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(Noch) nicht verboten, aber unvereinbar (Teil II)

Zum #Ausschluss von #AfD-Mitgliedern aus einer #Gewerkschaft

Laut Bundesamt fĂŒr Verfassungsschutz (BfV) ist die AfD mittlerweile „gesichert rechtsextremistisch“. Sie vertritt Positionen, die den gewerkschaftlichen Grundwerten fundamental widersprechen. Im ersten Teil meines Beitrags habe ich gezeigt, dass Gewerkschaften die Afd zu einer gegnerischen Organisation erklĂ€ren können.
https://verfassungsblog.de/afd-gewerkschaft-ausschluss/

(Noch) nicht verboten, aber unvereinbar (Teil II)

 

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#schweiz #israel #palÀstina : #krieg / #gaza / #kultur / #musik / #eurovisionsongcontest / #ausschluss / #kommentar

„Soll der European Song Contest Israel wegen der in Gaza verĂŒbten Kriegsverbrechen sanktionieren? Das kann man gut so sehen.“

https://www.woz.ch/2520/esc/ausschluss-forderung-ist-legitim/!HXACZ3W2XV8M

ESC: Ausschluss­forderung ist legitim

Vor der Eröffnung des Eurovision Song Contest (ESC) wurde ein Bedrohungsszenario heraufbeschworen. «Am Rhein droht ein Nahost-Konflikt», titelte der «SonntagsBlick». Jonathan Kreutner vom Israelitischen Gemeindebund wiederum forderte, genau hinzuschauen, «was sich da zusammenbraut».

Harburg: SPD schließt fĂŒnf Abgeordnete aus Fraktion aus

Den Abgeordneten wird Arbeitsverweigerung und der Boykott von Abstimmungen vorgeworfen - fĂŒr die Betroffenen eine Überraschung.

https://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/hamburg_journal/Harburg-SPD-schliesst-fuenf-Abgeordnete-aus-Fraktion-aus,hamj158732.html

#Hamburg #SPD #Streit #Partei #Ausschluss #Debatte #Harburg #Fraktion #Bezirk #HamburgJournal

Harburg: SPD schließt fĂŒnf Abgeordnete aus Fraktion aus

Zuvor gab monatelang RassismusvorwĂŒrfe, Hausdurchsuchungen und Parteiordnungsverfahren. FĂŒr die Betroffenen trotzdem eine Überraschung.

NDR Mediathek

Wie die allermeisten Menschen systematisch von politischem Einfluss ausgeschlossen werden

https://www.youtube.com/watch?v=caqXW2ctpQg

#Diskriminierung #Ausschluss #Unterschicht

Wie die allermeisten Menschen systematisch von politischem Einfluss ausgeschlossen werden

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#news ⚡ Ex-Nato-Strategin bringt vorlĂ€ufigen Ausschluss der USA ins Spiel: Die ehemalige Leiterin des strategischen Planungsstabs der Nato, Stefanie Babst, fordert einen vorlĂ€ufigen Ausschluss der Vereinigten... https://hubu.de/?p=270146 | #ausschluss #exnatostrategin #spiel
Ex-Nato-Strategin bringt vorlÀufigen Ausschluss der USA ins Spiel - Hubu.de - News & FreeMail

Die ehemalige Leiterin des strategischen Planungsstabs der Nato, Stefanie Babst, fordert einen vorlĂ€ufigen Ausschluss der Vereinigten Staaten aus dem MilitĂ€rbĂŒndnis.

Hubu.de - News & FreeMail
Die Verfahrensweise der AfD im Fall des Meißner Landtagsabgeordneten Thomas Kirste sei kein Verstoß gegen das Parteiengesetz, so die Zentrale in Berlin. #AfD #Thomas Kirste #Meißen #Carsten HĂŒtter #Ausschluss https://bit.ly/3Xq7Neb https://www.diesachsen.de/elbland/bundes-afd-ausschluss-von-thomas-kirste-aus-der-partei-ist-rechtmaessig-2995842?utm_source=Mastodon&utm_medium=publizer&utm_content=textlink
Bundes-AfD: Ausschluss von Thomas Kirste aus der Partei ist rechtmĂ€ĂŸig

Die Verfahrensweise der AfD im Fall des Meißner Landtagsabgeordneten Thomas Kirste sei kein Verstoß gegen das Parteiengesetz, so die Zentrale in Berlin.

DieSachsen.de - News aus Sachsen
Ich habe es geschafft, die großen Bedenken einer Schulleitung und einer Abteilungsleitung zu zerstreuen, die ein Kind mit #SpinaBifida nicht aufnehmen wollten. Der angebliche "zu große Aufwand"? Das #Kind kann laufen und Treppensteigen, braucht nur einen Pflegedienst fĂŒr die Katheterisierung. Kein Grund fĂŒr #Ausschluss! Inklusion bedeutet Lösungen zu finden, nicht Hindernisse zu schaffen. Die #Schule hat eingelenkt – ein kleiner Sieg fĂŒr Gerechtigkeit. #Inklusion

Verdachtsfall Rechtsextremismus: Wir veröffentlichen das 1.000-seitige Verfassungsschutz-Gutachten zur AfD

Dieser Artikel stammt von Netzpolitik.org.

In ganz Deutschland haben am Wochenende wieder hunderttausende Menschen gegen Rechtsextremismus und ein Erstarken der AfD protestiert. 42 Prozent der Deutschen fordern ein Verbot der extrem rechten Partei. Letzte Woche hat der Bundestag debattiert, ob die AfD verboten werden soll.

Der Verfassungsschutz verdĂ€chtigt die Alternative fĂŒr Deutschland bereits seit vier Jahren, rechtsextrem und verfassungsfeindlich zu sein. Das Bundesamt stuft die Partei als „rechtsextremistischen Verdachtsfall“ ein. Grundlage dafĂŒr ist ein 1.000-seitiges Gutachten.

Das veröffentlichen wir jetzt in voller LĂ€nge: Folgegutachten zu tatsĂ€chlichen Anhaltspunkten fĂŒr Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung in der Alternative fĂŒr Deutschland (AfD).

TatsÀchliche Anhaltspunkte

Im Januar 2019 hat der Verfassungsschutz die AfD als „PrĂŒffall“ eingestuft, die erste Stufe der Beobachtung. Das Bundesamt stellte „erste tatsĂ€chliche Anhaltspunkte fest, die fĂŒr eine extremistische Bestrebung sprechen“. DafĂŒr erstellte der Verfassungsschutz ein 400-seitiges Gutachten. Das haben wir 2019 veröffentlicht.

Im Februar 2021 hat der Verfassungsschutz die AfD zum „Verdachtsfall“ hochgestuft, die zweite Stufe der Beobachtung. Laut Bundesamt „belegen die festgestellten tatsĂ€chlichen Anhaltspunkte den Verdacht, dass die Partei [
] verfassungsfeindliche Bestrebungen verfolgt“. DafĂŒr erstellte der Verfassungsschutz das 1.000-seitige Folgegutachten.

Das Fazit des Gutachtens: Es „liegen tatsĂ€chliche Anhaltspunkte dafĂŒr vor“, dass die AfD „Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung“ verfolgt. Diese Anhaltspunkte liegen „von hinreichendem Gewicht und in hinreichender Anzahl“ vor. Auch „unter besonderer BerĂŒcksichtigung der Parteienfreiheit“ machen die Anhaltspunkte eine Beobachtung der Partei „erforderlich“.

Mit MenschenwĂŒrde unvereinbar

Der Verfassungsschutz hat „zahlreiche gewichtige Anhaltspunkte festgestellt, die belegen, dass in der Partei AfD Bestrebungen gegen die Garantie der MenschenwĂŒrde“ verfolgt werden. Artikel 1 des Grundgesetzes lautet: „Die WĂŒrde des Menschen ist unantastbar.“ In der AfD gibt es relevante Bestrebungen gegen diesen obersten Verfassungsgrundsatz.

Der Verfassungsschutz belegt völkisch-nationalistische Aussagen und Positionen in der AfD. Auf allen Ebenen der Partei wird demnach ein „menschenwĂŒrdewidriger völkisch-abstammungsmĂ€ĂŸiger Volksbegriff vertreten“. Das Gutachten verweist auf Konzepte wie Ethnopluralismus, Begriffe wie Umvolkung und Forderungen wie Remigration. Dieses VolksverstĂ€ndnis ist laut Verfassungsschutz „mit der Achtung der MenschenwĂŒrde unvereinbar“ und verfassungsfeindlich.

Der Verfassungsschutz belegt verfassungswidrige Fremdenfeindlichkeit in der AfD. Auf allen Ebenen der Partei werden demnach Zugewanderte kontinuierlich „pauschal diffamiert und verĂ€chtlich gemacht“. Das zeigt sich „insbesondere bei rassistisch motivierter Diskriminierung und einer grundsĂ€tzlichen Behandlung einzelner Personen und Personengruppen wie Menschen zweiter Klasse“. Dies belegt, „dass die Achtung der MenschenwĂŒrde fĂŒr bestimmte Minderheiten außer Geltung gesetzt werden soll“.

Der Verfassungsschutz belegt verfassungswidrige Muslim- und Islamfeindlichkeit in der AfD. Auf allen Ebenen der Partei werden demnach „muslimische GlĂ€ubige aufgrund ihres Glaubens kontinuierlich pauschal diffamiert, herabgewĂŒrdigt und ausgegrenzt“. Zudem gibt es Forderungen, die sich „gegen die freie AusĂŒbung der Religionsfreiheit“ richten und damit verfassungsfeindlich sind.

Gegen Demokratie und Rechtsstaat

Der Verfassungsschutz belegt Bestrebungen gegen das Demokratieprinzip in der AfD. Auf allen Ebenen der Partei wird demnach die demokratische Nachkriegsentwicklung der Bundesrepublik diffamiert sowie der Staat und die Parteien verunglimpft. „Gewichtigen Teilen der Partei“ geht es „nicht mehr um eine scharfe kritische Auseinandersetzung in der Sache“. Stattdessen soll das Vertrauen in die verfassungsmĂ€ĂŸige Ordnung „von Grund auf erschĂŒttert“ werden, damit „die freiheitliche demokratische Grundordnung als Ganzes fragwĂŒrdig erscheine“.

Der Verfassungsschutz belegt Bestrebungen gegen das Rechtsstaatsprinzip in der AfD. In der Partei wird demnach die Gewaltenteilung abgelehnt, das staatliche Gewaltmonopol infrage gestellt und sich auf ein vermeintlich legitimes Widerstandsrecht berufen. Einerseits ergeben diese Aussagen laut Gutachten „kein verfestigtes Bild innerhalb der Gesamtpartei“. Andererseits wĂ€re die Verwirklichung der „menschenwĂŒrdewidrigen und diskriminierenden Vorstellungen letztlich nicht ohne eine Verletzung des Rechtsstaatsprinzips umsetzbar“.

DarĂŒber hinaus belegt der Verfassungsschutz verfassungswidrigen Antisemitismus sowie verharmlosende oder positive Positionierungen zum Nationalsozialismus in der AfD. DafĂŒr benennt das Gutachten relevante Anhaltspunkte. Der Verfassungsschutz verzichtet aber darauf, den Verdacht auf Verfassungsfeindlichkeit auch mit diesen PhĂ€nomenbereichen zu begrĂŒnden.

Einfluss von Rechtsextremisten

Im MĂ€rz 2020 hat der Verfassungsschutz die AfD-Gruppierung „Der FlĂŒgel“ als erwiesen rechtsextremistische Bestrebung eingestuft. Daraufhin hat der AfD-Bundesvorstand den informellen Zusammenschluss aufgefordert, sich aufzulösen. Der Vorstand hat die „FlĂŒgel“-Mitglieder jedoch weder aus der Partei ausgeschlossen noch zum Austritt aufgefordert. Folglich „konnten diese in der Partei bleiben und ihre politischen Vorstellungen weiter verfolgen“.

Laut Verfassungsschutz hat der rechtsextreme „FlĂŒgel“ trotz „formaler Auflösung“ weiterhin „nennenswertes Gewicht“ und „strukturellen Einfluss“ in der AfD. Das begrĂŒndet der Verfassungsschutz einerseits mit der GrĂ¶ĂŸe des „FlĂŒgel“. DarĂŒber hinaus listet das Gutachten Belege fĂŒr den RĂŒckhalt des „FlĂŒgel“ in der Gesamtpartei auf allen Ebenen und statistische Analysen zu Verbindungen in Sozialen Netzwerken.

Ein weiteres Kapitel belegt Verbindungen der AfD zu rechtsextremistischen Gruppierungen. Auf allen Ebenen der Partei gibt es demnach Verbindungen zu Rechtsextremisten im Rahmen eines neurechten Netzwerks, zu rechtsextremen Verlagen und Publizisten, zur IdentitÀre Bewegung, zu rechtsextremen Personen, Parteien, und Gruppierungen sowie zu auslÀndischen Rechtsextremisten und rechtsextremen Vereinigungen.

Diese Verbindungen „gehen besonders im Bereich der Neuen Rechten ĂŒber eine reine Überschneidung hinaus und sind als strukturelle Verbindungen innerhalb eines strategisch agierenden Netzwerkes zu bezeichnen“.

Gewichtiger Teil offen rechtsextrem

Der Verfassungsschutz hat auch entlastende Belege wie „AbgrenzungsbemĂŒhungen, Ordnungsmaßnahmen und Distanzierungen gegenĂŒber extremistischen Teilelementen festgestellt“. Demnach war es vor vier Jahren nicht ausgeschlossen, „dass eine knappe Mehrheit in der Partei noch eine Zusammenarbeit mit extremistischen KrĂ€ften meidet“.

Die entlastenden Belege widerlegen jedoch das Gesamtergebnis nicht. Einerseits sind manche Abgrenzungsmaßnahmen nur „strategisch-taktischer bzw. formal-rechtlicher Art ohne substantielle Aussagekraft“. Andererseits tritt „ein gewichtiger Teil“ der AfD „offen extremistisch auf oder ist zumindest an einer strategischen Zusammenarbeit oder Koexistenz mit ebenjenen extremistischen Teilen der Partei interessiert“.

Rechtsextremismus und Verfassungsschutz

Der Verfassungsschutz hat fĂŒr das Gutachten ausschließlich öffentliche Quellen ausgewertet. Das sind vor allem Verlautbarungen der Partei, ihrer Organisationseinheiten sowie FunktionĂ€re. Die Analysten haben „4.600 Belege einer umfassenden und kritischen PrĂŒfung unterzogen“. Das Gutachten enthĂ€lt ĂŒber 3.100 Fußnoten. Sie verweisen auf rund 1.800 Facebook-Posts, 250 Tweets und 200 YouTube-Videos von mehr als 300 Personen.

Das Gutachten enthĂ€lt keine Informationen aus „nachrichtendienstlichen Mitteln“ wie Observationen, V-Leute oder KommunikationsĂŒberwachung. Viele Belege, die der Verfassungsschutz zitiert, wurden bereits von Medien, Forschern und Zivilgesellschaft beleuchtet. Teilweise referenziert der Verfassungsschutz diese Arbeit.

Im Gegensatz zur Zivilgesellschaft ist der Verfassungsschutz ohnehin nicht gerade Vorreiter im Kampf gegen Rechtsextremismus. Hans-Georg Maaßen war PrĂ€sident des Bundesamtes, heute wird er vom Verfassungsschutz als Rechtsextremist abgespeichert. Helmut Roewer war PrĂ€sident des Landesamtes ThĂŒringen, heute schreibt er fĂŒr das Magazin Compact, das der Verfassungsschutz als gesichert rechtsextremistisch einstuft.

AfD verliert vor Gericht

FĂŒr andere Akteure steht schon lĂ€nger fest, dass die AfD rechtsextrem und verfassungsfeindlich ist. Gerade deshalb ist das Gutachten so wichtig. Der Verfassungsschutz hat methodisch gearbeitet und eine große Menge Informationen geprĂŒft und kontextualisiert. Der Verfassungsschutz hat nach eigenen Angaben ergebnisoffen gearbeitet, das Fazit hĂ€tte auch anders ausfallen können. Der Verfassungsschutz hat die rechtlichen Vorgaben erklĂ€rt und seine Ergebnisse ausfĂŒhrlich juristisch begrĂŒndet.

Die Arbeit und das Gutachten wurden vor Gericht verhandelt. Die AfD hat den Verfassungsschutz verklagt und verloren. Das Verwaltungsgericht Köln und das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen haben dem Verfassungsschutz Recht gegeben.

Nach Überzeugung der Gerichte besteht der „begrĂŒndete Verdacht“, dass „maßgebliche Teile der AfD“ rechtsextreme und verfassungsfeindliche „Bestrebungen verfolgen“. Der Verfassungsschutz darf die Partei „als Verdachtsfall beobachten und die Öffentlichkeit hierĂŒber unterrichten“.

Wichtiges Dokument der Zeitgeschichte

Diese Informierung der Öffentlichkeit ist jedoch ausbaufĂ€hig. Eine Suche auf verfassungsschutz.de nach AfD findet dazu nur die jĂ€hrlichen Verfassungsschutzberichte und zwei Pressemitteilungen zu den Gerichtsurteilen. Zur ersten Stufe der Beobachtung veröffentlichte der Verfassungsschutz 2019 zumindest noch das vollstĂ€ndige Ergebnis des Gutachtens, heute ist selbst diese Information entfernt.

Wir haben den Verfassungsschutz gefragt, wie er die Öffentlichkeit informiert und wo wir Informationen zum Verdachtsfall AfD finden. Die Antwort war kĂŒrzer als unsere Fragen: Der Verfassungsschutz informiert „nach den Maßgaben des Bundesverfassungsschutzgesetzes“ und „auf verschiedene Weise“, beispielsweise mit den beiden Pressemitteilungen und öffentlichen Äußerungen. „Im Übrigen“ Ă€ußert sich der Verfassungsschutz „grundsĂ€tzlich nicht zu internen ArbeitsablĂ€ufen“.

Also veröffentlichen wir, was öffentlich sein muss. Bereits beim ersten Gutachten schrieben wir: „Die Verfassungsschutz-Analyse ist ein wichtiges Dokument der Zeitgeschichte. Es gehört in die Öffentlichkeit und nicht in einen Panzerschrank neben dem Schredder.“

Damals wie heute gilt: „Dass ein Geheimdienst eine politische Partei beobachtet, ist ein harter Eingriff in einer Demokratie. Gerade deshalb mĂŒssen die Erkenntnisse öffentlich verhandelt werden. Wo Behörden Transparenz verweigern, mĂŒssen Medien diese Informationen öffentlich machen, auch entgegen staatlicher Geheimnistuerei.“

Immer mehr gesichert rechtsextrem

Mit dem Originaldokument kann sich die Öffentlichkeit selbst eine Meinung bilden. Auf Basis des Gutachtens können Journalisten, Öffentlichkeit und Zivilgesellschaft weiter recherchieren und aktiv werden. Das ist auch notwendig. Das Gutachten ist bereits vier Jahre alt und untersucht vor allem die Jahre 2019 und 2020. Seitdem ist viel passiert.

Das Bundesamt fĂŒr Verfassungsschutz stufte die AfD-Jugendorganisation „Junge Alternative“ im April 2023 als gesichert rechtsextremistisch ein. Die LandesĂ€mter fĂŒr Verfassungsschutz stufen die AfD-LandesverbĂ€nde ThĂŒringen, Sachsen-Anhalt und Sachsen als gesichert rechtsextremistisch ein. Die AfD-LandesverbĂ€nde Brandenburg, Bayern, Bremen, Niedersachsen, Baden-WĂŒrttemberg und Hessen werden als VerdachtsfĂ€lle beobachtet. Andere LandesĂ€mter sagen nicht öffentlich, ob sie ihren AfD-Landesverband beobachten.

Viele Akteure der Neuen Rechten sind mittlerweile ebenfalls als gesichert rechtsextremistisch eingestuft. Darunter sind das Institut fĂŒr Staatspolitik, Compact, Ein Prozent, IdentitĂ€re Bewegung, Zukunft Heimat, Pegida, PI-News und Arcadi. Der Verfassungsschutz nennt all diese rechtsextremen Organisationen im Gutachten und bezeichnet ihre Verbindungen mit Rechtsextremisten in der AfD als „strategisch agierende Netzwerke“.

Ex-Chef sieht totalitÀre AnklÀnge

Vor vier Jahren war laut Verfassungsschutz noch offen, „ob sich die extremistischen Teile in der Partei durchsetzen“ und sich „der Verdacht der verfassungsfeindlichen Bestrebung“ so erhĂ€rtet, dass die gesamte AfD als gesichert rechtsextremistisch einzustufen ist. Seitdem hat sich die AfD weiter radikalisiert.

Jörg Meuthen war fast sieben Jahre lang Vorsitzender der AfD. Im Januar 2022 trat er aus der Partei aus und begrĂŒndete das mit dem Rechtsruck innerhalb der AfD. Er sagte: „Das Herz der Partei schlĂ€gt heute sehr weit rechts“, Teile der AfD stĂŒnden „nicht auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung“, er sehe dort „ganz klar totalitĂ€re AnklĂ€nge“.

Birgit Malsack-Winkemann war bis 2021 Bundestagsabgeordnete der AfD. Im Dezember 2022 wurde sie festgenommen, seitdem sitzt sie in Untersuchungshaft. Der Generalbundesanwalt wirft ihr vor, Mitglied in einer rechts-terroristischen Vereinigung zu sein. Die so genannte „Patriotische Union“ wollte bewaffnet den Bundestag stĂŒrmen und das System stĂŒrzen. Seit Mai 2024 steht sie vor Gericht.

In großen Teilen rechtsextrem

Björn Höcke ist Vorsitzender des AfD-Landesverbands ThĂŒringen und Vorsitzender der AfD-Fraktion im ThĂŒringer Landtag. Das Landgericht Halle verurteilte den Rechtsextremisten mehrere Male, weil er die verbotene Nazi-Parole „Alles fĂŒr Deutschland“ nutzte. Davon unbeeindruckt nutzte die AfD auf ihrem Bundesparteitag vor drei Wochen den Ă€hnlich klingenden Slogan „Alice fĂŒr Deutschland“.

Der Spiegel schrieb: „Die AfD ist eine Partei der Rechtspopulisten, Rechtsradikalen und Rechtsextremen. Ihr Ziel ist die Überwindung des etablierten Systems der liberalen Demokratie in diesem Land. Der Parteitag der Rechtsaußen am vergangenen Wochenende ließ daran keinen Zweifel.“

Die Politik-Redakteurin Ann-Katrin MĂŒller analysierte: „Auf dem Parteitag in Riesa hat die AfD offen wie nie gezeigt, dass die Gesamtpartei fĂŒr völkischen Nationalismus steht. Sechs Wochen vor der Bundestagswahl versucht sie nicht, sich zu mĂ€ĂŸigen. Sie versucht auch nicht, die rechtsextreme Ausrichtung irgendwie zu verkleistern, das Programm und die Reden sprechen eine klare Sprache.“

Die CDU/CSU macht im Bundestag gemeinsame Sache mit der AfD. Sogar Union-Kanzlerkandidat Friedrich Merz sagte im Bundestag ĂŒber die AfD: „Diese Partei ist eine in großen Teilen rechtsextreme Partei. Diese Partei untergrĂ€bt das Fundament unserer Demokratie.“

Gesamtpartei gesichert rechtsextrem?

Eigentlich wollte auch der Verfassungsschutz seine Bewertung der AfD lĂ€ngst aktualisieren. Seit Jahren arbeitet das Bundesamt an einem neuen, dritten Gutachten. Im Oktober kĂŒndigte der Verfassungsschutz-PrĂ€sident noch „im Laufe des Jahres“ 2024 eine Entscheidung an. Laut Medienberichten will der Verfassungsschutz die Partei AfD als „gesichert extremistisch“ einstufen, die dritte und höchste Stufe der Beobachtung.

Doch drei Wochen nach der AnkĂŒndigung zerbrach die Ampel-Koalition. Daraufhin verschob der Verfassungsschutz die Einstufung erneut: „Die VerkĂŒndung dieses PrĂŒfergebnis noch in diesem Jahr war mit der vorgezogenen Neuwahl obsolet – das wĂ€re zu nah an den Wahltermin gerĂŒckt.“ Juristen widersprechen: „Das Bundesamt fĂŒr Verfassungsschutz muss seine EinschĂ€tzung der AfD zeitnah öffentlich machen“, noch vor der Bundestagswahl.

Viele halten die AfD nicht nur fĂŒr verfassungsfeindlich, sondern fĂŒr verfassungswidrig. Mehrere zivilgesellschaftliche Initiativen fordern ein AfD-Verbot und wollen ein eigenes Gutachten verfassen. Im Oktober hielten 42 Prozent der Deutschen die Einleitung eines Verbotsverfahrens fĂŒr angemessen. Über 600 Juristen fordern ein AfD-Verbotsverfahren.

Verfassungsfeindlich oder verfassungswidrig

In einer Stellungnahme fĂŒr den Bundestag schreiben 17 Verfassungsrechtler: „Die rechtliche Beurteilung der Erfolgsaussichten eines Verbots fĂ€llt positiv aus. Demnach ist die AfD verfassungswidrig.“ 113 Bundestags-Abgeordnete fordern, die Verfassungswidrigkeit der AfD festzustellen. In ihrem Antrag schreiben sie: „Die AfD wendet sich gegen zentrale Grundprinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung.“ Vor wenigen Tagen debattierte der Bundestag ĂŒber ein AfD-Verbotsverfahren.

Der CDU-Abgeordnete Marco Wanderwitz hat den Verbots-Antrag organisiert. Er begrĂŒĂŸt unsere Veröffentlichung: „Meiner Ansicht nach sollten derartige Gutachten grundsĂ€tzlich weitergehend öffentlich gemacht werden, damit die BĂŒrgerinnen und BĂŒrger einschĂ€tzen können, wie die Fakten sind.“ Wanderwitz weiter: „Aus meiner Sicht ist die AfD rechtsextremistisch. Es liegen so viele öffentliche Quellen dazu vor, dass diese bereits ausreichen, zu dieser Beurteilung zu kommen.“

Die Linken-Abgeordnete Martina Renner unterstĂŒtzt ein AfD-Verbot. Sie begrĂŒĂŸt unsere Veröffentlichung ebenfalls: „Die Veröffentlichung des Gutachtens ist aus meiner Sicht richtig.“ Auch Renner findet: „Dort sind viele Tatsachen und Belege dargestellt, die aus meiner Sicht ergĂ€nzend mit der weiteren Entwicklung dieser Partei ein mögliches Verbotsverfahren stĂŒtzen werden.“

Hier ist das Gutachten in Volltext:

  • Geheimhaltungsgrad: Verschlusssache – Nur fĂŒr den Dienstgebrauch
  • Von: Bundesamt fĂŒr Verfassungsschutz
  • Stand: 22. Februar 2021

Folgegutachten zu tatsĂ€chlichen Anhaltspunkten fĂŒr Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung in der Alternative fĂŒr Deutschland (AfD)

Gliederung

A. EinfĂŒhrung

Das Bundesamt fĂŒr Verfassungsschutz stufte im Januar 2019 die Partei Alternative fĂŒr Deutschland (AfD) als PrĂŒffall im PhĂ€nomenbereich Rechtsextremismus ein. Gleichzeitig wurden die Jugendorganisation der AfD, die Junge Alternative (JA) fĂŒr Deutschland und der Personenzusammenschluss innerhalb der Partei „Der FlĂŒgel“ zu VerdachtsfĂ€llen erhoben. Letztgenannter wurde im MĂ€rz 2020 als erwiesen rechtsextremistische Bestrebung eingestuft.

Im Rahmen der PrĂŒffalleinstufung wurden hinsichtlich der Programmatik und Aussagen der AfD erste tatsĂ€chliche Anhaltspunkte festgestellt, die fĂŒr eine extremistische Bestrebung sprechen. Im Zuge der PrĂŒffallbearbeitung wurde diesen ersten verdĂ€chtigen Informationssplittern weiter nachgegangen.

Das vorlegende Gutachten untersucht nun die im Rahmen der PrĂŒffallbearbeitung seit Januar 2019 neu angefallenen Erkenntnisse zur AfD und bewertet diese im Hinblick auf deren weitere Bearbeitung. Dabei ist zu prĂŒfen, ob fĂŒr die AfD fortgesetzt tatsĂ€chliche Anhaltspunkte fĂŒr eine gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebung vorliegen. Sollte dies der Fall sein, ist weiterhin zu prĂŒfen, wie diese Anhaltspunkte in aller Gesamtschau zu bewerten sind. WĂŒrden sich die gefundenen Anhaltspunkte nur als vereinzelt und nicht hinreichend gewichtig darstellen, so wĂ€re die PrĂŒffallphase durch Einstellung zu beenden. Sollten die Anhaltspunkte dagegen hinreichend gewichtig sein und eine Beobachtung nach § Abs. 1 Nr. 1 Fall 1, § 4 Abs. 1 Satz lit. c, § 4 Abs. 1 Satz 3 BVerfSchG einfordern, wĂ€re eine Höherstufung zum Verdachtsfall notwendig. Möglich wĂ€re außerdem, dass sich die Anhaltspunkte im Lauf der vergangenen zwei Jahre bereits zur Gewissheit verdichtet haben. In diesem Fall wĂ€re eine direkte Einstufung als erwiesen extremistische Bestrebung erforderlich.

B. Methodik

I. Material

Verlautbarungen der FunktionĂ€rinnen und FunktionĂ€re[1] sowie der Organisationseinheiten der AfD und ihrer Teilorganisationen wurden hinsichtlich des Vorliegens tatsĂ€chlicher Anhaltspunkte fĂŒr Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung geprĂŒft. Diese Belege wunden nach Bundes-, Landes- und Kreisebene differenziert.

Belege von Mitgliedern des Europaparlaments, des Bundestages, des AfD-Bundesvorstands, des Bundesvorstands von PersonenzusammenschlĂŒssen innerhalb der Partei wie z. B. der Junge Alternative sowie Belege, die dem AfD-Bundesverband und dem Bundesverband der Jungen Alternative selbst zuzuordnen sind, sind im Folgenden auf der Bundesebene aufgefĂŒhrt. Auf der Landesebene sind Belege der Mitglieder der Landtage und der VorstĂ€nde der LandesverbĂ€nde aufgelistet (hier z. B. auch LandesverbĂ€nde der Junge Alternative). Auf der Kreisebene sind die Belege von KreisverbĂ€nden und deren VorstĂ€nden aufgefĂŒhrt.

In EinzellfĂ€llen sind dort auch Belege von einfachen Mitgliedern sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der AfD angegeben. Aussagen von einfachen Mitgliedern – ohne aktuellen Funktionsposten – wurden der Partei nur dann zugerechnet, wenn die entsprechenden Aussagen auf offiziellen KommunikationskanĂ€len oder Parteiveranstaltungen getĂ€tigt wurden und damit im unmittelbaren Zusammenhang zu AktivitĂ€ten der Partei standen. Auch zugerechnet wurden Aussagen ehemaliger FunktionĂ€re‚ die zum Zeitpunkt der Äußerung einen Funktionsposten innehatten oder Aussagen einfacher Mitglieder, die auch auf anderen Organisationsebenen durch FunktionĂ€rinnen und FunktionĂ€re der Partei aufgegriffen und unterstĂŒtzt wurden.[1a]

Soweit im Übrigen vereinzelt Aussagen von einfachen Mitgliedern aufgefĂŒhrt sind, die in keinem derartigen Zusammenhang mit AktivitĂ€ten der Partei stehen oder eine Distanzierung der Partei erfolgte, wurden diese weder direkt noch indirekt als entscheidungserhebliche Anhaltspunkte berĂŒcksichtigt, sondern lediglich zur Darstellung der innerhalb der Partei bestehenden Diskurse aufgefĂŒhrt.

Belege von Personen mit Doppelfunktion wurden in der Regel auf der höchsten Ebene der ausgeĂŒbten Funktionen aufgefĂŒhrt (z. B. gleichzeitiges Landtagsmandat und Amt im Bundesvorstand wird auf Bundesebene dargestellt). Sollte es im Lauf des PrĂŒfungsprozesses zu Funktions- und Ämterwechseln, Austritten oder AusschlĂŒssen der Personen aus der Partei gekommen sein, sind diese – sofern die Informationen dem BfV vorlegen – in Fußnoten und im Personenglossar (im Anhang) vermerkt.[2] Diese Änderungen wurden im Rahmen der Gewichtung entsprechend berĂŒcksichtigt.

Dabei wurden Verlautbarungen von ausgeschlossenen Mitgliedern oder von Mitgliedern, gegen die Ausschlussverfahren anhĂ€ngig sind, fĂŒr sich genommen als nicht entscheidungsrelevant behandelt. Im Sinne einer umfassenden Belegzusammenstellung wurden die Verlautbarungen jedoch in den folgenden Kapiteln aufgenommen, sofern die gegenstĂ€ndlichen Verlautbarungen zur Zeit einer noch aktiven Parteimitgliedschaft getĂ€tigt wurden. Dieses Vorgehen dient dadurch der umfassenden Darstellung des innerparteilichen Meinungsspektrums, da die entsprechenden Aussagen zumeist auch Reaktionen von anderen Mitgliedern und Parteigliederungen hervorriefen.

Die Bewertung der Verlautbarungen als nicht entscheidungsrelevant im Rahmen der Gewichtung, bedeutet jedoch nicht automatisch, dass das initiierte bzw. abgeschlossene Ausschlussverfahren als Distanzierung der Gesamtpartei von verfassungsfeindlichen Positionen einzelner Mitglieder zu sehen ist. Da die AusschlussantrĂ€ge und die Entscheidungen der Parteischiedsgerichte nicht veröffentlicht werden, ist vielfach nicht erkennbar, welche GrĂŒnde jeweils tragend fĂŒr den Parteiausschluss waren und von welchen Positionen sich die Partei damit distanziert hat.

Soweit Verlautbarungen von Parlamentsabgeordneten im Gutachten berĂŒcksichtigt wurden, ist darauf hinzuweisen, dass damit keine gezielte personenbezogene systematische Datenverarbeitung (Beschaffung und Speicherung in Personenakten oder NADIS WN) verbunden war.[3a] Die offen zugĂ€nglichen Verlautbarungen wurden nur insoweit erhoben, wie dies fĂŒr die notwendige Bearbeitung des PrĂŒffalls erforderlich war.

Diese Erfassung verdeutlicht zugleich, dass keine gezielte Beobachtung von Abgeordneten erfolgt ist, sondern lediglich Erkenntnisse zur Ausrichtung der Partei – aus offenen Quellen – gesammelt worden sind. Zudem handelt es sich um Informationen, die extremistische Bestrebungen indizieren, damit in Bezug auf den Abgeordneten seine individuelle Verantwortlichkeit fĂŒr solche Bestrebungen aufgezeigt wird. FĂŒr die VerdachtsfallprĂŒfung wird auf tatsachengegrĂŒndete Verdachtsbelege abgestellt. In jeder Phase der Gefahrenforschung – auch fĂŒr den Verdachtsfall – sind dabei Äußerungen von Abgeordneten regelmĂ€ĂŸig in besonderer Weise geeignet, die von einer Partei verfolgten Ziele und Konzepte nachzuvollziehen, und danach fĂŒr deren Bewertung besonders bedeutsam.[3b] Im Ergebnis rechtfertigen die besondere Bedeutung dieser Informationen zum Schutz herausragender RechtsgĂŒter, die geringe EingriffsintensitĂ€t (der nicht personenbezogenen strukturierten Informationssammlung aus offenen Quellen) und der tatsachengegrĂŒndete individuelle Verstrickungsverdacht zum Betroffenen den Einbezug dieser Informationen in die Sammlung auch unter BerĂŒcksichtigung des besonders schutzwĂŒrdigen Abgeordnetenstatus.

Relevante AnhĂ€ngerinnen und AnhĂ€nger der erwiesen rechtsextremistischen Bestrebung „FlĂŒgel“ wurden entsprechend ihrer Funkionen in der Partei oder ihres Mandats in den Landtagen und im Bundestag eingeordnet. ZusĂ€tzlich wurden nur relevante Protagonistinnen und Protagonisten berĂŒcksichtigt, wie z. B. Obleute. Gleiches gilt fĂŒr Mitglieder der Junge Alternative.

Belege, die bereits in den beiden vorangegangenen Gutachten zur AfD (Januar 2018) und zum „FlĂŒgel“ (MĂ€rz 2020) genannt wurden, sind i. d. R. als solche gekennzeichnet. Sie dienen hauptsĂ€chlich der Einbettung von aktuell getĂ€tigten Aussagen und Positionen in einen Gesamtkontext und zum etwaigen Nachweis von z. B. langjĂ€hrigen Verbindungen zu (rechts)extremistischen Bestrebungen.

Als Belege dienten programmatische Schriften und Grundsatzpapiere der Partei wie auch Verlautbarungen auf InternetprĂ€senzen der Organisationseinheiten und der genannten Personen. Weiter wurden Aussagen im öffentlichen Raum, wie z. B. in Sozialen Netzwerken, Publikationen und Reden außerhalb des parlamentarischen Raums, etwa auf Wahlkampfveranstaltungen und Demonstrationen verwendet. Ebenso flossen entsprechende Erkenntnisse der Landesbehörden fĂŒr Verfassungsschutz in die Materialsammlung ein. Insgesamt wurden Belege fĂŒr knapp 400 Organisationseinheiten und ĂŒber 650 Personen berĂŒcksichtigt und ca. 300 Reden und weiteres Videomaterial ausgewertet. In der Gesamtheit wurden 4.600 Belege einer umfassenden und kritischen PrĂŒfung unterzogen. Diese Informationszusammenstellung im Vorfeld der Beobachtung ist zulĂ€ssig, weil sich im Ergebnis nur durch sie klĂ€ren lĂ€sst, ob tatsĂ€chliche Anhaltspunkte von hinreichendem Gewicht ĂŒberhaupt in hinreichender Zahl vorliegen.

Da sich die PrĂŒffallbearbeitung auf die fĂŒr eine solche VorprĂŒfung erforderliche Sichtung offen verwertbarer Materialien und Erkenntnisse zu beschrĂ€nken hat, wurde fĂŒr die Erstellung des Gutachtens auf die Anlage von P-Akten, die Vornahme von NADIS-Speicherungen und den Einsatz von nachrichtendienstlichen Mitteln verzichtet. Auch in zeitlicher Hinsicht sind der PrĂŒffallbearbeitung enge Grenzen gesetzt.

II. Hinweise zu aufgefĂŒhrten Belegen

Bei der Zitierung von Verlautbarungen wurden orthografische und grammatikalische Fehler stets aus den vorliegenden Originalbelegen ĂŒbernommen. Eine gesonderte Markierung dieser erfolgte nicht. Im Fall der Verwendung von Rede- und VideobeitrĂ€gen wurden diese möglichst wortgenau transkribiert. Zur Verbesserung der Lesbarkeit wurden Wortwiederholungen und die Wiedergabe von Stocken im Redefluss sowie FĂŒllwörtern vermieden.

Anmerkungen zur Verbesserung des TextverstĂ€ndnisses wurden innerhalb der Zitate als solche gekennzeichnet und in eckige Klammer gesetzt: [Anm.:]. Auslassungen innerhalb der Zitate wurden ebenfalls mit eckigen Klammern [
] markiert. Auslassungen vor und nach den aufgefĂŒhrten Zitaten erhielten keine gesonderte Kennzeichnung. Grammatikalische Anpassungen im Sinne der Lesbarkeit wurden ebenso mit eckigen Klammern gekennzeichnet.

Alle verwenden Belegstellen wurden mit dem Datum der getÀtigten Aussage und dem Abrufdatum versehen. In vereinzelten FÀllen, bei denen das Abrufdatum nicht erkennbar und auch eine Nachsicherung unmöglich war, wurde dies in der Referenz kenntlich gemacht.

Im Falle von geteilten BeitrĂ€gen in den Sozialen Netzwerken wurden diese – unter entsprechender Gewichtung – dem Urheber und ggf. den teilenden Personen oder Organisationseinheiten zugeschrieben. In diesem Fall wurde – wenn nicht bereits auf beiden Ebenen aufgefallen – von einer doppelten Sicherung des Belegs abgesehen.

Insgesamt wurden im vorliegenden Gutachten Verlautbarungen von 302 Personen in den fĂŒr die Bewertung maßgeblichen Kapiteln „Einflussnahme der erwiesen extremistischen Bestrebung ‚Der FlĂŒgel‘ auf die Gesamtpartei“, „TatsĂ€chliche Anhaltspunkte fĂŒr Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grunderdung“ sowie „Verbindungen zu rechtsextremistischen Gruppierungen, Organisationen und Einzelpersonen“ verarbeitet (Tabelle 1). Auf der Bundesebene wurden 88 Personen mit Funktion im Bundesvorstand der AfD oder mit Funktion in deren Teilorganisationen und/oder Mandat im Bundestag und im EuropĂ€ischen Parlament betrachtet. Äquivalent dazu wurden auf der Landesebene 118 Personen aus allen 16 LandesverbĂ€nden und der jeweiligen Teilorganisationen sowie auf Kreisebene 96 Personen aus 86 KreisverbĂ€nden erfasst.

ZusĂ€tzlich wurden Verlautbarungen von 213 Organisationseinheiten, Untergliederungen und Teilorganisationen im Gutachten berĂŒcksichtigt. Insgesamt sind Verlautbarungen des AfD-Bundesverbands, des Bundesverbands der Junge Alternative und der Christen in der AfD, 11 AfD-LandesverbĂ€nde, 13 LandesverbĂ€nde der Junge Alternative sowie 185 Bezirks- und KreisverbĂ€nde der AfD und der Junge Alternative berĂŒcksichtigt worden.

Tabelle 1: Anzahl der berĂŒcksichtigten Personen und Organisationseinheiten

PersonenOrganisationseinheitenBundesebene883Landesebene11825Kreisebene und andere96185Gesamt302213

C. Rechtliche Vorgaben

I. Voraussetzungen fĂŒr die Einstufung einer Partei als Verdachtsfall

Gegenstand des PrĂŒfgutachtens ist die Frage, ob hinreichend gewichtige tatsĂ€chliche Anhaltspunkte fĂŒr verfassungsfeindliche Bestrebungen innerhalb der Gesamtpartei Alternative fĂŒr Deutschland (AfD) vorliegen, die zu einer Einstufung als Verdachtsfall und damit als Beobachtungsobjekt des Bundesamtes fĂŒr Verfassungsschutz fĂŒhren.

GemĂ€ĂŸ §§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 4 Abs. 1 S. 1 lit. c, 4 Abs. 1 S. 3 BVerfSchG haben die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der LĂ€nder den Auftrag, Informationen ĂŒber PersonenzusammenschlĂŒsse zu sammeln und auszuwerten, wenn tatsĂ€chliche Anhaltspunkte dafĂŒr vorliegen, dass in diesen verfassungsfeindliche Bestrebungen verfolgt werden. Liegen diese Voraussetzungen vor, sind die Verfassungsschutzbehörden zur Beobachtung entsprechender Bestrebungen und TĂ€tigkeiten nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet.[4]

Das BVerfSchG normiert in § 4 Abs. 1 S. 3 zunĂ€chst das Vorliegen „tatsĂ€chlicher Anhaltspunkte“ als Voraussetzung fĂŒr das TĂ€tigwerden des Bundesamtes fĂŒr Verfassungsschutz und fordert in § 16 BVerfSchG „hinreichend gewichtige tatsĂ€chliche Anhaltspunkte“ fĂŒr eine AufklĂ€rung der Öffentlichkeit. Hierbei ist zwischen PrĂŒffĂ€llen und Beobachtungsobjekten zu differenzieren. Ergeben sich tatsĂ€chliche Anhaltspunkte fĂŒr das Vorliegen von verfassungsfeindlichen Bestrebungen, ist zu prĂŒfen, ob diese ausreichend sind, um eine Einstufung als Beobachtungsobjekt vorzunehmen. Innerhalb der Beobachtungsobjekte wird weitergehend zwischen VerdachtsfĂ€llen und gesichert extremistischen Bestrebungen differenziert. Bei dem Verdachtsfall ist noch nicht erwiesen, dass es sich um eine extremistische Bestrebung handelt, es liegen aber hinreichend gewichtige tatsĂ€chliche Anhaltspunkte fĂŒr eine Bestrebung gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung vor.

1. Parteien als Beobachtungsobjekte

Die Beobachtung von Parteien bewegt sich im Spannungsfeld zwischen den Rechten der Parteien aus Art. 21 Abs. 1 GG einerseits und den zu schĂŒtzenden RechtsgĂŒtern der freiheitlichen demokratischen Grundordnung andererseits. Dabei ist Ausdruck der sogenannten streitbaren Demokratie des Grundgesetzes, dass auch die fĂŒr die Demokratie konstituierenden FreiheitsbetĂ€tigungen, wie die von Parteien, BeeintrĂ€chtigungen unterliegen können. In diesem Sinne ist die Beobachtung von Parteien durch das Bundesamt fĂŒr Verfassungsschutz nicht von vornherein unvereinbar mit den Rechten der Parteien aus Art. 21 Abs. 1 GG.[5] Es kann im Einzelfall geboten sein, dass die Rechte der Parteien zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zurĂŒcktreten. Beobachtungsmaßnahmen betreffen dabei das Recht der Parteien, sich frei, d. h. unabhĂ€ngig von staatlicher Einflussnahme und Überwachung, betĂ€tigen zu können.[6] Sie können ferner das Recht auf Chancengleichheit der Parteien aus Art. 21 Abs. 1 S. 1 GG beeintrĂ€chtigen, wenn sie öffentlich gemacht werden.[7] Daher sind bei der Anwendung und Auslegung der Befugnisnormen aus §§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 4 Abs. 1 S. 1 lit. c, 4 Abs. 1 S. 3 BVerfSchG der Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung einerseits und die Rechte der Parteien aus Art. 21 Abs. 1 GG anderseits stets zu berĂŒcksichtigen und ihr Ausgleich ĂŒber den Grundsatz der VerhĂ€ltnismĂ€ĂŸigkeit im Rahmen einer Gesamtbetrachtung zu gewĂ€hrleisten.[8]

Einer BeschrĂ€nkung der Parteienfreiheit im Wege einer Beobachtung durch das Bundesamt fĂŒr Verfassungsschutz steht des Weiteren auch nicht das Parteienprivileg aus Art. 21 Abs. 4 GG entgegen.[9] Nach dieser Vorschrift sind Eingriffe in die Parteienfreiheit grundsĂ€tzlich dem BVerfG vorbehalten. Allein das BVerfG darf ĂŒber das Verbot von politischen Parteien und ihren Ausschluss von staatlicher Finanzierung entscheiden; vor dem Ergehen einer solchen verfassungsgerichtlichen Entscheidung ist jedes administrative Einschreiten gegen den Bestand der politischen Partei unzulĂ€ssig.

Das Gleiche gilt fĂŒr rechtliche Sanktionen gegen ihre FunktionĂ€re, Mitglieder und AnhĂ€nger, soweit diese Sanktionen wegen parteioffizieller, mit allgemein erlaubten Mitteln arbeitender TĂ€tigkeiten verhĂ€ngt werden sollen. Die Beobachtung durch den Verfassungsschutz ist aber kein gegen den Bestand der politischen Partei gerichtetes Einschreiten, auch keine Sanktion ihrer FunktionĂ€re, Mitglieder und UnterstĂŒtzer.[10] Sie dient vielmehr der AufklĂ€rung des gegen die Partei gerichteten Verdachts; die grundsĂ€tzliche ZulĂ€ssigkeit einer solchen AufklĂ€rung wird vom Grundgesetz vorausgesetzt.[11]

Den hier und im Folgenden zitierten AusfĂŒhrungen des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Urteil vom 21. Juli 2010[12] steht der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 17. November 2013[13] nicht entgegen. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts aufgehoben. Die im Urteil entwickelten abstrakten AusfĂŒhrungen des Bundesverwaltungsgerichts zur Anwendung und Auslegung der Befugnisnormen aus §§ 3 und 4 BVerfSchG hinsichtlich verfassungsfeindlicher Bestrebungen durch PersonenzusammenschlĂŒsse wurden vom Bundesverfassungsgericht allerdings nicht beanstandet, sondern lediglich die vom Bundesverwaltungsgericht angenommene Wahrung der VerhĂ€ltnismĂ€ĂŸigkeit hinsichtlich individueller Eingriffsakte bezogen auf Dauer und IntensitĂ€t der Beobachtung eines einzelnen Abgeordneten als fehlerhaft beschieden. Insofern sind die rechtlichen AusfĂŒhrungen das Bundesverwaltungsgesichts als Maßstab fĂŒr die Beobachtung von Parteien bei diesem PrĂŒfgutachten berĂŒcksichtigt worden.

2. Verfassungsfeindliche Bestrebungen

Der Begriff der verfassungsfeindlichen Bestrebungen ist in § 4 Abs. 1 S. 1 lit. c BVerfSchG legaldefiniert. Danach sind Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung solche politisch bestimmten, ziel- und zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder fĂŒr einen Personenzusammenschluss, der darauf gerichtet ist, einen der in § 4 Abs. 2 BVerfSchG genannten VerfassungsgrundsĂ€tze zu beseitigen oder außer Geltung zu setzen.

2.1 Freiheitliche demokratische Grundordnung als Schutzgut

Schutzgut der Vorschrift sind die in § 4 Abs. 2 BVerfSchG genannten VerfassungsgrundsĂ€tze. Bei der PrĂŒfung der verfassungsfeindlichen Ausrichtung gegen einen dieser GrundsĂ€tze darf allerdings nicht allein auf den Wortlaut des § 4 Abs. 2 BVerfSchG abgestellt werden. Vielmehr ist der dortige Katalog im Lichte der Rechtsprechung des BVerfG zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung auszulegen.

Der Katalog gibt die in den Urteilen des BVerfG zum Verbot der Sozialistischen Reichspartei (SRP) 1952 und der Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) 1956 herausgearbeiteten einzelnen Elemente derselben wieder.[14]

Die Beobachtung einer politischen Partei ist aufgrund der hohen Bedeutung der Parteienfreiheit aus Art. 21 Abs. 1 S. 1 und 2 GG nur zum Schutz besonders hochwertiger RechtsgĂŒter zulĂ€ssig. FĂŒr eine verfassungskonforme Auslegung des § 4 Abs. 2 BVerfSchG muss daher sichergestellt sein, dass eine Beobachtung von Parteien und ihren Teilorganisationen nur zum Schutz von VerfassungsgrundsĂ€tzen erfolgt, die auch vom BVerfG als Elemente der freiheitlichen demokratischen Grundordnung anerkannt werden.

Daraus folgt, dass die in § 4 Abs. 2 BVerfSchG aufgezĂ€hlten VerfassungsgrundsĂ€tze nur als AusprĂ€gung fĂŒr die hinter ihnen stehenden drei zentralen Grundprinzipien zu verstehen sind; die Garantie der MenschenwĂŒrde nach Art. 1 Abs. 1 GG, das Demokratieprinzip nach Art. 20 Abs. 1 GG und das Rechtsstaatsprinzip nach Art. 20 Abs. 3 GG.[15] Zudem hat das BVerfG betont, dass die freiheitliche demokratische Grundordnung auf diese wenigen zentralen Grundprinzipien, die fĂŒr den freiheitlichen Verfassungsstaat schlechthin unentbehrlich sind, zu reduzieren ist. Die Grundentscheidung des Grundgesetzes fĂŒr einen offenen Prozess der politischen Willensbildung hat zur Folge, dass auch das kritische Hinterfragen einzelner Elemente der Verfassung möglich sein muss. Dies gilt selbst fĂŒr einzelne von der Ewigkeitsgarantie des Art. 79 Abs. 3 GG umfasste Staatstrukurprinzipien, namentlich die republikanische Regierungsform und das Bundesstaatsprinzip. Die freiheitliche demokratische Grundordnung ist erst betroffen, wenn dasjenige in Frage gestellt und abgelehnt wird, was zur GewĂ€hrleistung eines freiheitlichen und demokratischen Zusammenlebens schlechthin unverzichtbar ist und daher außerhalb jeden Streits stehen muss.

