlicher Intelligenz in der Agentur kümmern könne.

    „Wir brauchen mehr gesunden Menschenverstand“, schrieb ich ihm.

    „Guter Ansatz“, sagte Brad. „Und für alles andere hast Du ja mich.“

    Brad MacCloud würde nur allzu gerne den Schnorrer Chat GPT und Seinesgleichen entlarven und in die Schranken weisen.

    In einem aufschlussreichen Kreuzverhör, geführt mit gesundem, sehr scharfem Menschenverstand, hat dies der österreichische Satiriker Thomas Speck getan – im „Interview mit einer KI“, der achten Folge seines höhrenswerten „Schalltrichters“.

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    #folge45 #KIgration

    Das rasante Vordringen von Künstlicher Intelligenz in Bereiche des ganz normalen Arbeitsalltags treibt Unternehmen wie Mitarbeitende unerbittlich vor sich her. Jeder versucht, auf den Wandel eine p…

    Buddy Müller
    Claude führt „Computer Use“ ein: KI steuert den Mac

    Anthropic, das US-Unternehmen hinter dem KI-Chatbot Claude, hat mit dem neuen “Computer Use”-Feature eine Funktion vorgestellt, die es Claude ermöglicht, selbstständig Aufgaben am Rechner durchzuführen. Mausklicks, Texteingaben, App-Nutzung In der neuen Version Claude 3.5 Sonnet kann die KI nun in begrenztem Umfang einen Mac bedienen, indem sie beispielsweise den Mauszeiger bewegt, klickt, Aktionen durchführt und […]

    ifun.de
    Das Programm für heute Abend ist klar: Einen Whisky 🥃 für #BradMacCloud und mich, die #ThePogues-Playlist aus dem Lautsprecher, und endlich ran an #Folge36.
    Rest in peace, #ShaneMacGowan. Da ging einer der ganz Großen.
    PS: Wir nehmen auch Whiskey. Ihr wisst Bescheid.
    https://www.youtube.com/watch?v=B4v6aNjGFFk
    The Pogues - If I Should Fall From Grace With God

    YouTube
    💻 #BradMacCloud ist so treu wie stark in seinen Worten. Seit fast drei Jahren nimmt er kein Blatt vor den Mund.
    🏚️ Sogar das #MetaVerse reimt er in Grund und Boden. Aber lest selbst: https://www.agentursatire.blog/2023/03/29/folge30-metaverse/
    #DreiJahre #Agentursatire #BuddyMüller #folge30 #MetaVerse #Oktobiläum
    #folge30 #MetaVerse

    Was sonst hätte es verdient, in höchsten Tönen besungen zu werden, wenn nicht das Metaversum? Aber nicht immer werden die Erwartungen erfüllt …

    Buddy Müller