Kein eigenstĂ€ndiger Verfassungsgrundsatz nach § 4 Abs. 2 BVerfSchG ist hingegen ein Verbot der nationalsozialistischen BetĂ€tigung. Im Übrigen ist ein solches Verbot nationalsozialistischer BetĂ€tigung nach der Rechtsprechung des BVerfG auch kein Bestandteil der freiheitlichen demokratischen Grundordnung.[16] Auch wenn der Nationalsozialismus gegenbildlich identitĂ€tsprĂ€gend fĂŒr das Grundgesetz ist, dieses also als Gegenentwurf zum totalitĂ€ren Nationalsozialismus angesehen werden kann, lĂ€sst sich daraus doch kein eigenstĂ€ndiges, antinationalsozialistisches Verfassungsprinzip ableiten. Dies Ă€ndert allerdings nichts daran, dass die nationalsozialistische Ideologie alle drei o.g. Kernelemente der freiheitlichen demokratischen Grundordnung ablehnt. Wenn eine Partei oder eine Teil- oder Nebenorganisation sich „der Vorstellungswelt des Nationalsozialismus verbunden fĂŒhlt“, entfaltet dies daher „erhebliche indizielle Bedeutung hinsichtlich der Verfolgung verfassungsfeindlicher, auf eine BeeintrĂ€chtigung oder Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung gerichteten Ziele“.[17]

Im Ergebnis kommt ein TĂ€tigwerden des Verfassungsschutzes daher in Betracht, wenn innerhalb des Personenzusammenschlusses eine feindliche Ausrichtung gegen die MenschenwĂŒrde nach Art. 1 Abs. 1 GG, das Demokratieprinzip nach Art. 20 Abs. 1 GG oder das Rechtsstaatsprinzip nach Art. 20 Abs. 3 GG vorherrscht; ein starkes Indiz dafĂŒr können auch Verbindungen zur Ideologie das Nationalsozialismus sein.

2.1.1 MenschenwĂŒrde

Die Garantie der MenschenwĂŒrde schĂŒtzt den einzelnen Menschen im Kern seiner personalen IndividualitĂ€t, IdentitĂ€t und IntegritĂ€t und in seiner elementaren Rechtsgleichheit.[18] Der Mensch darf niemals zum bloßen Objekt staatlichen Handelns degradiert werden, sondern ist immer auch als Subjekt zu behandeln, dem um seiner selbst willen, allein kraft seines Menschseins ein Achtungsanspruch zukommt.[19]

Damit unvereinbar sind zunĂ€chst Vorstellungen von einem ursprĂŒnglichen und unbedingten Vorrang eines wie auch immer gearteten Kollektivs gegenĂŒber dem einzelnen Menschen. Die MenschenwĂŒrde wird nur geachtet, wenn der Einzelne als grundsĂ€tzlich frei und die ihm auferlegten Sozialbindungen als rechtfertigungsbedĂŒrftig gedacht werden. Dies bedeutet zwar nicht, dass Verweise auf die Sozialgebundenheit des Menschen dessen WĂŒrde in irgendeiner Weise in Frage stellen wĂŒrden. Wer aber eine Gesellschaft will, in der der Einzeile dem Kollektiv untergeordnet ist, ohne dass es dafĂŒr im Einzelfall einer BegrĂŒndung bedĂŒrfe, wendet sich damit gegen die Garantie der MenschenwĂŒrde.[20]

Mit der Garantie der MenschenwĂŒrde sind auch Vorstellungen unvereinbar, die den grundsĂ€tzlichen Achtungsanspruch des Menschen von etwas anderem als seiner bloßen Zugehörigkeit zur menschlichen Gattung abhĂ€ngig machen wollen.[21] Dies bedeutet zwar nicht, dass schon jeder Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG oder die besonderen Diskriminierungsverbote aus Art. 3 Abs. 2 und 3 GG auch die MenschenwĂŒrde verletzen. Erst recht stellen sachlich begrĂŒndete Ungleichbehandlungen keinen Verstoß gegen die MenschenwĂŒrde dar. Wer aber eine Gesellschaft will, in der bestimmten Gruppen von Menschen ein von vornherein abgewerteter rechtlicher Status zugeschrieben wird oder in welcher diese Gruppe von Menschen einer demĂŒtigenden Ungleichbehandlung ausgesetzt werden, wendet sich gegen die Garantie der MenschenwĂŒrde.

Durch das Lob des Patriotismus, der Liebe zum Heimatland und des ZusammengehörigkeitsgefĂŒhls in der sozialen Gemeinschaft wird zwar die MenschenwĂŒrde nicht in Frage gestellt. Die Grenze wird aber dann ĂŒberschritten, wenn der Einzelne als der Gemeinschaft unbedingt untergeordnet gedacht und seine WĂŒrde von der Zugehörigkeit zu der Gemeinschaft abhĂ€ngig gemacht wird. Dies ist etwa der Fall, wenn in völkisch-nationalistischer Weise allein das Überleben des Volkes als Organismus zum Ziel das politischen Handelns gemacht wird, hinter dem die Interessen des Einzelnen vollstĂ€ndig zurĂŒckzutreten haben.

Auch Vorstellungen, die in diesem Sinne den Erhalt des Volkes in seinem ethnischen Bestand fordern und ethnische „Fremde“ nach Möglichkeit ausschließen, verstoßen gegen die Garantie der MenschenwĂŒrde,[22] da ein dergestalt völkisch-abstammungsmĂ€ĂŸiger Volksbegriff eine Ausrichtung des Zuwanderungs- und Staatsangehörigkeitsrechts an ethnischen Kriterien impliziert, wonach bestimmte Menschen qua Geburt und ihrer Natur nach aus dem Volk ausgeschlossen wĂ€ren. Ein solcher Volksbegriff stellt die SubjektivitĂ€t des Individuums und den aus der MenschenwĂŒrde folgenden Achtungsanspruch das Einzelnen in Frage und fĂŒhrt ĂŒberdies zu einer Verweigerung elementarer Rechtsgleichheit fĂŒr all jene, die nicht der ethnisch definierten „Volksgemeinschaft“ angehören.[23] Letztlich fĂŒhrt dies auch fĂŒr Personen, die bereits ĂŒber die deutsche StaatsbĂŒrgerschaft verfĂŒgen, zu einer Klassifizierung und Abstufung auf Grundlage der ethnischen Zugehörigkeit in solche erster und zweiter Klasse. Dies gilt selbst dann, wenn der ethnische Volksbegriff Ausnahmen zuließe und auf AusbĂŒrgerungen verzichten wĂŒrde.[23a]

Die Behandlung von Sachthemen wie die Entwicklung von Parallelgesellschaften und daraus resultierende Problematiken als solches begrĂŒnden jedoch ebenso wenig Verfassungsschutzrelevanz wie das Eintreten fĂŒr eine restriktive Einwanderungspolitik.[24] Wenn in diesem Zusammenhang allerdings das politische Ziel propagiert wird, das deutsche Volk in seinem „ethnisch-kulturellen Bestand“ zu erhalten, ist dies als Anhaltspunkt fĂŒr ein ethnisch-kulturelles VolksverstĂ€ndnis zu werten.

Auch Kritik an den Angehörigen von Minderheiten oder die Forderung nach der gesetzlichen EinschrĂ€nkung der von ihnen in Anspruch genommenen Grundrechte stellt nicht per se deren MenschenwĂŒrde in Frage. Die Grenze wird dann ĂŒberschritten, wenn in solcher Kritik oder solchen Forderungen eine grundsĂ€tzliche Abwertung der Angehörigen der Minderheit allein aufgrund ihrer Gruppenzugehörigkeit zum Ausdruck kommt oder wenn die Forderungen sich auf einen Eingriff in den MenschenwĂŒrdegehalt ihrer Grundrechte richten.

Demzufolge ist es zulĂ€ssig, tatsĂ€chliche und vermeintliche KriminalitĂ€t von Migranten zu thematisieren und zum Gegenstand des politischen Diskurses zu machen oder die tatsĂ€chlich oder vermeintlich fehlende Anpassung von bestimmten Bevölkerungsgruppen an die Lebensgewohnheiten der Mehrheitsbevölkerung zu problematisieren und eine stĂ€rkere Anpassung zu fordern. Auch Kritik an der Einwanderungs- und Asylpolitik ist nicht verfassungsschutzrelevant. So stellt die Forderung nach einer weitgehenden BeschrĂ€nkung von Zuwanderung keinen Anhaltspunkt fĂŒr fremdenfeindliche Bestrebungen dar. Anders ist es allerdings zu beurteilen, wenn Äußerungen unmittelbar an die Asylbewerber und Asylbewerberinnen sowie Migranten und Migrantinnen adressiert sind und diese pauschal verĂ€chtlich machen.[25]

Nicht zu beanstanden ist zudem, die Religion oder eine sonstige Lebensanschauung einer bestimmten Bevölkerungsgruppe inhaltlich zu kritisieren, ohne die Mitglieder dieser Bevölkerungsgruppe persönlich abzuwerten. Auch Forderungen nach einer gesetzlichen BeschrĂ€nkung der Religionsfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG oder ihrer Modifikation durch VerfassungsĂ€nderung bewegen sich grundsĂ€tzlich im Rahmen des allgemeinen politischen Diskurses. Keine Verfassungsschutzrelevanz begrĂŒnden in diesem Zusammenhang auch Äußerungen, die lediglich als muslim- oder islamkritisch anzusehen sind, sich z. B. nur gegen bestimmte Erscheinungsformen der Religion und ihrer AusĂŒbung richten. Die Grenze wird aber dann ĂŒberschritten, wenn die Religion und ihre GlĂ€ubigen im Sinne eines pauschalen Feindbildes abgelehnt oder bestimmte Bevölkerungsgruppen als ihrer Natur nach kriminell, aggressiv, triebgesteuert und gefĂ€hrlich dargestellt werden. Sie ist auch ĂŒberschritten, wenn den Angehörigen einer solchen Bevölkerungsgruppe das Recht auf freie Selbstentfaltung, ReligionsausĂŒbung und Mitwirkung am politischen Entscheidungsprozess vollkommen abgesprochen wird, indem ihre vollstĂ€ndige Anpassung in Verhalten und Denken an den autochthonen Deutschen verlangt wird.

Verunglimpfungen in Form von tatsachenwidrigen pauschalen VerdĂ€chtigungen und Unterstellungen wĂŒrdigen dabei Menschengruppen in ihrer Gesamtheit ab und rufen Ablehnung hervor. Solche Agitationen schĂŒren Ängste, Unsicherheiten und Vorurteile und sind damit letztlich auch geeignet, den Boden fĂŒr unfriedliche Verhaltensweisen gegenĂŒber einzelnen Bevölkerungsgruppen zu bereiten.[26]

2.1.2 Demokratieprinzip

Das Demokratieprinzip verbĂŒrgt die freie Selbstbestimmung aller BĂŒrgerinnen und BĂŒrger. Politische Freiheit und Gleichheit aller BĂŒrgerinnen und BĂŒrger sind die Grundbedingungen der Demokratie. In einer Demokratie muss sich die Willensbildung stets vom Volk zu den Staatsorganen und nicht umgekehrt von den Staatsorganen zum Volk vollziehen. Dieser Prozess der politischen Meinungsbildung muss zudem offen gestaltet und fĂŒr alle wahlmĂŒndigen BĂŒrgerinnen und BĂŒrger zugĂ€nglich sein; er setzt somit die gleichberechtigte Teilhabe aller voraus. DarĂŒber hinaus beinhaltet das Demokratieprinzip die VolkssouverĂ€nitĂ€t, wonach alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht. Die Staatsgewalt darf keine anderen Legitimationsquellen als das Volk haben (Art. 20 Abs. 1 und 2 GG). Unverzichtbar fĂŒr ein demokratisches System sind danach die Möglichkeit gleichberechtigter Teilnahme aller BĂŒrgerinnen und BĂŒrger am Prozess der politischen Willensbindung und die RĂŒckbindung der AusĂŒbung aller Staatsgewalt an das Volk.[27]

Nach der Rechtsprechung des BVerfG bedeutet die Ablehnung des Parlamentarismus an sich noch keine Missachtung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, sofern sie mit der Forderung nach der Ersetzung durch ein plebiszitĂ€res System verbunden ist.[28] Dementsprechend können Forderungen nach der Ablösung der im Grundgesetz vorgesehenen parlamentarisch-reprĂ€sentativen Demokratie mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung vereinbar sein, sofern Alternativen aufgezeigt werden, die einen ununterbrochenen Legitimationszusammenhang zwischen dem Volk und den mit der AusĂŒbung staatlicher Aufgaben betrauten Organen und Amtswaltern garantieren. Die Staatsgewalt darf aber niemals als Werkzeug zur Perpetuierung der Herrschaft einer bestimmten Mehrheit dienen.[29]

Im Ergebnis ist festzuhalten, dass Kritik an der Regierung nicht gegen das Demokratieprinzip verstĂ¶ĂŸt. Des Weiteren ist es auch ohne jede Verfassungsschutzrelevanz, wenn eine Partei eine grundlegende VerĂ€nderung der politischen VerhĂ€ltnisse und der Ausrichtung der Sachpolitik anstrebt, etwa indem sie bestehende Parteien grundlegend kritisiert, deren Auffassungen als vollkommen ĂŒberholt und schĂ€dlich darstellt und diese in Wahlen zu verdrĂ€ngen sucht. Auch sind Fragen nach notwendigen VerĂ€nderungen der aktuellen konkreten Ausgestaltung des demokratischen Entscheidungsprozesses legitim. Den Rahmen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung verlĂ€sst eine Partei aber dann, wenn sie den Parlamentarismus und die aktuellen politischen VerhĂ€ltnisse verĂ€chtlich macht, ohne aufzuzeigen, auf welchem Weg sie sonst dem Grundsatz der VolkssouverĂ€nitĂ€t Rechnung tragen und die Offenheit des politischen Willensbildungsprozesses gewĂ€hrleisten will.[30]

Anhaltspunkte fĂŒr einen derartigen Verstoß gegen das Demokratieprinzip durch nicht sachbezogene VerĂ€chtlichmachungen können sich insbesondere aus gehĂ€uften Beschimpfungen, VerdĂ€chtigungen, Verleumdungen und Verunglimpfungen des Staates und seiner ReprĂ€sentanten ergeben, bei denen es nicht mehr um Kritik und Auseinandersetzung geht‚ sondern darum, das Vertrauen der Bevölkerung in die verfassungsmĂ€ĂŸige Ordnung von Grund auf zu erschĂŒttern, damit ihr die freiheitliche demokratische Grundordnung als Ganzes fragwĂŒrdig erscheine.[31]

2.1.3 Rechtsstaatsprinzip

Das Rechtsstaatsprinzip zielt auf die Bindung und Begrenzung öffentlicher Gewalt zum Schutz individueller Freiheit. Es ist ebenso wie das Demokratieprinzip durch eine Vielzahl einzelner Elemente geprĂ€gt. Das BVerfG hat im NPD-Verbotsverfahren verdeutlicht, dass von den Elementen des Rechtsstaatsprinzips die Rechtsbindung der öffentlichen Gewalt (Art. 20 Abs. 3 GG) und die Kontrolle dieser Bindung durch unabhĂ€ngige Gerichte sowie die Beibehaltung des Gewaltmonopols des Staates bestimmend fĂŒr die freiheitliche demokratische Grundordnung sind.[32]

Die Rechtsbindung der öffentlichen Gewalt umfasst dabei die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmĂ€ĂŸige Ordnung sowie die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht. Die Bindung der Gesetzgebung an die Verfassung hat zunĂ€chst normenhierarchische Wirkung, da hiermit der Vorrang der Verfassung vor dem (einfachen) Gesetz statuiert wird (Art. 20 Abs. 3 GG). Die Bindung der Exekutive an das Gesetz bezieht sich auf alle Handlungsformen der Verwaltung. Sie beinhaltet eine unabhĂ€ngigkeitssichernde Schutzfunktion und hat zudem legitimationstiftende Bedeutung fĂŒr das Verwaltungshandeln. Hinzu kommt der sogenannte Vorbehalt des Gesetzes, wonach das Handeln der vollziehenden Gewalt – insbesondere bei Eingriffen in Rechte der BĂŒrgerinnen und BĂŒrger – einer parlamentsgesetzlichen Grundlage bedarf.

Nach dem sogenannten Gewaltmonopol des Staates ist die Anwendung physischer Gewalt staatlichen Organen vorbehalten, die an Gesetze gebunden sind und einer gerichtlichen Kontrolle unterliegen. Dem Einzelnen steht insoweit kein Selbsthilferecht zu.

Das Element der gerichtlichen Kontrolle wird durch die im Rechtsstaatsprinzip verankerte JustizgewÀhrung verkörpert. Diese beinhaltet zugleich die staatliche Pflicht zur GewÀhrung wirksamen Rechtsschutzes durch Gerichte und den individuellen Anspruch des Einzelnen auf effektiven Rechtsschutz. Die JustizgewÀhrung bildet die Kehrseite zum Gewaltmonopol des Staates.

2.1.4 Positionierung zum Nationalsozialismus

FĂŒhlt sich eine Partei mit den zentralen Prinzipien des Nationalsozialismus verbunden, kann hieraus etwa mit Blick auf das FĂŒhrerprinzip, den ethnischen Volksbegriff sowie rassistische und antisemitische Haltungen ein Verstoß gegen die MenschenwĂŒrde und das Demokratieprinzip in Form der politischen Freiheit und Gleichheit resultieren. Eine mögliche Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus ist daher bei der PrĂŒfung der einzelnen Tatbestandsmerkmale der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu berĂŒcksichtigen.[33] EinschlĂ€gige Verbindungen liegen eindeutig vor, wenn der historische Nationalsozialismus im Ganzen oder zumindest einzelne ideologische Fragmente befĂŒrwortet werden. Auch die Relativierung das nationalsozialistischen Unrechts oder Kritik an der zentralen Rolle des nationalsozialistischen Unrechts in der deutschen Erinnerungskultur kann als Verstoß gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gewertet werden, sofern dies mit einer BefĂŒrwortung nationalsozialistischer Ziele einhergeht.

2.2 Feindliche Ausrichtung gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung

Die Annahme verfassungsfeindlicher Bestrebungen setzt gemĂ€ĂŸ § 4 Abs. 1 S. 1 lit. c BVerfSchG weiter voraus, dass sie darauf gerichtet sind, die beschriebenen Elemente der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu beseitigen oder außer Geltung zu setzen.

Dies erfordert zunĂ€chst, dass der Personenzusammenschluss die VerfassungsgrundsĂ€tze nicht nur passiv ablehnt und kritisiert, sondern auf ihre BeeintrĂ€chtigung mit Ă€ußerlich feststellbaren AktivitĂ€ten – wie z. B. der Schulung und Mobilisierung eigener Mitglieder, öffentlichen Auftritten oder der Teilnahme an Wahlen – hinwirkt. Politisch bestimmt sind diese AktivitĂ€ten, wenn sie auch objektiv geeignet sind, politische Wirkungen zu entfalten, also die fĂŒr das Gemeinwesen als solches geltenden verbindlichen Regeln zu verĂ€ndern. Ziel- und zielgerichtet sind die fraglichen AktivitĂ€ten schließlich, wenn sie mit einer gewissen Ernsthaftigkeit, Dauerhaftigkeit und Zielstrebigkeit ausgefĂŒhrt werden.

Dementsprechend genĂŒgt fĂŒr eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz nicht, dass der fragliche Personenzusammenschluss bzw. seine Mitglieder BeeintrĂ€chtigungen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nur in Kauf nehmen.[34] Insbesondere kann die bloße innere Übereinstimmung oder Sympathie mit den Zielen einer anderen verfassungsfeindlichen Organisation eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz nicht rechtfertigen. Eine Beobachtung kommt erst in Betracht, wenn der Personenzusammenschluss bzw. die fĂŒr ihn verantwortlich Handelnden selbst auf die BeeintrĂ€chtigung des Schutzgutes der freiheitlichen demokratischen Grundordnung hinarbeiten.

Unerheblich ist aber, ob die Beseitigung oder die Außer-Kraft-Setzung des Schutzgutes das politische Haupt- oder Endziel das Personenzusammenschlusses sind. Es genĂŒgt, dass sie ein maßgeblicher Zweck sind, den der Personenzusammenschluss und die fĂŒr ihn verantwortlich Handelnden ggf. nur neben anderen politischen Zielen verfolgen.[35]

Unerheblich ist zudem, ob es möglich erscheint, dass die fraglichen AktivitĂ€ten in absehbarer Zeit zu einer Beseitigung oder Außer-Kraft-Setzung eines Elementes der freiheitlichen demokratischen Grundordnung fĂŒhren könnten. Auch AktivitĂ€ten, die auf eher utopisch wirkende Ziele gerichtet sind, die nach menschlichem Ermessen nicht in absehbarer Zukunft verwirklicht werden, dĂŒrfen und mĂŒssen vom Verfassungsschutz beobachtet werden. Es genĂŒgt, dass die AktivitĂ€ten zu einer Einwirkung auf das Schutzgut potenziell tauglich erscheinen.[36]

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Urteil des BVerfG im Verbotsverfahren gegen die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD). Nach diesem Urteil hĂ€ngt zwar die ZulĂ€ssigkeit eines Parteiverbots davon ab, dass die verfassungsfeindlichen AktivitĂ€ten einer Partei „PotenzialitĂ€t“, also eine gewisse Aussicht auf Erfolg, haben. Diese AusfĂŒhrungen beziehen sich aber nur auf das Parteiverbot und nicht auch auf sonstige Eingriffe in die Parteienfreiheit aus Art. 21 Abs. 1 S. 1 und 2 GG, wie etwa die Beobachtung durch den Verfassungsschutz.[37]

Des Weiteren kommt es auch nicht darauf an, ob der Personenzusammenschluss gewalttÀtige oder in sonstiger Weise illegale AktivitÀten entfaltet. Der Verfassungsschutz darf und muss auch Bestrebungen beobachten, die mit legalen Mitteln auf die Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung hinarbeiten.[38]

Schließlich ist auch nicht erforderlich, dass die fraglichen AktivitĂ€ten die Schwelle zum Aggressiv-KĂ€mpferischen ĂŒberschreiten. Das Vorliegen aggressiv-kĂ€mpferischer Verhaltensweisen ist nach der Rechtsprechung des BVerfG zwar Voraussetzung fĂŒr ein Parteiverbot und ggf. fĂŒr die Beobachtung eines Abgeordneten.[39] Im Übrigen ergeben sich aus dem Gesetz und der Rechtsprechung des BVerfG aber keine Vorgaben, die den Auftrag des Verfassungsschutzes auf aggressiv-kĂ€mpferische AktivitĂ€ten beschrĂ€nken wĂŒrden.

Im Ergebnis ist damit bei Parteien und ihren Teilorganisationen insbesondere zu prĂŒfen, ob tatsĂ€chliche Anhaltspunkte dafĂŒr vorliegen, dass sie sich eine Ablehnung von Elementen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu eigen (gemacht) und zum Bestimmungsgrund ihres politischen Handelns gemacht haben. Die weiteren gesetzlichen Voraussetzungen fĂŒr eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz, nĂ€mlich die Entfaltung aktiver, politisch bestimmter, ziel- und zweckgerichteter Verhaltensweisen, dĂŒrften bei ihnen hingegen in aller Regel zu bejahen sein. Charakteristisches Ziel von Parteien und damit auch ihrer Teilorganisationen ist gerade die Einflussnahme auf die politische Willensbildung (§ 2 Abs. 1 PartG).

3. Vorliegen tatsĂ€chlicher Anhaltspunkte fĂŒr verfassungsfeindliche Bestrebungen

FĂŒr eine Bearbeitung als Verdachtsfall mĂŒssen zunĂ€chst gemĂ€ĂŸ § 4 Abs. 1 S. 3 BVerfSchG „tatsĂ€chliche Anhaltspunkte“ fĂŒr verfassungsfeindliche Bestrebungen vorliegen. Dies erfordert nicht, dass schon sicher feststeht, dass der Personenzusammenschluss verfassungsfeindliche Bestrebungen verfolgt. Es muss sich nicht um eine „erwiesene extremistische Bestrebung“ handeln; insofern muss keine Gewissheit vorliegen. Die tatsĂ€chlichen Anhaltspunkte mĂŒssen weniger konkret sein als „zureichende tatsĂ€chliche Anhaltspunkte“ i. S. d. § 152 Abs. 2 StPO, die zur Einleitung eines strafprozessualen Ermittlungsverfahrens erforderlich sind. Vielmehr ist das Bundesamt fĂŒr Verfassungsschutz zur Beobachtung eines Personenzusammenschlusses befugt und verpflichtet, sobald aufgrund empirisch beobachtbarer, konkreter Tatsachen vernĂŒnftigerweise zu befĂŒrchten ist, dass dieser verfassungsfeindliche Bestrebungen verfolgt.[40]

Von einem solchen vernĂŒnftigen Verdacht ist insbesondere dann auszugehen, wenn es sich bei den festgestellten Tatsachen um MeinungsĂ€ußerungen und sonstige Verhaltensweisen handelt, die der Partei zurechenbar sind, wenn in diesen Tatsachen außerdem zum Ausdruck kommt, dass der Handelnde Elemente der freiheitlichen demokratischen Grundordnung inhaltlich ablehnt und dies auch zum Bestimmungsgrund seines politischen Handelns in der Partei macht und solche Tatsachen schließlich in hinreichender Zahl und von hinreichendem Gewicht vorliegen.

3.1 MeinungsĂ€ußerungen und sonstige Verhaltensweisen als tatsĂ€chliche Anhaltspunkte

TatsĂ€chliche Anhaltspunkte fĂŒr verfassungsfeindliche Bestrebungen innerhalb einer Partei könnten aufgrund von zurechenbaren MeinungsĂ€ußerungen und sonstigen Verhaltensweisen vorliegen.

Einer Partei sind zunĂ€chst ihre Satzung und andere, in einem formellen Verfahren beschlossene Dokumente, wie z. B. Wahlprogramme und ParteitagsbeschlĂŒsse, ohne weiteres zuzurechnen.[41] Gleiches gilt fĂŒr offizielle Stellungnahmen der leitenden FunktionĂ€re und MandatstrĂ€ger sowie fĂŒr die Verlautbarungen offizieller Publikationsorgane, wie z. B. Schulungs- und Propagandamaterial, Zeitungen, Zeitschriften, FlugblĂ€tter, BroschĂŒren, Plakate und Internetauftritte. Sie alle lassen sich auf einen formellen Willensbildungsprozess innerhalb des fraglichen Personenzusammenschlusses zurĂŒckfĂŒhren.

Verlautbarungen, ErklĂ€rungen und sonstige politische AktivitĂ€ten der maßgeblichen FunktionĂ€re der Partei sind dieser zuzurechnen. MeinungsĂ€ußerungen und Verhaltensweisen von maßgeblichen FunktionĂ€ren können eine Beobachtung auch dann rechtfertigen, wenn sie nicht von den satzungsmĂ€ĂŸigen oder sonstigen, in formellen Verfahren beschlossenen Zielen der Partei gedeckt werden.[42] Ein Personenzusammenschluss kann einer Beobachtung durch den Verfassungsschutz nicht dadurch entgehen, dass er sich in seinen offiziellen Dokumenten formal zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung bekennt und auf das Propagieren verfassungsfeindlicher Ziele verzichtet, wenn seine Mitglieder eben doch die Ablehnung eines Elements der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zum Bestimmungsgrund ihres politischen Handelns machen. Im Ergebnis ist festzustellen, dass jedenfalls die auf formellen Willensbildungsprozessen beruhenden Dokumente und die politischen Äußerungen und politischen Verhaltensweisen der maßgeblichen FunktionĂ€re der Partei zugerechnet werden können und daher als Tatsachenbasis zu berĂŒcksichtigen sind.

Daneben sind der Partei aber auch sonstige Äußerungen und Verhaltensweisen von Mitgliedern und AnhĂ€ngen grundsĂ€tzlich zuzurechnen,[43] wenn diese Ausdruck einer der gesamten Partei zuzurechnenden Grundtendenz sind.[44] Ausnahmen gelten fĂŒr die Äußerungen und Verhaltensweisen einfacher Mitglieder und AnhĂ€nger, insbesondere wenn diese nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit Veranstaltungen oder AktivitĂ€ten der Partei stehen. Liegt ein derartiger Zusammenhang nicht vor, kann die Äußerung oder Handlung eines einfachen Parteimitglieds nur zugerechnet werden, wenn sie von der Partei trotz Kenntnis geduldet oder gar unterstĂŒtzt wird, obwohl Gegenmaßnahmen möglich sind.[45]

Ebenso sind Anhaltspunkte aus anderen PersonenzusammenschlĂŒssen mit in die Gesamtschau einzubeziehen, mit denen sich der betroffene Personenzusammenschluss identifiziert oder mit denen er sympathisiert.[46] Eine förmliche Zusammengehörigkeit ist fĂŒr eine wechselseitige Zurechnung dabei nicht erforderlich, da grundsĂ€tzlich eine enge faktische Verflechtung ausreicht.[47] Daher sind auch Verlautbarungen, ErklĂ€rungen und sonstige politische AktivitĂ€ten einer satzungsmĂ€ĂŸig anerkannten Jugendorganisation – wie im Falle der AfD die Junge Alternative fĂŒr Deutschland – der Partei zuzurechnen.

Die handlungsorientierte Ablehnung von Elementen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung kann sowohl in Form von politischen Forderungen und sonstigen MeinungsĂ€ußerungen bekundet werden als auch in sonstigen Verhaltensweisen, insbesondere in der Verbindung zu anderen extremistischen Organisationen, zum Ausdruck kommen.

Politische Forderungen und sonstige MeinungsĂ€ußerungen können eine handlungsorientierte Ablehnung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung darstellen, wenn der Erlass von Gesetzen oder die Ergreifung von behördlichen Maßnahmen gefordert werden, die gegen einen Grundsatz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung verstoßen, also z. B. den MenschenwĂŒrdegehalt eines Grundrechts verletzen. Bei Äußerungen innerhalb einer Partei oder einer Teilorganisation ist davon aber auch auszugehen, wenn nur allgemeinere Theorien und Konzepte beschrieben werden, die mit den grundsĂ€tzlichen Wertungen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht vereinbar sind, ohne dass konkrete Maßnahmen gefordert werden. Beispiel dafĂŒr wĂ€re etwa das Propagieren eines rassistischen Weltbildes. Bei Äußerungen innerhalb einer Partei oder einer Teilorganisation einer Partei liegt es regelmĂ€ĂŸig auf der Hand, dass die beschriebenen Theorien und Konzepte auch in politisches Handeln umgesetzt werden sollen.

Auch auf den ersten Blick mehrdeutige Äußerungen, die aber durch die BerĂŒcksichtigung des Kontexts, in dem sie getĂ€tigt wurden, und durch die Einbeziehung nachrichtendienstlichen Hintergrundwissens ĂŒber den in Rede stehenden PhĂ€nomenbereich eindeutig ausgelegt werden können, sind verwendbar, wann sich die im Subtext verdeckt enthaltene zusĂ€tzliche Aussage dem angesprochenen Publikum als „unabweisbare Schlussfolgerung“ aufdrĂ€ngt.[48] Der Verfassungsschutz ist nicht gehalten, extremistische Äußerungen gegen jede Logik als noch verfassungskonform auszulegen.[49] Er muss auch nicht alle nach dem abstrakten Wortlaut einer Äußerung theoretisch denkbaren Deutungsmöglichkeiten berĂŒcksichtigen. Vielmehr darf er darauf abstellen, wie die konkreten Adressaten in dem jeweiligen Personenzusammenschluss eine Äußerung vernĂŒnftiger Weise verstehen dĂŒrfen. Vor allem sind besondere Terminologien, Signalwörter und VorverstĂ€ndnisse des jeweiligen PhĂ€nomenbereichs zu berĂŒcksichtigen. Des Weiteren sind auch vorherige Positionierungen des jeweiligen Sprechers zu berĂŒcksichtigen, an die eine Äußerung sich anschließt.

Daneben können mehrdeutige Äußerungen neben eindeutigen Äußerungen als zusĂ€tzliche tatsĂ€chliche Anhaltspunkte zur Verdichtung des Verdachts herangezogen werden. Insofern geht die Rechtsprechung davon aus, dass strafrechtliche und zivilrechtliche Sanktionen nicht nur auf zweideutige Äußerungen gestĂŒtzt werden dĂŒrfen. Soweit es um Maßnahmen der GefahrenaufklĂ€rung geht, sei eine Gesamtschau anzustellen. Ein Verdacht könne sich auch aus der Gesamtschau von fĂŒr sich genommen unverdĂ€chtigen Tatsachen ergeben.[50]

Neben MeinungsĂ€ußerungen können auch das Verlinken oder Teilen von BeitrĂ€gen tatsĂ€chliche Anhaltspunkte darstellen, wenn die geteilten bzw. verlinkten BeitrĂ€ge ihrerseits Anhaltspunkte fĂŒr verfassungsfeindliche Bestrebungen enthalten. Dies gilt insbesondere dann, wenn im Teilen bzw. der Verlinkung eine Solidarisierung oder Identifizierung mit dem entsprechenden Inhalt zum Ausdruck kommt. Dabei kommt es darauf an, ob ein durchschnittlicher EmpfĂ€nger, der die Positionen des Teilenden kennt, von einer inhaltlichen Identifizierung bzw. zustimmenden Leseempfehlung mit dem geteilten Beitrag ausgehen wĂŒrde.[51] FĂŒgt sich der geteilte Beitrag in die inhaltlichen Positionen das Teilenden ein, und liegt keine ausdrĂŒckliche oder sich aus dem Kontext ergebene Missbilligung oder Distanzierung vor,[52] kann in der Regel von einem Zu-eigen-Machen im verfassungsschutzrechtlichen Sinne ausgegangen werden. Daneben kann das Teilen bzw. die Verlinkung von BeitrĂ€gen jedoch auch ohne ein entsprechendes konkretes Zu-eigen-Machen einen Anhaltspunkt darstellen, da auch in der Weiterverbreitung entsprechender Inhalte eine objektive UnterstĂŒtzungshandlung zu sehen ist.[53]

Daneben sind auch Verhaltensweisen und Äußerungen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Partei, die keine Mitglieder sind, zuzurechnen. Das Gesetz bestimmt in § 4 Abs. 1 lit. c BVerfSchG Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung als bestimmte Verhaltensweisen in, aber eben auch fĂŒr einen Personenzusammenschluss. GemĂ€ĂŸ § 4 Abs. 1 S. 2 BVerfSchG handelt fĂŒr einen Personenzusammenschluss, wer ihn in seinen Bestrebungen nachdrĂŒcklich unterstĂŒtzt. Als tatbestandliches UnterstĂŒtzen ist jede TĂ€tigkeit anzusehen, die sich in irgendeiner Weise positiv auf die Aktionsmöglichkeiten des Personenzusammenschlusses auswirkt.[54] Dazu zĂ€hlen TĂ€tigkeiten, die die innere Organisation und den Zusammenhalt des Personenzusammenschlusses, seinen Fortbestand oder die Verwirklichung seiner Bestrebung fördern und damit seine potenzielle GefĂ€hrlichkeit festigen und sein GefĂ€hrdungspotenzial stĂ€rken.[55]

3.2 Verfassungsfeindliche Gruppierungen innerhalb eines inhomogenen Personenzusammenschlusses als tatsÀchliche Anhaltspunkte

Anhaltspunkte fĂŒr verfassungsfeindliche Bestrebungen einer Partei sind nicht nur dann gegeben, wenn diese in ihrer Gesamtheit solche Bestrebungen entfaltetet, sondern können auch bestehen, wenn eindeutig verfassungsfeindliche Bestrebungen nur bei einzelnen Gruppierungen innerhalb des Personenzusammenschlusses bestehen.[56] Neben dem Vorliegen einer eindeutig verfassungsfeindlichen Gruppierung innerhalb der Partei ist hierbei nach der Rechtsprechung des BVerwG erforderlich, dass die Gruppierung einen nennenswerten Einfluss innerhalb der Partei innehat.[57] Anhaltspunkte fĂŒr die Bewertung eines nennenswerten Einflusses können danach unter anderem die programmatische und personelle Beschlusslage innerhalb der Partei, die personelle Vertretung in den Organen, die Möglichkeit tatsĂ€chlicher Einflussnahme in den Gremien sowie das verfassungsfeindliche Personenpotenzial auch in bereits als extremistisch eingestuften Organisationen der Partei und der Umgang mit innerparteilichen Gegnern oder Parteiausschlussverfahren sein. Gerade die innere Zerrissenheit einer Partei, FlĂŒgelkĂ€mpfe und eine AnnĂ€herung an extremistische Gruppierungen können eine Beobachtung erfordern, da nur so festzustellen ist, in welche Richtung sich diese letztlich bewegt, und weil nur so Regierung, Parlament und Öffentlichkeit ĂŒber den Fortgang der weiteren, noch nicht abgeschlossenen Entwicklung sachkundig und angemessen unterrichtet werden können.[58]

Insbesondere können eindeutig verfassungsfeindliche Bestrebungen einzelner Gruppierungen innerhalb eines Personenzusammenschlusses Anhaltspunkte dafĂŒr liefern, in welche Richtung dieser sich entwickeln kann. Das erfordert die Beobachtung des Personenzusammenschlusses insgesamt, nicht nur der einzelnen Gruppierung darin, selbst wenn diese auch fĂŒr sich PersonenzusammenschlĂŒsse i. S. d. § 4 Abs. 1 S. 1 BVerfSchG darstellen.[59] Dabei ist bei einer vernĂŒnftigen Betrachtung aller vorhandenen tatsĂ€chlichen Anhaltspunkte im Rahmen einer Gesamtbetrachtung die Gesamtpartei als Bezugspunkt nicht aus den Augen zu verlieren, sondern stets danach zu fragen, inwieweit die verfassungsfeindlichen Bestrebungen innerhalb einzelner Gruppierungen fĂŒr die kĂŒnftige Entwicklung der Gesamtpartei von Bedeutung sein können.

3.3 Aufgrund von Überschneidungen mit anderen Organisationen

TatsĂ€chliche Anhaltspunkte fĂŒr eine handlungsorientierte Ablehnung von Elementen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung können schließlich auch in Überschneidungen mit anderen vom Verfassungsschutz zu beobachtenden Organisationen zum Ausdruck kommen.[60] Allein aus dem Umstand, dass Mitglieder und FunktionĂ€re eines Personenzusammenschlusses, der sich grundsĂ€tzlich zu einem Abgrenzungsbeschluss bekennt, dennoch eine deutliche NĂ€he zu extremistischen Organisationen aufweisen, ergeben sich dabei zwar noch keine hinreichenden tatsĂ€chlichen Anhaltspunkte fĂŒr eine Verfassungsfeindlichkeit.[61] Von erheblicher Bedeutung sind aber Verbindungen zu erwiesenen verfassungsfeindlichen Bestrebungen, die ĂŒber bloße Überschneidungen in der Mitgliedschaft hinausgehen und auch strukturelle Verbindungen beinhalten, wie z. B. personelle Überschneidungen auf der Vorstandsebene, die Herausgabe gemeinsamer ErklĂ€rungen oder eine grundsĂ€tzliche inhaltlich-programmatische und faktisch-konzeptionelle Anlehnung an die andere Organisation.[62]

Kontakte zu Personen und Organisationen, die kein Beobachtungsobjekte des Verfassungsschutzes sind, spielen im Rahmen der rechtlichen PrĂŒfung keine Rolle.

4. Hinreichende Gewichtung und Anzahl an Anhaltspunkten

FĂŒr eine Bearbeitung der AfD als Verdachtsfall mĂŒssen die verfassungsschutzrelevanten tatsĂ€chlichen Anhaltspunkte von hinreichendem Gewicht sein und in hinreichender Zahl vorliegen. Das hinreichende Maß darf dabei einerseits mit Blick auf die Parteienfreiheit aus Art. 21 Abs. 1 S. 1 und 2 GG bzw. die Vereinigungsfreiheit aus Art. 9 Abs. 1 GG und die Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG des betroffenen Personenzusammenschlusses und seiner Mitglieder nicht zu niedrig angesetzt werden. Andererseits sind aber auch die besonders hohe Wertigkeit des Rechtsgutes der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und die grundgesetzliche und gesetzgeberische Konzeption des Verfassungsschutzes als FrĂŒhwarnsystem zu berĂŒcksichtigen.

Daher können einzelne Anhaltspunkte auf verfassungsfeindliche Bestrebungen eine Bearbeitung als Verdachtsfell nicht rechtfertigen. Es dĂŒrfen also nicht bloß einzelne Entgleisungen von FunktionstrĂ€gern oder Mitgliedern vorliegen. Dass einzelne verfassungsschutzrelevante Tatsachen eine Beobachtung nicht rechtfertigen können, bedeutet aber nicht, dass eine quantitative Betrachtung anzustellen wĂ€re, also dass etwa die Zahl der verfassungsschutzrelevanten Tatsachen in ein VerhĂ€ltnis zu den nicht verfassungsschutzrelevanten Äußerungen zu setzen wĂ€re.[63] Die Beobachtung eines Personenzusammenschlusses kann auch dann gerechtfertigt sein, wenn nur fĂŒr einen Teilbereich seiner Zielsetzungen, Verlautbarungen und AktivitĂ€ten tatsĂ€chliche Anhaltspunkte vorliegen. Es genĂŒgt, dass der Personenzusammenschluss verdĂ€chtig ist, dass einer seiner maßgeblichen Zwecke sich gegen ein Element der freiheitlichen demokratischen Grundordnung richtet.

Dementsprechend kann einer Beobachtung auch nicht entgegengehalten werden, dass neben den verfassungsschutzrelevanten Tatsachen auch noch eine Vielzahl von Äußerungen vorliegen, die der freiheitlichen demokratischen Grundordnung neutral oder gar positiv gegenĂŒberstehen.

Insbesondere dĂŒrfen und mĂŒssen die Verfassungsschutzbehörden auch schon im Vorfeld einer polizeilich relevanten, konkreten Gefahr oder eines strafprozessualen Anfangsverdachts i. S. d. § 152 StPO tĂ€tig werden.[64] Aus § 4 Abs. 1 S. 3 BVerfSchG folgt auch, dass im Hinblick auf die verfassungsfeindliche Bestrebung keine feste Gewissheit notwendig ist. Vielmehr genĂŒgen auf Tatsachen gestĂŒtzte Anhaltspunkte, die bei vernĂŒnftiger Betrachtung einen Verdacht fĂŒr verfassungsfeindliche Bestrebungen begrĂŒnden und die deshalb eine weitere KlĂ€rung erforderlich erscheinen lassen.[65]

II. Rechtsfolgen

1. Einstufung als Beobachtungsobjekt

Wenn tatsĂ€chliche Anhaltspunkte von hinreichendem Gewicht und in hinreichender Zahl vorliegen, ist der Verfassungsschutz zur Beobachtung der verfassungsfeindlichen Bestrebung verpflichtet.[66] Folglich hat das Bundesamt fĂŒr Verfassungsschutz nach pflichtgemĂ€ĂŸem Ermessen unter BerĂŒcksichtigung des VerhĂ€ltnismĂ€ĂŸigkeitsgrundsatzes (§ 6 Abs. 5 BVerfSchG) zu entscheiden, mit welchen – insbesondere nachrichtendienstlichen – Mitteln bzw. mit welcher IntensitĂ€t es die Partei beobachtet.

2. PrĂŒffallbearbeitung

Sofern noch nicht hinreichend verdichtete tatsĂ€chliche Anhaltspunkte fĂŒr verfassungsfeindliche Bestrebungen vorliegen, liegt weiterhin eine PrĂŒffallbearbeitung vor, die unter Zugrundelegung des VerhĂ€ltnismĂ€ĂŸigkeitsgrundsatzes auf das zeitlich notwendige Maß zu beschrĂ€nken ist. Die PrĂŒfphase der VerdachtserhĂ€rtung dient dem Zweck, auf der Grundlage offen zugĂ€nglicher Informationen die Voraussetzungen fĂŒr die planmĂ€ĂŸige nachrichtendienstliche Beobachtung verifizieren zu können. Danach ist der PrĂŒffall in der Regel entweder durch Einstufung als Beobachtungsobjekt (Verdachtsfall bzw. erwiesen extremistische Bestrebung) oder durch Einstellung abzuschließen. Im begrĂŒndeten Einzelfall kann unter Beachtung des VerhĂ€ltnismĂ€ĂŸigkeitsgrundsatzes auch eine darĂŒber hinausgehende PrĂŒffallbearbeitung angezeigt sein.

D. Struktur und Entwicklung der Partei

I. Aufbau und Struktur der Partei

Im Folgenden werden Aufbau, Struktur und Gremien der Partei vorgestellt, wobei sich die AusfĂŒhrungen auf die relevantesten Organe beschrĂ€nken.

Die Alternative fĂŒr Deutschland gliedert sich gegenwĂ€rtig in einen Bundesverband und 16 LandesverbĂ€nde sowie eine Vielzahl von Bezirks-, Kreis- und StadtverbĂ€nde. In diesen Strukturen sind die ungefĂ€hr 32.000 Mitglieder der Partei organisiert.[67] Die LandesverbĂ€nde verfĂŒgen ĂŒber eine Satzungs-, Finanz- und Personalautonomie.

Die konkrete innere Verfasstheit der AfD ist in der Bundessatzung vom 29. November 2015 niedergelegt.[68] Dieser zufolge ist das oberste Organ der Partei der Bundesparteitag, der mindestens einmal jĂ€hrlich stattfindet. Einzuberufen ist er, wenn der Bundesvorstand dies beschließt, eine Mehrheitsentscheidung des Konvents oder mindestens sechs LandesvorstĂ€nde dies fordern. Er besteht aus 600 Delegierten der LandesverbĂ€nde und denjenigen Mitgliedern des Bundesvorstands, die nicht gewĂ€hlte Delegierte sind. Der Bundesparteitag ist befugt, jegliche Entscheidungskompetenz an sich zu ziehen und dem Bundesvorstand und dem Konvent Weisungen zu erteilen. DarĂŒber hinaus beschließt er ĂŒber das Parteiprogramm, die Bundessatzung, die Auflösung des Bundesverbandes und einzelner LandesverbĂ€nde sowie die Verschmelzung mit anderen Parteien.

Ein weiteres wichtiges Gremium ist der Bundeskonvent, der fĂŒr alle politischen und organisatorischen Fragen der AfD zustĂ€ndig ist. Er besteht aus 50 Vertretern und Vertreterinnen der LandesverbĂ€nde, dem Bundesschatzmeister und vier weiteren vom Bundesvorsand aus seiner Mitte zu wĂ€hlenden Mitgliedern. Vorsitzender der Mitglieder des Bundesvorstands im Konvent ist der Landtagsabgeordnete, Bundesschatzmeister und Mitarbeiter von Martin Hebner (MdB), Carsten HĂŒtter (SN), sein Stellvertreter ist der Beisitzer im Bundesvorstand Jochen Haug (MdB). Die Vertreter der LandesverbĂ€nde im Konvent werden von der Vorsitzenden Edeltraud Schwarz (BY) und ihrem Stellvertreter Peter Bohnhof (NW, Sprecher im Bezirksverband Arnsberg und im Kreisverband Dortmund) reprĂ€sentiert.[69]

Die operative Leitung der Partei obliegt dem Bundesvorstand. Er fĂŒhrt die GeschĂ€fte auf Grundlage der BeschlĂŒsse das Bundesparteitags und des Konvents. Ihm gehören zwei oder drei Bundessprecher bzw. Bundessprecherinnen, drei stellvertretende Bundessprecher bzw. stellvertretende Bundessprecherinnen, der Bundesschatzmeister und sein Stellvertreter bzw. seine Stellvertreterin, ein SchriftfĂŒhrer bzw. eine SchriftfĂŒhrerin sowie sechs weitere Mitglieder an.

Bundessprecher sind seit dem Bundesparteitag vom 30. November und 1. Dezember 2019 in Braunschweig (NI) Jörg Meuthen (MdEP) und Tino Chrupalla (MdB und Vorsitzender des Kreisverbands Görlitz). Ihre Stellvertreterinnen und Stellvertreter sind Alice Weidel (MdB, Co-Vorsitzende der AfD-Bundestagsfraktion, Vorsitzende im AfD-Landesverband Baden-WĂŒrttemberg und stellv. Vorsitzende im Kreisverband Bodenseekreis), Stephan Brandner (MdB) und Beatrix von Storch (MdB und stellv. Vorsitzende im AfD-Landesverband Berlin). Weiterhin gehören der Bundesschatzmeister Carsten HĂŒtter (MdL, SN) sowie der BundesschriftfĂŒhrer Joachim Kuhs (MdEP, Sprecher im Kreisverband Baden-Baden/Rastatt, BW) und Mitglied im Bundesvorstand der ChrAfD) und die Beisitzer Sylvia Limmer (MdEP), Jochen Haug (MdB), Stephan Protschka (MdB und Vorsitzender im Bezirksverband Niederbayern, BY), Alexander Wolf (MdHB und stellv. Sprecher im AfD-Landesverband Hamburg) und Joachim Paul (MdL, RP, Beisitzer im AfD-Landesverband Rheinland-Pfalz und 1. stell. Vorsitzender im Kreisverband Koblenz) dem Bundesvorstand an.[70] Der in Braunschweig ursprĂŒnglich gewĂ€hlte Bundesschatzmeister Klaus Fohrmann trat im Januar 2020 von seinem Amt zurĂŒck. Sein bisheriger Stellvertreter Carsten HĂŒtter (MdL, SN) wurde auf dem Bundesparteitag in Kalkar (NW) am 28. November 2020 zu seinem Nachfolger gewĂ€hlt. Neuer stellvertretender Bundesschaltmeister ist Christian Waldheim (SH). Weiterhin schied Andreas Kalbitz (MdL, BB, ehemaliger Vorsitzender im AfD-Landesverband Brandenburg und Landesobmann des „FlĂŒgel“ fĂŒr Brandenburg aufgrund der Annullierung seiner Parteimitgliedschaft aus dem Bundesvorsand aus. FĂŒr ihn wurde in Kalkar Joana Cotar (MdB) nachgewĂ€hlt.[71]

Die Parteischiedsgerichtsbarkeit wird auf Bundesebene vom Bundesschiedsgericht wahrgenommen. Dieses wird vom Bundesparteitag gewĂ€hlt und besteht aus neun Schiedsrichtern und Schiedsrichterinnen. In seine ZustĂ€ndigkeit fallen unter anderem AntrĂ€ge auf ÜberprĂŒfung von Entscheidungen der Landesschiedsgerichte und Anfechtungen von Wahlen auf Ebene der Bundespartei sowie Anfechtungen sonstiger BeschlĂŒsse von Organen das Bundesverbandes.[72] Derzeit ist Monica-Ines Oppel (BY) PrĂ€sidentin des Bundesschiedsgerichts der AfD, VizeprĂ€sident ist Ralf Bommermann (NW, Fraktionsvorsitzender der AfD-Kreistagsfraktion Mettmann und der AfD-Stadtratsfraktion Hilden).[73]

FĂŒr die inhaltlich-programmatische Arbeit der Partei zwischen den Parteitagen sind besonders zwei weitere Gremien verantwortlich: Zum einen die Bundesprogrammkommission, die VorschlĂ€ge fĂŒr Partei-, Wahl- und Fachprogramme zu politischen Schwerpunktthemen erarbeiten soll. Sie besteht aus zwei Mitgliedern das Bundesvorstands, einem Vertreter der LandesverbĂ€nde‚ einem Vertreter der BundesfachausschĂŒsse und je einem Vertreter der Bundestagsabgeordneten und der Europaabgeordneten der AfD. Vorsitzende sind Albrecht Glaser (MdB) und Ingo Hahn (MdL, BY).[74]

Zum anderen bestehen derzeit 13 BundesfachausschĂŒsse, die sich jeweils mit konkreten Politikfeldern beschĂ€ftigen. Innerhalb der einzelnen AusschĂŒsse werden jeweils ein Vorsitzender bzw. eine Vorsitzende und eine Vertretung gewĂ€hlt.[75]

Neben den erwÀhnten Parteiorganen und Gremien bestehen weiterhin unterschiedliche Vereinigungen und Gruppierungen innerhalb der Partei.

Eine herausragende Stellung nimmt in diesem Kontext die Jugendorganisation Junge Alternative fĂŒr Deutschland (JA) ein. Die bereits im Juni 2013 gegrĂŒndete JA ist seit dem AfD-Bundesparteitag in Hannover (NI) im November 2015 nach § 17a der Bundessatzung offizielle Jugendorganisation der AfD. Als eigenstĂ€ndiger Verein verfĂŒgt sie ĂŒber Satzungs-, Programm-, Finanz- und Personalautonomie. Die satzungsgemĂ€ĂŸen Rahmenbedingungen sind in § 17a der Bundessatzung der AfD fixiert. Die JA soll sowohl die Anliegen der Jugend innerhalb der Partei vertreten als auch das „Gedankengut der Partei in ihrem Wirkungskreis [
] verbreiten“.[76] Nach eigenen Angaben hat die JA derzeit ca. 1.600 Mitglieder, die in nur 15 LandesverbĂ€nden organisiert sind, nachdem der niedersĂ€chsische Landesverband im November 2018 aufgelöst worden war, laut Presseberichten aufgrund von VerstĂ¶ĂŸen gegen die Bundessatzung und die freiheitliche demokratische Grundordnung.[77]

Dem Bundesvorstand der JA gehören seit Februar 2019 der Vorsitzende Damian Lohr (MdL, RP und Beisitzer im AfD-Landesverband Rheinland-Pfalz)[78] die stellvertretenden Vorsitzenden Dominic Fiedler (NW), Mary Khan-Hohloch (HE, außerdem Besitzerin im Landesvorstand der JA Hessen, kooptiert), Jan Hornuf (BB), Tomasz Froelich (HH), Felix Koschkar (ST) als Bundesschatzmeister, Manuel Wurm (HE) als dessen Stellvertreter, der BundesschriftfĂŒhrer und Vorsitzende der JA Bayern Sven Kachelmann (BY) sowie Lydia von Wangenheim (BY), Vadim Derksen (BE, Vorsitzender der JA Berlin und Vorstandsmitglied der VAdM) und Christopher Lehmann (ST, stellv. Vorsitzender der JA Sachsen-Anhalt) als Beisitzer an.[79] Die JA wird vom BfV seit Januar 2018 als rechtsextremistischer Verdachtsall bearbeitet.

Über die JA hinaus können nach § 17 der Bundessatzung weitere Vereinigungen innerhalb der Partei anerkannt werden, welche die Interessen der von ihnen reprĂ€sentierten Gruppen in der Politik der Partei vertreten. Die Anerkennung erfolgt auf Beschluss des Bundeskonvents.[80]

II. Parteiinterne Gruppierungen und PersonenzusammenschlĂŒsse in der AfD

1. Organisationsformen

Innerhalb der AfD existieren verschiedene solcher formellen wie informellen parteiinternen Gruppierungen, die als eigenstĂ€ndige Vereine oder lediglich als lose PersonenzusammenschlĂŒsse mit geringerem Organisationsgrad bestehen. Bei den meisten Gruppierungen ist nicht bekannt, ob es sich bei ihnen um solche i.S.d. § 17 Bundessatzung handelt. Formale Voraussetzung fĂŒr die Genehmigung durch den Bundeskonvent ist das Vorlegen einer Satzung. Weiterhin darf das gemeinsame Merkmal der Mitglieder, welches die Vereinigung definiert, auf Bundessatzung nicht im Zusammenhang mit der Abstammung, NationalitĂ€t, sexuellen Orientierung oder dem Geschlecht stehen.

Eine Darstellung der wichtigsten innerparteilichen Gruppierungen ist fĂŒr die Beurteilung der Gesamtpartei dahingehend relevant, als anhand von ihnen bestimmte Interessengruppen, Themenschwerpunkte und inhaltliche Positionierungen aufgezeigt werden können und damit eine genauere Binnenbetrachtung der Gesamtpartei möglich wird. Im Folgenden sollen daher die wichtigsten von ihnen kurz vorgestellt werden, konkret Christen in der AfD, Juden in der AfD, Alternative Mitte sowie die von der AfD als parteinahe Einrichtung anerkannte Desiderius-Erasmus-Stiftung.

2. Christen in der AfD

Die Bundesvereinigung Christen in der Alternative fĂŒr Deutschland (ChrAfD) hat sich am 10. Oktober 2013 in Darmstadt (HE) als parteinahe Organisation gegrĂŒndet.[81] Sie ist aus dem Zusammenschluss des im Sommer 2013 gegrĂŒndeten Arbeitskreises Christen in der AfD und dem aus Baden-WĂŒrttemberg stammenden Pforzheimer Kreis hervorgegangen.[82] Der Verein verfĂŒgt gegenwĂ€rtig ĂŒber sechs RegionalverbĂ€nde.[83]

Bundesvorsitzende sind der Europaabgeordnete Joachim Kuhs (BW), Vertreter der evangelischen und freikirchlichen Mitglieder, und der Bundestagsabgeordnete und UnterstĂŒtzer des „FlĂŒgel“ Ulrich Oehme, Vertreter der katholischen und orthodoxen Mitglieder. Weiterhin besteht der Bundesvorstand aus insgesamt zehn Personen, darunter die beiden stellvertretenden Vorsitzenden Michael Adam (BE) und der Bundestagsabgeordnete und kirchenpolitische Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion sowie beratender Vorstand im Kreisverband Göppingen, Volker MĂŒnz.

Die Entwicklung der Bundesvereinigung der Christen in der AfD wurde bereits seit ihrer GrĂŒndung von fĂŒhrenden Bundespolitikern unterstĂŒtzt, z. B. durch Bernd Lucke und Frauke Petry (MdB). Weiterhin ist die Bundestagsabgeordnete und stellvertretende Bundessprecherin Beatrix von Storch (MdB) GrĂŒndungsmitglied der ChrAfD. Neben ihr gehört mit Joachim Kuhs (MdEP) außerdem einer der beiden ChrAfD-Vorsitzenden dem AfD-Bundesvorstand an. Neben einigen Landtagsabgeordneten sind mit Beatrix von Storch, Volker MĂŒnz, Waldemar Herdt und Ulrich Oehme also vier Bundestagsabgeordnete Mitglied bei ChrAfD.[84] Diese Beispiele verdeutlichen die starke ReprĂ€sentanz und gute Vernetzung von ChrAfD innerhalb der Partei und den unterschiedlichen Fraktionen.

Ziel der Vereinigung ist das Einbringen der nach ihrem VerstĂ€ndnis christlichen Werte in die programmatische Arbeit der AfD. Die Voraussetzungen fĂŒr eine Mitgliedschaft in der Vereinigung liegen in einer AfD-Parteimitgliedschaft, einem Bekenntnis zum christlichen bzw. apostolischen Glauben sowie der Unterzeichnung der GrundsatzerklĂ€rung der Christen in der AfD. Derzeit gehören der Vereinigung nach eigenen Angaben ĂŒber 300 Mitglieder an (Stand 1. Januar 2020), von denen ca. 35 % der katholischen oder orthodoxen und ca. 65 % der evangelischen oder einer freikirchlichen Konfession zuzurechnen sind.[85] Am 2. Mai 2020 wurde im Rahmen einer Klausurtagung des Vorstands folgender Leitsatz der Bundesvereinigung formuliert:

„Die ChrAfD ist ein wesentlicher Bestandteil der AfD, der die Bedeutung der christlichen Wurzeln fĂŒr ein Leben in Freiheit und Wohlstand betont und damit die politischen Ziele der AfD prĂ€gt. Sie setzt sich auf den Ebenen fĂŒr einen fairen und wĂŒrdigen politischen Diskurs ein.“[86]

Die GrundsatzerklĂ€rung der Vereinigung spiegelt christlich-konservative Werte wider, die u. a. diverse ethische Grundsatzfragen im Zusammenhang mit politischen Entscheidungen betreffen.[87] Ein Schwerpunkt liegt dabei auf dem Postulat, die Zahl der in Deutschland durchgefĂŒhrten Abreibungen zu verringern. Des Weiteren tritt die ChrAfD fĂŒr die Wahrung von traditionellen Familienbildern und klassischen Geschlechterrollen ein. Dabei geht es ihr um eine konservative Definition der Ehe als Bund zwischen Mann und Frau und der Familie als Zusammenschluss von Vater, Mutter und Kind(ern). Die gleichgeschlechtliche Ehe wird entsprechend abgelehnt. Die Christen in der AfD plĂ€dieren fĂŒr die Schaffung von Rahmenbedingungen, die es Eltern in den drei ersten Lebensjahren ihres Kindes ermöglichen sollen, dessen Erziehung frei von den ökonomischen ZwĂ€ngen einer ErwerbstĂ€tigkeit selbst zu ĂŒbernehmen, und wenden sich gegen die EinfĂŒhrung einer „staatlich gelenkte[n] Kindererziehung“. Einen weiteren Schwerpunkt der ErklĂ€rung stellt das Thema Islam dar. Die ChrAfD fordert, die – vermeintliche und tatsĂ€chliche – UnterdrĂŒckung christlicher Minderheiten in islamischen LĂ€ndern bei der perspektivischen Bewertung des Islam in Deutschland einzubeziehen, sollte dieser seinen Einfluss maßgeblich ausweiten. DiesbezĂŒglich mĂŒsse eine vorurteilslose Diskussion ohne „Denk- und Sprechverbote“ möglich sein. Die Gemeinsamkeiten zwischen Christentum und Islam wĂŒrden generell in Deutschland ĂŒberschĂ€tzt.

In anderen Verlautbarungen betont die ChrAfD deutlicher eine angebliche InkompatibilitĂ€t des Islam mit einer christlich geprĂ€gten Gesellschaft und beschreibt diesen z.T. als expansive ideologische und politische Bedrohung fĂŒr Deutschland und Europa. Eine Differenzierung zwischen Islam und Islamismus wird dabei nicht durchgehend vorgenommen. So wurde z. B. auf der Facebook-Seite der ChrAfD nach dem islamistischen Attentat in Wien am 2. November 2020 ein Beitrag der AfD NRW geteilt und mit dem folgenden Zitat kommentiert:

„‚Islamismus‘ ist ein westlicher Kunstbegriff um, politisch korrekt, das Problem nicht beim Namen nennen zu mĂŒssen. Das Problem ist nĂ€mlich auch nicht der ‚Alkoholismus‘- sondern der Alkohol. (TJ Urogallus)“.[88]

Der Bundestagsabgeordnete und erste Sprecher des ChrAfd-Regionalverbandes Nord, Waldemar Herdt, Ă€ußerte sich diesbezĂŒglich im Rahmen eines Presseartikels folgendermaßen:

„Der Islam ist gar keine Religion, das ist eine Ideologie. Das mĂŒssen Sie mal lesen, da kommen Sie auch selbst drauf. Weil Islam ist eigentlich feindlich eingestellt gegen alle andere Religionen. Wie können wir eine Ideologie schĂŒtzen, die andere Religionen verachtet und bei der Mehrheit auch vernichtet.[89]

Die Bundesvereinigung, die RegionalverbĂ€nde und auch einzelne Vertreterinnen und Vertreter der Christen in der AfD sind in den Sozialen Medien aktiv. Besonders ist hierbei der Facebook-Account der Bundesvereinigung mit derzeit ca. 5.700 Likes und gut 6.000 Abonnenten zu erwĂ€hnen. Neben den offiziellen Accounts der Bundesvereinigung sind Volker MĂŒnz (MdB), Waldemar Herdt (MdB) und insbesondere Klaus Sydow (HE), ebenfalls Mitglied des Bundesvorstands sowie Schatzmeister im Kreisverband Lahn-Dill (HE), auf ihren eigenen Sozialen-Netzwerk-KanĂ€len sehr aktiv und Ă€ußern sich regelmĂ€ĂŸig zu den Themenschwerpunkten der ChrAfD.

Anfangs ließen sich BezĂŒge zwischen ChrAfD und dem „FlĂŒgel“ finden. Als Beispiel hierfĂŒr kann die im Jahr 2018 stattgefundene Tagung „AfD und Amtskirchen – gemeinsam fĂŒr ein christliches Abendland“ des Regionalverbandes Nord-Ost der ChrAfD dienen, die gemeinsam mit der AfD-Landtagsfraktion in Brandenburg organisiert wurde. Der damalige Vorsitzende der AfD-Landtagsfraktion, Andreas Kalbitz (MdL, BB), gleichzeitig neben Björn Höcke (MdL, TH‚ Sprecher AfD-Landesverband ThĂŒringen, Vorsitzender im Kreisverband Nordhausen-Eichsfeld-MĂŒhlhausen und FĂŒhrungsfigur des „FlĂŒgel“) die zentrale FĂŒhrungsfigur des „FlĂŒgel“, hob in seiner Eröffnungsrede in Bezug auf die „abendlĂ€ndische IdentitĂ€t“ die christlichen Wurzeln „des kulturellen Erbes Brandenburgs“ hervor. In dem Zusammenhang sprach Kalbitz von einem „Kulturkampf gegen die Islamisierung“.[90] Sowohl der Beitrag von Kalbitz als auch die im Rahmen der Veranstaltung verabschiedete „Potsdamer ErklĂ€rung fĂŒr Christen in der AfD Nordost“ verdeutlichen die AnschlussfĂ€higkeit der inhaltlichen Positionen der ChrAfD an die des inzwischen formal aufgelösten „FlĂŒgel“.[91] Im Rahmen des JahresrĂŒckblicks 2019 berichten die Bundessprecher allerdings ĂŒber einen Entschluss der ChrAfD, zu „FlĂŒgel“ und internen AfD-Angelegenheiten keine Stellungnahmen abzugeben. Die Vereinigung hat sich demnach explizit dazu entschlossen, von einer parteiinternen Positionierung abzusehen.[92]

Abschießend lĂ€sst sich feststellen, dass sich Themen der Gesamtpartei, die in der Öffentlichkeit intensiv und kontrovers diskutiert werden, auch in den Verlautbarungen der ChrAfD wiederfinden und gesellschaftsfĂ€hig gemacht werden sollen. Vor diesem Hintergrund warnt die Vereinigung regelmĂ€ĂŸig vor einer vermeintlichen Islamisierung – nicht zuletzt infolge der Migration – als Bedrohung christlicher Werte und damit der „abendlĂ€ndischen IdentitĂ€t“ insgesamt.

Die skizzierte Vernetzung der ChrAfD verdeutlicht deren vielseitige und stabile Einbettung in die Gesamtpartei.

3. Juden in der AfD

Der in Berlin eingetragene Verein Juden in der Alternative fĂŒr Deutschland (JAfD) wurde am 7. Oktober 2018 von insgesamt 24 AfD-Mitgliedern in Wiesbaden (HE) gegrĂŒndet. Nach eigener Darstellung der Gruppierung blieb die Mitgliederzahl bei einigen Aus- und Neueintritten im ersten Jahr in der Summe konstant bei 24 Personen.[93] Rund ein Drittel der Mitglieder stammt nach Angaben der JAfD aus der ehemaligen Sowjetunion.[94] Bei der Mitgliedschaft wird zwischen Mitgliedern und Fördermitgliedern unterschieden. Der InternetprĂ€senz der JAfD ist zu entnehmen, dass „ein Anrecht auf Mitgliedschaft“ eine „Zugehörigkeit zum Judentum“ und „eine Mitgliedschaft in der AfD“ voraussetzt.[95] WĂ€hrend der grĂ¶ĂŸte Teil der Fördermitgliedschaften auf nichtjĂŒdische AfD-Mitglieder zurĂŒckgeht, sind auch Juden unter den Fördermitgliedern, die nicht Mitglied der AfD sind.[96]

Der Vorstand unter dem Vorsitz von Vera Kosova (BW) besteht aus insgesamt sieben Personen. Stellvertretender sind Wolfgang Fuhl (BW, Sprecher im Kreisverband Lörrach) und Artur Abramovych (BY, Schatzmeister der JA Bayern).

Vera Kosova charakterisierte den Verein in einem Interview folgendermaßen:

„Wir sind ein politischer Verein, parteinah, aber unabhĂ€ngig. Die Fokussierung auf eine Gruppe wie die Juden hilft, die Partei weiter zu professionalisieren. Wir erarbeiten judenspezifische Themen, gewinnen dabei Expertise und werden zu Ansprechpartnern bei entsprechenden Fragen.“[97]

Der Verein hat in seiner GrundsatzerklĂ€rung[98] zwei Argumente definiert, welche in der Notwendigkeit der GrĂŒndung einer Interessenvertretung von Juden in der AfD mĂŒndeten.

Zum einen wird eine „unkontrollierte Masseneinwanderung junger MĂ€nner aus dem islamischen Kulturkreis“[99] genannt, wodurch es zu einem „starken Anstieg des muslimischen Bevölkerungsanteils“ mit einer „antisemitischen Sozialisation“ komme. Zum anderen gehe die Erosion der kulturellen IdentitĂ€t einher mit der „Zerstörung der traditionellen, monogamen Familie“ durch „Gender-Mainstreaming und FrĂŒhsexualisierung“[99]

Mit dem Ziel, den genannten Entwicklungen entgegenzuwirken, versteht sich der Verein laut dem stellvertretenden Vorsitzenden Wollgang Fuhl (BW), der ehemals dem Direktorium des Zentralrats der Juden in Deutschland angehörte, als eine „von staatlichen Geldern unabhĂ€ngige Interessenvertretung von Juden“[100]

Die GrundsalzerklĂ€rung fußt auf insgesamt vier zusammenhĂ€ngenden SĂ€ulen.[101] Zum einen wird im vermeintlichen Sinne eines jĂŒdischen Lebens in Deutschland ein islamfeindliches Bild skizziert und der mit einer unbegrenzten Einwanderung angeblich einhergehende islamische Antisemitismus als primĂ€re Gefahr jĂŒdischen Lebens in Deutschland dargestellt. Ähnlich wie in der GrundsatzerklĂ€rung der ChrAfD wird der Islam als Ideologie und nicht als Religion charakterisiert. Teil dieses politischen Islam sei auch immer eine antisemitische Sozialisation. In der GrundsatzerklĂ€rung hieß es dazu:

„Zugleich sind wir davon ĂŒberzeugt, dass die AfD die einzige Partei der Bundesrepublik ist, die sowohl eine redliche Ideologiekritik beitreibt, welche die Unvereinbarkeit islamischer Dogmata mit dem Grundgesetz nicht zu verschleiern versucht, als auch in diesem Rahmen muslimischen Judenhass thematisiert, ohne diesen zu verharmlosen, zumal er unstrittig und untrennbar schon mit der Entstehung das Islam verbunden ist.“[102]

Zum VerhĂ€ltnis zwischen Tradition und Zukunft Ă€ußerte die JAfD in ihrer GrundsatzerklĂ€rung:

„Wir glauben, als Juden nur dann eine Zukunft in Deutschland zu haben, wenn eine Wiedererweckung dieses geschichtsvergessenen und seinen eigenen Traditionen entfremdeten Abendlands gelingt, und setzen uns daher fĂŒr dieses Gelingen ein.[103]

In einem weiteren Punkt der GrundsatzerklĂ€rung strebt die JAfD im Einklang mit den Zielen der Gesamtpartei an, der „sukzessive durch Gender-Mainstreaming und FrĂŒhsexualisierung betriebenen Zerstörung der traditionellen, monogamen Familie“ entgegenzuwirken. Dieser Aspekt ist – Ă€hnlich wie die Islamkritik – nahezu identisch mit der programmatischen Ausrichtung der Christen in der AfD.[104]

Stellvertretend fĂŒr die Vereinigung Ă€ußert sich die Vorsitzende Vera Kosova (BW) regelmĂ€ĂŸig gegenĂŒber den Medien zu diversen VorwĂŒrfen gegen die AfD, u. a. auch zum Antisemitismus. Sie konzedierte, im Hinblick auf Antisemitismus gebe es „problematische Personen“ in der AfD, doch erfolge eine „kritische Auseinandersetzung“ mit diesen Personen in der Partei.[105] Die JAfD-Vorsitzende bemĂŒht sich in Stellungnahmen gegenĂŒber der Presse – auch taktisch bedingt zur Entlastung der Partei – um eine stĂ€rkere Differenzierung bei den Themenfeldern Antisemitismus und Islamfeindlichkeit, als dies bei Verlautbarungen der JAfD selbst zu erkennen ist, die als Gruppierung eine schroffe Dichotomie zwischen Islam und westlicher Gesellschaft postuliert.

In den Sozialen Medien ist die JAfD zweifach vertreten. Bei Facebook weist der am 4. Oktober 2018 eröffnete Account[106] der Vereinigung ca. 12.000 Likes auf, 12.700 Personen haben diese Seite abonniert. Vonseiten der Administratoren werden mehrmals wöchentlich eigene BeitrĂ€ge erstellt und BeitrĂ€ge geteilt. Einzelne BeitrĂ€ge weisen bis zu 500 Reaktionen (Likes oder Ă€hnliches) auf und die Anzahl der Kommentare reicht in EinzelfĂ€llen bis in den niedrigen dreistelligen Bereich. Demnach hat der Account im VerhĂ€ltnis zu der personell eher kleinen Vereinigung eine große Reichweite. Auf Twitter ist die JAfD seit Dezember 2018 vertreten.[107] Derzeit verzeichnet der Account knapp 2.800 Follower. Ähnlich dem Facebook-Account werden auf Twitter mehrere BeitrĂ€ge pro Woche veröffentlicht. Die Resonanz der eigenen BeitrĂ€ge liegt ĂŒberwiegend im niedrigen zweistelligen Bereich (Likes, Kommentare, Retweets). Die Reichweite ist also geringer als auf Facebook.

Die Positionen der JAfD – Islamkritik, Erhalt der kulturellen IdentitĂ€t und konservativer Wertemuster – stehen im ĂŒberwiegenden Einklang mit der programmatischen Ausrichtung der Gesamtpartei AfD, die sich dadurch als legitimierte und authentische Vertreterin jĂŒdischer Interessen stilisieren kann, wie dies im Falle der ChrAfD in Bezug auf vermeintlich christliche Werte erfolge. Nur bei den Themen SchĂ€chtung[108] und Beschneidungsverbot[109] besehen deutliche Divergenzen zwischen JAfD und AfD-Programmatik.

Die GrĂŒndung der JAfD wurde in der AD ĂŒberwiegend positiv aufgenommen. Dabei wurde teilweise explizit der Standpunkt vertreten, die GrĂŒndung einer parteinahen jĂŒdischen Vereinigung entkrĂ€fte vollstĂ€ndig den Vorwurf das Antisemitismus in der AfD. GrundsĂ€tzlich streitet die JAfD das Vorhandensein von Antisemitismus in der AfD nicht gĂ€nzlich ab, versucht jedoch, diesen zu relativieren. Die GrundsatzerklĂ€rung hĂ€lt diesbezĂŒglich Folgendes fest:

„Wir unterstĂŒtzen die Anstrengungen der Bundes- und LandesvorstĂ€nde der AfD, sich von den in der Partei anzutreffenden RestbestĂ€nden des rechen Antisemitismus zu trennen, sind dabei aber davon ĂŒberzeugt, dass das Gewicht fraglicher Personen in der medialen Berichterstattung zum Zwecke der Diffamierung der gesamten Partei maßlos ĂŒberschĂ€tzt wird.“[100]

Der ChrAfD-Vorsitzende Joachim Kuhs (MdEP) sprach in Bezug auf die GrĂŒndung der JAfD von einem „GlĂŒcksfall“ fĂŒr die AfD, da man mit der neuen Vereinigung den anderen Parteien das „Spielzeug der Nazikeule“ wegnehme.[111]

Auch wenn Vertreterinnen und Vertreter der JAfD eine taktische Instrumentalisierung ihrer Gruppierung durch die AfD mit dem Hinweis verneinen, die GrĂŒndung sei nicht auf Initiative des Bundesvorstands, sondern basismotiviert erfolgt, soll die JAfD objektiv als öffentlich wahrnehmbar Entlastungsfaktor in der Debatte um Extremismus und Antisemitismus in der AfD wirken.[112]

Kritik an der GrĂŒndung der JAfD kam von den inzwischen aus der Partei ausgeschlossenen AfD-Mitgliedern und baden-wĂŒrttembergischen Landtagsabgeordneten Wolfgang Gedeon und Stefan RĂ€pple (MdL, BW und UnterstĂŒtzer das „FlĂŒgel“). Sie lehnen „die Durchsetzung israelischer Interessen auf deutschem Boden“ ab, da eine „zionistische Lobbyorganisation“ den „Interessen Deutschlands und der Deutschen zuwiderlĂ€uft.“[113]

Bezeichnend fĂŒr die – ungeachtet der gesellschaftspolitisch sehr konservativen Grundausrichtung – eher lagerneutralen Verortung der JAfD in der Gesamtpartei ist die Reaktion der Vorsitzenden Vera Kosova (BW) auf Äußerungen von Björn Höcke (MdL, TH) vom 8. MĂ€rz 2020, als dieser auf einem „FlĂŒgel“-Treffen fordere, innerparteiliche Gegner mĂŒssten „ausgeschwitzt“ werden. In der Kontroverse ĂŒber diese Wortwahl nahm Kosova Höcke – nicht zuletzt vor dem Hintergrund einer aus ihrer Sicht generell diffamierenden Medienberichterstattung ĂŒber die AfD – in Schutz und sprach in einem Facebook-Beitrag von einem „gĂ€ngigen Ausdruck“, der nicht reflexhaft mit dem Nationalsozialismus in Verbindung zu bringen sei. Gleichzeitig kritisierte die JAfD-Vorsitzende aber Höcke fĂŒr die SchĂ€rfe seiner Angriffe auf parteiinterne Konkurrenten, die die von ihm stĂ€ndig beschworene Einheit der AfD nicht stĂ€rkten, sonder gefĂ€hrdeten.[114] Wörtlich Ă€ußert Kosova auf der Facebook-Seile der JAfD:

„Dass dieser Angriff mit einem Verweis auf die Notwendigkeit von ‚Einheit‘ verbunden war, zeigt deutlich auf, dass sich Höcke auf das Niveau jener Linken begibt, die ‚menschenverachtende‘ Menschen verachten.“[115]

Trotz ihrer Medienresonanz dĂŒrft die JAfD angesichts einer geringen Mitgliederzahl und der – im Vergleich mit der ChrAfD – fehlenden personellen Vertretung auf Bundesebene im innerparteilichen Diskurs ĂŒber keine relevanten Einflussmöglichkeiten verfĂŒgen.

4. Alternative Mitte

Die Alternative Mitte (AM) ist bzw. war ein loser Personenzusammenschluss der bĂŒrgerlich-konservativen KrĂ€fte innerhalb der AfD, der sich in innerparteilichen Auseinandersetzungen als Gegengewicht zum „FlĂŒgel“ sah. Im Juli 2017 grĂŒndete der damalige Vorsitzende das Bundeskonvents Berengar Elsner von Gronow (MdB und Sprecher im Kreisverband Soest) in Nordrhein-Westfalen die Alternative Mitte NRW mit der Intention, einen Ausgleich zu der zunehmenden Dominanz des „FlĂŒgel“ zu schaffen. Aus seiner Sicht wurde die Bildung dieser Interessengruppe notwendig, um „Endlich auch den GemĂ€ĂŸigten, den BĂŒrgerlichen eine wahrnehmbare und konzertierte Stimme zu geben.“[116]

Nahezu zeitgleich formierte Dirk Driesang, damals Mitglied das Bundesvorstands der AfD, die „Interessengemeinschaft Alternative Mitte“ in Bayern. Auch Driesang, der sich zuvor bereits deutlich gegen Björn Höcke und den „FlĂŒgel“ positioniert hatte, bezweckte die Schaffung eines Gegengewichts zum „FlĂŒgel“ mit dem Ziel, dass die AfD „befriedend wirken“ solle.[117] In dem Sinne wollte er „die Vernetzung der bĂŒrgerlich-konservativen KrĂ€fte in der AfD intensivieren.[118]

Bis ins FrĂŒhjahr 2018 folgen die GrĂŒndungen der LandesverbĂ€nde Sachsen-Anhalt, Hessen, Niedersachsen, ThĂŒringen, Baden-WĂŒrttemberg, Brandenburg, Sachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein. Die GrĂŒndung einer „Bundesarbeitsgruppe“ der Alternative Mitte durch die bestehenden Landesgruppen erfolgte am 3. Oktober 2017 in Tettau (BY).[119]

Nach eigenen Angaben der AM gegenĂŒber der ZEIT im FrĂŒhlahr 2018 verzeichnete die Gruppierung ungefĂ€hr 3.000 Mitglieder und vereinte somit rund ein Zehntel der gesamten Mitgliedschaft im gemĂ€ĂŸigten Spektrum.[120]

Der Charakter eines losen Personenzusammenschlusses verdeutlichte sich im nur rudimentĂ€ren Organisationsgrad. Auf der eigenen Website wurde die Alternative Mitte folgendermaßen beschrieben:

„Die Alternative Mitte (AM) ist eine Interessengemeinschaft, in der sich Mitglieder der Partei Alternative fĂŒr Deutschland (AfD) freiwillig und völlig unverbindlich zusammengefunden haben. Es gibt sie in vielen BundeslĂ€ndern. Jede Landesgruppe ist fĂŒr sich unabhĂ€ngig und hat einen oder mehrere Sprecher.[121]

Auf der Bundesebene machte die AM durch die Veröffentlichung eines offenen Briefs im Oktober 2017 im Hinblick auf den anstehenden Bundesparteitag von sich reden.[122] Darin spiegelte sich die grundsĂ€tzliche Zielrichtung der AM wider, einen Gegenpol zum „FlĂŒgel“ zu bilden. Mit einem eindeutigen Aufruf warnten die Sprecher der Bundes-AM vor einer weiteren Verschiebung der Partei in eine völkisch-nationalistische Richtung und damit an den „Rand der Verfassungstreue“:

„WĂ€hlen Sie als Delegiere auf dem Bundesparteitag nur Bewerber in den Bundesvorstand, die unverrĂŒckbar zu unserem Grundsatzprogramm stehen! WĂ€hlen Sie nicht die, denen dieses Programm nicht weit genug geht. WĂ€hlen Sie nicht die, die Themen auf die politische Tagesordnung setzen, die nicht in diesem Programm stehen und geeignet sind, um die AfD an den Rand der Verfassungstreue zu bringen.[123]

Im MĂ€rz 2019 wurde Aufgabendefinition und Struktur der Bundesarbeitsgruppe reformiert und der Fokus noch stĂ€rker auf die Landesgruppen verlagert. Dazu hieß es in einer Pressemitteilung der AM:

„Die FĂŒhrung der Bundes-AM wird nicht mehr durch Sprecher dargestellt. Bewusst entschieden sich die LĂ€ndervertreter zur Einsetzung einer Bundesarbeitsgruppe, in der 7 Arbeitsfelder definiert und personell untersetzt sind. Die Abkehr von Bundessprechern wurde bewusst gewĂ€hlt, um dem Initiativcharakter der AM auf Bundesebene Rechnung zu fragen und ein deutliches Signal nach innen zu senden. Nicht Partei in der Partei wolle man sein, sondern aktiver Bestandteil der Alternative fĂŒr Deutschland in maximal loser Form, so die Aussage der Mitglieder der Bundesarbeitsgruppe.[124]

Nach Ausweitung des parteiinternen Einflusspotenzials durch den „FlĂŒgel“ im Laufe des Jahres 2019 kam es am Jahresende zur Auflösung der meisten AM-LandesverbĂ€nde, die dies allerdings stark unterschiedlich begrĂŒndeten. So erfolgte im November 2019 die Auflösung der AM NRW mit dem Hinweis, nach langem Richtungsstreit im Landesverband habe sich mit RĂŒdiger Lucassen (MdB, Landessprecher im AfD-Landesverband Nordrhein-Westfalen und stellv. Sprecher im Kreisverband Euskirchen) der Wunschkandidat der moderateren Strömung durchgesetzt, weshalb das AM-Ziel einer MĂ€ĂŸigung des Landesvorstands als erfĂŒllt anzusehen sei.[125]

Der AfD-Bundesparteitag am 30. November und 1. Dezember 2019 war schließlich der Auslöser fĂŒr die faktische öffentliche Auflösung der AM auf Bundesebene. Diese hatte im Vorfeld des Parteitags noch in einem eindringlichen Appell versucht, die Delegierten des Bundesparteitags zur Wahl ihrer eigenen AnhĂ€nger zu bewegen.[126] Dass dieser Appell keine Resonanz fand, stellte die Alternative Mitte am 5. Dezember 2019 in einer Pressemitteilung fest:

„Mit Bedauern nehmen wir zur Kenntnis, dass viele prominente Kandidaten und gestandene FunktionĂ€re, die sich immer entschlossen fĂŒr einen bĂŒrgerlichen Weg der Partei einsetzten, nicht wiedergewĂ€hlt wurden. Es waren vor allem jene Kandidaten wie Georg Pazderski und Uwe Junge, die sich im Vorfeld gegen einen Personenkult um Björn Höcke ausgesprochen hatten. Eine völlig berechtigte Kritik, wie sie zuvor bereits an Bernd Lucke und Frauke Petry geĂŒbt wurde, seinerzeit ĂŒbrigens such von Vertretern des „FlĂŒgels“. Björn Höcke zeigt sich darĂŒber erfreut, indem er ĂŒber diese Personen herabwĂŒrdigend als „Feindzeugen“ spricht. Gleichzeitig wĂ€hlten ĂŒber 300 Delegierte mit Andreas Kalbitz eine zentrale FlĂŒgelfigur, obwohl in den letzten Monaten immer mehr Details bekannt wurden, die eindeutig Kalbitz‘ rechtsextreme Vita belegten. Die Wahl von Kalbitz erfolgte dennoch, obwohl ein gestandener, unbelasteter und bĂŒrgerlicher Gegenkandidat zur Wahl stand. Die Außenwirkung dieser Entscheidung ist verheerend.“[127]

Neben den getroffenen Personalentscheidungen kritisierte die AM zudem allgemein die zentrale Rolle, die „Der FlĂŒgel“ inzwischen in der AfD spiele:

„Heute scheint der FlĂŒgel indes gefestigt wie nie. Die Dominanz, die er einst einem Bernd Lucke und einer Frauke Petry vorwarf, strebt er mit Höcke und Kalbitz als Galionsfiguren, nun selbst an, ohne ĂŒber seine Rolle und Funktion in der Partei eine sinnvolle Antwort zu geben und ohne dazu legitimiert zu sein.“

Zum Abschluss kommt die AM zu einer fast fatalistischen Zukunftsprognose:

„Auch wenn einzelne Mitglieder des Bundesvorstands eine kritische Sicht auf den FlĂŒgel haben, sehen wir nur geringe Chancen, dass diese Sicht ab jetzt zur Geltung kommt. Eine Partei die der ‚Feindzeugen-Theorie‘ von Björn Höcke folgt und innerparteiliche Kritik als feindlichen Akt diffamiert, wird keine Zukunft haben.“

Zwar wird in der ErklÀrung nicht explizit die Auflösung der AM auf Bundesebene bekundet, allerdings kann sie zumindest im Nachhinein als solche gewertet werden, stellte sie doch den letzten Beitrag dar, der auf der Facebook-Seite der Gruppierung veröffentlicht wurde.

Dass die Ereignisse beim Bundesparteitag in Braunschweig (NI) innerhalb der AM diametral unterschiedlich bewertet wurden, zeigt ein Beitrag der AM Baden-WĂŒrttemberg, der ebenfalls am 6. Dezember 2019 auf Facebook veröffentlicht wurde:

„Inzwischen sind durch klare, unmissverstĂ€ndliche Positionierungen der ParteifĂŒhrung sowie durch operative AktivitĂ€ten wie beispielsweise dem Arbeitskreis Verfassungsschutz deutliche rote Linien gezogen worden. Unsere Schiedsgerichte arbeiten ordentlich und ahnden parteischĂ€digendes Verhallen angemessen. Der neue Bundesvorstand hat sich entschieden gegen Extremisten und Spalter geĂ€ußert und wird ein Garant fĂŒr das AufblĂŒhen der AfD sein. Die Alternative Mitte Baden-WĂŒrttemberg hat ihr Ziel erreicht. Wir haben dazu beigetragen, dass die AfD Kurs hĂ€lt und fĂŒr bĂŒrgerliche Mitglieder, Interessenten und WĂ€hler ein attraktives politisches Angebot darstellt. Die Alternative fĂŒr Deutschland ist auf dem besten Weg, sich im Parteienspektrum als bĂŒrgerliche, freiheitlich-konservative Kraft zu etablieren. Die Alternative Mitte halten wir nunmehr fĂŒr obsolet, ebenso wie den FlĂŒgel. Deshalb wĂŒrden wir es begrĂŒĂŸen, wenn der FlĂŒgel sich in Baden-WĂŒrttemberg ebenfalls auflöst.[128]

Analog zur AM Nordrhein-Westfalen begrĂŒndete der baden-wĂŒrttembergische Verband seine Auflösung nicht mit eigenem Scheitern wie die Bundesarbeitsgruppe, sondern mit der erfolgreichen Umsetzung seiner Ziele, wobei die Aufforderung einer gleichzeitigen „FlĂŒgel“-Auflösung die weitere Sorge ĂŒber dessen Potenzial und Einflussmöglichkeiten zum Ausdruck brachte.

Die Landesgruppen ThĂŒringen und Niedersachsen schlossen sich hingegen der Sichtweise der Bundesgruppe an. So erklĂ€rte die AM Niedersachsen in einem Beitrag u.a.:

„Als Realpolitiker und Demokraten, aber auch Patrioten, nehmen wir die personellen Entscheidungen das 10. Bundesparteitages der AfD am 30.11. und 01.12.2019 in Braunschweig zur Kenntnis und erkennen an, dass der von uns vertretene Kurs in der AD mehrheitlich nicht gewĂŒnscht ist. Die Gruppierung „Der FlĂŒgel“ kann nun in der Partei als dauerhaft etabliert gelten.[129]

In einem nahezu identischen Post verkĂŒndete auch die AM ThĂŒringen ihre Auflösung und konstatierte, dass trotz der mutmaßlich elementaren Notwendigkeit ihres Wirkens ein Beitrag der AM in der AfD offenbar nicht gewĂŒnscht sei.[130] Auch der Landesverband Bremen reagierte bestĂŒrzt hinsichtlich der neuen Zusammensetzung des Bundesvorstands nach dem Bundesparteitag.[131]

Durch die Auflösung im November und Dezember 2019 hat die AM ihre öffentlich wahrnehmbaren AktivitĂ€ten faktisch eingestellt. Lediglich auf der Facebook-Seite der AM Sachsen-Anhalt werden noch regelmĂ€ĂŸig BeitrĂ€ge anderer Personen und Gruppierungen geteilt. Eigene BeitrĂ€ge zu politischen Sachfragen oder zur innerparteilichen Entwicklung finden sich allerdings auch hier nicht mehr. Somit kann festgehalten werden, dass sich eine zwischenzeitlich durchaus gut vernetzte Gruppierung innerhalb der Partei Ende 2019 auflöste, da ein Großteil keine Erfolgsaussichten auf Durchsetzung der eigenen Interessen gegen die Opponenten vom „FlĂŒgel“ sah.

5. Desiderius-Erasmus-Stiftung

Die Desiderius-Erasmus-Stiftung (DES) wurde 2017 mit Sitz in LĂŒbeck (SH) gegrĂŒndet und 2018 von der AfD als parteinah anerkannt. Benannt ist die Stiftung nach Erasmus von Rotterdam, der sich selbst den Beinamen „Desiderius“ (Der ErwĂŒnschte) gab. Als Ziele gibt die DES die Förderung des demokratischen Staatswesens und die Vermittlung von staatsbĂŒrgerlicher Bildung an. Beides diene der Schaffung von Klarheit und Transparenz. Ferner sollen Wissenschaft und Forschung, Aus- und Fortbildung begabter junger Menschen und die internationale Gesinnung, VölkerverstĂ€ndigung und Toleranz auf allen Gebieten der Kultur gefördert werden.[132] Wie auch die anderen parteinahen Stiftungen verbreitet die DES mit ihren Bildungsangeboten, Seminaren und Publikationen somit die politischen GrundsĂ€tze und Standpunkte der AfD als ihrer Referenzpartei und kann damit als wichtiger Multiplikator und Ort der Vernetzung mit anderen (vor)politischen Akteuren verstanden werden.

Laut Satzung vom 15. September 2019 gehören zu den Organen des Stiftungsvereines die Mitgliederversammlung, das Kuratorium und der Vorstand.[133] Vorsitzende der Stiftung ist die ehemalige CDU- und ab 2017 fraktionslose Bundestagsabgeordnete Erika Steinbach.[134]

Jahrelang war sich die AfD uneins, ob eine eigene Stiftung sinnvoll oder eher kontraproduktiv sei. In ihrem Grundsatzprogramm von 2016 wendet sich die Partei gegen „die juristische Konstruktion sogenannter parteinaher Stiftungen“ als eine Form der „verdeckten Parteienfinanzierung“,[135] Schließlich erfolgte eine parteiinterne Einigung auf folgenden Kompromiss: WĂ€hrend die Abschaffung des Stiftungssystems weiterhin ein langfristiges Ziel der AfD bleibe, wolle man kurzfristig doch eine parteinahe Stiftung, um im Vergleich zu den anderen Parteien keinen Nachteil zu erleiden.

Dass sich die innerparteilichen Konflikte auch innerhalb der DES widerspiegeln, zeigt ein Vorgang aus dem Jahr 2020. Im Mai 2020 wurde der bisherige SchriftfĂŒhrer Erik Lehnert aus dem Vorsand unter Verweis auf seine TĂ€tigkeit als GeschĂ€ftsfĂŒhrer des Institut fĂŒr Staatspolitik (IfS) und dessen zwischenzeitlich erfolgte Beobachtung durch das Bundesamt fĂŒr Verfassungsschutz abgewĂ€hlt. Die Vorsitzende Erika Steinbach erklĂ€rte dazu, dass sich die „Entscheidung des Bundesamtes fĂŒr Verfassungsschutz, das IfS wegen extremistischer Tendenzen als Verdachtsfall einzustufen und damit permanent zu beobachten, nicht mit der Satzung der DES und damit seiner Mitgliedschaft im Vorstand“ vereinbaren lasse.[136] 27 Mitglieder des TrĂ€gervereins sprachen sich fĂŒr die Abwahl Lehnerts aus. 21 Mitglieder votierten dagegen, weitere fĂŒnf Personen enthielten sich.[137] Lehnert akzeptierte die Abwahl nicht und warf Steinbach dagegen vor, ihr Versprechen gegenĂŒber der AfD zu brechen, alle Parteiströmungen in die DES zu integrieren.[138]

Noch wĂ€hrend das – aufgrund der Bestimmungen zur SARS-CoV-2-Pandemie online durchgefĂŒhrten und sich ĂŒber mehrere Wochen hinziehenden – Abstimmungsprozesses in dieser Personalie soll der AfD-Ehrenvorsitzende und Ehrenvorsitzende des AfD-Landesverbandes Brandenburg, Alexander Gauland (MdB), laut Medienberichten Erika Steinbach davor gewarnt haben, im Falle einer Abwahl Lehnerts der DES die Anerkennung als parteinahe Stiftung durch die AfD zu entziehen, denn Aufgabe der Stiftung sei es, alle politischen Strömungen innerhalb der AfD auch in ihrem Vorstand abzubilden. Gauland sprach im Nachgang nicht von einer Warnung, sondern lediglich von einem Hinweis, dass das eintreten könnte.[139]

Mit Jan Moldenhauer (stellv. Schatzmeister im AfD-Landesverband Sachsen-Anhalt und Vorsitzender im Kreisverband Magdeburg), der ebenfalls dem IfS und dem Verlag Antaios verbunden ist, Ă€ußerte sich ein weiteres Mitglied das Stiftungsvorstands explizit gegen die Abwahl Lehnerts. Moldenhauer sprach von einer „unheilige[n] Allianz zwischen dem Bundesverfassungsschutz und der Stiftungsvorsitzenden Steinbach“. Diese sei „eine Katastrophe fĂŒr die Stiftung und die ihr nahe stehende Partei“. Es handele sich wohl, so Moldenhauer, um einen „Privatkrieg“ zwischen Steinbach und der stellvertretenden AfD-Bundessprecherin und Co-Fraktionsvorsitzenden Alice Weidel (MdB), die dafĂŒr plĂ€diert habe, alle Parteiströmungen in der Stiftung zu reprĂ€sentieren, was Steinbach widerstrebe.[140]

III. Entwicklung der Partei

Im Folgenden wird in aller gebotenen KĂŒrze die Entwicklung der AfD seit ihrer GrĂŒndung im Jahr 2013 beschrieben. Die Darstellung orientiert sich dabei an den unterschiedlichen Bearbeitungsstatus der Partei und parteiinternen PersonenzusammenschlĂŒssen aus verfassungsschutzrechtlicher Sicht. Zuerst werden die Entwicklungen von 2013 bis zur Erhebung der Gesamtpartei zum PrĂŒffall im Januar umrissen, danach die Zeit bis zur Einstufung des „FlĂŒgel“ zur erwiesen extremistischen Bestrebung und im letzten Abschnitt die Zeit von MĂ€rz 2018 bis in die Gegenwart.

1. Februar 2013 bis Januar 2019

Die AfD wurde am 6. Februar 2013 gegrĂŒndet und war zu Beginn vor allem als euroskeptische Partei zu betrachten, die sich mit Kritik an der EuropĂ€ischen Union (EU) sowie insbesondere an der EuropĂ€ischen WĂ€hrungsunion und der deutschen EU-Finanz- und Rettungspolitik der damaligen Zelt hervortat.[141] Auch wenn die Partei damit zunĂ€chst eine stark monothematische Ausrichtung aufwies, vereinigte sie bereits in ihren AnfĂ€ngen unterschiedliche gesellschaftliche und politische Strömungen. So gehören neben dem anfangs dominierenden Lager der ordoliberalen Wirtschaftswissenschaftler um den Hamburger Ökonomieprofessor Bernd Lucke auch Vertreterinnen und Vertreter nationalkonservativer, rechtslibertĂ€rer und fundamentalchristlicher Positionen zu den GrĂŒndungsmitgliedern.[142] In dieser ausgesprochen heterogenen Grundkonstellation wĂ€hlte die AfD auf ihrem GrĂŒndungsparteitag am 13. April 2013 in Berlin den Volkswirt Bernd Lucke, den Journalisten Konrad Adam (Parteiaustritt 1. Januar 2021) und die ehemalige Unternehmerin und Chemikerin Frauke Petry (MdB) zu gleichberechtigten Sprechern und zur Sprecherin das Parteivorstands.[143] Der Organisationsaufbau erfolgte außergewöhnlich schnell. Bereits im Mai 2013 war die GrĂŒndung von LandesverbĂ€nden in allen 16 BundeslĂ€ndern abgeschlossen und die Partei hatte rund 10.000 Mitglieder.

In der Folgezeit rĂŒckten im Zuge der im Jahr 2014 beginnenden sogenannten europĂ€ischen FlĂŒchtlingskrise auch verstĂ€rkt gesellschafts- und integrationspolitische Themen in den Blickpunkt der AfD.[144] Ausgangspunkt dieser Entwicklung waren primĂ€r die ostdeutschen BundeslĂ€nder, in denen sich bald ein Gegenpol zu den westdeutschen, vom Lucke-Lager dominierten LandesverbĂ€nden herausbildete. Besonders die Wahlerfolge bei der Europawahl im Mai 2014 (7,1 %) und den Landtagswahlen im August und September 2014 in Brandenburg (12,2 %), Sachsen (9,7 %) und ThĂŒringen (10,6 %) bestĂ€tigten die Haltung der ostdeutschen AfD-LandesverbĂ€nde und trugen entsprechend mit zu einer programmatischen Verschiebung bei.[145] Diese stieß in Teilen der Partei, besonders beim ordoliberalen Lager, auf Skepsis und Ablehnung. FĂŒr diese Phase waren die ab Herbst 2014 erheblichen Zuspruch findenden PEGIDA-MĂ€rsche in Dresden bedeutsam. WĂ€hrend die ostdeutschen LandesverbĂ€nde sich zunehmend zu PEGIDA bekannten, forderten Lucke und der damalige AfD-Europaabgeordnete Hans-Olaf Henkel eine Abkehr vom Islamisierungsthema und eine deutliche Abgrenzung von PEGIDA.

Als demonstratives Zeichen gegen diese Aufforderung veröffentlichten im MĂ€rz 2015 mehrere AfD-Mitglieder, unter ihnen die damaligen Landesparteivorsitzenden von ThĂŒringen und Sachsen-Anhalt, Björn Höcke und Andre Poggenburg, die sogenannte Erfurter Resolution, in der die Unterzeichnenden der Partei u. a. vorwerfen, „sich von bĂŒrgerlichen Protestbewegungen ferngehalten und [
] sogar distanziert“ und „Mitglieder verprellt und verstoßen“ zu haben, „deren Profil unverzichtbar“ sei. Dies sei als fatales Signal zu sehen:

„Der provokative Umbau der AfD zu einer technokratisch ausgerichteten Partei gefĂ€hrdet den im Vorfeld des Bremer Parteitags mit großer Selbstdisziplin der Beteiligten gefundenen Kompromiss.“[146]

Mit der Erfurter Resolution stellte sich das in der Folge unter der Bezeichnung „Der FlĂŒgel“ organisierte Personennetzwerk gegen die bisherige Ausrichtung der AfD und besonders gegen den Parteisprecher Bernd Lucke. Zudem treten in dieser Zeit vermehrt ehemalige Parteimitglieder der Republikaner und der Partei Die Freiheit in die AfD ein und streben ParteiĂ€mter an: so z. B. Lena Duggen, zuvor Vorstandsmitglied der Partei Die Freiheit, die 2015 zur AfD wechselte, nach 2016 als Fachreferentin der AfD-Fraktion und Mitarbeiterin eines AfD-Abgeordneten im Landtag Brandenburg tĂ€tig war und 2019 selbst als Abgeordnete in den brandenburgischen Landtag einzog. Sie ist ebenfalls Besitzerin im AfD-Landesverband Brandenburg.[147]

Um die bisherige politische Ausrichtung der Partei zu erhalten und die Kritiker des „FlĂŒgel“ in die Schranken zu weisen, versuchte Bernd Lucke mit der GrĂŒndung des nicht eingetragenen Vereins Weckruf 2015 im Mai 2015, seine UnterstĂŒtzerinnen und UnterstĂŒtzer in der Partei zu sammeln. Der Konflikt zwischen beiden Lagern eskalierte auf dem Parteitag am 4. und 5. Juni 2015 in Essen (NW), in dessen Folge Bernd Lucke und seine AnhĂ€ngerschaft aus der AfD austraten. Bis August 2015 folgten ihm rund ein FĂŒnftel der 21.000 Mitglieder, darunter die meisten FunktionĂ€re und FunktionĂ€rinnen des wirtschaftsliberalen Teils der Partei.[148] Die einsetzende Verschiebung der programmatischen Ausrichtung wurde bereits auf dem Parteitag deutlich, als der Vorsitzende des Landesverbandes Nordrhein-Westfalen und spĂ€tere Ehemann von Frauke Petry (MdB), Marcus Pretzell (MdEP), ankĂŒndigte, die AfD sei auch eine „PEGIDA-Partei“.[149]

In der Folgezeit brachen die Umfrageergebnisse der AfD aufgrund der sich abschwĂ€chenden Auswirkungen der Finanzkrise und der Spaltung der Partei ein und fielen im Verlauf des Jahres 2015 bundesweit sogar unter die FĂŒnfprozentmarke. Eine demoskopische Trendwende wurde insbesondere durch den ansteigenden Zuzug von GeflĂŒchteten ab Herbst 2016 begĂŒnstigt. Der damalige Bundessprecher Alexander Gauland (MdB) bezeichnete die sogenannte FlĂŒchtlingskrise im Dezember 2015 folgerichtig gar als „Geschenk“ fĂŒr seine Partei.[150] Auch die islamistischen TerroranschlĂ€ge in den folgenden Monaten sowie Ausschreitungen und sexuelle Übergriffe im Kontext der Kölner Silvesternacht 2015/2016 befeuerten das Erstarken der AfD und bestĂ€tigten die neugewĂ€hlten Schwerpunktthemen Zuwanderung und Asyl. Die AfD erzielte im Jahr 2018 auch in westdeutschen BundeslĂ€ndern erstmals zweistellige Wahlergebnisse bei Landtagswahlen in Baden-WĂŒrttemberg (15,1 %) und Rheinland-Pfalz (12,6 %), spektakulĂ€re Erfolge bei ostdeutschen Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt (24,3 %) und Mecklenburg-Vorpommern (20,8 %) sowie ein bemerkenswert gutes Wahlergebnis in der Hauptstadt Berlin (14,2 %).[151]

Trotz der Wahlerfolge des Jahres 2016 nahmen in dieser Zeit die innerparteilichen Spannungen abermals zu. Im Zentrum standen dabei sowohl Auseinandersetzungen ĂŒber einzelne polnische Sachfragen als auch die ĂŒbergeordnete Frage nach der strategischen und grundsĂ€tzlichen Ausrichtung der Partei. Das auf dem Bundesparteitag 2016 in Stuttgart (BW) beschlossene erste Grundsalzprogramm der Partei trĂ€gt zwar noch deutlich die ordoliberale Handschrift der Anfangsjahre, allerdings verschoben sich die KrĂ€fteverhĂ€ltnisse in der Partei im Laufe des Jahres immer stĂ€rker und der bis heute andauernde Richtungsstreit innerhalb der Partei nahm an Fahr auf.[152] Besonders der Umgang mit parteiinternen rechtsextremistischen Tendenzen und Beziehungen zu rechtspopulistischen und- extremistischen Akteuren außerhalb der Partei sorgten fortgesetzt fĂŒr Konflikte.

Als Beispiel hierfĂŒr kann das noch unter Bernd Lucke angestrengte, von Frauke Petry (MdB) dann aber fortgefĂŒhrte Parteiausschlussverfahren gegen Björn Höcke (MdL, TH) gesehen werden, das erst im Jahr 2018 mit dessen Einstellung endete. Grund fĂŒr den beantragten Parteiausschluss war eine Rede Höckes auf einer JA-Veranstaltung in Dresden (SN) am 17. Januar 2017, als er das Holocaust-Mahnmal in der historischen Mitte Berlins als „Denkmal der Schande“ bezeichnete und eine erinnerungspolitsche Wende um 180 Grad forderte.[153] Das Verfahren wurde im Mai 2018 vor dem ThĂŒringer Schiedsgericht eingestellt, da Höckes Äußerungen laut dem Pressesprecher der AfD ThĂŒringen keine Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus erkennen ließen. Jedoch gab es in dem Verfahren noch weitere Vorhaltungen gegen Höcke, so der nach objektiven MaßstĂ€ben nicht zu widerlegende Vorwurf, dass explizit den Nationalsozialismus bejahende Texte von ihm unter dem Pseudonym „Landolf Ladig“ in verschiedenen NPD-Publikationen veröffentlicht wunden.[154]

Höcke und sein inzwischen erstarkter „FlĂŒgel“ versuchten in dieser Zeit, ihre Vorstellungen auf die gesamte Partei zu ĂŒbertragen. So charakterisierte er die AfD im Jahr 2017 als „Fundamentalopposition“ und „Bewegungspartei“.[155] Auch war die zunehmende Verwendung völkisch-nationalistischer Begrifflichkeiten zu konstatieren. Beispielhaft hierfĂŒr stehen Zitate von Andre Poggenburg wie „Verantwortung fĂŒr die Volksgemeinschaft“ oder „Wucherung am deutschen Volkskörper“ oder Höckes bereits oben erwĂ€hnte Dresdner Rede vom Januar 2017.[156]

Im gleichen Jahr kam es zu einem erneuten Wechsel an der FĂŒhrungsspitze. Nachdem die Bundessprecherin Frauke Petry bereits auf dem Parteitag im April 2017 in Köln auf die Kandidatur als Spitzenkandidatin fĂŒr die Bundestagswahl verzichtet hatte, trat sie im Anschluss an diese Wahl vom 24. September 2017, bei der sie ein Direktmandat errungen und die AfD mit bundesweit 12,6 % der Zweitstimmen ein sehr gutes Ergebnis erzielt hatte, aus der Partei aus.[157] Auf dem folgenden Parteitag in Hannover (NI) im Dezember 2017 wurden Jörg Meuthen (MdEP) und Alexander Gauland (MdB) als Bundessprecher gewĂ€hlt. Der Wahl des zweiten Sprecherpostens neben Meuthen war ein offener Machtkampf zwischen dem „FlĂŒgel“ und seinen Gegnern vorausgegangen. Der eigentlich fĂŒr den Posten vorgesehene Georg Pazderski (MdA und Vorsitzender im AfD-Landesverband Berlin), einer der exponiertesten Kritiker des „FlĂŒgel“, kam in zwei WahlgĂ€ngen gegen seine ĂŒberraschend angetretene Mitbewerberin Doris von Sayn-Wittgenstein (SH) zu keiner Mehrheit. Die umstrittene und rechtsextremistische BezĂŒge aufweisende van Sayn-Wittgenstein, die dem Lager des „FlĂŒgel“ zugerechnet werden konnte, verpasste die notwendige Mehrheit im zweiten Wahlgang nur knapp um eine Stimme. Um die Situation zu beruhigen, trat schließlich Alexander Gauland als damalige Integrationsfigur zur Wahl an und wurde mit 67,8 % der Stimmen gewĂ€hlt. Die vorangegangenen WahlgĂ€nge zeigen deutlich den steigenden Einfluss des „FlĂŒgel“, der allerdings ohne die UnterstĂŒtzung anderer Teile der Partei nach nicht ĂŒber eine eigene Mehrheit verfĂŒgte.[158]

Im Jahr 2018 vertieften sich die GrÀben in der innerparteilichen Auseinandersetzung zusehends, was sich allerdings nicht gravierend auf die Landtagswahlergebnisse in Hessen (13,1 %) und Bayern (10,1 %) auswirkte. Mit der Desiderius-Erasmus-Stiftung wurde Mitte des Jahres 2018 auf dem Parteitag in Augsburg eine eigene parteinahe Stiftung etabliert.

Die hĂ€ufiger werdende Forderung aus Gesellschaft und Politik nach einer Beobachtung der AfD durch die Verfassungsschutzbehörden erfuhr im Herbst 2018 eine zusĂ€tzliche Dynamik,[159] als prominente Vertreter der AfD bzw. des „FlĂŒgel“ auf einem sogenannten Trauermarsch am 1. September 2018 in Chemnitz gemeinsam mit rechtsextremistischen Gruppierungen und Personen auftraten.

Angesichts des wachsenden öffentlichen Drucks kĂŒndigte die Fraktionsvorsitzende und Mitglied des Bundestags, Alice Weidel, am 11. September 2018 an, dem Bundesvorstand die Einsetzung einer Kommission vorzuschlagen. Es gehe darum, „sowohl im rechtlich-organisatorischen als auch im inhaltlich-argumentativen Bereich und fĂŒr die Öffentlichkeitsarbeit Gegenstrategien“ zu entwickeln.[160] Auf einer außerordentlichen Sitzung am Folgetag, dem 12. September 2018, beschloss der AfD-Bundesvorstand dann die Einrichtung einer Arbeitsgruppe Verfassungsschutz“ (AG VS), die sich unter der Leitung des Bundestagsabgeordneten und ehemaligen Justiziars des Bayer-Konzerns Roland Hartwig (MdB) mit dem Thema einer möglichen Beobachtung durch die Verfassungsschutzbehörden befassen sollte.

Da AG VS trat erstmals am 5. November 2018 auf einer Pressekonferenz mit Beteiligung der Bundessprecher Jörg Meuthen und Alexander Gauland und des AG-Leiters Roland Hartwig öffentlich in Erscheinung. Der Auftrag der Arbeitsgruppe bestehe darin, so Meuthen, „sich auf jedem rechtlichen Wege gegen eine mögliche Beobachtung“ zu wehren und „mögliche Anhaltspunkte fĂŒr eine Verfassungsschutzbeobachtung dort, wo sie sich tatsĂ€chlich zeigen, abzustellen“.[161]

Weiterer Gegenstand der Pressekonferenz war das im Auftrag der AfD-BundesgeschÀftsstelle verfasste Gutachten eines Freiburger Rechtswissenschaftlers, der u. a. folgende Verhaltensweisen zur Vermeidung einer drohenden Beobachtung empfahl:

„Insbesondere mĂŒssen daher pauschale Diffamierungen beziehungsweise HerabwĂŒrdigungen von AuslĂ€ndern / Immigranten / FlĂŒchtlingen / Muslimen vermieden werden. Es darf nie der Eindruck erweckt werden, als bezeichne man alle Immigranten als kriminell, sozialschĂ€dlich oder Ă€hnliches. Die Religionsfreiheit der in Deutschland lebenden Muslime darf nicht Infrage gestellt werden. Ziele wie, die deutsche Kultur zu wahren, eine multikulturelle Aufsplittung der Gesellschaft zu vermeiden oder Deutschland als erkennbar deutsch zu erhalten, dĂŒrfen nicht damit angestrebt werden, dass deutschen Staatsangehörigen ethnisch anderer Zugehörigkeit Rechte vorenthaltenen oder sie gar ausgewiesen werden sollen. Die Achtung der Rechtsgleichheit aller Staatsangehörigen ist ebenso zwingend geboten wie die Achtung der MenschenwĂŒrde aller in Deutschland lebenden Menschen sowie die Beachtung der Diskriminierungsverbote gemĂ€ĂŸ Art. 3 Abs. 3 GG.“[162]

Die FĂŒhrungsebene der AfD konterkarierte bereits auf der Pressekonferenz die Empfehlungen ihres Gutachters. Zwar behauptete Meuthen, die AfD halte sich ohnehin von unzulĂ€ssigen Generalisierungen wie der „Kriminalisierung aller Migranten“ fern, doch auf die Nachfrage eines Journalisten, ob Aussagen wie „Massenmigration ist Messermigration“ (Andreas Kalbitz) oder „KopftuchmĂ€dchen und alimentierte MessermĂ€nner und sonstige Taugenichtse“ (Alice Weidel) etwa keine Pauschalisierungen darstellen, antwortete Gauland:

„Das gehört zur polemischen Zuspitzung dessen, was wir bekĂ€mpfen, nĂ€mlich die Massenimmigration. Und von daher kann man ĂŒber die Wortwahl streiten, das tun sie ja auch oder tun wir ja auch, aber wir haben nicht vor, diese Wortwahl zu unterbinden.“[163]

Auf Basis des Gutachtens verfasste Roland Hartwig u. a. die Ausarbeitung „Informationen und Handreichungen zum Thema Verfassungsschutz – Teil 1 (41 Seiten), deren Ziel es sei, Hilfestellungen sowohl zu „den wenigen [
] EinzelfĂ€llen“ zu geben, in denen verfassungsfeindliche Äußerungen in der AfD vorkĂ€men, und „zur Vermeidung von MissverstĂ€ndnissen, die vom Verfassungsschutz zu Unrecht als tendenziell verfassungsfeindlich bewertet werden könnten“, beizutragen.[164]

Einzelne LandesverbĂ€nde kamen den Handlungsempfehlungen der AG VS zuvor. So versande der AfD-Landesverband Niedersachsen bereits Ende Oktober 2018 ein mehrseitiges Papier an seine Mitglieder, das „fĂŒr die Rechtslage sensibilisieren“ sollte.[165]

Die Anstrengungen um eine zumindest verbale MĂ€ĂŸigung wurden in Teilen der Partei vehement abgelehnt. So wurde die AG VS mit der Staatssicherheit der frĂŒheren DDR verglichen und als „Sprachpolizei“ verschrien, Hartwig als „Inquisitor“, „kleiner Mielke“ oder „blauer Stalin“ tituliert.[166] Demzufolge bewertete Hartwig Anfang 2020 den innerparteilichen Umgang mit ihm auch mit den Worten „Ich wurde politisch bekĂ€mpft“. Auf die Frage, ob er seine propagierte Strategie, dass sich Parteigremien von verfassungsfeindlichen Äußerungen und Handlungen einzelner Mitgelder distanzieren sollen, mit Erfolg vermittelte, entgegnete er:

„Nein, das kann man nicht sagen.“[167]

Damit bestĂ€tigte Hartwig seine eigenen BefĂŒrchtungen hinsichtlich möglicher WiderstĂ€nde an der Parteibasis, die er vor seiner Bestellung zum Leiter der AG VS ausgedrĂŒckt hatte.[168]

Die Maßnahmen der AfD hinsichtlich der drohenden Beobachtung durch den Verfassungsschutz und damit auch die Einrichtung der AG VS waren – zumindest zu Beginn – Gegenstand heftiger Kritik gerade vom „FlĂŒgel“. Höcke bezeichnete die Sorge um eine Verfassungsschutzbeobachtung als „politische BettnĂ€sserei“. Der dem „FlĂŒgel“-Umfeld zurechenbare und von ĂŒber 1.200 Personen unterzeichnete „Stuttgarter Aufruf“ vom 28. Oktober 2018, initiiert von der Landtagsabgeordneten Christina Baum (BW, Sprecherin im Kreisverband Main-Tauber und Landesobfrau des „FlĂŒgel“ fĂŒr Baden-WĂŒrttemberg), richtete sich auch maßgeblich gegen die nun anscheinend vermehrt eingeleiteten oder in Vorbereitung befindlichen Ordnungs- und Ausschlussverfahren, die „in vielen LandesverbĂ€nden und durch den Bundesvorstand öffentlich, manchmal auch still und heimlich“ durchgefĂŒhrt wĂŒrden.[169] Deutlich wird vor denjenigen parteiinternen Kritikern gewarnt, die Höcke bereits als „Feindzeugen“[170] diffamiert hatte:

„LĂ€hmend aber wirkt das Gift jener, die sich als Mitstreiter ausgeben, tatsĂ€chlich aber de Waffen unseres politischen Gegners benutzen und ihm damit in die HĂ€nde spielen.“[171]

Weiterhin hieß es:

„Wir widersetzen uns allen Denk- und Sprechverboten innerhalb der Partei und zeigen allen VorstĂ€nden die rote Karte, die sich an Machenschaften beteiligen, den Mitgliedern ihr Recht auf das freie Wort und eine eigenstĂ€ndigen Analyse der politischen ZustĂ€nde zu nehmen.“[172]

Abschießend hieß es:

„Es gibt nur eine rote Linie: das Grundgesetz und das Strafgesetzbuch.“[173]

Dass diese Maßgabe von den Verfassern des „Stuttgarter Aufrufs“ jedoch nicht akzeptiert wird, zeigt eine offensichtlich wenige Tage nach dessen Veröffentlichung ergĂ€nzte „Danksagung“:

„Wie wichtig dieser Aufruf war, sieht man an den nun bekanntgewordenen Äußerungen des parteiinternen ‚Gutachters‘ zur Verfassungsschutzbeobachtung. Danach dĂŒrfen Begriffe wie Überfremdung, Umvolkung, Umerziehung oder Äußerungen wie ‚FlĂŒchtlinge sind kriminell‘, ‚Altparteien sind korrupt‘ nicht mehr gebraucht werden. Wir sollen uns der politischen Korrektheit beugen, unsere Ideale und unser Programm aufgeben. Mit anderen Worten, die AfD soll werden, wie die anderen Parteien! Auch dagegen werdet sich unser Aufruf.“[174]

Den Verfassern zufolge entsprechen pauschale und gegen die MenschenwĂŒrde verstoßende Diffamierungen wie „FlĂŒchtlinge sind kriminell“ also dem Programm und den Idealen der AfD.

Ungeachtet grundsĂ€tzlich unterschiedlicher Auffassungen arrangierten sich die Protagonisten des „FlĂŒgel“ rasch mit Hartwig und der von ihm geleiteten Arbeitsgruppe. Die Tageszeitung DIE WELT bezeichnete die eigentliche Rolle der AG VS als „Schutzschild, der jeden noch so guten belegten Extremismusvorwurf gegen „FlĂŒgel“-Leute abwehren soll“. Eine „bessere Interessenvertretung“ könne „Der FlĂŒgel“ kaum finden.[175]

2. Januar 2019 bis MĂ€rz 2020

Nach dem Zusammentragen einer hohen Zahl von tatsĂ€chliche Anhaltspunkten fĂŒr Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung und der Erstellung eines ĂŒber vierhundertseitigen Gutachtens durch das BfV erfolge im Januar 2019 die Erhebung der AfD als Gesamtpartei zum PrĂŒffall und der Jugendorganisation JA und das Personenzusammenschlusses „Der FlĂŒgel“ zu rechtsextremistischen VerdachtsfĂ€llen.[176]

Die Entscheidung löste innerhalb der AfD eine Vielzahl von Reaktionen aus. Der damalige Leiter der AG VS, Roland Hartwig, kritisierte, der Verfassungsschutz habe sein „eigentliches Aufgabenfeld lĂ€ngst verlassen“ und verfolge „eine politische, und zwar linke Politik“. Er habe sich dabei „ganz klar auf die Seite der aktuellen etablierten Politik gestellt“. Das BfV verhalte sich „wie eine ‚Sprachpolizei’“. Dies sei „ein verfassungswidriger Versuch, mit Mitteln des Verfassungsschutzes die politische Meinungsbildung in unserem Land zu beeinflussen“.[177]

Ähnlich Ă€ußerte sich auch Björn Höcke. BfV-PrĂ€sident Thomas Haldenwang missverstehe sein Amt als „reines Exekutivorgan der etablierten Parteien oder lĂ€sst sich zumindestens fĂŒr diese Zwecke widerstandslos instrumentalisieren“. Die momentane Praxis – „Verfassungsschutz als Etabliertenschutz“ – stelle „die Perversion eines wirklichen Staats- und Verfassungsschutzes dar“. Höcke appellierte zudem an die „redlichen VerfassungsschĂŒtzer“, vom Remonstrationsrecht Gebrauch zu machen, statt sich instrumentalisieren zu lassen.[178]

WĂ€hrend Höcke keine Bereitschaft erkennen ließ, sich inhaltlich mit den VorwĂŒrfen des Gutachtens auseinandersetzen zu wollen, fiel die Reaktion des damaligen AG-Leiters Hartwig – auch mit Blick auf den zentralen „FlĂŒgel“-Protagonisten – defensiver aus:

„Ich wĂŒrde mich freuen, wenn Herr Höcke als exponierter Vertreter des ‚FlĂŒgel‘ eine klare Positionierung einnehmen wĂŒrde und sich mit den VorwĂŒrfen und Anhaltspunkten auseinandersetzt, die die VerfassungsschutzĂ€mter zusammengetragen haben. Es wĂ€re fĂŒr die AfD sehr hilfreich, wenn Herr Höcke eine klare Grenze zieht, was aus seiner Sicht akzeptabel und nicht mehr akzeptabel ist.“[179]

Und kaum weniger deutlich entgegnete Hartwig auf die Frage, ob „Der FlĂŒgel“ integraler Bestandteil der AfD oder eine Last sei:

„Um es in der Fußballersprache zu sagen – eine gute Mannschaft braucht auch einen Rechtsaußen, der könnte Herr Höcke sein. Aber er muss eben auf dem Spielfeld nach den geltenden Regeln spielen und sich dazu verhalten, wie es um diejenigen bestellt ist, die nicht mehr aufs Spielfeld gehören und die Regeln verletzen.[180]

Vor den Wahlen in den ostdeutschen BundeslĂ€ndern Brandenburg, Sachsen und ThĂŒringen im Jahr 2019 kam es zu weiteren Auseinandersetzungen um die ideologische Ausrichtung der Partei, wie das Beispiel von Doris von Sayn-Wittgenstein zeigt. Ungeachtet eines laufenden Parteiausschlussverfahrens vor dem Bundesschiedsgericht wegen rechtsextremistischer BezĂŒge wurde diese im Juni 2019 in Schleswig-Holstein zur AfD-Landessprecherin gewĂ€hlt, nachdem das schleswig-holsteinische Landesschiedsgericht den Ausschluss erstinstanzlich noch zurĂŒckgewiesen hatte. Von Sayn-Wittgenstein war Fördermitglied des rechtsextremistischen, Holocaust-Leugnern ein Forum bietenden Vereins GedĂ€chtnisstĂ€tte e.V. gewesen, der auf der Unvereinbarkeitsliste der AfD steht. Das Bundesschiedsgericht schloss von Sayn-Wittgenstein am 28. August 2019 schließlich wegen parteischĂ€digenden Verhaltens aus der AfD aus.[181]

Auch etliche Monate nach dem Parteiausschluss lĂ€sst der AfD-Landesvorstand von Schleswig-Holstein eine NĂ€he zu seiner frĂŒheren Landessprecherin erkennen. So schickte das FĂŒhrungsgremium am 2. Mai 2020 per Mail eine „Kurzmittellug“ an alle Mitglieder das Landesverbands, der ohne weitere Kommentierung ein Schreiben von Sayn-Wittgenstein beigefĂŒgt war. In dem Schreiben mit Datum vom 23. April 2020 weist Sayn-Wittgenstein die gegen sie erhobenen ExtremismusvorwĂŒrfe zurĂŒck, wirft dem Landesverband parteischĂ€digendes Verhalten vor, greift einen Landtagsabgeordneten der Partei persönlich an und bezeichnet sich – ungeachtet ihres partei- und fraktionslosen Status – weiterhin als „Abgeordnete der AfD“. Der Landesvorstand Schleswig-Holstein begrĂŒndete die Verbreitung des Schreibens von Sayn-Wittgensteins per Rundmail damit, dass „jedes Mitglied“ Zugang zu „die Partei oder den Landesverband betreffenden Informationen haben“ sollte.[182]

Die PrĂŒf- und Verdachtsfalleinstufung der Partei respektive ihrer Teilorganisationen halte fĂŒr die AfD keinen Negativeffekt auf die Europa- und Landtagswahlen 2019. Bei der Europawahl am 28. Mai 2019 erzielte die AfD einen Stimmenanteil von 11,0 % (absolut: 4.104.453 Stimmen) und gewann damit 11 der insgesamt 96 deutschen Sitze im EuropĂ€ischen Parlament. Im Vergleich zum Wahlergebnis 2014 mit 7,1 % (absolut: 2.070.014 Stimmen) und 7 Parlamentssitzen bedeutete dies eine klare Steigerung, zumal die AfD ihr absolutes Stimmenergebnis wegen der höheren Wahlbeteiligung sogar verdoppeln konnte.[183] Angesichts noch höherer Erwartungen im Vorfeld der Wahl zeigte sich die Partei dennoch enttĂ€uscht.[184] Die AfD ist im EU-Parlament der Fraktion „Freiheit und Demokratie“ beigetreten, die sich aus 73 Abgeordneten des französischen Rassemblement National, des belgischen Vlaams Belang, der Freiheitliche Partei Österreichs, der Wahren Finnen, der DĂ€nischen Volkspartei, der tschechischen Partei Freiheit und direkte Demokratie und der estnischen Konservative Volkspartei zusammensetzt. Sie ist damit zurzeit die fĂŒnftgrĂ¶ĂŸte Fraktion im EuropĂ€ischen Parlament.

Bei der gleichzeitig mit der Europawahl stattfindenden BĂŒrgerschaftswahl in Bremen erhielt die AfD 6,12 % der Stimmen und damit fĂŒnf Sitze in der BĂŒrgerschaft. Im Vergleich zur BĂŒrgerschaftswahl 2016 konnte die Partei lediglich 0,6 Prozentpunkte hinzugewinnen.

Im Vorfeld der drei Landtagswahlen in Ostdeutschland inszenierte sich die AfD als Erbin der DDR-BĂŒrgerrechtsbewegung im Wendejahr 1989 und versuchte, den damit einhergehenden Mythos plakativ auf Veranstaltungen und bei Veröffentlichungen zu vereinnahmen. Im Zuge dessen wurden Slogans wie „Wir sind das Volk“, „Vollende die Wende“, „Wende 2.0“ oder „Werde BĂŒrgerrechtler“ propagiert und skandiert. Das politische System der Bundesrepublik Deutschland wurde somit in die NĂ€he des DDR-Regimes gerĂŒckt.[185]

Bei der Landtagswahl in Brandenburg am 1. September 2019 erhielt die AfD 23,6 % der Zweitstimmen (absolut: 297.484). Damit konnte die Partei ihr Ergebnis im Vergleich zum Stimmenanteil von 12,2 % (absolut: 120.077) bei der vorherigen Landtagswahl 2014 nahezu verdoppeln, wobei sie ihr absolutes Stimmenpotenzial aufgrund der höheren Wahlbeteiligung sogar um das 2,5-fache steigerte.[186]

Bei der ebenfalls am 1. September 2019 stattfindenden Landtagswahl in Sachsen erreichte die AfD sogar 27,5 % der WĂ€hlerstimmen (absolut: 595.671), was nahezu einer Verdreifachung ihres Wahlresultats von 9,7 % (absolut: 159.601) im Jahr 2014 entsprach. Noch drastischer dabei waren die Zugewinne der AfD mit einer 3,7-fachen Steigerung im absoluten Stimmenvergleich.[187]

Schließlich erzielte die AfD bei der ThĂŒringischen Landtagswahl am 27. Oktober 2019 mit 23,4 % der WĂ€hlerstimmen (absolut: 259.382) erneut ein sehr gutes Ergebnis und konnte ihr Resultat aus 2014 von 10,6 % (absolut: 99.545) mehr als verdoppeln, wobei angesichts einer wiederum höheren Wahlbeteiligung bei den absolut erzielten Stimmen der Steigerungsfaktor von 2,5 erneut nach deutlicher ausfiel.[188]

Hervorzuheben bei den drei ostdeutschen Landtagswahlen ist die hohe PrĂ€senz von „FlĂŒgel“-AnhĂ€ngern in den neuen Fraktionen und vor allem die Tatsache, dass mit Andreas Kalbitz (MdL, BB), Jörg Urban (MdL, SN und Vorsitzender im AfD-Landesverband Sechsen) und Björn Höcke (MdL, TH) alle drei Spitzenkandidaten als zentrale Protagonisten dem „FlĂŒgel“ zuzurechnen sind.

Die Wahlresultate in Brandenburg, Sachsen und ThĂŒringen fĂŒhrten 2019 zu einem deutlich selbstbewussteren Auftreten der ostdeutschen LandesverbĂ€nde, die in der Folge auch mehr Einfluss in der Bundespartei einforderten. So Ă€ußerte Björn Höcke im Rahmen einer Pressekonferenz am 28. Oktober 2019:

„Wahlsieger wollen natĂŒrlich auch reprĂ€sentiert werden in den wichtigsten Gremien der Partei. [
] Ich bin der festen Überzeugung, dass der Wahlerfolg im Osten, dass de Volksparteiwerdung im Osten auch etwas mit unserem Ansatz des solidarischen Patriotismus zu tun hat. Und ich glaube auch, dass dieser solidarische Patriotismus das Erfolgsmodell fĂŒr die Gesamtpartei sein kann und sein sollte, wenn wir in den nĂ€chsten Jahren dann eine gesamtdeutsche Volkspartei werden wollen.“[189]

Die nÀchste Möglichkeit, diesen Anspruch umzusetzen, war der am 30. November und 1. Dezember 2019 in Braunschweig (NI) stattfindende Bundesparteitag der AfD. Im Mittelpunkt das Delegiertenparteitags standen die Neuwahlen des Bundesvorstands und das Bundesschiedsgerichts.

Bei der Neuwahl des AfD-Bundesvorstands wurde der bisherige Bundessprecher Jörg Meuthen in seinem Amt bestĂ€tigt. Zum Nachfolger des scheidenden zweiten Bundessprechers Alexander Gauland wurde dessen Wunschkandidat Tino Chrupalla (SH) gewĂ€hlt. Andreas Kalbitz wurde – ungeachtet der Debatte um seine eindeutig rechtsextremistischen BezĂŒge in der Vergangenheit – abermals in den Bundesvorstand gewĂ€hlt, was als ZugestĂ€ndnis an den „FlĂŒgel“ zu verstehen war. In der neuen Zusammensetzung des Bundesvorstands spiegelte sich nicht unmittelbar eine deutliche KrĂ€fteverschiebung zugunsten des „FlĂŒgel“ wider, doch konnte er durch die Wahl seiner Favoriten in den Bundesvorsand sowie durch vorausgegangene strategische Absprachen und BĂŒndnisse indirekt mehr Einfluss auf die politische Ausrichtung der Gesamtpartei ausĂŒben. FĂŒr die zum wiederholten Mal auf der Tagesordnung stehende Abschaffung der Unvereinbarkeitsliste fand sich erneut keine Mehrheit an Delegiertenstimmen.

Zwar zeigte sich wie bereits beim Hannoveraner Bundesparteitag im Jahr 2017 auch in Braunschweig eine deutliche Fragmentierung der Gesamtpartei in unterschiedliche Strömungen und Lager, aber dies wurde gemildert durch offenkundige Personalabsprachen im Vorfeld des Parteitags, an die sich die diversen Akteure auch hielten. „Der FlĂŒgel“ trat somit innerhalb der AfD als relevante Kraft auf, die zwar ohne die UnterstĂŒtzung anderer Parteiströmungen ĂŒber keine eigene Mehrheit verfĂŒgte, allerdings aufgrund der ihr zukommenden SperrminoritĂ€t die eigene Machtbasis ausbauen konnte. So vermochte „Der FlĂŒgel“ die Wahl von aus seiner Sicht unliebsamen Politikern wie Georg Pazderski, MdL (BE), Albrecht Glaser, MdB (HE) oder Uwe Junge, MdL (RP) zu verhindern.

In einzelnen westlichen AfD-LandesverbĂ€nden brachen 2019 heftige Richtungsauseinandersetzungen zwischen bĂŒrgerlich-konservativen und völkischen KrĂ€ften aus, mithin zwischen Gegnern und AnhĂ€ngern das „FlĂŒgel“ um Björn Hocke. Dies galt vor allem fĂŒr den Machtkampf im mitgliederstĂ€rksten Landesverband Nordrhein-Westfalen, wo sich die beiden damaligen Landessprecher Helmut Seifen als entschiedener Höcke-Gegner und Thomas Röckemann (MdL, NW und stellv. Sprecher im Bezirksverband Detmold) als profilierter „FlĂŒgel“-AnhĂ€nger unversöhnlich gegenĂŒberstanden. Auf einem Sonderparteitag der AfD Nordrhein-Westfalen am 6/7. Juli 2019 in Warburg (NW) traten neun der zwölf Vorstandsmitglieder – darunter Seifen selbst – aus Protest gegen den Einfluss der völkischen KrĂ€fte von ihren Ämtern zurĂŒck. Ein nicht mehr beschlussfĂ€higer Rumpfvorstand von drei Mitgliedern um Röckemann blieb bis zum Landesparteitag am 5. Oktober 2019 in Kalkar (NW) im Amt, der schließlich RĂŒdiger Lucassen zum neuen und bis heute amtierenden Landesvorsitzenden wĂ€hlte.[190]

In Bayern war die dortige AfD-Landtagsfraktion Gegenstand innerparteilicher Auseinandersetzungen, wobei die Fraktionsvorsitzende Katrin Ebner-Steiner (MdL, BY, Vorsitzende im Kreisverband Deggendorf und UnterstĂŒtzerin des „FlĂŒgel“) selbst und deren völkisch-nationalistischer Kurs im Mittelpunkt des Konflikts standen. Dieser spitzte sich so sehr zu, dass mehrere AfD-Abgeordnete Strafanzeige gegen die eigene Vorsitzende stellten. Sie warfen Ebner-Steiner vor, private E-Mails, in denen ihr RĂŒcktritt gefordert worden war, unrechtmĂ€ĂŸig veröffentlicht zu haben. Die Fraktion ist unverĂ€ndert tief gespalten.[191]

Neben ideologischen Richtungsauseinandersetzungen war die AfD 2019 auch mit verschiedenen Spenden- und FinanzaffĂ€ren belastet: So erhielt Jörg Meuthen im April 2019 einen Sanktionsbescheid der Bundestagsverwaltung ĂŒber 270.000 Euro wegen der Entgegennahme illegaler Parteispenden im baden-wĂŒrttembergischen Wahlkampf 2016. Die Schweizer Firma Goal AG hatte Inserate, Flyer und Plakate fĂŒr Meuthens Wahlkampf unzulĂ€ssig finanziert. Das Verwaltungsgericht Berlin bestĂ€tigte die Sanktionszahlung mit Beschluss vom 9. Januar 2020. 2018 erhielt die „FlĂŒgel“Galionsfigur Björn Höcke einen Strafbescheid ĂŒber 34.000 Euro, weil Einnahmen aus den KyffhĂ€usertreffen nicht deklariert worden waren. Ein weiterer Sanktionsbescheid der Bundestagsverwaltung gegen die AfD erging im November 2020 im Zusammenhang mit illegalen Spenden in Höhe von rund 132.000 Euro im Bundestagswahlkampf 2017 an den AfD-Kreisverband Bodensee. Es handelte sich um den Kreisverband der heutigen Vorsitzenden der AfD-Bundestagsfraktion Alice Weidel. Die Gelder gingen in verschiedenen Tranchen ein, ohne dass die Spender nachvollziehbar waren. Dies stellt laut Bundestagsverwaltung eine illegale Spendenpraxis dar, die in dreifacher Höhe – im vorliegenden Fall knapp 400.000 Euro – zu sanktionieren ist.[192]

Nach einem durchgehend erfolgreichen Wahljahr 20419 musste die AfD bei der Wahl zur Hamburger BĂŒrgerschaft am 23. Februar 2020 erstmals einen leichten RĂŒckschlag hinnehmen. Sie erhielt 5,3 % der WĂ€hlerstimmen (absolut: 215.306) und bĂŒĂŸte im relativen Vergleich zum Ergebnis von 6,1 % (absolut: 214.033) im Jahr 2015 0,8 Prozentpunkte ein. Die AfD erreichte aber absolut das gleiche Stimmenpotenzial wie 2015, konnte jedoch nicht von der höheren Wahlbeteiligung 2020 profitieren.[193]

3. MĂ€rz 2020 bis zur Gegenwart

Nachdem sich die im Januar 2018 festgestellten hinreichenden Anhaltspunkte fĂŒr Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung im Laufe des Jahres zur Gewissheit verdichtet hatten, stufte das BfV den „FlĂŒgel“ am 12. MĂ€rz 2020 zur erwiesen extremistischen Bestrebung ein. Am gleichen Tag erklĂ€rte zudem das AfV ThĂŒringen den ThĂŒringer Landesverband der AfD zum Verdachtsfall, nicht zuletzt wegen starker Überschneidungen des Landesverbandes mit dem „FlĂŒgel“.

Nach der Höherstufung zum erwiesenen Extremismus im Rahmen einer Pressekonferenz des BfV am 12. MĂ€rz 2020 wandte sich die AfD-BundesfĂŒhrung in einem Brief an ihre Mitglieder und kĂŒndigte eine Gegenstrategie an:

„Auch im Fall einer ‚Beobachtung‘ werden wir uns natĂŒrlich rechtlich zur Wehr setzen. Seien Sie versichert: Wir lassen uns nicht ĂŒberraschen und haben bereits entsprechende Strategien vorbereitet.“[194]

Ähnliche AnkĂŒndigungen hatte Roland Hartwig, damaliger Leiter der Arbeitsgruppe Verfassungsschutz (AG VS), bereits im Dezember 2019 getĂ€tigt:

„Wenn der Verfassungsschutz – politisch – eines Tages noch weiter gehen solle, die gesamte Partei beobachten wĂŒrde und vielleicht sogar Teile der Partei als begrĂŒndet rechtsextrem beobachten wĂŒrde, dann werden wir auf jeden Fall sofort vor Gericht ziehen.“[195]

Nur drei Tage vor der Pressekonferenz am 12. MĂ€rz 2020 hatten der AfD-Bundesvorstand und die JA einstweilige Rechtsschutzverfahren gegen das Bundesministerium des Innern mit der Forderung angestrengt, in dem entstehenden Verfassungsschutzbericht fĂŒr das Jahr 2018 die JA nicht als Verdachtsfall und den „FlĂŒgel“ nicht als Verdachtsfall oder erwiesene rechtsextremistische Bestrebung zu benennen. Am 28. Mai 2020 lehnte das VG Berlin beide AntrĂ€ge ab. Die BeschlĂŒsse wurden vom OVG Berlin-Brandenburg am 18. Juni 2020 bestĂ€tigt.[196]

Der AfD-Bundesvorstand beschloss vor dem Hintergrund der Höherstufung des „FlĂŒgel“ am 20. MĂ€rz 2020, dass dieser sich auflösen solle, und fordere ihn mit Frist bis zum 30. April 2020 auf,

„1) zu erklĂ€ren, dass alle Obleute (Landesbeauftragten) abberufen und diese Strukturen aufgelöst sind; 2) die Logonutzung ‚Der FlĂŒgel‘ zu beenden und alle eingetragenen und/oder beantragten Wort- und/oder Bildmarken an eine vom Bundesvorstand beauftrage Markenrechts-Kanzlei zu ĂŒbertragen; 3) die Webseite(n) des ‚FlĂŒgels‘ abzuschalten; 4) den ‚FlĂŒgel‘-Onlineshop zu schließen sowie 5) die ‚FlĂŒgel‘-Facebookseite(n) sowie – falls vorhanden, ebenso Instagram und/oder Twitter-Accounts – zu beenden und die Admin-Rechte soweit möglich an die BundesgeschĂ€ftsstelle zu ĂŒbertragen.“[197]

Damit wĂŒrden nun, so Meuthen, die „Institutionellen Strukturen“ des „FlĂŒgel“ endgĂŒltig „zerschlagen“.[198] Bald darauf distanzierte er sich jedoch von seiner Aussage. Er habe deren Veröffentlichung nie autorisiert und solche Äußerungen „sei(en) eigentlich nicht“ seine Sprache.[199] Meuthen hatte ursprĂŒnglich mit einem Antrag im Bundesvorstand darauf gedrungen, den „FlĂŒgel“ aufzufordern, sich bereits bis Ende MĂ€rz aufzulösen.[200] Er beschrieb den „FlĂŒgel“ in diesem Zusammenhang mit Begriffen, die erkennbar Assoziationen mit dem Kompositum „Nationalsozialismus“ hervorrufen sollen:

„Auf der einen Seite vertritt der FlĂŒgel scharfe nationalistische Positionen, auf der anderen Seite ergebt er Forderungen, die dem Sozialismus nahestehen. So etwas hat in der AfD keinen Platz und entspricht nicht unserer Programmatik.“[201]

Der Cheforganisator des „FlĂŒgel“, Andreas Kalbitz – der als einziges Bundesvorstandsmitglied gegen die Auflösungsaufforderung stimmte, wĂ€hrend sich mit Stephan Brandner (MdB) ein weiterer „FlĂŒgel“-Sympathisant der Stimme enthielt – bezeichnete den Beschluss als „Wahnsinn“.[202] Doch selbst auf Ebene der „FlĂŒgel“-FĂŒhrungspersonen herrschten zunĂ€chst widersprĂŒchliche Aussagen vor.

Am Tag nach dem Vorstandsbeschluss, dem 21. MĂ€rz 2020, erschien ein Interview Höckes mit Götz Kubitschek, dem Leiter das neurechten Institut fĂŒr Staatspolitik (IfS), in der Online-Ausgabe von dessen Zeitschrift Sezession. Darin Ă€ußerte Höcke, „Der FlĂŒgel“ setze – als erfolgreiches Projekt und nunmehr mit Blick auf einen verĂ€nderten Wirkungsmodus – schon „lĂ€ngst“, also unabhĂ€ngig von dem Vorstandsbeschluss, „seine Historisierung“ um.[203] Höcke zufolge war „Der FlĂŒgel“ nĂ€mlich nie Selbstzweck, sondern Mittel zur politischen Kurskorrektur der Gesamtpartei:

„Ohne den ‚FlĂŒgel‘ wĂ€re die AfD keine Alternative mehr, sondern vielleicht gerade noch eine Art eigenstĂ€ndige WerteUnion, also ein Mehrheitsbeschaffer von Merkels Gnaden. Das hat der ‚FlĂŒgel‘ verhindert.“

„Der FlĂŒgel“ hat also nach EinschĂ€tzung Höckes erfolgreich im Sinne seines GrĂŒndungszwecks auf dies Gesamtpartei ein- und in sie hineingewirkt, weshalb er seine Bestimmung erfĂŒllt und sich gleichsam ĂŒberflĂŒssig gemacht habe, sodass die Selbstauflösung von „FlĂŒgel“-Protagonisten ohnehin schon ins Auge gefasst worden sei:

„Nun geht das, worĂŒber wir lĂ€ngst nachdenken [Anm.: die Auflösung des ‚FlĂŒgel‘], eben schneller.“

Diese formale Auflösung bedeutet also keineswegs, dass die Inhalte und politischen Ziele des „FlĂŒgel“ obsolet geworden wĂ€ren, sie sollen vielmehr im Rahmen der Gesamtpartei Verbreitung und Anwendung finden:

„Unsere Arbeit weist ĂŒber den FlĂŒgel hinaus, Andreas Kalbitz, ich selbst und alle anderen politikfĂ€higen ‚FlĂŒgler‘ werden ihren politischen Kurs im Sinne der AfD weiterfĂŒhren.“[204]

In einer auf Facebook veröffentlichten Botschaft an die „Freunde des FlĂŒgels“ am 25. MĂ€rz 2020 schrieben Höcke und Kalbitz unter der Überschrift „Björn Höcke und Andreas Kalbitz zur ‚Auflösung‘ des FlĂŒgels“ („Auflösung“ wurde in distanzierende AnfĂŒhrungszeichen gesetzt) u.a. Folgendes:

„Damit wir die internen Angriffe von außen ĂŒberstehen, brauchen wir starke Nerven und einen krĂ€ftigen Zusammenhalt, der auch mit der Beendigung der AktivitĂ€ten des FlĂŒgels fortbesteht. [
] Der politische Einsatz geht weiter und fordert unsere ganze Kraft.“[205]

Der in dieser Botschaft offiziell angekĂŒndigten Auflösung gingen widersprĂŒchliche Aussagen des „FlĂŒgel“ selbst voraus. So war auf „Der FlĂŒgel“-Facebook-Seite bereits am 21. MĂ€rz 2020 zu lesen:

„Schweren Herzens haben wir heute entschieden, dass sich die Wertgemeinschaft des FlĂŒgels gemĂ€ĂŸ dem Beschluss des Bundesvorsands auflösen wird. Wir tun das in der Hoffnung, dass dies dem Wohl der gesamten Partei dienen wird.“[206]

Noch am selben Tag wurde diese Mitteilung jedoch gelöscht und ersetzt durch:

„Die kursierenden Medienmeldungen ĂŒber einen angeblich heute gefassten ‚Beschluss zur Auslösung des FlĂŒgels‘ sind unzutreffend.“[207]

Wenige Tage spĂ€ter, am 24. MĂ€rz 2020, bestĂ€tigte Kalbitz dann gegenĂŒber der Presse, „Der FlĂŒgel“ werde dem Beschluss des Bundesvorsands nachkommen.[208] Zum 30. April 2020 wurde „Der FlĂŒgel“ dann formal aufgelöst, d. h. der bestehende Internetauftritt und alle Profile und Accounts des „FlĂŒgel“ wurden gelöscht. Auch fanden seitdem offiziell keine Veranstaltungen unter dem Begriff „FlĂŒgel“ statt. Ebenso wurde das „FlĂŒgel“-Logo nicht mehr verwendet. Ungeachtet dieser öffentlich wahrnehmbaren Handlungen könnte in der Folgezeit dennoch festgestellt werden, dass das hinter dem „FlĂŒgel“ stehende Personennetzwerk die bisherige Bestrebung in informellerer Form fortfĂŒhrte. So sind z. B. auch nach April 2020 Veranstaltungen feststellbar, in denen als Redner ausschließlich AnhĂ€nger und FunktionĂ€re des „FlĂŒgel“ teilnehmen und die deshalb als erheblich „FlĂŒgel“-beeinflusst einzustufen sind.

Nach der Aufforderung des Bundesvorstands an den „FlĂŒgel“, sich selbst aufzulösen, legte Jörg Meuthen nach und brachte am 1. April 2020 in einem Interview mit der Onlineausgabe von Tichys Einblick eine Abspaltung das „FlĂŒgel“ von der AfD ins GesprĂ€ch. So sagte Meuthen:

„Jeder weiß, dass der FlĂŒgel und dessen maßgebliche Exponenten uns ganz massiv WĂ€hlerstimmen im bĂŒrgerlichen Lager kosten, und ich denke auch, dass die ordoliberalen Ansichten des bĂŒrgerlich-konservativen Teils der AfD noch bessere Ergebnisse im staatspaternalistisch geprĂ€gten WĂ€hlermilieu des FlĂŒgels verhindern. [
]

An eine AfD ohne FlĂŒgel wĂŒrde die Union scharenweise sich als konservativ verstehende WĂ€hler verlieren, und fĂŒr die beliebige und mutlose FDP, die sich ja nur noch mit der verschreckten AfD-Klientel ĂŒber Wasser halten kann, wĂ€re das wohl unmittelbar existenzbedrohend. Auf der anderen Seile wĂŒrde ein in seinem sogenannten Sozialpatriotismus nicht mehr durch Freiheitliche wie mich eingeschrĂ€nkter FlĂŒgel der Linkspartei im Osten vermutlich auch noch weitere WĂ€hler abnehmen. [
]

Insgesamt ließen sich so [Anm.: mit einer Spaltung in zwei Parteien] mehr und nicht etwa weniger WĂ€hler erreichen als in der derzeitigen, wenn man einmal ehrlich ist, permanent konflikttrĂ€chtigen Konstellation. Es ist insofern eine Torheit, sich der Bereitschaft, diesen Weg auch nur zu denken, nicht einmal ergebnisoffen zu stellen, und stattdessen wie alte Sozialistenkader permanent das Hohelied der Einigkeit zu singen, wo man Einigkeit in vielen Politikfeldern selbst mit der Lupe suchend kaum wird erspĂ€hen können. Das Parteimotto ‚Mut zur Wahrheit‘ tut hier bitter not.“[209]

Dieser Spaltungsvorschlag wurde Medienberichten zufolge im Bundesvorsand und von vielen hochrangigen Parteimitgliedern scharf kritisiert.

So wurde im April 2020 auf einer eigens eingerichteten Homepage die sogenannte Dresdner ErklĂ€rung veröffentlicht, die als Initiative von fĂŒhrenden Mitgliedern des sĂ€chsischen Landesverbandes angesehen werden kann. So wird im Impressum als Verantwortlicher fĂŒr die Homepage der sĂ€chsische Landtagsabgeordnete Norbert Mayer genannt. Weiterhin befinden sich unter den 28 Erstunterzeichnern u. a. der Landesvorsitzende Jörg Urban, der stellvertretende Landesvorsitzende Siegbert Droese, der GeneralsekretĂ€r des Landesverbandes Jan Zwerg, die stellvertretende Schatzmeisterin Doreen Schwietzer, die drei Beisitzer im Landesvorstand Sebastian Wippel, Karsten Hilse und Andreas Harlaß sowie der Bundessprecher Tina Chrupalla. DarĂŒber hinaus gehören auch zahlreiche AnhĂ€ngerinnen und AnhĂ€nger des zum damaligen Zeitpunkt nach nicht formal aufgelösten „FlĂŒgel“ zu den Unterzeichnern, so z.B. Andreas Kalbitz, Martin Reichardt, Oliver Kirchner, Jens Kestner, Thomas Röckemann, Dubravko Mandic, Paul Traxl und Christina Baum. Diese AufzĂ€hlung verdeutlicht, dass die ErklĂ€rung ursprĂŒnglich zwar als sĂ€chsische Initiative zu betrachten war, im weiteren Verlauf allerdings eine bundesweite Resonanz erfuhr.[210a]

Nach Ansicht der Unterzeichnenden befindet sich Deutschland gegenwĂ€rtig in einer schweren Krise, weshalb man sich mit seiner ganzen Kraft einsetze mĂŒsse, um letztlich „in einer dem inneren und Ă€ußeren Frieden verbundenen, freiheitlichen und sozial ausgewogenen Gesellschaft zu leben, in der wir uns als Deutsche wiederfinden und wohl fĂŒhlen können“.

In der zentralen Passage der ErklĂ€rung heißt es:

„Wir erklĂ€ren hiermit, dass wir vor dem Hintergrund der Verantwortung, die auf uns lastet, fĂŒrderhin in unseren Reihen nur solche Personen respektieren und fördern werden, die sich diesem Ziel verpflichtet sehen und die sich unmissverstĂ€ndlich und glaubhaft in Wort und Tat zur Einheit der Partei bekennen.“[210b]

Besonders der Verweis auf die Einheit der Partei kann dabei als Kritik am Vorschlag von Jörg Meuthen verstanden werden, der von den Unterzeichnenden in aller Deutlichkeit zurĂŒckgewiesen wurde.

Tino Chrupalla zeigte sich darĂŒber hinaus auch an anderer Stelle von dem unabgesprochenen Vorstoß Meuthens „einigermaßen ĂŒberrascht – und menschlich enttĂ€uscht“ und Ă€ußerte, „die Einheit der Partei“ werde „niemals zur Debatte stehen“. FĂŒr die Fraktionsvorsitzende Alice Weidel war Meuthens Vorschlag „völlig verfehlt“.[210c] Der Ehrenvorsitzende Alexander Gauland wertete die Idee als „wenig zielfĂŒhrend und extrem unpolitisch“ ab. Die stellvertretende Bundesvorsitzende Beatrix von Storch schrieb, sie halle „NICHTS von diesen Gedankenspielen“.[211] Höcke fand Meuthens Vorschlag „töricht und verantwortungslos“, das Abspalten von „relevanten Gruppen oder gar die Spaltung der Partei“ wĂ€ren ein Zeichen des Scheiterns.[212]

Zustimmung erhielt der Vorschlag nur vereinzelt, so etwa von Georg Pazderski (MdA).[213] Entsprechend rasch distanzierte sich Meuthen wieder von seiner eigenen Idee und betonte, es habe sich um einen „strategischen Denkansatz“ und nicht um eine „konkrete Forderung“ gehandelt.[214] Zur ĂŒberwiegenden Ablehnung seines Vorschlags bekundete Meuthen:

„Es ist unĂŒbersehbar, dass der Wille zur Einheit alles andere ĂŒberlagert. Und dann ist auch so vorzugehen.“[215]

Im April 2020 wurde aufgrund dieses Interviews sogar ein Parteiausschlussverfahren gegen den Bundesvorsitzenden diskutiert, da dessen Aussagen der AfD laut Beschlussvorlage „sehr geschadet“ hĂ€tten. Ein weiterer Vorwurf in diesem Zusammenhang zielte auf Meuthens Äußerung, nicht alle Mitglieder das „FlĂŒgel“ stĂŒnden komplett auf dem Boden des Grundgesetzes. Eingebracht wurde der Vorschlag zum Parteiausschlussverfahren von Co-Bundessprecher Tino Chrupalla und den Vorstandsmitgliedern Alice Weidel und Stephan Brandner. Meuthen lenkte schließlich ein und sprach von einem Fehler, weshalb er ein Ausschlussverfahren, das sieben von dreizehn ParteivorstĂ€nden anlehnten, letztlich abwenden konnte. In einem einstimmigen Beschluss, der an alle AfD-Mitglieder versandt wurde, stellte der Parteivorstand aber nochmals die Schwere des Fehlers in Meuthens Verhalten heraus, was fĂŒr ihn eine gravierende öffentliche DemĂŒtigung und damit auch SchwĂ€chung bedeutende.[216]

Mehrfach halle Meuthen in den vergangenen zwei Jahren versucht, zumindest nach außen auf ein gemĂ€ĂŸigteres Erscheinungsbild der AfD hinzuwirken. Bereits im Februar 2019 warnte Meuthen auf dem baden-wĂŒrttembergischen Landesparteitag in Heidenheim, wer seine „gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit ausĂŒben“ wolle, sei in der AD falsch. Björn Höcke entgegnete diesen Angriffen auf dem „KyffhĂ€usertreffen“ des „FlĂŒgel“ im Juli 2019 mit der AnkĂŒndigung, er garantiere, dass beim nĂ€chsten Bundesparteitag „der Bundesvorstand in dieser Zusammensetzung nicht wiedergewĂ€hlt“ werde.[217]

Mitte April 2020 forderte der AfD-Bundesvorstand mit Blick auf die im BfV-Gutachten dargelegten rechtsextremistischen BezĂŒge von Kalbitz diesen mit einer knappen Mehrheit – sieben Ja-Stimmen‚ vier Nein-Stimmen und zwei Enthaltungen – auf, detailliert ĂŒber seine Mitgliedschaften in politischen Organisationen und Vereinigungen Auskunft zu geben.[218] In einer fĂŒnfseitigen Stellungnahme rĂ€umte Kalbitz ein, es sei „durchaus möglich und wahrscheinlich“, dass sein Name auf einer „Interessen- oder Kontaktliste“ der Heimattreuen Deutschen Jugend (HDJ) – einer neonazistischen Vereinigung, die 2009 vom Bundesministerium das Innern verboten wurde – auftauche. Er habe jedoch lediglich zwei Veranstaltungen der HDJ aufgesucht und sei zu keinem Zeitpunkt dort oder in einer anderen rechtsextremistischen Vereinigung Mitglied gewesen.[219]

Am 15. Mai 2020 beschloss der Bundesvorstand, Kalbitz‘ AfD-Mitgliedschaft aufgrund der von ihm verschwiegenen Mitgliedschaften in der HDJ und in der Partei Die Republikaner zu annullieren. Die Entscheidung erfolgte mit sieben Ja- und fĂŒnf Nein-Stimmen sowie einer Enthaltung.

Meuthen, der diesen Antrag maßgeblich forciert hatte, verwies darauf, es gehe ausschließlich um eine rechtliche, nicht um eine politische Bewertung von Kalbitz‘ Vergangenheit, weshalb damit auch keine Aussage ĂŒber seine gegenwĂ€rtigen politischen Auffassungen getroffen werde.[220] An anderer Stelle betonte Meuthen jedoch:

„Wenn wir die AfD zusammenhalten wollen, mĂŒssen wir eine faste Brandmauer gegen Rechtsextremisten errichten.[221]

Dass sich Meuthens EinschĂ€tzung auch zu Kalbitz‘ politischer Ausrichtung geĂ€ndert haben könnte, deutete er in einer weiteren Äußerung an:

„Er [Anm.: Kalbitz] hat sich auch in keiner Weise von dieser rechtsextremen Vergangenheit losgesagt. Die HDJ war eine neonazistische Organisation, die spĂ€ter verboten wurde. Ich habe von Herrn Kalbitz nur gehört: Ich kann mich ja nicht von mir selbst distanzieren. [
] Er hat sich von seiner rechtsextremen Vergangenheit nicht glaubhaft distanziert. [
] Wenn Sie das Puzzle zusammensetzen, dann besteht fĂŒr uns kein Zweifel daran, dass Herr Kalbitz Mitglied der HDJ war.“[222]

Meuthen rÀumte VersÀumnisse im Umgang mit Kalbitz ein, als er bekundete:

„Wenn man sauberer recherchiert hĂ€tte, dann hĂ€tte man manche Erkenntnis frĂŒher haben können. [
] Insofern habe ich da einiges nicht wahrgenommen. Das hĂ€tte man vielleicht wissen können. Ich habe es aber nicht gewusst.“[223]

Der Umgang des Bundesvorsands mit Kalbitz wurde von Roman Reusch (MdB und Beisitzer im AfD-Landesverband Brandenburg) – ehemals leitender Staatsanwalt in Berlin und seinerzeitiges Mitglied der AG VS – als „Dilettantismus“ bezeichnet, stĂŒtze sich der Beschluss doch auf das BfV-Gutachten, gegen das die AfD zur gleichen Zeit juristisch vorgehe.[224]

Gegen die Entscheidung des Bundesvorstands ging Kalbitz im Wege des Eilrechtsschutzes beim Landgericht Berlin vor. Dieses gab seinem Antrag statt und erklĂ€rte damit im Juni 2020 die Annullierung seiner Mitgliedschaft fĂŒr unzulĂ€ssig. Das Bundesschiedsgericht der AfD bestĂ€tigte aber am 25. Juli 2020 erneut den Beschluss das Bundesvorsands. Auch gegen diese Entscheidung ging Kalbitz im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes vor. Sein Eilantrag vor dem Landgericht Berlin blieb jedoch erfolglos. Die Berufung Kalbitz‘ gegen die Entscheidung des Landgerichts Berlin wies das Kammergericht Berlin am 22. Januar 2021 zurĂŒck. Gegen dieses Urteil des Kammergerichts ist im Eilverfahren kein weiteres Rechtsmittel statthaft.[225]

Somit ist Kalbitz aktuell nicht mehr Mitglied der Partei, gehört allerdings als parteiloser Abgeordneter weiterhin der brandenburgischen AfD-Landtagsfraktion an, die dafĂŒr eigens ihre GeschĂ€ftsordnung Ă€nderte.

Neben Andreas Kalbitz verlor mit dem Bundestagsabgeordneten Frank Pasemann ein weiterer prominenter AnhĂ€nger des „FlĂŒgel“ im Jahr 2020 seine Mitgliedsrechte. Er wurde auf Beschluss des Landesschiedsgerichts Sachsen-Anhalt im August 2020 aus der Partei ausgeschlossenen. Diesen Beschluss bestĂ€tigte das Bundesschiedsgericht schließlich im November 2020.

Nach dem elektoral erfolgreichen Jahr 2019 war 2020 also besonders durch den inzwischen offen ausgetragenen Machtkampf zwischen den unterschiedlichen Parteilagern geprĂ€gt, wobei sich zwei Blöcke herausgebildet haben: zum einen der Block um den Bundessprecher Jörg Meuthen, und zum anderen der Block um Björn Höcke, dem neben den AnhĂ€ngern des formal aufgelösten „FlĂŒgel“ auch einflussreiche Vertreter der Bundespartei, wie Meuthens Co-Bundessprecher Tino Chrupalla und die beiden Fraktionsvorsitzenden im Bundestag, Alice Weidel und Alexander Gauland, zugerechnet werden können. Dieser Dualismus zeigte sich auch beim Bundesparteitag 2020 am 28. und 29. November 2020 in Kalkar (NW).

Am Vortag des Bundesparteitags verabschiedete der Bundestorstand am 27. November 2020 einstimmig einen Grundsatzbeschluss zum Thema „AfD und freiheitlich-demokratische Grundordnung“, in dem es u. a, heißt:

„1. Die AfD bejaht die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes. Sie tritt aktiv fĂŒr die Wahrung der Demokratie, des Rechtsstaats und fĂŒr die Achtung und den Schutz der MenschenwĂŒrde ein.

2. Wenn ein Mitglied sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung richtet, ist das ein sehr schwerwiegender Verstoß gegen die GrundsĂ€tze der Partei.

3. Wenn ein Mitglied Äußerungen tĂ€tigt, die inhaltlich mit einem der GrundsĂ€tze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung unvereinbar sind, oder wenn ein Mitglied Äußerungen macht oder andere Verhaltensweisen vornimmt, die rechtmĂ€ĂŸig als Anhaltspunkte fĂŒr gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebungen der AfD gewertet werden können, ist das ein erheblicher Verstoß gegen die GrundsĂ€tze der Partei.

4. In der Praxis hat sich allerdings gezeigt, dass die Verfassungsschutzbehörden hĂ€ufig Äußerungen oder andere Verhaltensweisen als Anhaltspunkte fĂŒr verfassungsfeindliche Bestrebungen der AfD oder einer Gliederung der Partei bewerten, obwohl sie nach Auffassung der AfD nicht so bewertet werden dĂŒrfen und die Bewertung der Verfassungsschutzbehörden nach Auffassung der AfD also rechtswidrig ist. Im Falle rechtswidriger Bewertungen der Äußerungen oder anderen Verhaltensweisen eines Mitglieds liegt kein Verstoß des Mitglieds gegen GrundsĂ€tze der Partei im Sinne von Nr. 2 oder Nr. 3 vor. Die AfD geht in geeigneter Weise gegen rechtswidrige Bewertungen der Verfassungsschutzbehörden gerichtlich vor.

5. Bei rechtlichen Streitigkeiten ĂŒber Bewertungen der Verfassungsschutzbehörden geht es der AfD darum, die Offenheit des politischen Willensbildungsprozesses und die Meinungsfreiheit gegen rechtswidrige Einengungen seitens des Verfassungsschutzes und gegen die politische Instrumentalisierung des Verfassungsschutzes zu verteidigen, die mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung unvereinbar sind.

6. Da die AfD die freiheitliche demokratische Grundordnung uneingeschrĂ€nkt bejaht und sie gegen ihre Verletzung verteidigt, beruhen die Rechtsstreitigkeiten, welche die AfD gegen Verfassungsschutzbehörden fĂŒhrt, auf einem unterschiedlichen VerstĂ€ndnis davon, welche Anforderungen sich aus der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Hinblick auf Äußerungen und andere Verhaltensweisen ergeben, mitunter auch aus einer unterschiedlichen Interpretation einzelner verfassungsrechtlicher Anforderungen. Im Streit um die richtige Interpretation kann am Ende eines gerichtlichen Verfahrens nur eine Seite Recht bekommen. Die AfD erklĂ€rt hiermit, dass sie nach Ausschöpfung der zur VerfĂŒgung stehenden Rechtsschutzmöglichkeiten das Ergebnis der letztinstanzlichen Entscheidung, gegebenenfalls der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, akzeptieren wird. Das heißt konkret insbesondere: Falls sich herausstellen sollte, dass bestimmte Äußerungen, die nach Auffassung der AfD verfassungskonform sind, nach der letztinstanzlichen verwaltungsgerichtlichen Entscheidung und gegebenenfalls nach ÜberprĂŒfung durch das Bundesverfassungsgericht vom Verfassungsschutz zutreffend als Anhaltspunkte fĂŒr gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebungen gewertet worden sind, wird die AfD solche Äußerungen kĂŒnftig unterlassen und mit den Mitteln des Parteiordnungsrechts dies auch gegenĂŒber ihren Mitgliedern durchsetzen.“[226]

Neben der Verabschiedung eines sozialpolitischen Programms stand außerdem die Neuwahl eines Beisitzers im Bundesvorstand (Nachfolge von Andreas Kalbitz), des Bundesschatzmeisters sowie mehrerer RechnungsprĂŒfer und Richter/Ersatzrichter fĂŒr das Bundesschiedsgericht auf der Tagesordnung. Die inhaltlichen Debatten um die Verabschiedung des sozialpolitischen Leitantrags gerieten allerdings in den Hintergrund, nachdem Jörg Meuthen in seiner Rede am ersten Veranstaltungstag verschiedene Entwicklungen in der Partei – darunter die stĂ€ndige verbale Radikalisierung, die Orientierung an unzeitgemĂ€ĂŸen Lösungsmustern der Vergangenheit fĂŒr Probleme des 21. Jahrhunderts oder die Solidarisierung mit abseitigen Positionen bei den Protesten gegen Maßnahmen zur EindĂ€mmung der SARS-CoV-2-Pandemie – scharf kritisiert hatte.

Dass seine vorgetragene Kritik auf Verwunderung und auch Ablehnung stoßen werde, war Meuthen offenbar bewusst. So erklĂ€rte er zu Beginn die Motivation fĂŒr seine Rede damit, in den aktuellen innerparteilichen Entwicklungen eine GefĂ€hrdung fĂŒr die bisherigen Erfolge zu sehen:

„Meine ursprĂŒngliche Absicht war dann die, die Rededauer – jedenfalls schwerpunktmĂ€ĂŸig – fĂŒr eine inhaltliche HinfĂŒhrung zu einer Befassung mit unserem Schwerpunktthema dieses Parteitages zu nutzen und vor allem zu unseren AnsĂ€tzen zu einer modernisierten und zukunftsfesten alternativen Sozialpolitik zu sprechen. Das werde ich aber heute aber anders halten. Weil dieses Thema zwar in der Tat höchst wichtig ist, [
] aber es gibt – und ich muss sagen leider – noch Wichtigeres, wozu ich meine zu Ihnen sprechen zu mĂŒssen, darum hier jetzt nur einfĂŒhrend ganz kurze Anmerkungen zu Leitantrag und ergĂ€nzenden AntrĂ€gen, [
] Und nun zu dem, was ich fĂŒr unsere Partei in ihrer derzeitigen Phase als nach gravierender erachte als diese sozialpolitischen ReformĂŒberlegungen. Liebe Freude, seien wir bitte ehrlich miteinander und legen wir auch darin den Mut zur Wahrheit an den Tag, den wir uns doch aus gutem Grund auf die Fahnen geschrieben haben. Wenn wir das tun und einmal einen Blick von außen auf unsere Partei werfen, dann sind wir – nach inzwischen sieben Jahren einer in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland einmaligen Erfolgsgeschichte – nun an einem Punkt angelangt, an dem es nicht mehr automatisch immer weiter nach oben geht und sich Wahlerfolg an Wahlerfolg reiht. Erstmals mĂŒssen wir sogar auf breiterer Front gewahr werden, dass alle unsere bisherigen Erfolge, mit denen wir die Altparteien aufgemischt haben, wie es niemanden vor uns gelungen ist, nun gefĂ€hrdet sind wie noch nie.“[227]

In der Folge definierte Meuthen zwei Grundvoraussetzungen, die aus seiner Sicht fĂŒr die Einheit einer Partei unverzichtbar sind:

„Und da sage ich, es machen sich einige vom einfachen Mitglied bis in die FĂŒhrungsriege derzeit leider etwas zu einfach. Die fehlende Einheit und Geschlossenheit sei schuld. Die fehle und deshalb mĂŒssten wir nur alle zusammenstehen und dann wĂ€re schwupps das Problem gelöst. Klingt plausibel, ist aber, ich sage das klar und deutlich, zu einfach. Einheit in was denn? Eine echte, nicht nur gespielte, Einheit besteht immer in einer hinlĂ€nglichen Summe an inhaltlichen Gemeinsamkeiten als elementare Grundvoraussetzung. [
] Gelebte Einheit, liebe Freunde, verlangt zweitens eben nicht nur eine hinreichend hohe Gemeinsamkeit an inhaltlichen Positionen, sondern auch an sozialen Verhaltensweisen und gemeinsamen oder jedenfalls kompatiblen Sprachgebrauch. Und ist das nicht vorhanden, dann wird die Forderung nach Einheit und Zusammenhalt zur leeren WorthĂŒlse. Oder schlimmer noch, zu einer pseudo-moralischen Erpressung. Wissen Sie, wer sich erst in Wort oder Handeln tĂŒchtig daneben benimmt, um dann aber sogleich die SolidaritĂ€t der ganzen Partei mit diesem Verhalten einzufordern, versucht, Parteimitglieder in eine Kollektivhaftung fĂŒr das eigene Fehlverhalten zu nehmen. Und ich halte es fĂŒr indiskutabel, das dann als ein Verlangen nach vermeintlich unabdingbarer Einheit zu bezeichnen. Nein liebe Freunde, ich will hier ganz deutlich sein, lassen wir ruhig die im Regen stehen, die nur allzu gerne rumkrakelen und rumprollen oder auch andere dazu einladen, wie wir das vergangene Woche leider im Bundestag erleben mussten, weil sie sich in der Rolle des Provokateurs gefallen wie pubertierende Schuljungen und vor allem der eigenen ĂŒberschaubaren Blase zeigen wollen, was fĂŒr tolle Kerle sie doch sind. Verweigern wir diesen Leuten die Geschlossenheit.“[271]

Im weiteren Verlauf mahnte Meuthen sodann eine „innerparteiliche Disziplin“ an, zu der such eine entsprechende Wortwahl gehöre. So machte er seine Kritik z. B. an der Verwendung der Begriffe „Corona-Diktatur“ und „ErmĂ€chtigungsgesetz“ fest, die aus seiner Sicht ĂŒber eine scharfe Kritik an der gegenwĂ€rtigen Politik hinausgingen, da sie „im Grunde die Systemfrage“ stellten und „ganz bewusst Assoziationen an die NS-Zeit und Hitlers Machtergreifung 1933“ weckten. Dabei nahm Meuthen nicht nur einfache Mitglieder in die Verantwortung, sondern bezog seine Kritik auch explizit auf Mandats- und AmtstrĂ€ger:

„Und wĂ€hrenddessen, und das ist das, weswegen ich diese Worte wĂ€hle, verhalten sich bei uns einige wenige, ich betone wenige, unreife und dieser Verantwortung offenkundig nicht gewachsene Mitglieder bis hin zu Mandats- und AmtstrĂ€gern wie trotzige Pubertierende mit Lust an billiger, zuweilen regelrecht flegelhafter, Provokation, in der sie sich auch noch geradezu selbstverliebt gefallen.“[272]

Die Rede, die er in einem Interview am Folgetag selbst als „Brandrede“ und „Ordnungsruf an die Partei“ bezeichnete, wurde von Teilen des Parteitags als spalterisch und als erneuter Angriff auf das konkurrierende Parteilager verstanden. Aus diesem Grund wurde zu Beginn des zweiten Veranstaltungstages ein Antrag durch den stellvertretenden Landesvorsitzenden der AfD Niedersachsen, Stephan Bothe, mit dem Ziel eingebracht, der das Ziel hatte, den eigentlich erst im spĂ€teren Verlauf zu behandelnden Sachantrag SN03 vorzuziehen. Dieser Sachantrag, eingerichtet vom Kreisvorstand Freiburg und begrĂŒndet vom „FlĂŒgel“-AnhĂ€nger Dubravko Mandic, beinhaltete die Aufforderung, der Bundesparteitag möge folgende ErklĂ€rung beschließen:

„Der Bundesparteitag missbilligt das spalterische Gebaren von Bundessprecher Jörg Meuthen und seinen ParteigĂ€ngern. Er stellt fest, dass der Absturz in der WĂ€hlergunst kausal genau damit zusammenhĂ€ngt.[230]

Bothe begrĂŒndete seinen Antrag auf Änderung der Tagesordnung folgendermaßen:

„Gestern hat Jörg Meuthen mit seiner Rede die Grundfeste dieser Partei erschĂŒttert und da ist es doch unsere Pflicht als Parteitag, diese Rede zur Diskussion zu stellen. Gestern hat Herr Meuthen unsere Partei, die Bundestagsfraktion, unseren Ehrenvorsitzenden und am Ende auch noch Bismarck angegriffen. Hier darf der Parteitag nicht unwidersprochen das hinnehmen. Daher gilt es, diesen TOP aufzurufen. Ich will mich gar nicht mit dem Antragssteller hier gemein machen. Es wird einen Änderungsantrag aus Brandenburg geben. Aber wir als Partei mĂŒssen hier heute ein Zeichen setzen, dass wir diese Rede von Herrn Meuthen so nicht stehen lassen können und wir sie zurĂŒckwerfen.“[231]

Der Antrag Bothes wurde schließlich, nachdem zuvor bereits ein Antrag auf Nichtbefassung mit dem Sachantrag SN03 mehrheitlich abgelehnt wurde, mit 53,2 % (255 Delegiertenstimmen) angenommen, woraufhin die Diskussion eröffnet wurde. Zu Beginn wurde durch den Landesvorstand Brandenburg, vertreten durch die stellvertretende Landesvorsitzende, Birgit Bessin (MdL, BB), ein weiterer Änderungsantrag eingebracht. Dieser besagte im Wortlaut:

„Der Bundesparteitag missbilligt die Unterstellungen aus der BegrĂŒĂŸungsrede van Prof. Dr. Meuthen und weist diese Unterstellungen zurĂŒck.“

Bessin begrĂŒndete den Antrag damit, dass Meuthen sein Rederecht missbraucht habe, was sie u. a. auf Meuthens Ärger zurĂŒckfĂŒhrte, dass sein eigenes Rentenkonzept nicht mehrheitsfĂ€hig gewesen sei.

In der folgenden mehrstĂŒndigen Diskussion, in deren Rahmen es zu weiteren GeschĂ€ftsordnungs- und ÄnderungsantrĂ€gen kam, erhielt Meuthen fĂŒr seine Rede UnterstĂŒtzung und Zuspruch von mehreren Delegierten. So dankte einer der Delegierten Meuthen explizit fĂŒr seine Rede:

„Die Antragsteller, die sprechen immer von Einigkeit. Welche Einigkeit meinen die? Das ist die Einigkeit einer Bewegung, wie es die Antragsteller, aber auch Björn Höcke immer sagen. Das ist die Einigung, Einigkeit der neurechten Bewegung und da sind PEGIDA, Querdenker und so weiter das Harmlose. Das andere sind NPD, Neue Rechte und so weiter. Diese Einigkeit brauchen wir nicht. Wir brauchen die Einigkeit der Partei der Alternative fĂŒr Deutschland und dafĂŒr steht Jörg Meuthen und dafĂŒr danke ich ihm.“[232]

Christoph Högel, stellvertretender Sprecher des Kreisverbandes Bodensee (BW), nahm diese Argumentation in seinem Beitrag ebenfalls auf:

„Wir hören hier stĂ€ndig: Einigkeit, Einigkeit, Einigkeit. Aber kann es vielleicht sein, dass manche Mitlieder, nicht alle, aber manche Mitglieder den Begriff Einigkeit dazu verwenden, jegliche Kritik an Personen abzuwĂ€lzen und beispielsweise auch zu sagen: ‚Wir brauchen Einigkeit in der Sache, wir brauchen Einigkeit auf sachlicher Ebene, aber wir brauchen Einigkeit nicht, wenn es darum geht sĂ€mtliche extremistische Meinungen, die u. a. auch Herr Mandic vertreten hat – denn erinnern wir uns, er hat mal gesagt ‚Wir unterscheiden uns von der NPD weniger durch inhaltliche Sachen, sondern mehr durch unser bĂŒrgerliches WĂ€hlerspektrum.‘ Das, meine Damen und Herren, das bĂŒrgerliche WĂ€hlerspektrum, sind wir gerade dabei zu verlieren, wenn wir Herrn Meuthen hier abschießen.“[233]

Den Begriff der Einigkeit problematisierte ein weiterer Delegierter:

„Einigkeit. Einigkeit, ja das ist wichtig, aber das mĂŒssen wir von denen einfordern, die sie permanent brechen, um sich danach wieder dahinter zu verstecken. Das sind jene Leute‚ die auf einem Sarg von Herrn Meuthen tanzen. Das sind jene Leute, die in der AfD eine NPD 2.0 sehen wollen. Das sehen die meisten von uns nicht. Und das sind jene Leute, die Parteifreunde ausschwitzen wollen. Und das dĂŒrfen wir nicht zulassen.“

Der Bezirksvorsitzende der AfD Spandau (DE), Andreas Otti kritisierte zudem die Vorgehensweise der Antragsteller:

„Strategie und Taktik auf der politischen Ebene. Frau Bessin, weiche Strategie und welche Taktik verfolgen Sie? Die Strategie ist die Organisierung der entsprechenden Einzelaktionen, die am Ende des Tages zum Erfolg dieser Partei fĂŒhrt. Aber es sind ja nicht nur Sie, Frau Bessin oder Herr Mandic, es ist Herr Höcke. Wo ist der ĂŒberhaupt? Zeigen Sie sich mal hier. Sie sind der Strippenzieher im Hintergrund, Herr Höcke, das sage ich hier ganz klar und deutlich, der nicht entscheiden kann und der nicht weiß, was politische Kampfkraft und der politische Gegenwert ist. Wir haben eine große Kampfkraft gemeinsam. Der Gefechtswert ist gleich null, wenn Sie ihre Bataillone im sumpfigen GelĂ€nde stehen fassen.“

Neben diesen unterstĂŒtzenden Äußerungen zugunsten Meuthens, die dessen RĂŒckhalt bei Teilen der Delegierten belegen, gab es auch zahlreiche Aussagen, die ihn deutlich kritisierten.

Der sÀchsische Landes- und Fraktionsvorsitzende Jörg Urban warf Meuthen z. B. vor, dass er mit seiner Rede die Partei gespalten habe:

„Ich kritisiere die Rede von Herrn Meuthen, weil ich nicht glaube, dass diese Diskussion unsere Partei einigt – nein sie spaltet sie noch weiter.“[234]

Das Mitglied im Bundesvorstand, Stephan Brandner (MdB), sprach in seinem Beitrag von einem schweren Schaden, den Meuthen der Partei zugefĂŒgt habe:

„Ja, liebe Freunde, ich soll den Puls runterfahren. Aber ich glaube, ich habe gar keinen Puls mehr nach dem Verlauf der Debatte. [
] Es fing super an und was kam dann? Ein Torpedo von Jörg Meuthen. Er hat das torpediert, medial ĂŒberlagert. Er hat schweren Schaden unserer Partei und diesem Parteitag zugefĂŒgt. Welche Motive haben ihn geleitet? Ich weiß es nicht. Ich weiß es nicht, aber es sind keine guten Motive. Denn den Weg, den Jörg Meuthen im MĂ€rz dieses Jahres mit Spaltungsdebatte eingeleitet hat, fĂŒhrt er unbeirrt fort. Lieber Jörg, dieser Weg ist ein Irrweg. Dieser Weg ist falsch. Du spaltest die Partei. Komm zu uns zurĂŒck. Du hilfst damit nur den Altparteien. Es ist nicht gut fĂŒr diese AfD, es schadet der AfD, es hilft nur den Altparteien. Jörg, komm zurĂŒck in unsere Familie, dann nehmen wir Dich auch gerne wieder auf.“[235]

Dieser Vorwurf des ZufĂŒgens eines „schweren Schaden(s)“ ist insoweit schwerwiegend, als er laut § 7 Abs. 5 der AfD-Bundessatzung die Grundlage fĂŒr ein Parteiausschlussverfahren darstellt.

Der Landtagsabgeordnete Hans-Thomas Tillschneider, „FlĂŒgel“-Obmann in Sachsen-Anhalt, bezeichnete Meuthen in seinem Redebeitrag als „FĂŒhrer ins Nichts“.[236]

Am Abend zuvor hatte er bereits in einem Interview erklÀrt:

„Naja, er [Anm.: Jörg Meuthen] hat eben weite Teile, weiten Teilen der Partei den Krieg erklĂ€rt. Also die OstverbĂ€nde, die waren aufgebracht. [
] Er hat in den wesentlichen Fragen anders denkenden Teilen der Partei ziemlich hart den Krieg erklĂ€rt. Dies betrifft die OstverbĂ€nde. Wir in Sachsen-Anhalt, wir haben von Anfang an gegen die Corona-Verordnungen demonstriert, auch unter dem Begriff Corona-Diktatur. Der Christoph Berndt, der Fraktionsvorsitzende aus Brandenburg, hat sich sehr ĂŒber diese Rede aufgeregt, weil sie auch gegen seine Politik gerichtet ist. Das war eine KriegserklĂ€rung an die eigene Partei.“[237]

Die „FlĂŒgel“-Obfrau in Baden-WĂŒrttemberg, Christina Baum (MdL), griff Meuthen ebenfalls im Laufe der Diskussion an und warb entsprechend fĂŒr die geforderte RĂŒge:

„Liebe Freunde, ich bitte Euch zu bedenken, dass es nicht das erste Mal ist, was Her Meuthen hier gestern veranstaltet hat. Wir haben die Fraktionsspaltung gehabt, wir haben eine ganz ĂŒble Rede zu einem Parteitag in Heidenheim, die er genauso begangen hat, begonnen hat wie gestern hier, indem er die HĂ€lfte der Mitglieder beschimpft hat. Ich bin auch dafĂŒr, dass wir wirklich hier Sacharbeit machen, aber er muss, Herr Meuthen muss endlich mal begreifen, dass er so nicht weitermachen kann, ohne dass er die HĂ€lfte der Partei verliert. Und deshalb mĂŒssen wir ihn irgendwie ermahnen oder was such immer, aber er kann und darf so nicht weitermachen, sonst ist das das Ende der AfD.“[238]

Der prominente „FlĂŒgel“-AnhĂ€nger JĂŒrgen Pohl (MdB) warf Meuthen Arroganz vor und kritisierte ihn auch fĂŒr seine Abgrenzung gegenĂŒber der Querdenken-Bewegung:

„Er schickt Querdenken nach Hause. Das kann nicht sein. Und das Ganze hat Methode. Wir hatten die Jogginghosen-Fraktion, wir hatten ‚Niemand will hier eine Partei spalten‘, wir hatten Ausschlussverfahren, dass wir uns nicht mehr halten können. Herr Dr. Meuthen, ihre Zeit in der AfD ist vorbei.“[239]

Auch der Obmann des „FlĂŒgel“ in Berlin Thorsten Weiß (MdA) warf Meuthen vor, dass er mit seiner Rede und seinen Handlungen einen desintegrierenden Kurs eingeschlagen habe. Hierzu fĂŒhrte er aus:

„Liebe Parteifreunde, ich erwarte von einem Bundesvorsitzenden, der integrativ ist, dass er konstruktiv ist, dass er vermittelt, dass er moderiert, ausgleichend wirkt und BrĂŒcken baut. Und lieber Herr Dr. Meuthen, das haben wir nicht erst seit Ihrer gestrigen Rede gehört. Sie haben diesen integrativen Kurs bereits seit Beginn dieses Jahres verlassen und ich bedauere das zutiefst, denn ich war mal ein großer Fan und UnterstĂŒtzer von Ihnen. Aber offensichtlich werden Sie mit dieser Partei, so wie sie sich darstellt, nicht mehr glĂŒcklich. Sie wollen eine andere Partei. Sie wollen nicht, dass wir hier ausgleichen, dass alle zusammen an einem Strang ziehen, sondern Sie sind offensichtlich zu der Erkenntnis gelangt, dass ein ganz erheblicher Teil dieser Partei nicht mehr zu ihr gehört. Und deshalb wĂŒrde es mich freuen, Sie heben ja vielleicht selbst nochmal einen Wortbeitrag angemeldet, wie es uns als Partei weiterhelfen soll, wenn nach Ihrer gestrigen Rede und nach der Entscheidung, die wir hier getroffen haben‚ Ihre Fans in den Sozialen Netzwerken u. a. Schreiben: ‚Der Kurs wĂ€re jetzt klar. Das große Schlachten wĂŒrde jetzt beginnen und selbst wenn wir 40 Prozent unserer Mitglieder und Wahlerfolge im Osten verlieren wĂŒrden, dann wĂ€re es das wert. Meuthen hat den Kurz vorgegeben.‘ Das kann es doch wohl wirklich nicht sein.“[240]

Ähnlich wie Baum oder auch Weiß, sprach auch Thomas Seitz (MdB) davon, dass sich Meuthen mit seiner Rede gegen „wesentliche Teile der Partei“ gewendet habe:

„Der Herr Meuthen hat zum wiederholten Male die Rede als Vertreter des Bundesvorstandes dazu missbraucht, hier ganz massiv gegen wesentliche Teile der Partei zu schießen und gegen Teile unserer WĂ€hlerschaft zu schießen. Es kommt nicht darauf an, wie man seine Rede vielleicht auch auslegen kann, sondern wie sie draußen aufgenommen wird, und das weiß ein Herr Meuthen auch vorher. Und da kommt an: Die Querdenker sind rechte Spinner und können nicht einmal geradeaus denken.“[241]

Nach mehrstĂŒndiger Diskussion beschloss der Parteitag, nicht ĂŒber den Sachantrag abzustimmen, sodass kein Votum in der Sache erfolgte.

AusfĂŒhrlich bewertete der „FlĂŒgel“-AnhĂ€nger Dubravko Mandic die Ereignisse des Bundesparteitages in mehreren Videos. Darin bezeichnete er Jörg Meuthen u. a. als „Kollaborateur“ und als „Feindzeugen“.[242]

Am Ende des ersten Tages kam Mandic zu folgendem aus seiner Sicht ernĂŒchternden Zwischenfazit:

„BegrĂŒĂŸungsrede Meuthens hin oder her, Meuthen hat sich, was die Personalpolitik angeht, durchgesetzt, Er hat hier drei seiner Kandidaten oder gar vier in den Bundesvorsand reingebracht. Die Kandidaten des sogenannten patriotischen Lagers, oder man weiß gar nicht, wie man es nennen soll, das kann man jetzt auch nicht so sagen, aber zum Beispiel ein Krah, ja also den hĂ€tten wir gewĂ€hlt. Den haben wir unterstĂŒtzt weil wir wissen, der hĂ€tte kein PAV gegen Höcke getragen. Aber insgesamt haben sich halt, ich will sie jetzt mal die systemischen KrĂ€fte nennen, da KrĂ€fte, die fĂŒr eine, ja, Hinwendung zum Staat stehen, die alle Bedingungen des Verfassungsschutzes erfĂŒllen wollen, die haben sich hier durchgesetzt. Ja also wir haben Nachwahlen gehabt, und Meuthen hat jetzt im Grunde genommen seine Mehrheit in Bundesvorstand gefestigt. Das heißt, der Spaltungskurs, den ich kritisiere und den auch viele in der Partei kritisieren, der wurde jetzt personell bestĂ€tigt.“[243]

Zumindest in Bezug auf das verabschiedete sozialpolitische Programm konnte er allerdings etwas Positives erkennen:

„Also sachlich haben sich sozialpatriotische Positionen durchgesetzt. Es ist so, dass Meuthen ursprĂŒnglich einen extrem libertĂ€ren Antrag eingebracht hatte, der schon im Vorfeld des Parteitages keine Mehrheit fand. Da sollte die Rentenversicherung nach seinen Vorstellungen komplett kapitalgedeckt sein, dass jeder sich selber irgendwie mit Anlagevermögen und sowas kĂŒmmern muss um seine Versorgung. Das fand keine Mehrheit. Also da tickt die Partei an der Basis schon sozialpatriotisch.“[244]

Zusammenfassend kam Mandic zu folgendem ambivalenten Ergebnis:

„Das war der Gewinn fĂŒr die Patrioten heute. Also sachlich sah es sehr gut aus. Als es dann zu den Abstimmungen ging, haben die Anderen leider die Nase vorn gehabt, ganz knapp, wie das bei uns oft so ist. Teilweise mit einer Stimme, teilweise mit vier Stimmen Meuthen-Leute reingewĂ€hlt wurden. Eigentlich mĂŒssten die, die VerhĂ€ltnisse in der Partei respektieren, also wenn im Grunde genommen 50 % der Leute hier Meuthens Kurs eigentlich nicht mittragen, wĂ€re in einer vernĂŒnftigen Partei eigentlich angezeigt, dass man das akzeptiert und mit diesem Spaltungskurs aufhört, ja.“[245]

In den von Mandic angesprochenen drei Nachwahlen fĂŒr den Bundesvorstand konnten sich mit Carsten HĂŒtter (Bundesschatzmeister), Christian Waldheim (stellvertretender Bundesschatzmeister) und Joana Cotar (Beisitzerin) jeweils Personen aus dem sogenannten Meuthen-Lager knapp durchsetzen. Auch wenn dies vordergrĂŒndig als Erfolg Meuthens zu werten ist, bleibt doch festzuhalten, dass die Gegenseite in den Abstimmungen mit Zugstimmungswerten von rund 45 % nahezu die HĂ€lfte der Parteitagsdelegierten erreichte.

Die zitierten DiskussionsbeitrĂ€ge und EinschĂ€tzungen der Delegierten benennen klar das konfrontative VerhĂ€ltnis zwischen den beiden Lagern in der Partei. Mehrfach wurde dabei, besonders von FunktionĂ€rinnen und FunktionĂ€ren sowie AnhĂ€ngerinnen und AnhĂ€ngern des „FlĂŒgel“, betont, dass diese etwa die HĂ€lfte der Partei hinter sich wĂŒssten. Diese EinschĂ€tzung war auch durch die unterschiedlichen Abstimmungsergebnisse untermauert. So konnte sich das „sozialpatriotische“ Lager, wie Mandic es bezeichnete, zwar in den meisten Wahlen nicht durchsetzen, gleichwohl verfĂŒgte es mit 45 % der Delegiertenstimmen doch ĂŒber einen betrĂ€chtlichen RĂŒckhalt. Die klaren Positionen der „FlĂŒgel“-AnhĂ€ngerinnen und -AnhĂ€nger, die besonders in der Aussprache zum Sachantrag SN03 deutlich wurden, nahmen einen erheblichen Anteil der Diskussion ein. Höcke selbst verzichtete auf dem Bundesparteitag darauf, sich an die Delegierten zu wenden. Stattdessen nutzte er einige Tage spĂ€ter seinen Auftritt bei einer regionalen Parteiveranstaltung am 5. Dezember 2020 in Höxter (NW), um sich wie folgt zu erklĂ€ren:

„Ich habe beim Bundesparteitag in dieser erhitzten Situation nicht geredet, weil die Situation vielleicht dann noch weiter eskaliert wĂ€re. Das ist das Erste. Das Zweite ist, mit einer Minute Redezeit brauche ich gar nicht ans Mikrofon zu treten. Denn das, was dort – ja, es ist so – denn das, was dort artikuliert worden ist von einem unserer Bundessprecher, das schreit nach einer deutlichen Replik. Und diese Replik werde ich heute und hier geben, liebe Freunde.“[246]

Im Folgenden kritisierte Höcke die Rede van Meuthen sehr deutlich als spalterisch und verfehlt:

„Liebe Freunde, wir als Parteimitglieder dĂŒrfen angesichts der pausenlosen Angriffe und Diffamierungen seitens der etablierten KrĂ€fte und angesichts des von mir jetzt schon zweimal erwĂ€hnten Super-Wahlkampfjahres 2021 von unserem Bundessprecher etwas anderes erwarten. NĂ€mlich dass unsere Reihen geschlossen werden und dass Merkel, Spahn, Söder und Co., die Deutschland-Abschaffer, die Zerstörungspolitiker des Establishments eine Breitseite nach der anderen bekommen. Das wĂ€re der Auftrag gewesen.“

Den zitierten Beschluss des Bundesvorstands vom 27. November 2020 und den Bundesvorstand selbst kritisierte Höcke ebenfalls nachdrĂŒcklich, da dieser aus seiner Sicht zu wenig Mut zeige:

„Und in diesem Zusammenhang sehe ja, sehe ich auch den Beschluss des Bundesvorstandes zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung, der den Parteitagsdelegierten nachts um zwei Uhr dreißig zugestellt worden ist, mehr als kritisch. Ich halte sofort – ich habe ihn nicht um zwei Uhr dreißig gelesen, versteht mich nicht falsch, da habe ich geschlafen. Aber das Faktum, dass ein Bundesvorstand sich genötigt sieht, der Bundesvorsand der fĂŒhrenden Oppositionspartei, der eigentlich nach dieser grandiosen historischen Erfolgsgeschichte mit breiter Brust stehen mĂŒsste, sich genötigt fĂŒhlt vom Freitag auf den Samstag in der Nacht den Parteitagsdelegierten noch eine Handlungsempfehlung mitzugeben – wie gesagt, ein Beschluss zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung – das zeigt mir tatsĂ€chlich viel zu wenig Mut. Das zeigt mir tatsĂ€chlich eher fehlende SouverĂ€nitĂ€t. Ja, ich
 ich dachte sofort an das Kaninchen, das mit bummerndem Herzchen vor der Schlange sitzt. So ist es mir gegangen. Ein weiteres Ă€ngstliches Bekenntnis zur Grundordnung unseres Staates war das. Ein regelrechter, und das muss man auch gewahren, ein regelrechter Bekenntniszwang springt uns aus den Zeilen des Bundesvorstandes an.“[247]

Auch inhaltlich und methodisch bezog Höcke unter Rekurs auf seine bekannten rechtsextremistisch-verschwörungstheoretischen Deutungsmuster klare Gegenpositionen zu Meuthen. Es gelte, so Höcke, nicht nur als parlamentarische Kraft zu wirken, sondern sich mit den nationalen Straßen- und BĂŒrgerprotesten einschließlich der „Querdenken“-Bewegung zu vernetzen, um in der finalen Auseinandersetzung mit den globalistischen Eliten als Volk letztlich erfolgreich zu sein. Eine in dieser Weise geschlossene AfD sei diesbezĂŒglich als letzte „evolutionĂ€re Chance“ fĂŒr Deutschland zu begreifen.

Zum Ende seiner Rede fasste Höcke seine wichtigsten Botschaften nochmals zusammen:

„Aber drei grundsĂ€tzliche Verhaltensweisen mĂŒssen wir annehmen. Erstens: Wir brauchen eine absolute Illusionslosigkeit. Der neutrale Staat ist in großen Teilen von den Kartellparteien okkupiert worden. Das gilt auch fĂŒr das heilige Bundesverfassungsgericht, dass immer mehr ideologisch besetzt wird, wie wir wissen. Wie man als Bundesvorstand unserer Partei auf die Idee kommen kann, in der von mir schon erwĂ€hnten ErklĂ€rung zur fdGO die Zukunft unserer Partei in die HĂ€nde eines politischen Gerichtes zulegen, bleibt mir rĂ€tselhaft. Der neutrale Staat ist Vergangenheit und deren FĂŒhrungsriege ist eine zuverlĂ€ssige StĂŒtze der Globalisten. [
] Zweitens, zweitens: Wir brauchen die aktive und passive Kooperation mit allen relevanten, gewaltfreien BĂŒrgerbewegungen, die eine berechtigte Regierungskritik vorbringen. Und dabei ist es völlig egal, ob diese nun gediegen-bĂŒrgerlich oder hippiehaft-esoterisch bis links-alternativ geprĂ€gt sind. Stil- und Tonfragen sind bei der prekĂ€ren politischen Gesamtlage völlig sekundĂ€r, liebe Freunde. Die neuen BĂŒrgerbewegungen suchen nach einer parlamentarischen Vertretung. Und wer die neuesten soziologischen Untersuchungen zur Einstufung der Teilnehmer von Querdenken-Demonstrationen antizipiert hat, der weiß, dass dort ein Umdenken stattfindet. Waren diese Querdenker anfangs sehr stark grĂŒn geprĂ€gt, orientieren sie sich jetzt immer mehr in Richtung AfD. Ein unglaublich großes neues WĂ€hlerpotenzial könnte sich da auftun. Wie gesagt, man sucht dort nach einer parlamentarischen Vertretung. Ich gehe nicht davon aus, dass die Querdenker Partei werden wollen, weil sie damit ihren Bewegungscharakter zerstören wĂŒrden, was nicht klug wĂ€re. Sie suchen nach einer parlamentarischen Vertretung und wir als AfD sollten uns als parlamentarische Vertretung anbieten. Und drittens und letztens: Wir brauchen einen strikten Zusammenhalt. Wir mĂŒssen unsere inhaltliche Spannbreite betonen. Ich habe das stets gemacht. Die meisten wissen, wo ich stehe. Ich habe viele Reden in den letzten fast acht Jahren gehalten, in denen ich mich inhaltlich positioniert habe. Kaum einer ist so klar verortet wie meine Person. Aber trotzdem habe ich immer die Breite der AfD betont als zukĂŒnftiger Volkspartei. Hab immer gesagt, soziale, freiheitliche und konservative Mitstreiter und Elemente haben natĂŒrlich Platz in unser neuen, kommenden Volkspartei. Eine ideologisch einseitige Fixierung darf es nicht geben. Inhaltlich-programmatische Konflikte – und wir haben das in der dreijĂ€hrigen Diskussion um den Leitantrag so hervorragend unter Beweis gestellt – die mĂŒssen hinter verschlossenen TĂŒren ausgetragen werden. AnwĂŒrfe des Establishments dĂŒrfen nicht von der ParteifĂŒhrung aufgenommen und schlimmstenfalls noch gegen innerparteiliche Gegner in Stellung gebracht werden. Im Gegenteil, sie sind konsequent und energisch zurĂŒckzuweisen.“[248]

Vor allem mit seiner EinschÀtzung zur UnabhÀngigkeit der deutschen Justiz und explizit des Bundesverfassungsgerichts zieht Höcke den Grundsalzbeschluss des Bundesvorstands in Zweifel.

Der bereits von Höcke in seiner Rede geforderte Schulterschluss mit BĂŒrgerbewegungen wie Querdenken wurde auch von Alexander Gauland unterstĂŒtzt. In einem Interview mit der dpa fĂŒhrte er aus:

„Wir sind eine Bewegungspartei, die auch Kontakt zu bestimmten Protestgruppen pflegen sollte. Das gilt fĂŒr Querdenken, aber auch fĂŒr Pegida in Dresden oder fĂŒr den Verein Zukunft Heimat aus Cottbus.[249]

Weiterhin kritisierte Gauland auch Jörg Meuthen fĂŒr seine Rede auf dem Bundesparteitag, da er mit dieser „die HĂ€lfte der Partei beschĂ€digt“ habe.[250]

Am 21. Dezember 2020 wurde schließlich bekannt, dass der bisherige Leiter der Arbeitsgruppe Verfassungsschutz, Roland Hartwig, nach Presseberichten auf Betreiben von Jörg Meuthen abgelöst wurde.[251] Hartwig selbst erklĂ€rte am selben Tag dazu in einem Statement:

„Nach meiner Kritik an seinem Kurs wurde ich gerade auf Betreiben von Meuthen durch Mehrheitsbeschluss des Bundesvorstands nach 2 Jahren intensiver TĂ€tigkeit aus der Parteiarbeitsgruppe ‚Verfassungsschutz‘ geworfen.“[252]

Als Reaktion auf diese Entscheidung zog sich ebenfalls der Bundestagsabgeordnete und das Mitglied des Parlamentarischen Kontrollgremiums Roman Reusch (BB) aus der Arbeitsgruppe zurĂŒck und begrĂŒndete laut Presseberichten diesen Schritt damit, dass ihm „eine weitere vertrauensvolle Zusammenarbeit mit der diese Entscheidung tragenden Mehrheit des Bundesvorstandes“ nicht mehr möglich sei.[253]

Auch der Co-Bundessprecher Tino Chrupalla distanzierte sich öffentlich von der Entscheidung, indem er auf Twitter schrieb:

„Der #AfD BoVu hat heute gegen meine Stimme Dr. Roland Hartwig als Leiter AGVS abgesetzt. Roland Hartwig hat mit großer juristischer Expertise und im GesprĂ€ch mit der Basis die Strategie gegen den #VS entworfen. DafĂŒr danke ich ihm.“[254]

Mit Alice Weidel kritisierte ein weiteres Mitglied das Bundesvorstands den getroffenen Beschluss scharf. So schrieb sie davon, dass Hartwig „eiskalt abserviert“ worden sei:

„Ohne Not wurde heule die AG-VS zerschossen, mit @R_Hartwig_AfD ein besonnener und intelligenter Kopf eiskalt abserviert. Ebenso wird Roman Reusch fehlen.“[255]

Der AfD-Landesvorstand Sachsen-Anhalt kritisierte die getroffene Entscheidung in einer am 22. Dezember 2020 veröffentlichten Stellungnahme ebenfalls scharf:

„Die Abberufung von Roland Hartwig war eine Fehlentscheidung! [
] Roland Hartwig, ein promovierter Jurist und jahrzehntelang Leiter der Patentabteilung [
], hat den AK Verfassungsschutz mit Bravour gefĂŒhrt und gestaltet. Hartwig ĂŒberzeugte durch seine fachliche Kompetenz, seine Sachlichkeit und seine ruhige ausgleichende Art. [
] Wir, der Landesvorstand der AfD Sachsen-Anhalt, begegnen der Entscheidung des Bundesvorstandes, Roland Hartwig von der Leitung des AK VS abzuberufen, daher mit großem UnverstĂ€ndnis. Roland Hartwig hat bewiesen, dass er fĂŒr diese Aufgabe der beste Mann in unseren Reihen ist. Es sind keine legitimen GrĂŒnde fĂŒr seine Abberufung erkennbar. Wir unterstĂŒtzen mit Nachdruck Tino Chrupalla, Stephan Brandner, MdB und Alice Weidel, die diese Entscheidung ihrerseits kritisiert haben. Wir haben VerstĂ€ndnis fĂŒr Roman Reusch, der aufgrund der Abberufung von Hartwig seinen RĂŒcktritt aus der AK Verfassungsschutz erklĂ€rt hat, wenn wir sehen RĂŒcktritt auch bedauern.“[256]

Diese unterschiedlichen Reaktionen belegen abermals den Richtungsstreit innerhalb der Partei. So ist die Ablösung Hartwigs vor dem Hintergrund zu sehen, dass er sich im Laufe des Jahres 2020 zunehmend positiv zum formal aufgelösten „FlĂŒgel“ und seiner AnhĂ€ngerschaft positionierte. So hatte er z. B. am 16. Juni 2020 in einem Interview mit dem Morgenmagazin geĂ€ußert:

„Und zum FlĂŒgel ist doch auch anzumerken, das ist eine politische Strömung in der AfD, eine national-konservative, sozial-patriotische Strömung, die natĂŒrlich auch demokratisch ist. Nichts am FlĂŒgel spricht ja dafĂŒr, Grundlagen der Demokratie abzuschaffen, der Rechtsstaatlichkeit. Also von daher ist der FlĂŒgel eine absolut legitime Strömung innerhalb der Partei gewesen. [
] Die Strömung, die politische Strömung ist da, ist auch weiter da und ist wie gesagt ein wesentlicher Bestandteil unserer Partei, wie viele andere Strömungen auch.“[257]

Nach der ersten ErklĂ€rung vom 27. November 2020, in der sich der Bundesvorstand öffentlich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung bekannt hatte, veröffentlichte die AfD am 18. Januar 2021 auf ihrer Website eine „ErklĂ€rung zum deutschen Staatsvolk und zur deutschen IdentitĂ€t“. In der Einleitung dieser ErklĂ€rung heißt es:

„Immer wieder wird seitens der Medien, des politischen Gegners und der von ihm instrumentalisierten Ämter fĂŒr Verfassungsschutz unterstellt, die AfD vertrete einen Volksbegriff, der auf das Ethnisch-Kulturelle verengt sei und daher gegen die im Grundgesetz festgeschriebene MenschenwĂŒrdegarantie verstoße. Wer nicht dem ethnisch definierten Volk angehöre, so wird suggeriert, dem wolle die AfD staatsbĂŒrgerliche Rechte oder gar elementare Menschenrechte vorenthalten oder entziehen. Aus dieser haltlosen Verdachtskonstruktion wird die Behauptung verfassungswidriger Bestrebungen unserer Partei abgeleitet und ihr das PrĂ€dikat ‚demokratisch‘ abgesprochen. [
] Durch unser Grundsatzprogramm und unsere Wahlprogramme auf Bundes- und Landesebene sowie durch zahlreiche Reden und Verlautbarungen der maßgeblichen Exponenten unserer Partei sind diese haltlosen Diffamierungen implizit und explizit hundertfach LĂŒgen gestraft. Da sie gleichwohl aber in bewusster politischer SchĂ€digungsabsicht hartnĂ€ckig weiter vorgebracht werden, sehen sich die Unterzeichner zu folgender ErklĂ€rung veranlasst.

Es folgen insgesamt vier Punkte, in denen sich die AfD zu ihrem StaatsvolksverstÀndnis und zur Bedeutung und Funktion einer nationalen IdentitÀt positioniert:

„I. Als Rechtsstaatspartei bekennt sich die AfD vorbehaltslos zum deutschen Staatsvolk als der Summe aller Personen, die die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen. UnabhĂ€ngig davon, welchen ethnisch-kulturellen Hintergrund jemand hat, wie kurz oder lange seine EinbĂŒrgerung oder die seiner Vorfahren zurĂŒckliegt, er ist vor dem Gesetz genauso deutsch wie der Abkömmling einer seit Jahrhunderten in Deutschland lebenden Familie, genießt dieselben Rechte und hat dieselben Pflichten. StaatsbĂŒrger erster und zweiter Klasse gibt es fĂŒr uns nicht.

II. Gleichwohl ist es ein völlig legitimes politisches Ziel, welches sowohl dem Geist als auch den Buchstaben des Grundgesetzes entspricht, das deutsche Volk, seine Sprache und seine gewachsenen Traditionen langfristig erhalten zu wollen. Damit befinden wir uns im Einklang mit dem Bundesverwaltungsgericht, welches in einem Urteil ausdrĂŒcklich festgestellt hat, dass die Wahrung der geschichtlich gewachsenen nationalen IdentitĂ€t als politisches Ziel nicht gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung verstĂ¶ĂŸt. Vielmehr sind Demokratie und Rechtsstaatlichkeit nur dann in einem Gemeinwesen dauerhaft garantiert, wenn dieses durch ein einigendes kulturelles Band zusammengehalten wird und nicht in Teilgesellschaften zerfĂ€llt, die einander fremd bis feindselig gegenĂŒberstehen.

III. Gerade weil die Zugehörigkeit zum Staatsvolk von der ethnisch-kulturellen IdentitĂ€t der betreffenden Person rechtlich unabhĂ€ngig ist, halten wir es fĂŒr eminent wichtig, den Erwerb der deutschen StaatsbĂŒrgerschaft und damit die Aufnahme in das deutsche Staatsvolk, die definitiven Charakter hat, an strenge Bedingungen zu knĂŒpfen. Nur wer unsere Sprache spricht, unsere Werte teilt und unsere Lebensweise bejaht, soll Deutscher nach dem Gesetz werden können. Und nur wenn die Zahl der in Deutschland aufgenommenen und eingebĂŒrgerten Personen die Integrationskraft der deutschen Gesellschaft nicht ĂŒbersteigt, bleibt das Staatsvolk auf lange Sicht auch TrĂ€ger der deutschen Kultur und IdentitĂ€t.

IV. Im Sinne unseres politischen Ziels, dem deutschen Staatsvolk auch eine deutsche kulturelle IdentitĂ€t ĂŒber den Wandel der Zeit zu erhalten, wollen wir die aktuelle Massenzuwanderung, die auf einem Missbrauch der Asylgesetzgebung beruht, beenden. Dem Grundgesetz gemĂ€ĂŸ soll nur wirklich politisch Verfolgten Asyl gewĂ€hrt werden, eine Einreise Asylsuchender nach Deutschland ĂŒber sichere Drittstaaten muss ausgeschlossen sein. Fehlanreize zur Einwanderung in die Sozialsysteme wollen wir beenden. Die Zuwanderung muss nach dem Bedarf des deutschen Staates in quantitativer und qualitativer Hinsicht gesteuert werden und findet ihre Grenze an der AufnahmefĂ€higkeit der deutschen Gesellschaft. Es gibt kein Menschenrecht auf Migration in das Land der eigenen Wahl. Sehr wohl aber gibt es das Recht ‚eines jeden Volkes, seine kulturelle IdentitĂ€t zu erhalten und zu schĂŒtzen‘, wie es die UN-ErklĂ€rung von Mexiko-City ĂŒber Kulturpolitik 1982 eindeutig festgestellt hat.

Wir sind der Überzeugung, dass nur diese selbstbewusste Haltung positiver Identifikation mit der eigenen Sprache, Kultur und Nation ein attraktives Angebot an EinbĂŒrgerungswillige macht, das sie die MĂŒhen der Integration mit Stolz und Freude auf sich nehmen lĂ€sst. Wir laden alle Deutschen – ohne wie auch mit Migrationshintergrund – ein, mit uns gemeinsam an einem friedlichen, demokratischen, rechtsstaatlichen und selbstbewussten Deutschland zu bauen.“[259]

Neben den Mitgliedern des Bundesvorstands wurde die ErklÀrung weiterhin von (stellvertretenden) Landessprecherinnen und Landessprechern sowie -vorsitzenden aus allen 16 LandesverbÀnden, den Vorsitzenden der Bundesprogrammkommission und des Bundeskonventes sowie dem Bundesvorsitzenden der JA unterschrieben.

Nach den im Ton Ă€ußerst aggressiven Auseinandersetzungen auf dem Bundesparteitag in Kalkar und den anschließenden Reaktionen ist zu erwarten, dass sich der innerparteiliche Machtkampf in der AfD, trotz der gemeinsamen ErklĂ€rungen vor dem Bundesparteitag und im Januar 2021, weiterhin fortsetzen wird.

IV. Bewertung

Aus der Entwicklung der AfD ergeben sich TĂŒr die weitere PrĂŒfung folgende relevante Punkte:

Erstens: Die Geschichte der AfD ist seit ihrer GrĂŒndung auch eine Geschichte unterschiedlicher Strömungen, die sich anfangs nach hinter einem gemeinsamen Thema vereinigen konnten. Im Zuge der Fokussierung auf die Themen Migration und Asyl vor dem Hintergrund der sogenannten FlĂŒchtlingskrise 2015/16 und der damals einhergehenden Radikalisierung verließen vor allem bĂŒrgerlich-konservative KrĂ€fte die Partei und „Der FlĂŒgel“ gewann stetig an Einfluss. Der dualistische Grundkonflikt bestand jedoch fort, spitzte sich 2020 zu und erreichte auf dem Bundesparteitag in Kalkar im Dezember 2020 seinen vorlĂ€ufigen Höhepunkt.

Vor allem die ĂŒberragenden Wahlerfolge in den ostdeutschen BundeslĂ€ndern und strategische BĂŒndnisse mit Protagonisten wie Alice Weidel und Alexander Gauland verschafften dem „FlĂŒgel“ 2019 einen signifikanten Bedeutungszuwachs, doch musste er 2020 einige RĂŒckschlĂ€ge hinnehmen. DiesbezĂŒglich sind zuvorderst die vom Bundesvorstand erzwungene formale Auflösung der „FlĂŒgel“-Strukturen und die Annullierung der Parteimitgliedschaft von Andreas Kalbitz zu nennen. Gleichwohl verfĂŒgt „Der FlĂŒgel“ auch nach seiner Auflösung weiterhin ĂŒber ein Personennetzwerk, das fortgesetzt aktiv daran arbeitet, die eigenen Leitlinien und GrundsĂ€tze in der Gesamtpartei zu verankern.

Zweitens: Seit Jahren gehören Schiedsgerichts- und Parteiausschlussverfahren als Mittel im innerparteilichen Machtkampf zum Alltag der Partei. Die Annullierung der Parteimitgliedschaft von Andreas Kalbitz stellt in dieser Hinsicht ein herausragendes Beispiel dar, denn damit wurde eine der zentralen FĂŒhrungsfiguren des formal aufgelösten „FlĂŒgel“ aus der Partei entfernt.

Gegen den baden-wĂŒrttembergischen AfD-Landtagsabgeordneten Wolfgang Gedeon lief – um ein weiteres bekanntes Beispiel aufzufĂŒhren – ĂŒber Jahre ein Ausschlussverfahren. Gedeon wurde dabei Antisemitismus und Holocaust-Relativierung vorgeworfen. Unter anderem hatte er Holocaustleugner als „Dissidenten“ bezeichnet und damit mit Menschen gleichgesetzt, die fĂŒr ihr politisches Engagement in Diktaturen verfolgt werden. Nach verschiedenen vergeblichen AnlĂ€ufen bestĂ€tigte das Bundesschiedsgericht schließlich den Parteiausschluss Gedeons im MĂ€rz 2020.[266] Auch Gedeons Fraktionskollege Stefan RĂ€pple (MdL, BW) wurde im September 2020 aus der Partei ausgeschlossen. Anlass fĂŒr diese Maßnahme war u. a. dessen Aufruf zum gewaltsamen Umsturz der Regierung, den er auf einer Veranstaltung in Mainz (RP) getĂ€tigt hatte.[261]

Drittens: Die anhaltenden innerparteilichen Streitigkeiten um das richtige Maß an NĂ€he und Abgrenzung zu rechtsextremistischen KrĂ€ften und Gruppierungen zeigte sich auch an der sich regelmĂ€ĂŸig wiederholenden Diskussion um die Unvereinbarkeitsliste der Partei, die neben rechtsextremistischen auch links- und auslĂ€nderextremistische sowie islamistische Gruppierungen und die Scientology-Organisation auffĂŒhrt.

Nach wie vor ist die Aufnahme von Personen, die vormals Mitglied in einer der gelisteten Organisationen waren, möglich, wenn sich zwei Drittel des zustĂ€ndigen Landesvorstands nach EinzelfallprĂŒfung fĂŒr die Aufnahme aussprechen.[262]

Auf der Liste finden sich verbotene Organisationen wie die Wiking-Jugend oder die Wehrsportgruppe Hoffmann, deutsche rechtsextremistische Parteien wie die NPD, DIE RECHTE oder Der III. Weg, aber auch Organisationen wie PEGIDA MĂŒnchen, PEGIDA NĂŒrnberg, THÜGIDA, NÜGIDA[263] und die IdentitĂ€re Bewegung Deutschland sowie ReichsbĂŒrger allgemein und einzelne ReichsbĂŒrger-Vereinigungen im Besonderen. Insgesamt umfasst die Liste derzeit 248 rechtsextremistische Organisationen und Gruppierungen.[264]

Die Relevanz dieser Liste fĂŒr den Richtungsstreit zeigte sich auch auf dem Bundesparteitag 2019 in Braunschweig (N). Dort wurde ĂŒber die völlige Abschaffung der Unvereinbarkeitsliste diskutiert. Einen entsprechenden Antrag hatten baden-wĂŒrttembergische Landtagsabgeordnete eingebracht. Stefan RĂ€pple, der Initiator des Antrags, bezeichnete die Liste als „Satzungsrelikt aus der Lucke-Zeit“, die „zu vielen Streitigkeiten in der Partei gefĂŒhrt“ habe.[265]

Insbesondere die Zusammenarbeit mit der als gesichert rechtsextremistisch geltenden IdentitĂ€re Bewegung Deutschland (IBD) solle dem Beschlussvorschlag zufolge kĂŒnftig erlaubt sein. So heißt es in dem Antrag:

„Die ‚IdentitĂ€re Bewegung‘ Deutschlands besteht aus vielen jungen Patrioten, die sich, genau wie die AfD aus Sorge vor der Zukunft Deutschlands gegrĂŒndet hat.“[266]

Sowohl der Antrag, die Unvereinbarkeitsliste aufzugeben, als auch der Folgeantrag, zumindest die IBD von der Liste zu streichen, wurden auf dem Bundesparteitag 2019 nicht zur Abstimmung angenommen.[267] Ungeachtet der vermeintlichen Unvereinbarkeit weisen AfD und insbesondere ihre Jugendorganisation Junge Alternative eine Vielzahl persönlicher und struktureller Verbindungen zur IBD auf.[268]

E. Einflussnahme der erwiesen extremistischen Bestrebung „Der FlĂŒgel“ auf die Gesamtpartei

I. Struktureller Einfluss – RĂŒckhalt in der Gesamtpartei

Anhaltspunkte fĂŒr verfassungsfeindliche Bestrebungen eines Personenzusammenschlusses sind nicht nur dann gegeben, wann dieser in seiner Gesamtheit solche Bestrebungen entfaltet, sondern können auch bestehen, wenn eindeutig verfassungsfeindliche Bestrebungen bei einzelnen Gruppierungen innerhalb des Personenzusammenschlusses bestehen. Dies gilt jedenfalls, wann diese Gruppierungen in der Partei Einfluss von nennenswertem Gewicht haben.

Nachfolgend soll daher untersucht werden, inwieweit der erwiesen rechtsextremistischen Bestrebung „Der FlĂŒgel“ in der gesamten Partei Alternative fĂŒr Deutschland (AfD) ein entsprechender struktureller Einfluss zukommt. DafĂŒr werden auf den verschiedenen FunktionĂ€rsebenen Belege fĂŒr den RĂŒckhalt des „FlĂŒgel“ in der Gesamtpartei zusammengetragen, die die UnterstĂŒtzungshaltung von AfD-FunktionĂ€ren und -FunktionĂ€rinnen sowie -Organisationseinheiten darstellen.

Eine Gesamtgewichtung dieser Belege in Zusammenschau mit dem programmatischen Einfluss und unter Einbeziehung der strukturellen Entwicklungslinien in der Partei sowie der aktuellen Geschehnisse auf dem Bundesparteitag 2020 erfolgt sodann im abschließenden Kapitel des Gutachtens.

1. Bundesebene

Einen wachsenden Einfluss des „FlĂŒgel“ zu einem dominierenden Faktor in der Partei konstatierte – bereits im Nachgang zum Bundesparteitag 2019 – die Interessensgemeinschaft Alternative Mitte Deutschland in einer Pressemitteilung vom 6. Dezember 2020:

„Exodus oder Volkspartei? Die Mitglieder der AfD benötigten mehrere Tage, um die Ergebnisse des 10. Bundesparteitags vom 30.11. und 01.12.2019 zu verarbeiten – ein Prozess, der noch nicht abgeschlossen ist. Die Ereignisse von Braunschweig lassen viele Mitglieder ernsthaft daran zweifeln, ob ihr Verbleib in der Partei ĂŒberhaupt noch einen Sinn hat. Der Donnerhall ist noch nicht verklungen, wird aber bei der bĂŒrgerlichen AfD-WĂ€hlerschaft als abschreckendes Zeichen wahrgenommen werden. Mit Bedauern nehmen wir zur Kenntnis, dass viele prominente Kandidaten und gestandene FunktionĂ€re, die sich immer entschlossen fĂŒr einen bĂŒrgerlichen Weg der Partei einsetzten, nicht (wieder)gewĂ€hlt wurden. Es waren vor allem jene Kandidaten wie Georg Pazderski und Uwe Junge, die sich im Vorfeld gegen einen Personenkult um Björn Höcke ausgesprochen hatten. Eine völlig berechtigte Kritik, wie sie zuvor bereits an Bernd Lucke und Frauke Petry geĂŒbt wurde, seinerzeit ĂŒbrigens auch von Vertretern des ‚FlĂŒgels‘. Björn Höcke zeigt sich darĂŒber erfreut, indem er ĂŒber diese Personen herabwĂŒrdigend als ‚Feindzeugen‘ spricht. Gleichzeitig wĂ€hlten ĂŒber 300 Delegierte mit Andreas Kalbitz eine zentrale FlĂŒgelfigur, obwohl in den letzten Monaten immer mehr Details bekannt wurden, die eindeutig Kalbitz‘ rechtsextreme Vita belegten. Die Wahl von Kalbitz erfolgte dennoch, obwohl ein gestandener, unbelasteter und bĂŒrgerlicher Gegenkandidat zur Wahl stand. Die Außenwirkung dieser Entscheidung ist verheerend. [
] Heute scheint der FlĂŒgel indes gefestigt wie nie. Die Dominanz, die er einst einem Bernd Lucke und einer Frauke Petry vorwarf, strebt er mit Höcke und Kalbitz als Galionsfiguren, nun selbst an, ohne ĂŒber seine Rolle und Funktion in der Partei eine sinnvolle Antwort zu geben und ohne dazu legitimiert zu sein. Denn wie das Landesschiedsgericht Bayern in seiner Entscheidung vom 30.06.2019 feststellte, handelt es sich beim ‚FlĂŒgel‘ um eine politische Konkurrenzorganisation zur AfD, die sich demzufolge auflösen mĂŒsste. Um nicht in Konflikte mit dem FlĂŒgel zu geraten, arrangiert man sich stattdessen mit ihm, um den eigenen Posten bzw. das eigene Mandat zu behalten. Andere lassen ihn einfach walten. Kritik am FlĂŒgel oder ihren Vertretern schrumpft im selben Maß wie Toleranz gegenĂŒber ihren innerparteilichen Kritikern aufgegeben wird. Diese Situation fĂŒhrt dazu, dass die AfD nicht mehr als bĂŒrgerliche Partei wahrgenommen wird und damit jegliche Chance verspielt, die bĂŒrgerliche Mitte der Gesellschaft zu erreichen und anzusprechen. [
] Auch wenn einzelne Mitglieder des Bundesvorstands eine kritische Sicht auf den FlĂŒgel haben, sehen wir nur geringe Chancen, dass diese Sicht ab jetzt zur Geltung kommt. Eine Partei, die der ‚Feindzeugen-Theorie‘ von Björn Höcke folgt und innerparteiliche Kritik als feindlichen Akt diffamiert, wird keine Zukunft haben. Vielmehr wird dies dazu fĂŒhren, dass bĂŒrgerliche und freiheitlich denkende Patrioten die AfD enttĂ€uscht in großer Zahl verlassen. Sollte die ParteifĂŒhrung nicht reagieren, wird dies ein regelrechter Exodus werden.“[269]

In den Aussagen der Alternative Mitte werden die Wahl Kalbitz‘, der wachsende Einfluss des „FlĂŒgel“, seine gefestigte Stellung in der Partei, der Umgang mit parteiinternen Kritikern sowie das Arrangement mit dem „FlĂŒgel“ durch weite Teile der Partei offen benannt und problematisiert.

Der Analyse der Alternative Mitte entsprechend finden sich zahlreiche Aussagen in der Gesamtpartei – auch außerhalb der KernanhĂ€ngerschaft das „FlĂŒgel“ -, die diesen in Schutz nehmen und seinen programmatischen RĂŒckhalt in der Partei betonen.

RĂŒdiger Lucassen (MdB), seit 2019 Vorsitzender der Partei in Nordrhein-Westfalen, stellte etwa in einem Interview mit dem WDR am 27. November 2019 in Abrede, dass es sich heim „FlĂŒgel“ um eine extremistische Bestrebung handelt und fĂŒhrte an, dass dessen Inhalte durch die „Programmatik der AfD abgedeckt“ seien:

„Und insofern ist das, was der FlĂŒgel politisch vertritt, als rechter Arm, wenn Sie so wollen, in unser AfD ein wichtiger, ein wichtiger Teil unserer Partei. Zu unterscheiden ist halt die Vorgehensweise, die ModalitĂ€t. Und da bin ich kritisch. [
] So weit zu Herrn Kalbitz und bei Herrn Höcke ist es so, dass er eben ja in ĂŒberwiegend anschaulicher Weise eine politische Richtung vortrĂ€gt. Und das hat hier halt im Laufe der Jahre sehr, sehr viele AnhĂ€nger gefunden. Und inhaltlich, kann ich sagen ist, ist das durch die Programmatik der AfD abgedeckt.“[270]

Das Bundesvorstandsmitglied Stephan Protschka (MdB) Ă€ußerte sich anlĂ€sslich des Politischen Aschermittwochs 2019 in Osterhofen (BY) wie folgt:

„Egal, ob FlĂŒgel oder AM [Anm.: Alternative Mitte]. Wir stehen geschlossen zusammen und holen uns unser Land wieder zurĂŒck.“[271]

Armin-Paulus Hampel (MdB, Außenpolitischer Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion und UnterstĂŒtzer des „FlĂŒgel“) gab dem Deutschlandfunk am 13. MĂ€rz 2020 ein Interview zur Beobachtung des „FlĂŒgel“ durch den Verfassungsschutz, weiches er auf seiner Facebook-Seite verbreitete. Auf die Frage des Moderators, wie die AfD-FĂŒhrung mit dem „FlĂŒgel“ umgehen solle, fĂŒhrte Hampel aus, dass der „FlĂŒgel“ zur AfD gehöre und lediglich aus einem politischen Kampf heraus diffamiert werde:

„Ich hab das schon seit vielen Jahren Immer gesagt, die AfD ist auf dem Weg, eine Volkspartei zu werden. Und eine Volkspartei ist breit aufgestellt und das heißt fĂŒr mich, dass der FlĂŒgel zur AfD gehört. Das ist eben nicht, wie ich das in frĂŒheren Jahren erlebt habe bei der CDU/CSU. Ein Franz Josef Strauß wurde bei seiner Kandidatur als Kanzlerkandidat als Nazi diffamiert, beschimpft, ausgegrenzt. Der FlĂŒgel ist genauso in der gleichen Situation heute. Das ist ein politischer Kampf, das hat mit Inhalt nichts zu tun.“

Als Erwiderung auf den Vorwurf, die AfD dulde Rechtsextremisten in ihren Reihen, sagte Hampel:

„Ich erkenne an den Äußerungen von Herrn Höcke und Herrn Kalbitz nichts, was ich als rechtsextrem oder rechtsradikal sehen wĂŒrde, gar nichts. So, sie haben eine konservative, eine manchmal national eingestellte Position. Das muss in einer Demokratie doch möglich sein.“[272]

Im Nachgang zum „KyffhĂ€usertreffen 2019“ wurde als Reaktion auf den Auftritt und die Rede Björn Höckes von 100 Politikerinnen und Politikern der AfD am 10. Juli 2019 unter dem Titel „FĂŒr eine geeinte und starke AfD – ein Appell“ ein Dokument veröffentlicht, in dem sie besonders Kritik am Personenkult um Höcke ĂŒben:

„Wir sagen sehr klar: die AfD ist und wird keine Björn-Höcke-Partei! Die ĂŒberwiegend bĂŒrgerliche Mitgliedschaft von mehr als 35.000 Personen lehnt den exzessiv zur Schau gestellten Personenkult um Björn Höcke mit Ordensverleihungen an Mitglieder des ‚FlĂŒgels‘ ab, wie sie den Personenkult schon bei Bernd Lucke und Frauke Petry abgelehnt hat. Als Vorsitzender des Landesverbandes ThĂŒringen ist Björn Höcke nicht demokratisch legitimiert, fĂŒr die AfD als Gesamtpartei zu sprechen. Sofern er dies als ‚AnfĂŒhrer‘ des ‚FlĂŒgels‘ tut, leistet er dem um sich greifenden Verdacht Vorschub, dass es ihm in erster Linie um den ‚FlĂŒgel‘ und nicht um die AfD geht. Wir fordern Björn Höcke auf, sich zukĂŒnftig auf den Aufgabenbereich zu konzentrieren, fĂŒr den er legitimiert ist.“[273]

Zum damaligen Zeitpunkt gingen die Unterzeichnenden noch davon aus, dass der „FlĂŒgel“ nur von einer Minderheit in der Partei unterstĂŒtzt werde. Diese EinschĂ€tzung wurde in den kommenden Monaten von einigen Unterzeichnenden revidiert. So erklĂ€rten diverse Personen ihre Parteiaustritte (s.u.) mit dem gestiegenen Einfluss des „FlĂŒgel“. Von den Unterzeichnerinnen und Unterzeichnern sind zwischenzeitlich mit den Bundestagsabgeordneten Verena Hartmann (SN) und Lars Herrmann (SN) sowie den Landtagsabgeordneten Jens Ahrends (NI, Sprecher im Kreisverband Oldenburg/Ammerland), Timo Böhme (RP, 2. stellv. Vorsitzender der AfD-Landtagsfraktion Rheinland-Pfalz), Frank Brodehl (SH, 1. Sprecher im Kreisverband Ostholstein), Detlef Ehlebracht (HH), Dana Guth (NI) und Stefan Herre (BW) acht Abgeordnete aus der Partei ausgetreten.

In der Ausgebe 9/2019 des Magazins COMPACT erschien ein Interview mit dem Bundestagsabgeordneten und Vorsitzenden im AfD-Landesverband Baden-WĂŒrttemberg, Marc Jongen, der ebenfalls zu den Unterzeichnern des Appells gehörte. Darin Ă€ußerte dieser sich insbesondere ĂŒber das Ost-West-GefĂ€lle der Partei. Über den „FlĂŒgel“ sagte Jongen:

„Ich stelle mir nicht vor‚ dass der FlĂŒgel sich im Westen auflöst, auch spricht nichts gegen Auftritte fĂŒhrender FlĂŒgel-Exponenten in westlichen WahlkĂ€mpfen. Aber FlĂŒgel und Nicht-FlĂŒgel sollen aufhören, sich gegenseitig zu den angeblich allein seligmachenden Rezepten und dem entsprechenden Personal bekehren zu wollen. Im Übrigen scheinen mir die Unterschiede zwischen dem FlĂŒgel und dem Rest der AfD bei nĂ€herem Hinsehen so groß nicht zu sein.“[274]

Im Februar 2020 betonte die Vorsitzende der AfD-Bundestagsfraktion, Alice Weidel (MdB), in Ihrer Bewerbungsrede fĂŒr den Vorsitz im Landesverband Baden-WĂŒrttemberg laut Presseberichten ebenfalls nachdrĂŒcklich die Bedeutung des „FlĂŒgel“, indem sie erklĂ€rte, dass „der FlĂŒgel eine ganz wichtige Strömung innerhalb der Partei[ist].“[275]

Auf Facebook und Instagram zeigte auch die Junge Alternative fĂŒr Deutschland wiederholt ihre UnterstĂŒtzung fĂŒr den „FlĂŒgel“ und seine Protagonisten um Andreas Kalbitz und Björn Höcke, indem sie diese u. a. aktiv beim Wahlkampf unterstĂŒtzte oder Partei fĂŒr Kalbitz bezĂŒglich der Annullierung seiner AfD-Mitgliedschaft ergriff.“[276][277][278]

Weitere Aussagen, in denen der RĂŒckhalt des „FlĂŒgel“ in der Gesamtpartei zum Ausdruck kommt, wurden vor allem im Rahmen der formalen Auflösung das Personenzusammenschlusses getĂ€tigt. Dabei wurde ĂŒberdies auch die fortbestehende Bedeutung des Netzwerkes fĂŒr die Partei hervorgehoben.

So setzte sich etwa Guido Reil (MdEP) in einem Facebook-Eintrag am 18. Mai 2020 dafĂŒr ein, dass das „Netzwerk“ auch weiterhin Bestandteil der AfD bleibe. Nur dann sei die StabilitĂ€t der Partei langfristig gewĂ€hrleistet:

„Ich vergleiche die AfD immer gerne mit so einer BrĂŒcke. Die AfD hat zwei Fundamente, zwei Pfeiler wo sie draufsteht. Und diese zwei Pfeiler sind zwei gut organisierte Netzwerke. Das eine Netzwerk hieß mal der FlĂŒgel, hat sich aufgelöst. Die bekanntesten Köpfe sind Björn Höcke und Andreas Kalbitz. Und dann gibt es noch ein anderes Netzwerk, ein anderes Fundament. Das hat keinen Namen, ist aber genauso gut organisiert, und die fĂŒhrenden Köpfe heißen da Beatrix von Storch und Georg Pazderski. Zwischen diesen beiden Fundamenten gibt es die BrĂŒcke. Aber ich schĂ€tze mal die KrĂ€fteverhĂ€ltnisse beider großen Netzwerke so auf 35 Prozent und die anderen, das sind die, die neutral sind. [
] Und die Neutralen haben immer aufgepasst, dass keines dieser beiden großen Netzwerke alleine die Macht ĂŒbernimmt und die anderen raus drĂ€ngt. Das könnt ihr daran sehen, wie die allermeisten Listenaufstellungsparteitage gelaufen sind. Das könnt ihr daran sehen, wie die letzten Bundesparteitage gelaufen sind. Da wurde immer aufgepasst, dass sich die KrĂ€fteverhĂ€ltnisse gleichmĂ€ĂŸig verteilen und dass keiner den anderen platt macht. [
] Es gibt keine Alternative fĂŒr diesen Zusammenhalt und der Feind, liebe Freunde der ist nicht da drin, der ist nicht in der AfD. Das sind nicht die AfD-Mitglieder, unser Feind ist draußen und wir haben viel zu tun. Und deswegen möchte ich euch noch einmal eindringlich bitten, haltet zusammen, lasst euch nicht auseinandertreiben, lasst die Scharfmacherei sein. Hört auf ĂŒber Parteifreunde herzufallen, die nicht eurer Meinung sind. Wir haben hier viele unterschiedliche Menschen, viele unterschiedliche Meinungen, wir vertreten hier alle. Deswegen sind wir ja verdammt noch mal eine Volkspartei. [
] Und dazu mĂŒssen wirklich alle zusammenhalten und wirklich alle Lager weiterhin vertreten bleiben. Und deswegen halte ich auch diesen Entschluss, Andreas Kalbitz mit einer fĂŒnf zu sieben Mehrheit im Prinzip aus der Partei zu schmeißen, seine Mitgliedschaft zu annullieren fĂŒr grundfalsch.“[279]

In einem Interview mit dem Deutschlandfunk am 23. MĂ€rz 2020 sprach sich zudem der Bundestagsabgeordnete und Sprecher im AfD-Kreisverband Viersen (NW) Kay Gottschalk trotz der formalen Auflösung des „FlĂŒgel“ fĂŒr den Verbleib seiner AnhĂ€nger – als integralem Bestandteil – in der AfD aus:

„Es gibt, wĂŒrde ich sagen, und da bin ich bei Björn Höcke, einen Großteil der Menschen, die sich unter dem Logo des FlĂŒgels versammelt haben, das sind fantastische, großartige Leute, die ich aus dem eigenen Leben kenne. Die kenne ich aus dem Bundestag in der Zusammenarbeit. [
] Hier geht es um den ‚FlĂŒgel‘, [
], und da kenne ich ein Großteil der Menschen, wenn es denn 7.000 sind, als konstruktive, verlĂ€ssliche, gute und auch fachlich sehr fundierte GesprĂ€chspartner. Und die will und, ich glaube, jeder, jeder von uns, in der Partei behalten. [
] Ich hoffe, alle konstruktiven KrĂ€fte, die es im FlĂŒgel gibt – und davon kenne ich viele und mit denen arbeite ich in Nordrhein-Westfalen wie auch auf Bundesebene vernĂŒnftig und gut zusammen -, die sollen und mĂŒssen weiter integraler Bestandteil unserer Partei sein. [
] Wir haben ja auch gerade eine Krise, die wir durchlaufen, und da mĂŒssen wir uns alle auch einbringen, konstruktiv, und da brauchen wir auch jeden Mann und jede Frau vom FlĂŒgel.“[280]

Weiterhin wurde die Auflösung des „FlĂŒgel“ zwar vielfach gebilligt, gleichzeitig jedoch als „RĂŒckkehr der inneren Einheit der Partei“ gedeutet. Dies wurde insbesondere in der von den Bundestagsabgeordneten Alice Weidel, Alexander Gauland und Tino Chrupalla unterzeichneten ErklĂ€rung „Mit vereinten KrĂ€ften fĂŒr unser Land“ vom 31. MĂ€rz 2020 deutlich, mit der diese auf eine von Meuthen angestoßene Diskussion zu einer möglichen Abspaltung des „FlĂŒgel“ von der AfD reagierten:

„Deshalb war es ein wichtiges Zeichen fĂŒr unsere Partei, dass der ‚FlĂŒgel‘ auf Forderung des Bundesvorstands selbst seine zeitnahe Abwicklung beschlossen hat. Es gibt nur eine AfD! Die Auflösung des ‚FlĂŒgels‘ bedeutet die RĂŒckkehr zur inneren Einheit der Partei und ist ein wichtiger Schritt zur BĂŒndelung unserer KrĂ€fte als freiheitlich-soziale Partei. Nur so können wir gesamtdeutsche Volkspartei werden. Wir alle sind Mitstreiter fĂŒr unsere gemeinsame Sache, der politische Gegner steht ausschließlich außen. Er bekĂ€mpft uns alle und nicht nur Teile von uns. Jetzt ist die Zeit gekommen, unsere gemeinsam beschlossenen politischen Ziele wieder in den Vordergrund zu stellen und uns gemeinsam zu unserem freiheitlich-sozialen Kurs zu bekennen. Mit Mut zur Wahrheit und vereinten KrĂ€ften fĂŒr unser Land, fĂŒr Deutschland!“[281]

Weidel, Chrupalla und Gauland begrĂŒĂŸen demnach die Auflösung des „FlĂŒgel“ vor allem aus parteistrategischen GrĂŒnden als „Schritt zur BĂŒndelung unserer KrĂ€fte als freiheitlich-soziale Partei“. Da die ErklĂ€rung als Absage und Abgrenzung zur Forderung Meuthens nach einer Abspaltung des „FlĂŒgel“ zu sehen ist, dient sie vor allem der Feststellung, dass das „FlĂŒgel“-Netzwerk weiterhin zur Partei gehört. Eine Distanzierung von den Inhalten oder leitenden Personen des „FlĂŒgel“ findet demnach ausdrĂŒcklich nicht statt.

Diese Position und die Kritik an Jörg Meuthen bekrÀftigte Tino Chrupalla am 2. April 2020 nochmals mit einem Beitrag auf seiner Facebook-Seite, in dem er schrieb:

„Wer eine Diskussion ĂŒber die Zukunft der Partei anstoßen will, der tut dies erstens in den zustĂ€ndigen Gremien und zweitens ergebnisoffen. Wir haben die Debatte ĂŒber die Zukunft der AfD mit dem Vorstands-Beschluss zur Auflösung des FlĂŒgels eingeleitet. Dabei stand die Einheit der Partei nie zur Debatte, und sie wird auch niemals zur Debatte stehen. Insofern bin ich, wie viele andere in der Partei, von Jörg Meuthens Vorstoß einigermaßen ĂŒberrascht – und menschlich enttĂ€uscht.“[282]

Die strukturelle Bedeutung des „FlĂŒgel“ fĂŒr die Gesamtpartei auf Bundesebene zeigt sich darĂŒber hinaus in den zahlreichen Sympathie- und SolidaritĂ€tsbekundungen gegenĂŒber Andreas Kalbitz, nachdem dessen Parteimitgliedschaft aufgrund falscher Angaben beim Parteieintritt durch den Bundesvorstand annulliert wurde.

Bereits am 16. September 2019 Ă€ußerte sich der Ehrenvorsitzende Alexander Gauland (MdB) im ARD-Sommerinterview zu Kalbitz‘ rechtsextremistischer Vergangenheit:

„Also wir haben natĂŒrlich anhand der Geschichte in Athen darĂŒber gesprochen. Ich glaube nicht, dass es irgendetwas gibt. Und ich glaube auch nicht, dass diese BezĂŒge dazu fĂŒhren sollten, dass er nicht diese Aufgabe weitermacht, die er hat. Er macht das gut. Und er ist ein bĂŒrgerlicher Mensch. Ich kann nichts Rechtsextremes in ihm finden.“[283]

Direkt im Anschluss an die Sitzung das Bundesvorsands, die im Beschluss der Annullierung der Parteimitgliedschaft Kalbitz‘ mĂŒndete, erklĂ€rte Gauland, dass er „das Ergebnis fĂŒr falsch und fĂŒr gefĂ€hrlich fĂŒr die Partei“ halte. Außerdem bezweifle er, dass die Entscheidung juristisch Bestand haben werde, da Kalbitz „ja angeblich etwas verschwiegen hat, was sich ĂŒberhaupt nicht nachweisen lĂ€sst“.[284]

Da Gauland die Ablehnung des Vorstandsbeschlusses nicht nur juristisch begrĂŒndet, sondern diesen als falsch und gefĂ€hrlich fĂŒr die Partei bezeichnet, bringt er zum Ausdruck, dass er den Verbleib des fĂŒhrenden „FlĂŒgel“-Protagonisten Kalbitz in der AfD politisch befĂŒrwortet.

Die Co-Vorsitzende der AfD-Bundestagsfraktion und stellvertretende Bundessprecherin, Alice Weidel, die im Bundesvorstand gegen den Annullierungsbeschluss gestimmt hatte, bezweifelte in einem Statement in der ARD ebenfalls, dass der Annullierungs-Beschluss einer juristischen ÜberprĂŒfung standhalten werde.[285]

Auch AfD-Co-Bundessprecher Tino Chrupalla (MdB), der als Mitglied des Bundesvorstands ebenfalls gegen die Annullierung stimmte, kritisierte am 16. Mai 2020 öffentlich den Vorstandsbeschluss:

„Auch in der innerparteilichen Auseinandersetzung mĂŒssen rechtsstaatliche GrundsĂ€tze Bestand haben. Wer sie mit FĂŒĂŸen tritt, nur um auf diese Weise innerparteilichen Konkurrenten zu schaden, verbrĂŒdert sich mit dem politischen Gegner. Gut, dass RechtmĂ€ĂŸigkeit geprĂŒft wird.“[286]

Sowohl Chrupalla wie Weidel begrĂŒnden ihre Ablehnung der Annullierung vor allem formal-juristisch. Die enge strategische Zusammenarbeit mit Gauland, die sich u. a. in der bereits zitierten gemeinsamen ErklĂ€rung „Mit vereinten KrĂ€ften fĂŒr unser Land“ vom 31. MĂ€rz 2020 zeigt, deutet darĂŒber hinaus jedoch auch auf eine strategisch-politische Motivation hin, „FlĂŒgel“-FunktionĂ€re nicht aus der Partei zu drĂ€ngen, um die AfD insoweit auf ein breites Fundament unter Einschluss des „FlĂŒgel“-Netzwerkes zu stellen.

Zu den Mitgliedern im Bundesvorstand, die gegen die Annullierung stimmten, gehörte zudem der Bundestagsabgeordnete Stephan Brandner. Am 15. Mai 2020 teilte und kommentierte dieser einen Tweet Stefan Möllers (MdL, TH, Sprecher im AfD-Landesverband ThĂŒringen und UnterstĂŒtzer des „FlĂŒgel“), in dem Möller die Annullierung der Parteimitgliedschaft des Andreas Kalbitz (MdL, BB) wie folgt kommentierte:

„Ich hĂ€nge mich mal aus dem Fenster: Der #Ausschluss von #Kalbitz aus der AfD wird auf dem Rechtsweg eine Beendigung erster Klasse erhalten.“

Hierzu schrieb Brandner:

„Da hĂ€ngen wir zusammen, Stefan!“[287]

Das Abstimmungsverhalten sowie die Kommentierung deuten in der Konsequenz auf einen RĂŒckhalt fĂŒr den Rechtsextremisten Kalbitz hin.

Der AfD-Bundestagsabgeordnete Ulrich Oehme Ă€ußerte sich am 5. Juni 2020 auf seiner Facebook-Seite wie folgt:

„Man wirft ihm vor, er habe pflichtgemĂ€ĂŸe Angaben in seinem Mitgliedsantrag verschwiegen. Aber sein Mitgliedsantrag, der bei der Beschlussfassung des Bundesvorstands der Partei zur Entscheidung hĂ€tte herangezogen werden mĂŒssen, ist nicht auffindbar. Man kann einen so schweren Vorwurf nicht ungeprĂŒft aus den Medien heranziehen. – War Andreas Kalbitz tatsĂ€chlich zur Abgabe einer (unverstellt) solchen ErklĂ€rung verpflichtet, wenn er seinen Antrag einen Monat vor dem GrĂŒndungskongress der AfD einreichte? Auf dem wurden erst spĂ€ter satzungsgemĂ€ĂŸ Kriterien ĂŒber die Angaben zur Aufnahme verabschiedet. – Ebenso ist falsch, dass Kalbitz seine zeitweilige Mitgliedschaft (einige Monate) bei den Republikanern hĂ€tte angeben mĂŒssen. Entgegen der Presseberichte wurde diese Partei nicht fĂŒr rechtsextrem befunden. [
] Selbst wenn Kalbitz seine sehr kurze Zeit bei den Republikanern verschwiegen haben sollte, muss er darĂŒber zwingend keine ErklĂ€rung abgeben. – Über ein Gutachten des Bundesamts fĂŒr Verfassungsschutz zur Heimattreuen Jugend, ĂŒber die politisch gesteuerten Aussagen darin, ‚habe ich mich als Beamter fremd geschĂ€mt‘. Wie im ĂŒbrigen Andreas Kalbitz eine Mitgliedschaft in der Heimattreuen Jugend bestreitet und das Bundesinnenministerium die Beweise fĂŒr das Gegenteil nicht herausrĂŒckt.“[288]

Der Beisitzer im AfD-Landesverband Sachsen und Vorstandsvorsitzende im Kreisverband Bautzen, Karsten Hilse (MdB), veröffentlichte am 16. Mai 2020 auf Facebook ein Foto, das ihn zusammen mit Andreas Kalbitz, Björn Höcke (MdL, TH) und Jörg Urban (MdL, SN) zeigt. Hilse drĂŒckte ergĂ€nzend seine SolidaritĂ€t mit Kalbitz und dem „FlĂŒgel“ folgendermaßen aus:

„Ich werde in Zukunft allen, die dem Ausschluss von Andreas Kalbitz zugestimmt haben, weder meine Stimme geben, noch sie unterstĂŒtzen.“[289]

Am 18. Mai 2020 trat der AfD-Bundestagsabgeordnete Jens Maier (Landesobmann das „FlĂŒgel“ fĂŒr Sachsen) auf der PEGIDA-Demonstration in Dresden (SN) als Gastredner auf. In seinem Redebeitrag Ă€ußerte er sich folgendermaßen:

„Und daher liebe Freunde, möchte ich euch bitten. Es wird jetzt zu einem Selbstreinigungsprozess kommen. Wir haben das ja schon zweimal durch, mit Lucke durch, mit Petry durch. Durch das werden wir jetzt auch wieder ĂŒberstehen, wird eine Zeit dauern. Und es trifft uns auch in einer Zeit, wo wir uns doch wirklich mit etwas anderem beschĂ€ftigen sollten als mit innerparteilichen Gerangel. [
] Und ich bin sicher, dass diese Entscheidung das Bundesvorstands vor keinem Gericht Bestand haben wird. Und dann ist Andreas Kalbitz wieder da, liebe Freunde und dann gehen wir unseren erfolgreichen Weg weiter.“[290]

Maier drĂŒckt damit nicht nur seine SolidaritĂ€t mit Kalbitz aus, sonder sieht den Richtungsstreit innerhalb der AfD als „Selbstreinigungsprozess“, den es zu ĂŒberstehen gelte. Zudem spricht er offen davon, „unseren erfolgreichen Weg weiter“ zu gehen, was auf eine Fortsetzung der AktivitĂ€ten das „FlĂŒgel“-Netzwerkes und den offensiven Machtanspruch desselbigen in der Gesamtpartei hinweist.

Mary Khan-Hohloch, stellvertretende Bundesvorsitzende der JA, außen sich in einem Tweet zur Annullierung der Parteimitgliedschaft Andreas Kalbitz‘ wie folgt:

„Die heutige Entscheidung des Bundesvorstandes der lĂ€sst mich erschaudern. Ich habe Angst um meine Partei, in die ich vor knapp 5 Jahren voller Überzeugung eingetreten bin. Ich will keine #CDU 2.0. Ich will eine echte Alternative fĂŒr #Deutschland.“[291]

Am 14. Mai 2020 teilte der AfD-Bundestagsabgeordnete, stellvertretende Vorsitzende im AfD-Landesverband Sachsen und Vorsitzende im Kreisverband Leipzig, Siegbert Droese, einen Presseartikel, der ĂŒber den innerparteilichen Richtungsstreit sowie ĂŒber die Debatte um Andreas Kalbitz berichtete. Droese sah den Artikel kritisch und schrieb:

„Andreas Kalbitz kann nicht zur Disposition stehen. [
] Bei der LektĂŒre einiger QualitĂ€tsmedien gewinnt man im Augenblick den Eindruck, es wird eine harte Sanktion gegen Andreas Kalbitz vorbereitet. Offensichtlich werden die Medien mit Informationen aus dem innersten Kreis der AfD ‚versorgt‘. Eine Frage stellt sich dabei: Wem nĂŒtzt es? Der Alternative fĂŒr Deutschland nutzt es jedenfalls nichts, wenn der erstklassige brandenburgische Landesvorsitzende, der schneidige Fraktionschef im Brandenburger Landtag und Garant fĂŒr fulminante Wahlerfolge, Andreas Kalbitz, in Frage gestellt wird.“[292]

Am 19. Juni 2020 entschied das Landgericht Berlin, dass die Parteimitgliedschaft Kalbitz‘ entgegen dem Annullierungsbeschluss des Bundesvorstands bis zu einer abschließenden Entscheidung des Bundesschiedsgerichts bestehen bleiben mĂŒsse. Am selben Tag Ă€ußerte sich Robby Schlund (MdB), indem er einen Facebook-Eintrag der Junge Alternative Brandenburg teilte, der ebenfalls eine Positionierung zugunsten von Andreas Kalbitz traf. Die dahin enthaltene Grafik beinhaltete die Aussage:

„Gerechtigkeit. Andreas Kalbitz ist zurĂŒck!“

Im dazugehörigen Eintrag der JA Brandenburg hieß es außerdem:

„Willkommen zurĂŒck, Andreas!“[293]

Die Äußerungen zur Annullierung der Mitgliedschaft Kalbitz‘ zeigen, dass dessen Verbleib in der Partei von zahlreichen Vertretern der Bundesebene befĂŒrwortet wird. Durch die zentrale Position Kalbitz‘ als fĂŒhrendem „FlĂŒgel“-Protagonisten wird dadurch auch der RĂŒckhalt fĂŒr den Personenzusammenschluss „FlĂŒgel“ insgesamt deutlich.

Neben den Sympathie- und SolidaritĂ€tsbekundungen gegenĂŒber Andreas Kalbitz lĂ€sst sich der RĂŒckhalt das „FlĂŒgel“ insbesondere auch aus der Teilnahme von AfD-FunktionĂ€ren und -FunktionĂ€rinnen der Bundesebene an „FlĂŒgel“-Treffen ableiten.

So beteiligte sich etwa die Junge Alternative fĂŒr Deutschland mit einem Infostand am „KyffhĂ€usertreffen 2018“. Dies zeigt die enge Verbundenheit beider PersonenzusammenschlĂŒsse.[294]

Steffen KotrĂ© (MdB, Beisitzer im AfD-Landesverband Brandenburg und Vorsitzender im Kreisverband Dahme-Spreewald sowie UnterstĂŒtzer des „FlĂŒgel“) berichtete in einem Facebook-Eintrag vom 21. September 2019 ĂŒber seinen Rednerauftritt auf dem „SĂ€chsischen FlĂŒgeltreffen“ und lobte die dortige „sehr angenehme AtmosphĂ€re“. Er betonte in seinem Eintrag außerdem die Bedeutung des „FlĂŒgel“ fĂŒr die AfD:

„Der FlĂŒgel hat die Aufgabe, immer wieder den Schutz unserer IdentitĂ€t‚ Heimat Kultur und Rechtsstaatlichkeit mit klarer Kante einzufordern und zu verhindern, daß die AfD in ihren BemĂŒhungen erlahmt, keine faulen Kompromisse mit den Altparteien einzugehen.“[295]

Enrico Komning (MdB, Beisitzer im AfD-Landesvorstand Mecklenburg-Vorpommern und Landesobmann des „FlĂŒgel“ fĂŒr Mecklenburg-Vorpommern) berichtete in einem Facebook-Eintrag vom 24. November 2019 ĂŒber das „Königsstuhltreffen“ des „FlĂŒgel“, das am Vortag in Binz (MV) stattgefunden hatte, und erklĂ€rte, dass das „FlĂŒgelfest“ fortan jĂ€hrlich in Mecklenburg-Vorpommern stattfinden solle.[296]

Zuletzt lassen auch Aussagen von ehemaligen Parteimitgliedern RĂŒckschlĂŒsse auf die Einflussmöglichkeiten des „FlĂŒgel“ innerhalb der Gesamtpartei zu. So gab z. B. das ehemalige Mitglied des AfD-Bundesvorstands und einer der Initiatoren der Alternative Mitte, Dirk Driesang, am 28. Dezember 2019 auf seiner Facebook-Seite bekannt, dass er bereits zum 2. Dezember 2019 aus der AfD ausgetreten sei. Seinen Schritt begrĂŒndete Driesang wie folgt:

„Beim letzten BPT der AfD in Braunschweig, der erstaunlich hĂ€ufig positiv bzw. neutral bewertet wurde, gab es einige Abstimmungsergebnisse zu beobachten, die mich persönlich zur Erkenntnis gebracht haben, daß die AfD nun in weitem Umfang ‚flĂŒgelhörig‘ geworden ist. Eine mir leider unumkehrbare Entwicklung. [
] Wenn Herr Chrupalla eine gemĂ€ĂŸigte Sicht der Dinge vertritt und Herr Höcke unterdessen ‚in der Mitte der Partei‘ steht (O-Ton Gauland), dann will ich die nicht gemĂ€ĂŸigten Mitglieder und den Rand der Partei nicht kennenlernen.“[297]

Neben Driesang nannte im Januar 2020 auch die Bundestagsabgeordnete Verena Hartmann die Ergebnisse des Bundesparteitages als Anlass fĂŒr ihren Austritt aus Partei und Fraktion. Hartmann geht dabei auch auf die „zersetzende“ Wirkung des „FlĂŒgel“ ein:

„Mit dem AfD-Bundesparteitag wurden die schlimmsten BefĂŒrchtungen wahr: der FlĂŒgel mit seinen rechtsextremen Gebaren nach innen und außen, hat es bis an die Spitze der Partei geschafft. Durch neue BĂŒndnisse, die vor einem Jahr unvorstellbar waren. [
] Der rechte FlĂŒgel ist weder fair, noch kĂ€mpft er mit offenem Visier. Durch Intrigen und Diffamierungen lĂ€sst er nur zwei Optionen zu: Unterwerfung oder politische Demontage. So zersetzt er StĂŒck fĂŒr StĂŒck die Partei und es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis nichts mehr von der AfD, die sie noch vor zwei Jahren war, ĂŒbrig ist.[298]

Der Fraktionsvorsitzende Alexander Gauland trĂ€gt aus der Sicht Hartmanns ebenfalls eine Mitschuld am Erstarken des „FlĂŒgel“, da er sich in der Vergangenheit schĂŒtzend vor dessen AnhĂ€ngerschaft gestellt und dem „FlĂŒgel“ damit bei der Entfaltung geholfen habe:

„Dr. Gauland erklĂ€rt ganz offen den BegrĂŒnder das rechten FlĂŒgels, Herrn Höcke, der ‚Mitte der Partei‘ zugehörig. Damit verschiebt sich die Mitte nach rechts und zwingt die gesamte Partei mitzugehen. Er unterstreicht einmal mehr, voll und ganz hinter Höcke zu stehen. Lieber verliert die Parteispitze viele gute Mitglieder, auch MandatstrĂ€ger, als einen Höcke. Der rechte FlĂŒgel konnte sich dadurch in den letzten Jahren frei entfalten, die Richtung ist vorgegeben und der Wandel der AfD damit besiegelt.“[299]

Die von Verena Hartmann prognostizierte Entwicklung wurde nach Aussagen weiterer ehemaliger Mitglieder auch durch die formale Auflösung des „FlĂŒgel“ nicht gestoppt.

Im September 2020 erklĂ€rte das AfD-GrĂŒndungsmitglied Konrad Adam seinen Austritt aus der Partei zum Januar 2021. In einem Interview mit der dpa erhob Adam ebenfalls VorwĂŒrfe gegen den Fraktionsvorsitzenden Alexander Gauland. Dieser habe sich, so Adam, immer schĂŒtzend vor „Rechtsausleger wie Andreas Kalbitz und den ThĂŒringer Landesvorsitzenden Björn Höcke gestellt.“ Damit habe Gauland dazu beigetragen, dass der Einfluss das „FlĂŒgel“ stetig gewachsen sei, was besonders in den ostdeutschen LandesverbĂ€nden deutlich zu spĂŒren sei.[300]

Seit der AnkĂŒndigung der Auflösung des „FlĂŒgel“ ist zu beobachten‚ dass sich verschiedene Gruppierungen, besonders im Internet, grĂŒndeten, die teils offen, teils nur indirekt als „FlĂŒgel“-Gruppierungen gesehen werden können. Bereits am 22. MĂ€rz 2020 bot sich die bereits seit 2017 bestehende „Freiheitliche Patriotische Alternative“ (FPA) auf Facebook als Nachfolgebestrebung des „FlĂŒgel“ an.[301] Sprecher dieser Organisation ist der sĂ€chsische Landtagsabgeordnete und „FlĂŒgel“-AnhĂ€nger Roland Ulbrich.

Die öffentlich wahrnehmbaren AktivitĂ€ten, die seitdem zu verzeichnen sind, lassen allerdings nicht den Schluss zu, dass die AnhĂ€ngerschaft des „FlĂŒgel“ sich unter dem Dach der FPA zusammengefunden hat. Der einzige Beitrag auf der Facebook-Seite nach dem 22. MĂ€rz 2020 stammt vom 3. April 2020. In diesem wird dazu aufgerufen, auf der Seite https://aufrechte.info eine Petition zu unterschreiben, in der Jörg Meuthen zum RĂŒcktritt aufgefordert wird.[302] Daneben bestand bis in den September 2020 hinein die Seite https://www.alternative-basis.de, die von der inhaltlichen Ausrichtung eindeutig dem „FlĂŒgel“ nahestand. Durch die Klage der ehemaligen niedersĂ€chsischen AfD-Landesvorsitzenden und Landtagsabgeordneten Dana Guth wurde bekannt, dass der KĂ€ufer der Domain der Bundestagsabgeordnete und „FlĂŒgel“-AnhĂ€nger Frank Pasemann (ST)[303] war. Dieser bestĂ€tigte gegenĂŒber Pressevertretern, dass er der ursprĂŒngliche KĂ€ufer sei, nicht aber der Betreiber.[304]

Weitere Beispiele fĂŒr entsprechende AktivitĂ€ten im Internet sind die Facebook-Seiten Blaues Ende und Nationalkonservative Wertegemeinschaft. Letztere wurde noch im MĂ€rz, kurz nach AnkĂŒndigung der Auflösung, erstellt. In der Selbstbeschreibung der Seite heißt es entsprechend: „Facebook-Seite der Nationalkonservativen Wertegemeinschaft in der AfD (NKW), eine Reaktion auf die Auflösung des FlĂŒgels.“[305]

Die Seite Blaues Ende wurde wenige Tage spĂ€ter, am 2. April 2020, gegrĂŒndet. Bereits das Hintergrundbild und die Beschreibung der Gruppe lassen keinen Zweifel an der inhaltlichen Positionierung der hinter ihr stehenden Personen:

„GemĂ€ĂŸigt in den Untergang. Gehen wenn’s am schönsten ist
“[306]

Weiterhin wird ebenfalls auf dieser Seite fĂŒr die bereits erwĂ€hnte Petition zum RĂŒcktritt von Jörg Meuthen prominent geworben.

Die von AfD-Mitgliedern neu gegrĂŒndeten Seiten belegen die auch nach der formalen Auflösung fortgesetzten AktivitĂ€ten von „FlĂŒgel“-AnhĂ€ngerinnen und -AnhĂ€ngern im Internet. Neben zum großen Teil polemischen Kommentierungen der innerparteilichen Auseinandersetzungen stand besonders Jörg Meuthen im Mittelpunkt der Diffamierungen. Aufgrund der unterschiedlichen Verweise kann außerdem davon ausgegangen werden, dass die unterschiedlichen Seiten untereinander in Kontakt standen und somit in einem gewissen Maß von einem planvollen und strategischen Zusammenwirken gesprochen werden kann mit dem Ziel, im Sinne des „FlĂŒgel“ Einfluss auf die innerparteilichen Diskussionen zu nehmen.

2. Landesebene

Die strukturelle Einflussnahme des „FlĂŒgel“ auf die Gesamtpartei lĂ€sst sich auf der Landesebene beispielhaft anhand von Äußerungen verschiedener LandesverbĂ€nde der Alternative Mitte (AM) nachzeichnen. So plĂ€dierte der mittlerweile aus der Partei ausgetretene ehemalige niedersĂ€chsische Sprecher der Alternative Mitte, Jens Wilharm, im Juli 2019 fĂŒr eine Trennung der AfD und des „FlĂŒgel“. Anlass dafĂŒr war das „KyffhĂ€usertreffen 2019“ und die dortige Rede Björn Höckes:

„Es wird mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in nicht allzu ferner Zukunft eine als rechtsextrem eingestufte Partei in Deutschland geben, die die Nachfolge von Parteien wie NPD oder DVU im Parteienspektrum antritt [
] und die Frage ist womöglich auch nur noch, ob sie ‚Der FlĂŒgel‘ oder AfD heißen wird [
] und ich möchte nicht, dass diese Partei AfD heißt.“[307]

Hier wird deutlich, dass Wilharm dem „FlĂŒgel“ erhebliche Bedeutung beimisst. Er unterstellt konkludent dem „FlĂŒgel“ eine rechtsextreme Position und befĂŒrchtet, dass diese sich auf die Gesamtpartei ausdehnt.

Mit Referenz auf die Wahl das AfD-Bundesvorstands auf dem Bundesparteitag im Jahr 2019 erklĂ€rte die Alternative Mitte Niedersachsen zudem, es zeige sich, dass die von der Alternative Mitte vertretenen politischen Ansichten „in der AfD mehrheitlich nicht gewĂŒnscht“ seien. Dies bedeute gleichzeitig, dass der „FlĂŒgel“ sich dauerhaft in der Partei etabliert habe. Die Alternative Mitte Niedersachsen sehe fĂŒr sich selbst keinen Platz mehr in einer Partei, die mittlerweile „deutlich rechts von der bĂŒrgerlichen Mitte“ stehe.[308]

Es zeigt sich, dass die Alternative Mitte ihren vermeintlichen Widerstand gegen die extremistische Strömung „FlĂŒgel“ in der Partei aufgibt und diesem einen erheblichen Einfluss in der Gesamtpartei attestiert.

Die Alternative Mitte ThĂŒringen ging ebenfalls auf die Ergebnisse des zehnten Bundesparteitages und die dortige Neuwahl des Bundesvorsands ein. De Reaktionen auf die Stellungnahme der Alternative Mitte Deutschland zum Parteitag hĂ€tten bei ihr den Eindruck gefestigt, dass „die AM [Anm.: Alternative Mitte] als kritische Interessengemeinschaft in der AfD nicht erwĂŒnscht ist. Obwohl eine wahrnehmbare kritische Stimme, wie die der AM, fĂŒr die AfD wichtiger denn je wĂ€re, ist sie vielfach nicht gewollt – auch nicht von vielen flĂŒgelkritischen Parteimitgliedern und selbst nicht mehr von allen, die sich ihr selbst zugerechnet hatten oder haben.“

Es habe den Anschein, als seien frĂŒhere Reformbewegungen nun „anderen Strategien gewichen“. Aus diesen GrĂŒnden mache man „hier das Licht aus“. Abermals verdeutlicht die Alternative Mitte, dass „FlĂŒgel“-kritische Stimmen in der Partei nicht mehr gewollt seien, was eine Aufgabe des vermeintlichen Widerstands zur Folge habe.[309]

Weitere Belege fĂŒr eine fortgesetzte Einflussnahme des „FlĂŒgel“ auf die Gesamtpartei lassen sich in den Reaktionen auf die Überlegungen Jörg Meuthens zu einer Teilung der Partei vom 1. April 2020 erkennen. Noch am gleichen Tag Ă€ußerte sich Andreas Kalbitz[310] mit einer Online-Fragestunde ĂŒber Facebook zum Vorschlag Meuthens, indem er dessen Überlegungen kategorisch widersprach und die Einheit der Partei beschwor:

„Frau P. B. fragt: Wird sich die AfD teilen? Nein. Das muss man ganz klar sagen. Unser Erfolgsrezept war immer die Einigkeit, und die StĂ€rke haben wir aus dieser Einigkeit gezogen. Wir sehen das an den Wahlergebnissen im Osten. Wir haben ja schon viele StĂŒrme innerparteilich ĂŒberstanden und ich denke, man braucht sich in der Vergangenheit eigentlich nur die Liste derer anschauen, die schon mal glaubten, diese Partei spalten zu wollen oder auf den Weg zu bringen, ja nicht gut getan hat. Ich bin da völlig zuversichtlich. [
] Die AfD als alternatives Projekt, das unser Land so dringend braucht, hat nur eine Chance gemeinsam und einig. DafĂŒr stehen wir auch hier in Brandenburg auch als Fraktion, da gibt es bei uns keine zwei Meinungen. Und ich danke, so war das bisher immer, dass wir da gestĂ€rkt draus hervorgehen. Ich persönlich, auch in meiner Funkion als Mitglied des Bundesvorstands, sage ich ganz offen, finde es nicht geschickt‚ erstens diese Stöckchenspringerei zu betreiben und dann in der Außenwirkung ein Bild abzugeben, wo man sagt, ganz Deutschland ist beschĂ€ftigt mit Corona. Viele mĂŒssen sich ĂŒberlegen, wie lĂ€uft es beruflich weiter, und einige haben nichts Besseres zu tun, als sich mit sich selbst zu beschĂ€ftigen, davon halte ich nichts. Also, die AfD wird sich nicht teilen, da bin ich völlig zuversichtlich.“[311]

Am 2. April 2020 Ă€ußerte sich ebenfalls Björn Höcke in einem Beitrag auf seiner Facebook-Seite, der auch auf der islamfeindlichen Website PI-NEWS veröffentlicht wurde, zu den Überlegungen Meuthens:

„WĂ€hrend ‚Corona‘ die Schlagzeiten beherrscht, [
], haben einige wenige in der einzig relevanten Oppositionskraft nichts Besseres zu tun, als die Einheit unserer Partei in Frage zu stellen. Ich finde das töricht und verantwortungslos! Die Diskussion ĂŒber die Spaltung unserer Partei in eine West- und eine Ost-AfD, in eine FlĂŒgel- und Nicht-FlĂŒgel-AfD ist ĂŒberflĂŒssig. [
] Wir sind die politische Kraft, die ohne Wenn und Aber an dieser Einheit festhalten will, die Ja sagt zur Nation, weil sie weiß, daß IdentitĂ€t, SolidaritĂ€t und Demokratie nur im Rahmen der Nation gelebt werden kann. Wir setzen gegen die vereinten KrĂ€fte des Establishments alles daran, unser Land als Heimat der Deutschen in Einheit zu bewahren. Deswegen wĂ€re das Abspalten von relevanten Gruppen oder gar die Spaltung der Partei ein fatales Zeichen, es wĂ€re ein Zeichen des Scheiterns.“[312][313]

Auch er verweist auf die Notwendigkeit einer geeinten AfD und lehnt eine Spaltung in „FlĂŒgel- und Nicht-FlĂŒgel-AfD“ kategorisch ab.

Der AfD-Landesverband Brandenburg sprach sich in einem Facebook-Eintrag vom 3. April 2020 – unter anderem mit dem Konterfei von Kalbitz versehen – fĂŒr die Geschlossenheit der Partei aus und warb fĂŒr ein „Miteinander unterschiedlicher Strömungen“:

„Unser Grundsatzprogramm ĂŒberfĂŒhrt all diejenigen der LĂŒge, die behaupten die unterschiedlichen Strömungen unserer AfD seien nicht unter einem Dach vereinbar. Dabei ist es gerade das Produkt davon; das Miteinander unterschiedlicher Strömungen, welches die AfD zur Alternative macht. Uns alle eint das Ziel unsere Heimat zu bewahren. Als Demokraten sind wir bereit miteinander hart in der Sache zu diskutieren und den Weg dorthin gemeinsam zu gestalten. All diejenigen dagegen, die unsere Partei in gute und schlechte Mitglieder, in AnzugstrĂ€ger und Jogginghosen, Fundamentale und Reale spalten möchten, haben unsere Partei nicht verstanden. Wir haben bereits in der Vergangenheit gezeigt, dass wir gemeinsam in der Lage waren diesen EinzelkĂ€mpfern die Stirn zu bieten. Wir Brandenburger werden auch diesmal wieder unseren Beitrag leisten, um die Einheit der Partei zu wahren.“[314]

Die ErklĂ€rung kann als Solidarisierung mit der formal aufgelösten Sammlungsbewegung „FlĂŒgel“ gedeutet werden.

Die Junge Alternative Baden-WĂŒrttemberg ĂŒbte ebenfalls scharfe Kritik an den Aussagen Meuthens und verband dies mit einer RĂŒcktrittsforderung:

„Als Jörg Meuthen 2017 auf dem KyffhĂ€usertreffen sprach, konnte man als stiller Beobachter davon ausgehen, dass er die Meinungsvielfalt innerhalb der Partei unterstĂŒtzen wĂŒrde. Mit der Zeit kristallisierte sich immer deutlicher heraus, dass dies nicht der Fall ist. Mit den aktuellen Äußerungen von Jörg Meuthen reiht er sich in eine Liste mit Bernd Lucke und Frauke Petry ein. Beide waren Bundesvorsitzende der AfD und versuchten, die AfD mit ihrem Austritt zu spalten – ohne Erfolg. Herr Meuthen möchte mit Blick auf die Auflösung das ‚FlĂŒgels‘ eine Spaltung der AfD in Ost und West vorantreiben. Man mag zum ‚FlĂŒgel‘ stehen, wie man möchte. Nichts desto trotz erscheinen uns diese Äußerungen als stark parteischĂ€digend. Gerade von einem Bundessprecher sollte man erwarten können, dass er sich fĂŒr die Einheit und Meinungsvielfalt innerhalb der Partei und gerade nach außen hin einsetzt. Wir sagen: Herr Meuthen, treten Sie zurĂŒck, um weiteren Schaden von der Partei abzuwenden.“[315]

Auch die JA Mecklenburg-Vorpommern teilte und schrieb BeitrĂ€ge, die sich deutlich gegen eine Spaltung der AfD positionieren. Zudem wurden EintrĂ€ge von „Der FlĂŒgel“ und Björn Höcke geteilt. Die QuantitĂ€t darartiger BeitrĂ€ge unterstreicht dabei die inhaltliche und strukturelle NĂ€he der JA Mecklenburg-Vorpommern zum „FlĂŒgel“.[316][317][318][319][320]

Insgesamt richtet sich die Kritik an den Überlegungen Meuthens zu einer Abspaltung des „FlĂŒgel“ vor allem darauf, dass dieser dessen Zugehörigkeit zur AfD negiere. So veröffentlichte der niedersĂ€chsische Landtagsabgeordnete Stephan Bothe (stellv. Vorsitzender im AfD-Landesverband Niedersachsen und Vorsitzender im Kreisverband LĂŒchow/Dannenberg-LĂŒneburg) im April 2020 auf Facebook unter der Überschrift „Spaltungstendenzen nachhaltig stoppen“ einen „Antrag an den Bundeskonvent der NiedersĂ€chsischen Delegierten“, in dem es hieß:

„Die Äußerungen des Bundessprechers Prof. Dr. Jörg Meuthen hinsichtlich einer Spaltung der Partei sind inakzeptabel, weil diese eine Diskussion heraufbeschwören, welche in der Partei keine sein darf und die Partei außerordentlich schĂ€digt. Unser Partei funktioniert nur als Ganzes und kann nur als Ganzes erfolgreich sein. Eine von innen aufgezwungene Diskussion des Bundessprechers ĂŒber eine Abspaltung oder eine Aufspaltung der AfD, welche bekanntermaßen die letzte evolutionĂ€re Chance ist, unser Vaterland als Heimat der Deutschen zu erhalten, wirkt parteischĂ€digend und zersetzend.“[321]

Jan-Oliver Zwerg (MdL, SN und GeneralsekretĂ€r im AfD-Landesverband Sachsen) positionierte sich Ă€hnlich, indem er am 22. April 2020 einen als „Dresdner ErklĂ€rung“ ĂŒberschriebenen Facebook-Eintrag von Norbert Mayer (MdL, SN und stellv. Fraktionsvorsitzender der AfD-Landtagsfraktion) verbreitete. Dabei handelt es sich offenbar um eine Reaktion auf den von Meuthen am 1. April 2020 öffentlich vorgebrachten Vorschlag. Darin hieß es:

„Wir – Mitglieder, Funktions- und MandatstrĂ€ger der Partei Alternative fĂŒr Deutschland – setzen uns besonders jetzt mit unserer ganzen Kraft dafĂŒr ein, dass unsere Heimat, unser Land, diese uns durch die Krise auferlegte PrĂŒfung besteht und wir am Ende das erreichen, was uns allen am Herzen liegt: in einer dem inneren und Ă€ußeren Frieden verbundenen, freiheitlichen und sozial ausgewogenen Gesellschaft zu leben, in der wir uns als Deutsche wiederfinden und wohl fĂŒhlen können. [
] Nur durch die Vereinigung aller KrĂ€fte und Strömungen und unter Respektierung regionaler Besonderheiten innerhalb der Partei sind wir in der Lage, das zu werden, was dieses Land so dringend braucht: eine wirkliche Volkspartei, eine Volkspartei im wörtlichen Sinne. Wir erklĂ€ren hiermit, dass wir vor dem Hintergrund der Verantwortung, die auf uns lastet, fĂŒrderhin in unseren Reihen nur solche Personen respektieren und fördern werden, die sich diesem Ziel verpflichtet sehen und die sich unmissverstĂ€ndlich und glaubhaft in Wort und Tat zur Einheit der Partei bekennen. Dresden, im April 2020.“[322]

Die angemahnte „Vereinigung aller KrĂ€fte und Strömungen“ ist als PlĂ€doyer fĂŒr die Einheit der Partei und somit ebenfalls fĂŒr den Verbleib das rechtsextremistischen „FlĂŒgel“ in der AfD zu versehen.

Mehr Zusammenhalt und Einigkeit innerhalb der AfD fordere auch Jessica Bießmann (MdA, BE, UnterstĂŒtzerin des „FlĂŒgel“). Sie verurteilte insbesondere die parteiinternen Angriffe gegen Mitglieder des „FlĂŒgel“:

„Die alten Römer wußten es: ‚Ex unitate vires‘, ‚Aus Einigkeit Kraft‘. Leicht dahingesagt sind diese Worte, denn erst im Augenblick existentieller Herausforderungen offenbart sich ihr tiefer Sinn. Wir sind stark, weil wir einig sind, sollten die Leitworte unserer Partei sein. [
] Gemeinsam haben wir diese Höhen erklommen und viele FlĂŒgelschlĂ€ge trugen uns hinauf. An der Havel und am Rennsteig war mancher Ausgangspunkt, dort stehen heute Bastionen. Deren Mauern selbst zu schleifen wĂŒrde Applaus bei jenen finden, die sie von außen nicht einreißen konnten. Diese Bastionen sind unsere gemeinsamen Siege. Jene, die sie in Brandenburg und ThĂŒringen in vorderster Front fĂŒr uns errungen haben, gebĂŒhrt Dank – keinesfalls jedoch HĂ€me, oder ein Scherbengericht. Das macht ihr Werk nicht zu BauplĂ€nen, nur zu LeuchttĂŒrmen in einem Teil des Nebels, der sich ĂŒber unser Land gelegt hat. Die Klippen wĂŒrden bleiben, wenn ihr Licht erlöscht.“

Darunter veröffentlichte sie eine Grafik mit folgender aufgebrachter Textpassage:

„Nur Einigkeit macht uns stark. Angriffe gegen Andreas und Björn Höcke sind Angriffe auf die Seele der AfD.“[323]

Bießmann spricht sich damit ganz klar fĂŒr eine gemeinsame politische Linie des gemĂ€ĂŸigteren AfD-Lagers und der „FlĂŒgel“-AnhĂ€nger aus und betont, dass die Partei nur durch Einigkeit stark bleibe. Des Weiteren fĂŒhrt sie aus, dass die AfD ihrer Auffassung nach insbesondere durch die Arbeit der „FlĂŒgel“-FunktionĂ€re aus ThĂŒringen und Brandenburg elektorale Erfolge verzeichnen könnte. Die Rechtsextremisten Björn Höcke und Andreas Kalbitz werden von ihr als „die Seele der AfD“ bezeichnet. VorschlĂ€ge zur Auflösung oder gar Abspaltung des „FlĂŒgel“ von der Gesamtpartei lehnt sie nachdrĂŒcklich ab.

Der RĂŒckhalt des „FlĂŒgel“ in der Gesamtpartei kommt darĂŒber hinaus in Aussagen und Verlautbarungen zu dessen vom Bundesvorstand beschlossenen Auflösung zum Ausdruck. Dabei wird – trotz der formalen Auflösung – auch das Fortbestehen des „FlĂŒgel“-Personennetzwerks und seiner extremistischen Ideen in der Gesamtpartei deutlich.

Insbesondere die Äußerungen Björn Höckes gegenĂŒber der neu echten Zeitschrift Sezession vom 21. MĂ€rz 2020 verdeutlichen, dass die Auflösung das „FlĂŒgel“ lediglich formalen Charakter hatte, die Inhalte in der Gesamtpartei jedoch weiterhin prĂ€sent sind:

„Wir alle wissen, daß der FlĂŒgel vor fast genau fĂŒnf Jahren mit der ‚Erfurter Resolution‘ sein GrĂŒndungsdokument vorlegte, um den Einbau der AfD ins Establishment zu verhindern. Jedes AfD-Mitglied konnte diese Resolution unterschreiben, und das taten Tausende. Ohne den ‚FlĂŒgel‘ wĂ€re die AfD keine Alternative mehr, sondern vielleicht gerade noch eine Art eigenstĂ€ndige WerteUnion, also ein Mehrheitsbeschaffer von Merkels Gnaden. Das hat der ‚FlĂŒgel‘ verhindert. Seither hat sich die AfD sehr gut entwickelt, und so notwendig unser Impuls vor fĂŒnf Jahren war: Nun brauchen wir einen Impuls, der ĂŒber den FlĂŒgel hinausweist und die Einheit der Partei belohnt. [
] Das hat zwei GrĂŒnde. Erstens: Das Establishment, dieser ungute Filz aus Parteien, Medien und ‚Zivilgesellschaft‘, hat zuletzt nun – erwartbar! – den sogenannten ‚Verfassungsschutz‘ (VS) gegen die AfD in Stellung gebracht. Dieses Manöver ist so durchschaubar wie schĂ€big, und im Grunde weiß das innerhalb der AfD jeder. [
] Nun geht das, worĂŒber wir lĂ€ngst nachdenken, eben schneller. Unsere Arbeit weist ĂŒber den FlĂŒgel hinaus. Andreas Kalbitz, ich selbst und alle anderen politikfĂ€higen ‚FlĂŒgler‘ werden ihren politischen Kurs im Sinne der AfD weiterfĂŒhren. Diejenigen aber, die den ‚FlĂŒgel‘ mißverstanden haben und ihn verfilzen wollen, werden nicht mithalten können – genausowenig wie diejenigen in der Partei und im Bundesvorstand, die auf Kosten ihrer Parteifreunde allzu gute Kontakte zum Establishment suchen.“[324]

Höcke zeigt damit auf, dass die Inhalte und ideologischen Elemente des „FlĂŒgel“ auch nach dessen Auflösung innerhalb der Partei fortbestehen werden. Vielmehr wirke die Arbeit ĂŒber den „FlĂŒgel“ hinaus und damit in die Gesamtpartei hinein. Auch die Aussage „Andreas Kalbitz, ich selbst und alle anderen politikfĂ€higen ‚FlĂŒgler‘ werden ihren politischen Kurs im Sinne der AfD weiterfĂŒhren“ belegt die Fortsetzung der AktivitĂ€ten das Personennetzwerkes.

In einem Podcast das neurechten Vereins Ein Prozent sprach Björn Höcke am 3. April 2020 mit Arndt Novak, Mitglied in der rechtsextremistischen Aktivitas der Burschenschaft Danubia MĂŒnchen, in der IdentitĂ€re Bewegung Deutschland (IBD) sowie im Verein Ein Prozent, zur politischen Situation im Kontext der Corona-Pandemie. Höcke ging dabei auch auf die Auflösung des „FlĂŒgel“ ein, den man aus seiner Sicht aufgrund fehlender Formalisierung eigentlich nicht auflösen könne:

„Der FlĂŒgel ist ein loses Netzwerk in der Partei. Noch gibt es den FlĂŒgel, aber er hatte niemals eine Organisation, das heißt man kann ihn nicht auflösen, weil er niemals formalisiert war. Es gibt noch eine Facebook-Seite, eine Webseite, das war es, das kann man natĂŒrlich abstellen. Ansonsten ist der FlĂŒgel ein Netzwerk wie es solche in jeder anderen Partei und sicherlich auch in der AfD noch an anderen Orten gibt. Von daher sind mir insofern die HĂ€nde gebunden, als dass ich nichts auflösen kann, was nicht geht. Ich kann nur als einer der fĂŒhrenden Köpfe dieses FlĂŒgels und Netzwerkes sagen, dass der FlĂŒgel jetzt einfach eingestellt wird.“[325]

In Höckes Aussagen wird deutlich, dass die Auflösung des „FlĂŒgel“ sich lediglich auf dessen formale Auftritte beziehen kann. Das Netzwerk und auch die ihm zugehörigen „Köpfe“ wird es jedoch weiterhin geben.

Weiterhin Ă€ußert sich Höcke am 25. April 2020 in einem Facebook-Eintrag wie folgt:

„Der FlĂŒgel ist eine einzigartige Erfolgsgeschichte und eine Erfolgsgeschichte, die zwar jetzt formal abgeschlossen wird, die aber in gewisser Weise weiter geschrieben wird, weil der Geist des FlĂŒgels natĂŒrlich in der Partei bleiben wird. [
] Wir haben einen Geist formuliert, wir haben ihn in die Partei getragen, und wir haben ihn weit ĂŒber die Parteigrenzen hinausgetragen. Es ist der Geist eines neuen, herrlichen‚ vitalen und bescheidenen Patriotismus, und den lassen wir uns nicht mehr austreiben. Der FlĂŒgel wird jetzt bald Geschichte sein, aber der Geist des FlĂŒgels, der wird lebendig sein. In dieser AfD halten wir an diesem Geist fest.“[326]

Björn Höcke zeigt her erneut auf, dass der „FlĂŒgel“ auch nach seiner vom Bundesvorstand geforderten Auflösung weiterhin inhaltlich und ideologisch in der Partei prĂ€sent sein werde. DemgemĂ€ĂŸ postuliert Höcke, dass der Fortbestand des „FlĂŒgel“ unabhĂ€ngig von den bisherigen Strukturen gesichert sei und die ‚Erfolgsgeschichte‘ lediglich formal ende.

Auch nach Aussage des „FlĂŒgel“-FunktionĂ€rs und Bundestagsabgeordneten Jens Maier (SN) in einem Interview mit COMPACTTV am 23. MĂ€rz 2020 ist das Wirken des „FlĂŒgel“ in der Partei weiterhin gegeben:

„Also diese Haltungsgemeinschaft ist nicht in der Mehrheit, aber dieses BedĂŒrfnis Haltung zu zeigen, das dĂŒrfte jetzt eigentlich auch ĂŒber die AktivitĂ€ten des FlĂŒgel in die Partei eingesickert sein.“[327]

Der AfD-Landesverband Brandenburg stimmte der Auflösung des „FlĂŒgel“ zu, betonte dabei jedoch die strategischen Motive:

„Es gibt nur eine AfD! Die Auflösung des ‚FlĂŒgels‘ bedeutet die RĂŒckkehr zu inneren Einheit der Partei und ist ein wichtiger Schritt zur BĂŒndelung unserer KrĂ€fte als freiheitlich-soziale Partei.“[328]

Vor dem Hintergrund der formalen Selbstauflösung des „FlĂŒgel“ zitierte Patrick Pana, stellvertretender Landesvorsitzender der JA Hessen, am 23. MĂ€rz 2020 auf seinem Twitter-Profil Andreas Lichert (MdL, HE, Beisitzer im AfD-Landesverband Hessen und Sprecher im Kreisverband Wetterau) mit den Worten:

„Die Leute, diese Gedanken und die politischen SchlĂŒsse bleiben in der Partei.“[329]

Weiterhin betonte Patrick Pana in einem Gastkommentar, der am 27. MĂ€rz 2020 auf der Internetseite der Tagesstimme erschien, die Bedeutung des „FlĂŒgel“ fĂŒr die gesamte AfD:

„Entgegen des medialen Trommelfeuers, bei dem ‚FlĂŒgel‘ der AfD und ihren maßgeblichen FĂŒhrungsfiguren Björn Höcke und Andreas Kalbitz, handele es sich um ein undurchsichtiges Konglomerat an Extremisten, deren eigentliche Heimat die NPD sei. [
] Dem ‚FlĂŒgel‘, einem strukturlosen Zusammenschluss, welcher auch als neurechte Ideenströmung innerhalb der Partei bezeichnet werden könnte, fĂŒhlen sich mit regionalen Abweichungen, etwa 20-30 Prozent aller Mitglieder verbunden. Die ‚Erfurter Resolution‘ stellt dabei so etwas wie die GrĂŒndungserklĂ€rung dar, das im Laufe der Zeit durch das ‚KyffhĂ€usermanifest‘ und die ‚FlĂŒgelschlĂ€ge‘ vervollstĂ€ndigt wurde. [
] Bis haute ist es maßgeblich dem ‚FlĂŒgel‘ und seinen Protagonisten zu verdanken, dass den SirenenklĂ€ngen staatlich entlohnter Posten und gesellschaftlicher Akzeptanz im linksliberalen Mainstream widerstanden werden konnte und die AfD ihrem Namen nach bis heute eine ‚Alternative‘ zu dem verbrauchten Parteienkartell darstellt. Der ‚FlĂŒgel‘ ist WĂ€chter der GrĂŒndungsideale und Brandmauer zu einem verkommenen Parteienkartell in einem. Durch Björn Höcke als prominenteste Figur vertreten, zeichnet sich der ‚FlĂŒgel‘ durch drei elementare Kernpunkte aus, welcher ihn von der restlichen Partei unterscheidet: 1.) Das notwendige VerstĂ€ndnis, dass eine wirkliche politische Wende nicht (nur) im Parlament, sondern im sozialen und kulturellen Raum und somit erst einmal in den Köpfen der BĂŒrger stattfinden muss. Folglich ist es von fundamentaler Bedeutung, den vorpolitischen Raum zu ‚erobern‘, sprich die Einbindung metapolitischer Elemente in den tĂ€glichen Parteienbetrieb. Die freundschaftliche Kooperation, bei gleichzeitiger Autonomie mit außerparlamentarischen Initiativen, seien es aktivistische, publizistische, popkulturelle, theoriebildende oder sonstige Organisationen‚ ist unerlĂ€sslich. Dem von linksliberalen Medien und Politiker geforderten Distanzierungsfimmel muss konsequent standgehalten werden. [
] 2.) Das VerstĂ€ndnis, dass eine ‚echte Alternative‘ die großen Herausforderungen unseres Jahrhunderts nicht mit denselben transatlantischen, neoliberalen und nichtssagenden Phrasen der Altparteien beantworten wird können. Ein solidarischer Patriotismus, ein gesellschafts/- und wirtschaftlicher IdentitĂ€tsansatz, der der zersetzenden Politik der Etablieren diametral entgegensteht. [
] 3.) [
] Die Bewusstseinswerdung des Volkes fĂŒr die alles entscheidenden Fragen muss forciert werden. [
] Der ‚FlĂŒgel‘ hat Fehler begangen, ebenso wie die sogenannten ‚GemĂ€ĂŸigten‘, und auch ein Höcke oder Kalbitz sind vor konstruktiver Kritik nicht immun. Heute wĂ€re ein solidarischer Umgang innerhalb der Partei mit dem ‚FlĂŒgel‘, angesichts dessen Leistungen fĂŒr die Partei, notwendiger denn je.“[330]

Patrick Pana stellt damit die aus seiner Sicht wichtige historische Bedeutung des „FlĂŒgel“ fĂŒr die Geschichte der AfD heraus und beschreibt die wesentliche Rolle des „FlĂŒgel“ als „WĂ€chter der GrĂŒndungsideale“ fĂŒr die AfD. Indem er aufgrund dieser Bedeutung einen solidarischen Umgang mit dem „FlĂŒgel“ einfordert, stellt sich Pana eindeutig auf dessen Seite.

In einer kritischen Äußerung der Alternative Mitte Bremen vom 6. April 2020 kam zum Ausdruck, dass die Auflösung des „FlĂŒgel“ lediglich formaler Natur sei und das Personennetzwerk weiter in der Partei wirken werde:

„Die FlĂŒgelfedern verschwinden in der Gesamtmitgliederzahl und wirken weiter ĂŒber ihr bestehendes Netzwerk.“[331]

DarĂŒber hinaus lĂ€sst sich die WirkmĂ€chtigkeit des „FlĂŒgel“ in der Gesamtpartei auch anhand einer FĂŒlle von SolidaritĂ€tsbekundungen gegenĂŒber Andreas Kalbitz nach der Annullierung dessen Parteimitgliedschaft durch den Bundesvorsand belegen.

Oliver Kirchner (MdL, ST, Fraktionsvorsitzender und Beisitzer im AfD-Landesverband Sachsen-Anhalt und UnterstĂŒtzer des „FlĂŒgel“) teilte am 24. Mai 2020 einen Facebook-Eintrag der AfD Magdeburg. Zu sehen ist ein Foto der AfD-Bundesvorstandsmitglieder Brandner (MdB), Chrupalla (MdB), Weidel (MdB), Gauland (MdB) und Protschka (MdB). Darunter ist zu lesen:

„Sachsen-Anhalt steht hinter den Bewahrern der Einheit.“[332]

Zu den Unterzeichnern des Aufrufs zÀhlen diverse KreisverbÀnde, einzelne AfD-FunktionÀre und die Junge Alternative Sachsen-Anhalt.

Der Eintrag stellt eine koordinierte UnterstĂŒtzung fĂŒr den Kurs des „FlĂŒgel“ dar und ĂŒbt direkte Kritik an Bundessprecher Jörg Meuthen, der die Einheit der Partei gefĂ€hrde. Die Unterzeichner des Aufrufs sprechen in diesem Zusammenhang von einer bewussten Allianz, die sowohl schlecht fĂŒr die Partei als auch fĂŒr das „Vaterland“ sei.

Die JA Brandenburg veröffentlichte mehrere Facebook-EintrĂ€ge, in denen sie sich deutlich gegen die Annullierung der Mitgliedschaft Andreas Kalbitz‘ aussprach und das Vorgehen des Bundesvorstands kritisch als ErfĂŒllung eines „Staatsauftrag[s]“ wertete.[333][334]

Am 18. Mai 2020 veröffentlichte der Bundestagsabgeordnete Martin Reichardt, Landesvorsitzender in Sachsen-Anhalt und UnterstĂŒtzer des „FlĂŒgel“, auf Facebook eine „Protestnote zur Annullierung der AfD-Mitgliedschaft von Andreas Kalbitz“ des AfD-Landesverbands Sachsen-Anhalt, die von den zugehörigen KreisverbĂ€nden und der Junge Alternative Sachsen-Anhalt unterzeichnet wurde. Darin heiß es:

„Die Entscheidung, Andreas Kalbitz aus unserer Partei auszuschließen, ist fĂŒr uns nicht nachvollziehbar. Wir stehen weiter zu unserem erfolgreichen Parteifreund Kalbitz und hoffen, dass der Landes- und Fraktionsvorstand von Brandenburg angemessen auf diese parteischĂ€digende Entscheidung reagieren wird. Das Verhalten der Bundesvorstandsmitglieder, die Andreas Kalbitz die Parteimitgliedschaft aberkannt haben, verurteilen wir aufs SchĂ€rfste. [
] Nun heißt es, einig zu sein und sich auf die Seite derer zu stellen, die unsere Partei zu großen Erfolgen fĂŒhren!“[335]

Am 24. Mai 2020 veröffentlichte Martin Reichardt[336] zudem auf Facebook einen Beitrag des AfD-Landesverbands Sachsen-Anhalt mit denjenigen in der AfD, die sich gegen die Annullierung der Mitgliedschaft von Andreas Kalbitz gestellt hatten. Dort ist unter anderem zu lesen:

„Wer in Zeiten der Krise [Anm.: der Corona-Pandemie] die grĂ¶ĂŸte Oppositionskraft spaltet und dabei eine unheilige Allianz mit dem von den Altparteien instrumentalisierten Verfassungsschutz eingeht, der versĂŒndigt sich nicht nur an der Partei, sondern auch am Vaterland. In Zeiten der Krise braucht unser Land keine zerstrittene und gespaltene, es braucht eine starke und geeinte Alternative fĂŒr Deutschland. Als stĂ€rkste oppositionelle Kraft muss unsere AfD entschlossenen Widerstand gegen das Treiben der Altparteien leisten.“[337]

Am 17. Mai 2020 teilte der AfD-Landesverband Sachsen-Anhalt ĂŒberdies einen Tweet der AfD Magdeburg, in welchem unter dem Motto „Kalbitz bleibt“ die Annullierung der Parteimitgliedschaft von Kalbitz aus parteistrategischer Sicht kritisiert wurde:

„Der offen willkĂŒrliche – und mittlerweile offenbar sogar beweisfreie – Beschluss des BuVos [Anm.: AbkĂŒrzung fĂŒr Bundesvorstand] zur Annullierung der Mitgliedschaft von Andreas Kalbitz ist ein Anschlag auf die Erfolgschancen unserer Partei.“[338]

Am 19. Mai 2020 veröffentlichte der AfD-Landesverband Sachsen auf seiner Facebook-Seite eine Grafik mit der Aufschrift „WIR STEHEN HINTER ANDREAS KALBITZ!“. In einem zugehörigen Textbeitrag erklĂ€rten der sĂ€chsische Landesvorsitzende Jörg Urban sowie der GeneralsekretĂ€r des Landesverbandes, Jan-Oliver Zwerg, dass Andreas Kalbitz den sĂ€chsischen AfD-Landesverband bei der Landtagswahl im Vorjahr „sehr unterstĂŒtzt“ habe und die guten Wahlergebnisse in ThĂŒringen, Brandenburg und Sachsen auch ein Ergebnis der „intensiven Zusammenarbeit“ gewesen seien. Weiter hieß es:

„Zum einen ist des eine Frage das Anstands und der Fairness. Zum anderen brauchen wir Menschen wie Andreas Kalbitz in der AfD, die sich mit hohem Zeitaufwand fĂŒr unsere Partei und fĂŒr Deutschland einsetzen. Wir wollen daher gemeinsam mit ihm fĂŒr unsere Überzeugungen streiten.“[339]

Hier bringt der AfD-Landesverband Sachsen zum Ausdruck, dass die von dem Reichsextremisten Kalbitz vertretene politische Haltung inhaltlich geteilt werde, da diese „unsere Überzeugung“ sei.

Der AfD-Landesverband Brandenburg teilte am 19. Mai 2020 einen Facebook-Eintrag, in dem die Annullierung der Parteimitgliedschaft Kalbitz‘ deutlich kritisiert wurde:

„Wenn #Einzelakteure mal wieder in unverantwortlicher Weise ihre Interessen ĂŒber die der Partei zu setzen versuchen, dient uns unser Grundsatzprogramm als festes, unverrĂŒckbares Fundament. Uns alle eint das Ziel, unsere #Heimat zu bewahren. [
] Der Bundesvorstand hat in seinem 7:5:1 – Beschluss die Mitgliedschaft von Andreas Kalbitz [
] aufgehoben. [
] Diese Maßnahme war offenkundig rechtswidrig und willkĂŒrlich.“[340]

Neben den genannten LandesverbÀnden zeigten sich auch einzelne FunktionÀre der Landesebene mit Andreas Kalbitz solidarisch.

So veröffentlichte der brandenburgische Landtagsabgeordnete und Vorsitzende im Kreisverband MĂ€rkisch-Oderland, Lars GĂŒnther, verschiedene BeitrĂ€ge auf Facebook, in welchen er seine UnterstĂŒtzung fĂŒr Kalbitz signalisierte und den AfD-Bundesvorstand fĂŒr dessen Entscheidung tadelte.[341]

Martin Böhm (MdL, BY, 3. stellv. Vorsitzender im AfD-Landesverband Bayern) veröffentlichte am 15. Mai 2020 auf seiner Facebook-Seite ein Foto, das ihn u. a. zusammen mit Björn Höcke und Andreas Kalbitz auf einer Veranstaltung zeigt. Böhm kommentierte dazu:

„Spalten geht gar nicht. Es gibt 1000 wichtigere Dinge in unserem Land zu tun. Krempeln wir die Arme hoch und bleiben beim BĂŒrger.“[342]

Am 15. Mai 2020 postete Lars Schieske (MdL, BB) – versehen mit dem Hashtag „#Zusammenhalt“ – auf Facebook ein Bild von Andreas Kalbitz, welches mit den Worten „WIR STEHEN ZU ANDREAS KALBITZ“ beschriftet ist.[343] Auch Hans-Thomas Tillschneider (MdL, ST, Vorsitzender im AfD-Landesverband Sachsen-Anhalt und Vorsitzender im Kreisverband Saalekreis sowie Landesobmann des „FlĂŒgel“ fĂŒr Sachsen-Anhalt) veröffentlichte mehrere Tweets, in denen er seine UnterstĂŒtzungshaltung fĂŒr Andreas Kalbitz offenbart.[344][345] DarĂŒber hinaus veröffentlichte er in einem Facebook-Eintrag vom 16. Mai 2020 eine „Protestnote zur Annullierung der AfD-Mitgliedschaft von Andreas Kalbitz“ des AfD-Kreisverbands Saalekreis (ST), den weitere sachsen-anhaltinische AfD-KreisverbĂ€nde unterzeichnet hatten.[346]

Auch Franz Dusatko (stellv. Vorsitzender der JA Brandenburg)[347], Hans-Stefan Edler (Schatzmeister im AfD-Landesverband Brandenburg)[348], Andreas Harlaß (Beisitzer im AfD-Landesverband Sachsen und Pressesprecher der Landtagsfraktion Sachsen)[349], Jeannette Auricht (MdA, BE, stellv. Vorsitzende im AfD-Landesverband Berlin und Vorsitzende im Bezirksverband Marzahn-Hellersdorf)[350], Hugh Bronson (MdA, BE, Sprecher im Bezirksverband Charlottenburg-Wilmersdorf)[351], Ralph Weber (MdL, MV und Landesobmann des „FlĂŒgel“ fĂŒr Mecklenburg-Vorpommern)[352], Stephan Bothe (MdL, NI)[353], Doreen Schwietzer (MdL, SN, stellv. Schatzmeisterin im AfD-Landesverband Sachsen und 1. BundesrechnungsprĂŒferin)[354][355], Birgit Bessin (MdL, BB, stellv. Vorsitzende im AfD-Landesverband Brandenburg, Mitglied im Kreisverband Teltow-FlĂ€ming und UnterstĂŒtzerin des „FlĂŒgel“)[356] und Dennis Hohloch (MdL, BB, parlamentarischer GeschĂ€ftsfĂŒhrer der AfD Fraktion Brandenburg, Beisitzer im AfD-Landesverband Brandenburg und Vorsitzender im Kreisverband Potsdam)[357][358] brachten in den sozialen Netzwerken ihre UnterstĂŒtzung fĂŒr den Rechtsextremisten Andreas Kalbitz zum Ausdruck.

Thomas Rudy (MdL, TH, Sprecher im Kreisverband Greiz-Altenburg und UnterstĂŒtzer des „FlĂŒgel“) solidarisierte sich in mehreren Facebook-EintrĂ€gen und Tweets vom 15. bis 19. Mai 2020 mit Andreas Kalbitz. So teilte er einen Link zu einer Unterschriftenaktion, die den Bundessprecher Jörg Meuthens zum RĂŒcktritt aufforderte, und kommentierte diesen in einer auffordernden Weise. Des Weiteren teilte er einen Link zu einer Online-Petition mit dem Titel „SolidaritĂ€t mit Andreas Kalbitz“ und forderte zur Weiterteilung und Unterzeichnung auf. Weiterhin forderte Thomas Rudy Jörg Meuthen und „seine UnterstĂŒtzer im BUVO“ zum sofortigen RĂŒcktritt auf.[359][360][361]

Lena Duggen (MdL, BB) teilte am 19. Mai 2020 einen Facebook-Eintrag der AfD-Landtagsfraktion Brandenburg und zeigte damit ebenfalls ihre UnterstĂŒtzungshaltung fĂŒr Andreas Kalbitz. Das geteilte Bild hatte die Aufschrift „Wir stehen hinter Andreas Kalbitz. Kalbitz bleibt Mitglied der AfD-Fraktion“. Auf dem Bild war die gesamte AfD-Landtagsfraktion zu sehen. Duggen stand dabei direkt neben Kalbitz.[362]

Am 21. Mai 2020 veröffentlichte Jessica Bießmann (MdA, BE) auf Facebook einen Eintrag von Björn Höcke, kommentierte diesen mit der zustimmenden Aussage „Auf den Punkt!“ und macht sich den Inhalt zu eigen. Höcke selbst thematisierte in seinem Eintrag insbesondere die Causa Kalbitz, Ă€ußerte sich jedoch auch grundsĂ€tzlich zur Ausrichtung der AfD:

„Die vorher ‚theoretisch‘ gestellte Option, die AfD in eine Ost- und eine West-Partei zu spalten, wird gerade massiv vorangetrieben. Ein mit stabilen Mehrheiten gewĂ€hlter, in seinem Landesverband und seiner Fraktion sehr begabter Politiker wurde per Dekret ausgeschlossen, obwohl sich Jörg Meuthen noch kurz vorher zu seinen Gunsten ausgesprochen hatte. Dieser plötzliche Meinungsumschwung legt den Gedanken nahe, Herrn Meuthen ginge es dabei hauptsĂ€chlich um persönliche Motive, die Rettung seiner eigenen Position. Nun soll ein Sonderparteitag ĂŒber die kĂŒnftige Ausrichtung der AfD entscheiden. Vor dem Hintergrund der schwindenden Beliebtheitswerte Meuthens liegt das vor allem in seinem persönlichen Interesse. Wir brauchen keinen Sonderparteitag um festzustellen, daß der bisherige Bundessprecher nicht mehr in der Lage oder Willens ist, die AfD in ihrer Gesamtheit zu vertreten. Bisher ist in der AfD jeder Vorsitzende, der ĂŒber die Partei in Gutsherrenmanier verfĂŒgen wollte, grandios gescheitert. Die Hybris, sich durch die Wahl in ein Amt gleich dazu ermĂ€chtigt zu fĂŒhlen, der Partei auch sein persönliches Parteiprogramm aufzwingen zu wollen, fĂŒhrt sofort zum Vertrauensverlust in der Parteibasis. Das eigene Ego darf nicht ĂŒber der Verantwortung fĂŒr die Mitglieder und WĂ€hler stehen. Ein großes Ego kostet die Partei viel Geld: Wieviel Meuthen wollen wir uns als Partei weiter leisten? Sonderparteitage, Gerichtskosten, Strafzahlungen fĂŒr eine rechtswidrige, persönliche Wahlkampfhilfe
 Und nun soll die Partei fĂŒr Meuthen auch den aussichtslosen Rechtsstreit um den Ausschluß eines innerparteilichen Rivalen bezahlen? Wir stehen vor wichtigen Wahlen. Wahlen, in denen Kandidaten wie Andreas Kalbitz Wahlergebnisse ĂŒber 20% einfahren. Das letzte, was die AfD jetzt braucht, ist eine Spaltung.“[363]

Patrick Pana kritisierte am 21. Mai 2020 einen Tweet des AfD-Bundessprechers Jörg Meuthen, der am Tag zuvor in der ARD-Fernsehsendung Maischberger aufgetreten war. In der Sendung wurde ein Tweet der Junge Alternative Brandenburg eingeblendet, der die Mitglieder des AfD-Bundesvorstands, die fĂŒr den Ausschluss von Andreas Kalbitz aus der AfD gestimmt hatten, aufzĂ€hlte. Die Junge Alternative Brandenburg schrieb außerdem:

„Staatsauftrag erfĂŒllt. 15.05.2020. MERKT EUCH DIE NAMEN.“

Darauf angesprochen Ă€ußere Meuthen, er agiere nicht im Staatsauftrag und wolle die Partei als Parteivorsitzender sauber aufgestellt sehen.“[364]

Einen Tag nach der Sendung wiederholte Meuthen seine Aussage auf Twitter:

„Bei Maischberger: Ich agiere nicht im ‚Staatsauftrag‘. Als Parteivorsitzender will ich die AfD sauber aufgestellt haben.“[365]

Patrick Pana schrieb daraufhin:

„#Meuthen|s Zukunftsvision einer ’sauberen‘ AfD wĂ€re mit der ParteirĂ€son, eine grundsĂ€tzliche Alternative zur ‚Alternativlosigkeit‘ anzubieten, UNVEREINBAR.“[366]

Martin Böhm (MdL, BY) teilte am 25. Mai 2020 auf seiner Facebook-Seite einen Artikel der Zeitschrift ZUERST mit dem Titel „In der AfD brodelt es: ‚Niedersachsen ErklĂ€rung‘ bekennt sich zu Andreas Kalbitz“. In seinem dazugehörigen Eintrag zeigt Böhm ein klares Bekenntnis zu Andreas Kalbitz:

„Richtig! Wir dĂŒrfen die spalterischen Bestrebungen auf Bundesebene, die auch ihren Auswuchs im bestĂ€ndigen Abwenden des Sozialparteitages finden, nicht lĂ€nger hinnehmen! Sozialparteitag und Aussprache jetzt – im Sinne eines guten Rentenkonzeptes und einer geschlossenen Außenwahrnehmung.“[367]

Am 16. Mai 2020 teilte Franz Dusatko, zweiter stellvertretender Landesvorsitzender der Junge Alternative Brandenburg, auf Facebook die bereits erlĂ€uterte AufzĂ€hlung der Personen innerhalb des Bundesvorstands, die fĂŒr die Annullierung der Mitgliedschaft von Andreas Kalbitz gestimmt hatten, der Junge Alternative Brandenburg. Durch das Teilen dieses Eintrages bezieht Dusatko eindeutig Stellung im innerparteilichen Machtkampf.[368]

Björn Höcke (MdL, TH) Ă€ußerte sich in einem Facebook-Eintrag vom 16. Mai 2020:

„Wir haben es hier mit einem politischen Akt zu tun. Jörg Meuthen und Beatrix von Storch wollen eine andere Partei. Ich möchte diesen Sachverhalt in drei kurzen Anmerkungen einordnen: Erstens: Wer die Argumente von Parteigegnern aufgreift und sie gegen Parteifreunde wendet, der begeht Verrat an der Partei. Zweitens: Wer unsere Partei spaltet, zerstört die einzige Opposition, die unser Land noch hat. Drittens: Wer die AfD zu einem Mehrheitsbeschaffer fĂŒr die CDU machen möchte, hat nicht begriffen, was ‚Alternative zur Alternativlosigkeit‘ bedeutet. Deutschland braucht keine schwarz-rot-goldene FDP, Deutschland braucht keine zweite WerteUnion. Deutschland braucht eine breit aufgestellte, geschlossene und vor allen Dingen selbstbewusste AfD. Die Spaltung und Zerstörung unserer Partei werde ich nicht zulassen und ich weiß, daß unsere Mitglieder und unsere WĂ€hler das genau so sehen wie ich.“[369]

Andreas Kalbitz selbst nahm noch am Abend des Vorstandsbeschlusses am 15. Mai 2020 in einem gemeinsamen Statement mit Birgit Bessin (MdL, BB), der stellvertretenden Sprecherin des AfD-Landesverbands Brandenburg, Stellung zum Beschluss des Bundesvorstands zu der Annullierung seiner Parteimitgliedschaft:

„Ich bedauere es sehr, dass Teile des Bundesvorstandes das GeschĂ€ft des politischen Gegners und des Verfassungsschutzes erledigen. Das letzte Wort ist juristisch noch nicht gesprochen. [
] Eines ist jetzt ganz wichtig: Viele sind frustriert und wĂŒtend; ich höre das auch in GesprĂ€chen. Ich bitte euch herzlich: Tretet nicht aus! Wir machen natĂŒrlich weiter. Die Verantwortung fĂŒr unser Land ist wichtiger als einzelne Personen. Es zĂ€hlt die gemeinsame Sache.“[370]

Am 16. Mai 2020 teilte Oliver Kirchner (MdL, ST) auf seiner Facebook-Seite eine Protestnote zur Annullierung der AfD-Mitgliedschaft von Andreas Kalbitz, die auf dem Account der AfD Magdeburg veröffentlicht wurde. In dem Eintrag hieß es:

„Die Entscheidung, Andreas Kalbitz aus unserer Partei auszuschließen, ist fĂŒr uns nicht nachvollziehbar. Wir stehen weiter zu unserem erfolgreichen Parteifreund Kalbitz und hoffen, dass der Landes- und Fraktionsvorstand von Brandenburg angemessen auf diese parteischĂ€digende Entscheidung reagieren wird. Das Verhalten der Bundesvorstandsmitglieder, die Andreas Kalbitz die Parteimitgliedschaft aberkannt haben, verurteilen wir aufs SchĂ€rfste. Wir werden diesen destruktiven Beschluss nicht widerspruchlos akzeptieren! Wir ermutigen die vernĂŒnftigen KrĂ€fte um Alice Weidel und Tino Chrupalla, Andreas Kalbitz weiterhin zu unterstĂŒtzen und im Bundesvorstand alles zu unternehmen, um den politischen Schaden zu begrenzen. Der Parteivorsitzende Jörg Meuthen scheiterte mit seinem Versuch, unsere AfD in eine Ost- und eine Westpartei zu spalten. Der Ausschluß von Kalbitz erscheint wie der Versuch, dieses Ziel nun mit anderen Mitteln zu erreichen. Diesem Ansinnen erteilen wir eine klare Absage. Nun heißt es, einig zu sein und sich auf die Seite derer zu stellen, die unsere Partei zu großen Erfolgen fĂŒhrten!“[371]

ErgĂ€nzt wird dies durch ein Foto von Kalbitz vor einer Deutschlandflagge und dem Spruch „Sachsen-Anhalt vereint: KALBITZ BLEIBT!“.

Unterzeichnet wurde der Aufruf von diversen KreisverbĂ€nden. Der Eintrag ist eine direkte UnterstĂŒtzung fĂŒr den „FlĂŒgel“-Politiker Andreas Kalbitz und Ă€ußert Kritik an dessen Mitgliedschafts-Annullierung. Das Foto suggeriert, dass der gesamte AfD-Landesverband Sachsen-Anhalt hinter Kalbitz stehe. Im Eintrag werden dessen Wahlerfolge und Verdienste fĂŒr die Gesamtpartei betont. Sein Ausschluss sei parteischĂ€digend und ein Ausdruck von Jörg Meuthens Versuch, die Partei in eine Ost- und eine Westpartei zu spalten.

Am 14. Mai 2020 veröffentlichte Oliver Kirchner auf seiner Facebook-Seite ein Foto, auf dem er u. a. mit Björn Höcke und Andreas Kalbitz zu sehen ist. Dazu schrieb er:

„Wer ernsthaft in ErwĂ€gung zieht, Andreas Kalbitz aus der Partei zu entfernen, entfernt dieser Partei das RĂŒckgrat und den Schneid, den diese Partei so dringend nötig hat. Das hat ein so verdienter FunktionĂ€r mit seinen großen Erfolgen ĂŒberhaupt nicht verdient. Andreas Kalbitz ist ein Teil von uns.[372]

Auf Facebook verdeutlichte Daniel Freiherr von LĂŒtzow (MdL, BB, Vorsitzender im AfD-Landesverband Brandenburg und Vorsitzender im Kreisverband Teltow-FlĂ€ming sowie UnterstĂŒtzer das „FlĂŒgel“) im April und Mai 2020 wiederholt seine Sympathie fĂŒr Andreas Kalbitz im Zuge der Annullierung van dessen Mitgliedschaft. So teilte er am 19. Mai 2020 mit dem Hashtag „#Einigkeit“ einen Eintrag das AfD-Landesverbands Brandenburg. Auf der Grafik mit dem Spruch „Wir halten zusammen“ ist von LĂŒtzow mit den „FlĂŒgel“-Vertreter Kalbitz und Birgit Bessin (MdL, BB) zu sehen.[373]

Im Kontext der Annullierung positionierte sich auch Kerstin Schotte, SchriftfĂŒhrerin im AfD-Landesverband Brandenburg. Sie teilte am 18. Mai 2020 in einem Facebook-Eintrag einen Videobeitrag der AfD Oberspreewald-Lausitz, der die Aufhebung Kalbitz‘ Parteimitgliedschaft kritisierte und am 15. Mai 2020 einen Facebook-Eintrag das AfD-Kreisverbands Saalekreis mit der Aussage „Wir stehen zu Andres Kalbitz“. Mit ihrer UnterstĂŒtzung fĂŒr Kalbitz ging zudem Kritik an Jörg Meuthen (MdEP) einher. So postete Schotte am 26. Mai 2020 folgenden Eintrag:

„Geht es eigentlich um Kalbitz oder um Meuthens Versuch, sich die Partei zu seinem, dem Mainstream angepassten, Privatunternehmen zu machen, was schon vor ihm einige vergebens versucht haben und immer mit denselben sinkenden Umfrageergebnissen verbunden?“[374]

Jan Wenzel Schmidt (MdL, ST, Beisitzer im AfD-Landesverband Sachsen-Anhalt und Vorsitzender der JA Sachsen-Anhalt) teilte am 15. Mai 2020 auf seiner Facebook-Seite den Eintrag das AfD-Kreisverbands Saalekreis (ST), in dem dieser sich fĂŒr einen Verbleib von Andreas Kalbitz in der AfD aussprach:

„Die AfD Saalekreis sieht zu Andreas Kalbitz! Heute hat der Bundesvorstand der AfD Andreas Kalbitz die Parteimitgliedschaft aberkannt. FĂŒr den Beschluß stimmten: Jörg Meuthen, Sylvia Limmer, Joachim Kuhs, Beatrix von Storch, Joachim Paul, Jochen Haug, Alexander Wolf. Gegen den Beschluß stimmten: Alice Weidel, Tino Chrupalla, Stephan Protschka, Stephan Brandner und Andreas Kalbitz selbst. Angeblich hat Andreas Kalbitz die Vormitgliedschaft in einer unbedeutenden Organisation, die auf der Unvereinbarkeitsliste der AfD sieht und die es lange nicht mehr gibt, bei seinem Eintritt in die Partei 2013 nicht angegeben. Die AfD Saalekreis kritisiert die Entscheidung des Bundesvorstands aufs SchĂ€rfste. FĂŒr diese Entscheidung gibt es keine legitime BegrĂŒndung. Diese Entscheidung ist an DestruktivitĂ€t kaum noch zu ĂŒberbieten. Andreas Kalbitz fĂŒhrt den Brandenburger Landesverband seit Jahren in vorbildlicher Weise. Er hat 2019 fĂŒr die AfD eines ihrer besten Ergebnisse bei Landtagswahlen erkĂ€mpft und arbeitet als Bundesvorstandsmitglied seit Jahren mit viel Fleiß und Energie fĂŒr das Wohl unserer Partei. Er ist neben Björn Höcke der HauptreprĂ€sentant einer starken Strömung der AfD. Wer Andreas Kalbitz mit einem halbseidenen Beschluss aus der Partei wirft, der beraubt die Partei eines Eckpfeilers und riskiert ihren Zusammenbruch. Wer so handelt, hat sich als untauglich erwiesen, die AfD zu fĂŒhren. Wir versichern Andreas Kalbitz unsere uneingeschrĂ€nkte SolidaritĂ€t und hoffen, daß er vor Gericht Erfolg hat und bald wieder Mitglied unserer Partei ist.“[375]

Nach der Annullierung der Mitgliedschaft von Kalbitz brachte Hans Peter Stauch (MdL, BW) am 17. Mai 2020 auf Facebook seine Sympathien fĂŒr Kalbitz wie folgt zum Ausdruck:

„Der Umbau der AfD nach Herrn Meuthens Willen und Gusto wird nicht so einfach sein. Ich hoffe Herr Kalbitz wird vor dem Schiedsgericht seine Mitgliedschaft erhalten können.“[376]

Am 14. Mai 2020 stellte Jan-Oliver Zwerg ein Bild auf seiner Facebook-Seite ein, das sie „FlĂŒgel“-Vertreter Björn Höcke, Jörg Urban und Andreas Kalbitz Arm in Arm zeigt. Hierzu merkte Jan-Oliver Zwerg an:

„Einigkeit und KontinuitĂ€t bringen den Erfolg. Und dabei bleibt es! Der Osten legt vor, der Westen zieht nach. Es gibt keine weitere Chance.“[377]

Thorsten Weiß (MdA, BE, Beisitzer im AfD-Landesverband Berlin und Landesobmann des „FlĂŒgel“ fĂŒr Berlin) Ă€ußerte sich zur Causa Kalbitz wie folgt:

„Mit Andreas Kalbitz wunde nicht nur ein Landes- und Fraktionsvorsitzender aus Partei und Bundesvorstand ausgeschlossen, sondern auch ein langjĂ€hriger Mitstreiter und guter Freund. Doch dieser knappe Beschluss des Bundesvorstandes lĂ€sst starke Zweifel an seiner RechtmĂ€ĂŸigkeit, die mich mit großer Sorge erfĂŒllen.“[378]

Der RĂŒckhalt und die WirkmĂ€chtigkeit des „FlĂŒgel“ in der Gesamtpartei AfD können zudem anhand der PrĂ€senz von FunktionĂ€ren der Landesebene auf „FlĂŒgel“-Treffen konstatiert werden.

Rolf Weigand (MdL, SN und Beisitzer im Kreisverband Mittelsachsen) veröffentlichte am 24. Januar 2019 auf Facebook ein Foto von dem am Vortag stattgefundenen „Sachsentreffen“ des „FlĂŒgel“, das ihn dort gemeinsam mit Kalbitz und Höcke zeigt.[379]

Vertreter der JA Brandenburg waren im Juni 2019 mit einem Stand auf dem „KyffhĂ€usertreffen 2019“ des „FlĂŒgel“ in Leinefelde (TH) vertreten. Dazu schrieb die Jugendorganisation in einem Facebook-Eintrag vom 7. Juli 2019:

„Unser JA Stand auf dem diesjĂ€hrigen KyffhĂ€usertreffen in ThĂŒringen! Super Wochenende mit vielen guten GesprĂ€chen und tollen Reden u. a. van Andreas Kalbitz und Björn Höcke. Wir freuen uns ĂŒber die erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen FlĂŒgel und der Jungen Alternative und bedanken uns bei allen, die gestern Fördermitglied geworden sind!“[380]

Vertreter der JA Brandenburg nahmen zudem im Dezember 2019 an einem Treffen des „FlĂŒgel“ in Berlin teil.[381]

Die JA Mecklenburg-Vorpommern berichtete am 7. Juli 2019 ebenfalls ĂŒber die Teilnahme am „KyffhĂ€usertreffen 2019“.[382]

Patrick Pana teilte am 4. Juli 2019 einen Tweet der JA Hessen in Bezug auf das „KyffhĂ€usertreffen 2019“ und drĂŒckte zugleich seine SolidaritĂ€t aus, indem er dazu schrieb:

„Diesen Samstag findet wieder das jĂ€hrliche #KyffhĂ€user – Treffen statt. #AfD #SolidaritĂ€t.“[383]

Am 6. Juli 2019 teilte Jan Wenzel Schmidt (MdL, ST) auf seiner Facebook-Seite EindrĂŒcke seines Besuches des „KyffhĂ€usertreffen 2019“ und schrieb dazu:

„Auch beim diesjĂ€hrigen KyffhĂ€usertreffen durfte ich die Junge Alternative Sachsen-Anhalt reprĂ€sentieren und viele Spenden fĂŒr unser Jugendorganisation einnehmen. Der Osten steht auf!“[384]

Auch Kathleen Muxel (MdL, BB und Vorsitzende im Kreisverband Oder-Spree)[385], Kerstin Schotte (SchriftfĂŒhrerin im AfD-Landesverband Brandenburg)[386], Jessica Bießmann (MdA, BE)[387], Lena Duggen (MdL, BB)[388] und Lars GĂŒnther (MdL, BB)[389] berichteten auf Facebook ĂŒber ihre Teilnahme am „KyffhĂ€usertreffen 2019“.

Nikolaus Kramer (MdL, MV, Vorsitzender der AfD Landtagsfraktion sowie Beisitzer im AfD LV Mecklenburg-Vorpommern und im Kreisverband Vorpommern-Greifswald, UnterstĂŒtzer das „FlĂŒgel“) bedankte sich am 7. Juli 2019 in einem Facebook-Eintrag im Nachgang der Veranstaltung zudem dafĂŒr, dass er auf der – aus seiner Sicht „sehr gelungenen“ – Veranstaltung Grußworte sprechen und einen Wahlaufruf abgeben durfte.[390] Am 23. November 2019 veröffentlichte Kramer weiterhin Bilder von der als „Königsstuhltreffen“ bezeichneten Veranstaltung des „FlĂŒgel“, die am selben Tag in Binz (MV) stattgefunden und an der er ebenfalls teilgenommen hatte.[391] Auch Daniel Freiherr von LĂŒtzow (MdL, BB) teilte auf Facebook Bilder des „FlĂŒgel“-Treffens in Binz am 23. November 2019, die seine Teilnahme belegen.[392]

Der AfD-Bundestagsabgeordnete und seit September 2020 Landesvorsitzende der AfD Niedersachsen sowie 1. stellvertretende Vorsitzende im Kreisverband Northeim und UnterstĂŒtzer des „FlĂŒgel“, Jens Kestner (MdB), teilte am 10. Dezember 2019 auf seiner Facebook-Seite mehrere Fotos des Hermannstreffens im Dezember 2019.[393] Auf dem Herrmannstreffen referierten u. a. fĂŒnf Vertreter das „FlĂŒgel“ zum Thema „Deutsche SouverĂ€nitĂ€t und deutsche Interessen“. Zudem dominiert ein Foto von Björn Höcke den Eintrag Kestners. Stephan Bothe (MdL, NI) nahm ebenfalls an der Veranstaltung teil und hielt dort eine Rede.[394]

Der AfD-Landesvorsitzende von Sachsen-Anhalt, Martin Reichardt (MdB), nahm im MĂ€rz 2020 am „1. FlĂŒgeltreffen Sachsen-Anhalt“ in Schnellroda (ST) teil und veröffentlichte am 8. MĂ€rz 2020 auf Facebook mehrere Fotos des Treffens, auf denen neben ihm selbst auch Björn Höcke, Hans-Thomas Tillschneider, JĂŒrgen Pohl (MdB und stellv. Sprecher im AfD-Landesverband ThĂŒringen) und Andreas Kalbitz zu sehen sind. Das Treffen kommentierte Reichardt mit den Worten:

„Ein gelungener Abend mit tollen Reden und super Stimmung!“[395]

Am 10. MĂ€rz 2020 veröffentlichte PI-NEWS auf seiner Website einen Bericht vom „1. FlĂŒgeltreffen Sachsen-Anhalt am 8. MĂ€rz in Schnellroda“. Bei der Veranstaltung waren laut Artikel u. a. Götz Kubitschek, Frank Pasemann[396] und Björn Höcke zu Gast. Moderiert wurde das Treffen von Jan Wenzel Schmidt (MdL, ST). Zuvor hatte Tillschneider die Veranstaltung bewerben.[397][398] Daniel Freiherr von LĂŒtzow nahm darĂŒber hinaus ebenfalls an der Veranstaltung teil, was auf Facebook veröffentlichte Bilder belegen.[399]

DarĂŒber hinaus lĂ€sst sich der Einfluss des „FlĂŒgel“ auf die Gesamtpartei daran erkennen, dass Inhalte des „FlĂŒgel“ und seiner Protagonisten in großem Umfang ĂŒber die Sozialen Medien verbreitet werden.

Marius Franke, ehemaliger Besitzer im Landesvorstand der JA und Mitglied im Landesverband ThĂŒringen, teilte wiederholt BeitrĂ€ge der Facebook-Seite „Der FlĂŒgel“[400] und signalisierte damit seine UnterstĂŒtzungshaltung fĂŒr den Personenzusammenschluss.[401]

Auch Franz Dusatko, zweiter stellvertretender Landesvorsitzender der JA Brandenburg, teilte am 4. Februar 2019 auf Facebook einen Eintrag das „FlĂŒgel“, welcher darin zur innerparteilichen Geschlossenheit aufrief.[402]

Am 17. Juli 2019 teilte die JA Brandenburg auf ihrem Facebook-Profil den auf dem „KyffhĂ€usertreffen 2019“ gezeigten Einspieler â€žĂŒber den Menschen Björn Höcke“.[403]

Weiterhin weisen Vertreter der AfD-Landesebene in den Sozialen Netzwerken regelmĂ€ĂŸig auf BeitrĂ€ge und sonstige Verlautbarungen von Björn Höcke und Andreas Kalbitz hin und Ă€ußern vielfach ihre UnterstĂŒtzung.

Vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie veröffentlichte die JA Drangen in einem Facebook-Eintrag vom 22. MĂ€rz 2020 eine Collage aus vier Fotos, die – jeweils mit der Aufschrift „Zu Hause bleiben“ versehen – VorschlĂ€ge fĂŒr eine BeschĂ€ftigung in der Wohnung bieten sollten. Hier wurde unter anderem ein Bild des GesprĂ€chsbands „Nie zweimal in denselben Fluß. Björn Höcke im GesprĂ€ch mit Sebastian Hennig“ prĂ€sentiert. Die JA Sachsen teile den Beitrag am Folgetag auf ihrem Facebook-Profil.

Die JA Sachsen-Anhalt teile regelmĂ€ĂŸig Fotos sowie VideobeitrĂ€ge von Björn Höcke. Außerdem waren bekannte „FlĂŒgel“-Vertreter wie Hans-Thomas Tillschneider, Jan Wenzel Schmidt und Martin Reichardt in der YouTube-Sendung „Steinzeugen“ der JA Sachsen-Anhalt zu Gast. Weiterhin organisierten Vertreter der JA Sachsen-Anhalt eine Veranstaltung namens „Junge Alternative Sachsen-Anhalt trifft FlĂŒgel“.

Die QuantitĂ€t derartiger BeitrĂ€ge unterstreicht die inhaltliche NĂ€he der JA Sachsen-Anhalt zu den fĂŒhrenden Personen des „FlĂŒgel“.[405][406][407][408][409][410][411][412][413][414]

Die JA Sachsen warb am 5. Juli 2019 fĂŒr die neu eingerichtete Facebook-Seite des damaligen „FlĂŒgel“-Protagonisten Andreas Kalbitz, dessen Parteimitgliedschaft im Nachgang annulliert wurde, und forderte UnterstĂŒtzung fĂŒr diesen:

„KrĂ€ftig teilen und liken, vorwĂ€rts fĂŒr Deutschland!“[415]

Patrick Pana kommentierte am 18. Juli 2019 auf seinem Twitter-Account die Umfragewerte des brandenburgischen AfD-Landesverbandes mit dem folgenden Wortlaut:

„Die #AfD Brandenburg kann diese Umfragewerte nur erreichen, weil [
] sie die soziale Frage aufgreift [
] sich als Bewegungspartei versteht [
] zielfĂŒhrende Kooperationen betreibt [
] sich nicht kopflos distanziert [
] Kalbitz Sprecher ist.“[416]

Corinna Herold (MdL, TH, Vorsitzende im Kreisverband MittelthĂŒringen und UnterstĂŒtzerin des „FlĂŒgel“) und Alexander Tassis (Fachreferent der AfD-Fraktion im Landtag Brandenburg und UnterstĂŒtzer das „FlĂŒgel“) initiierten die Facebook-Seite Generation Björn. In der Beschreibung der Seite geben beide an, dass sie eine „Vereinigung zur Förderung das Gedankenguts Björn Höckes“ seien. So verkörpere Höcke „das Wesen eines gesunden Patriotismus, dessen Leitsatz lautet ‚Andere Völker achten wir, Deutschland aber lieben wir‘.“[417]

Wie zahlreiche weitere Vertreter der AfD-Landesebene teilte auch RenĂ© Aust (MdL, TH, Beisitzer im AfD-Landesverband ThĂŒringen und Vorsitzender im Kreisverband SĂŒdthĂŒringen) am 21. MĂ€rz 2020 auf Facebook das anlĂ€sslich der formalen Auflösung des „FlĂŒgel“ durch die neurechte Zeitschrift Sezession mit Björn Höcke gefĂŒhrte Interview. RenĂ© Aust kommentierte dieses folgendermaßen:

„Björn Höcke und der FlĂŒgel haben Fehler gemacht. Diese sind immer wieder – auch leider von den eigenen Leuten öffentlich – rauf und runter diskutiert worden. Was leider nie öffentlich ErwĂ€hnung findet, ist – bei allen Fehlern – die Bereitschaft Björn Höckes bis an die Grenze der Selbstverleugnung GrĂ¶ĂŸe zu zeigen. Obwohl er lĂ€nger als jeder andere Sprecher seines Landesverbandes ist, diesen Landesverband zu großen Wahlerfolgen fĂŒhrte, und im positiven wie im negativen einer der bekanntesten Gesichter unserer Partei ist, verzichtet er seit Jahren darauf fĂŒr den Bundesvorstand zu kandidieren, weil er weiß, vor welcher Zerreißprobe das die Partei stellen wĂŒrde. Er stellt persönliche Ambitionen zum Wohle der Partei zurĂŒck. Nun kĂŒndigte er an, dass der FlĂŒgel dem Beschluss des Bundesvorstands zeitnahe nachkommen wĂŒrde. In diesem informellen Netzwerk steckt viel Herzblut der Beteiligten. [
] Ich weiß, dass viele jetzt von der Entscheidung den FlĂŒgel aufzulösen enttĂ€uscht sein werden. Aber bei aller EnttĂ€uschung sollte man unabhĂ€ngig davon wie man zum FlĂŒgel und wie man zu dessen Auflösung steht, diese Entscheidung respektieren. [
] Und ich hoffe, dass jetzt die unseligen Diffamierungen, Beleidigungen und ehrabschneidenden Etikettierungen gegenĂŒber Björn Höcke zumindest in der eigenen Partei ein Ende finden.“[418]

Das Interview der Sezession mit Höcke fand darĂŒber hinaus rege Verbreitung durch weitere Vertreter der AfD-Landesebene. Es wurde unter anderem durch Hans-Thomas Tillschneider (MdL, ST)[419], Doreen Schwietzer (MdL, SN)[420], Nikolaus Kramer (MdL, MV)[421] und RenĂ© Aust (MdL, TH)[422], Andreas Harlaß (Presssprecher der sĂ€chsischen AfD-Landtagsfraktion)[423], Andreas Lohner (Landesvorstandsmitglied der AfD Hamburg)[424], Stefan Schröder (Landesvorstandsmitglied der AfD ThĂŒringen und Referent der dortigen Landtagsfraktion)[425], die Junge Alternative Sachsen[426] und Björn Höcke selbst[427] in den Sozialen Netzwerken geteilt.

Auch Marius Franke (Beisitzer im Landesvorstand der JA ThĂŒringen)[428], Jan Wenzel Schmidt (MdL, ST)[429][430], Ralph Weber (MdL, MV)[431], Dario Seifert (stellvertretender Landesvorsitzender der JA Mecklenburg-Vorpommern)[432] und Joachim Schneider (stellvertretender Landesvorsitzender des AfD-Landesverbands Schleswig-Holstein und stellv. Vorsitzender im Kreisverband Pinneberg sowie Landesobmann des „FlĂŒgel“ fĂŒr Schleswig-Holstein)[433] teilten in den Sozialen Netzwerken BeitrĂ€ge von Höcke.

Die JA Sachsen[434][435][436], die JA Saarland[437] und die JA Hessen[438][439] verbreiteten ebenfalls BeitrÀge von Björn Höcke weiter.

Jessica Bießmann (MdA, BE) veröffentlichte am 12. MĂ€rz 2020 auf Facebook eine mit ihrem Namen versehene Grafik, auf welcher sie bewundernde Worte fĂŒr Björn Höcke fand:

„Deutscher Patriot – treuer Diener unseres Vaterlandes – Das Grundgesetz achtend. DafĂŒr rechtswidrig diskriminiert und verfolgt von Inquisitoren in Politik und Medien.[440]

Die „FlĂŒgel“-Obfrau Baden-WĂŒrttemberg, Christina Baum (MdL, BW), Ă€ußerte sich am 11. Februar 2020 auf Facebook anerkennend angesichts der von Björn Höcke gestellten Anzeige gegen die Bundeskanzlerin aufgrund ihrer Äußerungen zur Wahl Kemmerichs zum MinisterprĂ€sidenten ThĂŒringens:

„Bravo Björn !! Wir sind stolz auf Dich.[441]

Martin Böhm (MdL, BY) teilte am 7. Mai 2019 auf seiner Facebook-Seite ein YouTube-Video einer Rede Björn Höckes, die er auf Einladung der Junge Alternative Bayern am 5. Mai 2019 hielt. Dazu Ă€ußerte Böhm:

„Die ‚Àußere Haltung gibt Eindruck ĂŒber die QualitĂ€t des Denkens‘ 
 Auch in dieser Sichtweise ist Björn Höcke ein wirkliches Vorbild, nicht zuletzt fĂŒr mich persönlich. Danke, lieber Björn, fĂŒr solche Worte, denen ich leider nicht live beiwohnen konnte.“[442]

Auch Oliver Kirchner (MdL, ST)[443] und Christian Blex (MdL, NW, stellv. Sprecher im Bezirksverband MĂŒnster und Sprecher im Kreisverband Warendorf, Landesobmann des „FlĂŒgel“ fĂŒr Nordrhein-Westfalen)[444] kommentierten exemplarisch in ĂŒberaus positiver Weise Handlungen von Höcke und bekundeten ihre Sympathie fĂŒr ihn.

Auch Marie-ThĂ©rĂšse Kaiser (Beisitzerin im AfD-Landesverband Niedersachsen und Kreisvorsitzende im AfD-Kreisverband Rotenburg (WĂŒmme, NI)[445] teilte in den Sozialen Netzwerken BeitrĂ€ge Höckes.

Kritische Medienberichte zu Björn Höcke und Andreas Kalbitz werden durch Vertreter der AfD-Landesebene in abschĂ€tziger Weise thematisiert und genutzt, um Partei fĂŒr die „FlĂŒgel“-Protagonisten zu ergreifen. So verfasste der rheinland-pfĂ€lzische JA-Landesvorsitzende Alexander Jungbluth am 30. August 2019 auf Twitter folgenden Eintrag zu den Pressemeldungen hinsichtlich des rechtsextremistischen Vorlaufs von Kalbitz:

„Durchschaubares Manöver zu #Kalbitz. Wenige Tage vor Wahl kommen 12 Jahre alte Geschichten mit irgendwelchen Querverbindungen zu angeblichen Nazis. Im Osten kennt man diese Form der Propaganda noch zu gut.“[446]

Am 25. MĂ€rz 2020 teile Roland Ulbrich (MdL, SN) in einem Facebook-Eintrag einen Artikel der Tagesschau mit dem Titel „Richtungsstreit: Sachsens AfD-Spitze hĂ€lt zu Ex-FlĂŒgel-Chefs“ und kommentierte diesen mit den Worten:

„In Sachsen halt nicht nur die Spitze, sondern auch die Basis zu Höcke und Kalbitz!“

Hier zeigt Ulbrich seine SolidaritĂ€t zu beiden Protagonisten das „FlĂŒgel“‚ stellt sich an deren Seite und belegt somit seine Sympathie zur personellen wie auch programmatischen Ausrichtung des „FlĂŒgel“.[447]

Wie bereits auf der Bundesebene finden sich ebenfalls BeitrĂ€ge von aktiven und ehemaligen AfD-Mitgliedern, in welchen die Beeinflussung der Gesamtpartei durch den „FlĂŒgel“ thematisiert wird.

Bereits im Februar 2019 warnte der damalige Co-Landesvorsitzende in Nordrhein-Westfalen, Helmut Seifen, in einem mehrseitigen Brief vor dem Einfluss des „FlĂŒgel“:

„Es drĂ€ngt sich geradezu der Eindruck auf, dass vor allem Röckemann und Blex in Gemeinschaft mit dem Bezirkssprecher von MĂŒnster, Steffen Christ, mit Hilfe ihrer FlĂŒgelaktivitĂ€ten Björn Höcke in NRW eine Plattform schaffen wollen. [
] Und wer ĂŒber die Landesgrenzen von NRW hinausschaut, wird feststellen, dass ‚der FlĂŒgel‘ als eigenstĂ€ndige Partei in der Partei agiert und damit jeden beliebigen Einfluss auf die verschiedenen LandesverbĂ€nde ausĂŒben will. DafĂŒr gibt es eine Reihe von Beispielen. Drei Jahre lang pilgerten die FlĂŒgelanten zum KyffhĂ€user-Denkmal hin, [
], und huldigen dort ihrem Idol Höcke. FĂŒr Ende November 2018 war ein FlĂŒgelkongress in NRW im Raum Paderborn anberaumt, getragen von einem Verein ‚Alternativer Kulturkongress Deutschland‘, der sich afd-nah nennt. Im Umfeld des letzten Bundesparteitags in Riesa soll Björn Höcke in Meißen mit ca. 200 FlĂŒgelanten Hof gehalten haben. [
] ‚Der FlĂŒgel‘ scheint also die Partei AfD lediglich als Vehikel zur Beförderung der eigenen Agenda und des eigenen Personals zu benutzen. Zur Legalisierung von Spenden werden dann Vereine gegrĂŒndet, die dieses GeschĂ€ft erledigen: In NRW der Verein ‚Alternativer Kulturkongress Deutschland‘, bundesweit der Verein ‚Konservativ‘.“[448]

Seifen beschreibt in seinem Scheiben die unterschiedlichen VernetzungsaktivitĂ€ten des „FlĂŒgel“ in der Gesamtpartei und speziell im Landesverband Nordrhein-Westfalen, die aus seiner Sicht hauptsĂ€chlich dazu dienen, die eigenen politischen und personellen Ziele zu erreichen. Auch wenn Seifen infolge das anhaltenden Machtkampfes im Juni 2019 als Landessprecher zurĂŒcktrat, Ă€ußerte er sich am 10. Juli 2019 noch zuversichtlich, dass der „FlĂŒgel“ sich nicht durchsetzen werde. In dem Interview sprach er allerdings davon, dass die Zusammenarbeit mit seinem Co-Landesvorsitzenden Thomas Röckemann und dem Landtagsabgeordneten Christian Blex problematisch gewesen sei, da „die LoyalitĂ€t dieser beiden einem LandesfĂŒrsten[gehörte), der nicht in Nordrhein-Westfalen beheimatet ist“. Damit verweist Seifen auf den aus seiner Sicht großen Einfluss, ĂŒber den der „FlĂŒgel“ auch im Landesverband Nordrhein-Westfalen verfĂŒgte. Dies sei auch das Motiv fĂŒr die GrĂŒndung des „FlĂŒgel“ gewesen, „um sich eine eigene Machtplattform zu schaffen, um damit ĂŒber die Grenzen der BundeslĂ€nder hinweg seinen Einfluss gellend zu machen.“ Das sehe man laut Seifen ja auch in Bayern und Baden-WĂŒrttemberg. Insgesamt sehe er den „FlĂŒgel“ als gefĂ€hrlich an.[449]

Zum Einfluss des „FlĂŒgel“ Ă€ußerte sich – zumindest indirekt – auch der schleswig-holsteinische Landtagsabgeordnete Frank Brodehl. Er stellte in seiner AustrittserklĂ€rung vom 25. September 2020 eine „Radikalisierung der Partei“ fest:

„Das Verhalten des Landesvorstands und dessen fortgesetzte Akzeptanz durch die meisten Kreisvorstandsvorsitzenden spiegelt die Ausrichtung wider, die den Landesverband mittlerweile bestimmt: Der völkisch-nationalistische Grundton ist deutlich lauter als die Stimmen derjenigen in der Partei, die fĂŒr eine seriöse und wertkonservative AfD-Politik eintreten. Insofern ist das Festhalten des Landesvorstandes an Doris von Sayn-Wittgenstein stimmig und es passt ins Bild, dass die jĂŒngsten Personalentscheidungen des Bundesvorstands, namentlich der Parteiausschluss von Andreas Kalbitz, beim letzten Kreissprechertreffen mehrheitlich scharf kritisiert und fĂŒr den ehemaligen FlĂŒgel-Protagonisten offen Partei ergriffen wurde.“[450]

Kritisch sieht Brodehl damit besonders den „völkisch-nationalistischen Grundton“ und die UnterstĂŒtzung fĂŒr Andreas Kalbitz durch die Kreissprecher, die auf einen starken Einkuss des „FlĂŒgel“ im Landesverband Schleswig-Holstein hindeuten.

Nachdem die bisherige AfD-Landesvorsitzende Niedersachsen und Landtagsabgeordnete Dana Guth am 12. September 2020 bei der Neuwahl des Landesvorstands gegen den „FlĂŒgel“-AnhĂ€nger Jens Kestner verlor, erklĂ€rte sie am 22. September erst ihren Austritt aus der AfD-Landtagsfraktion und schließlich am 3. Dezember 2020 ihren Parteiaustritt. GegenĂŒber dem NDR erklĂ€rte Guth diese Schritte damit, dass die Partei tief gespalten sei und der offiziell aufgelöste „FlĂŒgel“ zunehmend das Sagen ĂŒbernehme. Weiter fĂŒhrte sie aus:

„Das, was Hardcore-FlĂŒgel-Vertreter in diesem Land möchten, das ist etwas, womit ich mich nicht identifizieren kann. Wenn SystemverĂ€nderndes diskutiert und salonfĂ€hig wird, dann ist fĂŒr mich die rote Linie ĂŒberschritten.“[451]

Mit Guth zusammen verließ auch der NiedersĂ€chsische Landtagsabgeordnete Jens Ahrends im September 2020 die Fraktion und im Oktober 2020 schließlich die Partei. Als BegrĂŒndung fĂŒhrte er ebenfalls die dominierende Rolle das „FlĂŒgel“ an. So schrieb er laut Presseberichten in seiner AustrittserklĂ€rung:

„Die Alternative fĂŒr Deutschland hat die Chance verpasst, sich von dem jetzt aufgelösten ‚gesichert rechtsextremen‘ FlĂŒgel zu trennen, stattdessen gewinnen dessen ehemalige AnhĂ€nger in den LĂ€ndern, bis hin zur Bundesspitze immer mehr Einfluss und Macht.“[452]

Zuletzt erklĂ€rte die baden-wĂŒrttembergische Landtagsabgeordnete Doris Senger im Oktober 2020, die erst im Juli 2019 in den Landtag nachgerĂŒckt war, ihren Austritt aus der AfD-Landtagsfraktion. Laut ihrer ErklĂ€rung sei ihr „eine Zusammenarbeit mit solch destruktiven KrĂ€ften aus dem ehemaligen FlĂŒgel schlicht nicht mehr möglich“. Ihre ErklĂ€rung verdeutlicht, dass zumindest die Labourfraktion in Baden-WĂŒrttemberg aus ihrer Sicht von „FlĂŒgel“-AnhĂ€ngern dominiert wird.

Am 22. Januar 2021 erklĂ€rte Senger schließlich ebenfalls ihren Austritt aus der Partei. Zur BegrĂŒndung fĂŒhrte sie u. a. die „Ignoranz“ von Alice Weidel gegenĂŒber den gemĂ€ĂŸigten KrĂ€ften an:

„Ich hatte große Hoffnungen in die ursprĂŒngliche Oppositionsarbeit gesetzt. Meine Hoffnung, dass sich der Landesverband BW wieder in die richtige Richtung bewegt, hat sich nicht erfĂŒllt. Die Ignoranz der Landesvorsitzenden [Anm.: Alice Weidel] gegenĂŒber den gemĂ€ĂŸigten Mitgliedern, veranlasst mich letztendlich zum Austritt. Sie ist meiner Meinung nach nicht willens, extremen Elementen Einhalt zu gebieten.“[453]

Bereits im November 2018, kurz vor dem Bundesparteitag in Braunschweig (NI), hatten die beiden baden-wĂŒrttembergischen Landtagsabgeordneten Stefan Herre und Harald Pfeiffer die Fraktion und die Partei verlassen. In einer PresseerklĂ€rung begrĂŒndeten sie diesen Schritt mit unterschiedlichen Auffassungen ĂŒber die politische Ausrichtung:

„Die AfD-Landtagsabgeordneten Stefan Herre und Harald Pfeiffer verlassen mit sofortiger Wirkung die Fraktion und die Partei. Unterschiedliche Auffassungen ĂŒber politische Ausrichtung in der Fraktion und der Partei lassen uns keine Perspektive mehr fĂŒr eine konstruktive politische Arbeit. Wir verlassen die Alternative fĂŒr Deutschland, weil wir mit ihr unsere liberal-konservativen Werte nicht mehr verfolgen können.“[454]

Doris Senger nannte zudem den Umgang mit einem Fraktionskollegen als auch ihr selbst als weiteren Grund fĂŒr ihre Entscheidung:

„Ich sehe keine Basis zur vertrauensvollen Zusammenarbeit mehr. Die Intrigen machen jegliche sachliche parlamentarische Arbeit unmöglich.“

Vor ihr halte auch Frank Brodehl den Umgang mit parteiinternen Kritikern angeprangert. So sprach er von einer „öffentliche[n] VerĂ€chtlichmachung gewĂ€hlter Bundes- und Landespolitiker durch ein Landesvorstandsmitglied als ‚Renegaten, VerrĂ€ter und Agenten‘, die ausgeschwitzt werden mĂŒssten“. Brodehl spielt damit vermutlich auf eine Äußerung von Jan Petersen-Brendel an, dem Sprecher des Kreisverbandes Flensburg-Schleswig. Dieser habe laut Brodehl in einem Kommentar die entsprechende Äußerung getĂ€tigt.[455]

Vor Petersen-Brendel hatte bereits Björn Höcke im MĂ€rz 2020 auf dem „1. FlĂŒgeltreffen Sachsen-Anhalt“ in Schnellroda gefordert, dass innerparteiliche Gegner „ausgeschwitzt“ werden sollten. Ebenfalls von Höcke wurde fĂŒr diese Gruppe der Begriff der „Feindzeugen“ geprĂ€gt, der bei seiner AnhĂ€ngerschaft stilbildend wirkte. So sprach z. B. Dubravko Mandic[456] (3. Beisitzer im Kreisverband Freiburg und UnterstĂŒtzer des „FlĂŒgel“) in einem Video zum Bundesparteitag davon, dass „Meuthen wieder alle Register gezogen[hat], um sich den Medien und der Regierung im Grunde genommen anzupreisen als Kollaborateur. Ja, er hat auch gleichzeitig als Feindzeuge wieder fungiert, dem Verfassungsschutz auch wieder Argumente geliefert, warum wir beobachtet oder verboten werden sollten.“[457]

3. Kreisebene

Belege fĂŒr den strukturellen Einfluss des „FlĂŒgel“ auf die AfD finden sich auch auf der Kreisebene. Wie bereits auf der Landesebene wird die Haltung zum „FlĂŒgel“ u. a. durch Aussagen zu der von Jörg Meuthen angeregten Debatte um eine Abspaltung des „FlĂŒgel‘ deutlich.

Peter Rebstock, Sprecher des AfD-Kreisverbands Zollernalb (BW), veröffentlichte am 1. April 2020 auf Facebook ein Bild mit der folgenden Aufschrift:

„Die Spaltung der AfD wĂ€re eins nationale Katastrophe. Meuthen ist endgĂŒltig untragbar.“[458]

Axel Zamzow, Vorsitzender des AfD-Kreisverbands Bad Tölz (BY), teilte am 14. Juni 2020 einen Facebook-Eintrag, in dem ein Foto von Jörg Meuthen mit dem Hinweis „Nicht mein Vorsitzender“ zu sehen ist. Dazu hieß es:

„Aufgabe: Jeden Tag einmal daran erinnern, dass Jörg Meuthen einer der grĂ¶ĂŸten Heuchler unter der Sonne ist 
 Meuthen, ein wahrer Dystop
 – Kreisverband verloren – Landesverband verloren – Landtagsfraktion zerlegt – [
] Spaltungsdebatte der Partei kurz vor dem Superwahljahr – Bundesvorstand zerlegt – selbstherrliche SĂ€uberungsmaßnahmen mit ungewissem juristischen Ausgang! Bravo Jörg. Du bist ein ganz Großer!“[459]

Der AfD-Kreisverband Main-Taunus (HE) positionierte sich durch das Teilen eines Facebook-Eintrags des Bundessprechers Tino Chrupalla (MdB). Dieser fĂŒhrte darin aus, dass er von Jörg Meuthen „menschlich enttĂ€uscht“ sei. Man habe zwar einen „Vorstands-Beschluss zur Auflösung des FlĂŒgels eingeleitet“, doch dabei „stand die Einheit der Partei nie zur Debatte, und sie wird euch niemals zur Debatte stehen.“ WĂ€hrend Chrupalla hier die formelle Auflösung des „FlĂŒgel“ zwar begrĂŒĂŸte, distanzierte er sich von einer personell-ideologischen Abtrennung von der AfD. Der Kreisverband Main-Taunus schloss sich der Ansicht Chrupallas an:

„Es gibt nur eine AfD! Danke Tino Chrupalla!“[460]

Am 24. Mai 2020 veröffentlichte der AfD-Kreisverband Magdeburg (ST) auf seiner Facebook-Seite eine Stellungnahme zum Richtungsstreit. Als UnterstĂŒtzer der ErklĂ€rung wurden Andreas Best, Vorsitzender des AfD-Kreisverbandes Wittenberg (ST), und die sachsen-anhaltinischen KreisverbĂ€nde Dessau-Roßlau, Stendal, Salzlandkreis, Mansfeld-SĂŒdharz und Jerichower Land aufgefĂŒhrt. Die ErklĂ€rung kritisiert den Richtungsstreit und wirft Bundessprecher Jörg Meuthen spalterische Tendenzen vor.

„Mit großer Sorge betrachten wir, dass Jörg Meuthen auf den Pfaden von Bernd Lucke und Frauke Petry wandelt und mit seinem Handeln die Einheit der Partei gefĂ€hrdet. Bedauerlicherweise wird er dabei von Teilen des Bundesvorstandes unterstĂŒtzt. Wer in Zeiten der Krise die grĂ¶ĂŸte Oppositionskraft spaltet und dabei eine unheilige Allianz mit dem von den Altparteien instrumentalisierten Verfassungsschutz eingeht, der versĂŒndigt sich nicht nur an der Partei, sondern auch am Vaterland. In Zeiten der Krise braucht unser Land keine zerstrittene und gespaltene, es braucht eine starke und geeinte Alternative fĂŒr Deutschland. Als stĂ€rkste oppositionelle Kraft muss unsere AfD entschlossenen Widerstand gegen das Treiben der Altparteien leisten.“[461][462]

In seinem Newsletter von Mai 2020 veröffentlichte auch der AfD-Kreisverband Nienburg-Schaumburg (NI) eine Stellungnahme zu den Überlegungen des Bundessprechers. Darin schrieb er:

„Der Vorstand ist sich einig, dass Meuthen mit seinem Vorstoß, ĂŒber eine Spaltung der Partei nachzudenken, einen schweren, parteischĂ€digenden Fehler gemacht hat. Die Einheit der Partei ist ein wichtiger Bestandteil des Erfolges der AfD als Volkspartei und darf nicht gefĂ€hrdet werden.“[463]

Auch die durch den AfD-Bundesvorstand forcierte Auflösung des „FlĂŒgel“ wurde durch Akteure der Kreisebene rege thematisiert.

Am 20. MĂ€rz 2020 teilte Axel Zamzow, ehemaliger Vorsitzender des Kreisvorbands Bad Tölz (BY), auf seiner Facebook-Seite einen Eintrag von dem Mitglied des AfD-Kreisverbands Rhein-Erft (NW) Theo Gottschalk, der sich positiv ĂŒber den „FlĂŒgel“ Ă€ußerte und seine UnterstĂŒtzung signalisierte:

„Ich empfand den FlĂŒgel immer als eine Weltanschauung, ein LebensgefĂŒhl und einen wichtigen Identifikationswert fĂŒr unsere politische Arbeit. Der FlĂŒgel hat kein Rechtssubjekt, nur sehr flache Strukturen und ist kein Verein, sondern eine Verbindung Gleichgesinnter. Er ist Teil der DNA unserer AfD, so wie wir sie als FlĂŒgler sehen. An der Vehemenz mit der dieses unser politische LebensgefĂŒhl bekĂ€mpft wird, kann man ablesen, fĂŒr wie gefĂ€hrlich es von unseren politischen Gegnern gehalten wird. Wie will man das auflösen? Sollte man das auflösen? FĂ€llt der FlĂŒgel weg, fĂ€llt die AfD den Liberalen und LibertĂ€ren im Westen in die HĂ€nde. Der Beschluss des Bundesvorstands wird der AfD ein Körperteil abschlagen. [
] Der Gedanke des FlĂŒgels war immer ein belebender und treibender Aspekt unserer Parteiarbeit. Auch wann er unangepasst, manchmal ungeschickt, daherkam. Aber die politischen Erfolge im Osten geben uns recht. Ich bin ĂŒber diese Entscheidung des Bundesvorstands maßlos enttĂ€uscht! [
] Auch wann ich in den letzten Tagen eigentlich genug PrĂŒgel einstecken musste, werde ich mich mit aller Kraft gegen die Auflösung das FlĂŒgels stemmen.“[464]

Axel Zamzow teilte am 21. MĂ€rz 2020 zudem in einer Facebook-Story eine Grafik mit folgender Aufschrift:

„Aufruf an alle UnterstĂŒtzer das ‚AfD-FlĂŒgels‘: tretet nach dieser schĂ€ndlichen Witzentscheidung des Bundesvorstands nicht aus der Partei aus! KĂ€mpft jetzt erst recht weiter erfolgreich fĂŒr Deutschland und gegen die ‚Beutegemeinschaft‘ aus weichgespĂŒlten Systemlingen, VS-Ubooten und rein Versorgungsorientierten!“[465]

Zamzow Ă€ußerte am 21. MĂ€rz 2020 auf Facebook ferner, dass der „FlĂŒgel“ auch nach seiner offiziellen Selbstauflösung weiter aktiv bleibe:

„Werte Freunde, ES GEHT WEITER !!! Nur der Name Ă€ndert sich. Die Strukturen bleiben, die Ansichten bleiben, die persönlichen Freundschaften bleiben, die gemeinsamen Ziele bleiben. Deswegen unsere Bitte: ‚NICHT AUS DER PARTEI AUSTRETEN !!!‘ Wir kĂ€mpfen weiter fĂŒr unser Vaterland!“[466]

In demselben Sinne stellte der AfD-Kreisverband Teltow-FlĂ€ming (BB) am 22. MĂ€rz 2020 auf Facebook einen Eintrag seines Vorsitzenden Daniel Freiherr von LĂŒtzow (MdL, BB), der sich darin folgendermaßen Ă€ußerte:

„Aus aktuellem Anlaß, möchte ich nur kundtun, dass ich #nicht aus der #AfD #austreten werde und genauso wie die meisten sogenannten ‚FlĂŒgler‘, weiterhin den #Kampf um unsere #Heimat fĂŒhren werde.“[467]

Der AfD-Kreisverband MĂ€rkisch-Oderland (BB) Ă€ußerte sich am 21. MĂ€rz 2020 auf Facebook ebenfalls entsprechend:

„Gut, Denken und handeln wir ohne Logo. FlĂŒgel ist die brennende Überzeugung deutscher Patrioten. Zu finden in Herz und Verstand standhafter Menschen, deren erstes Ziel ihr Land ist.“[468]

Damit bekundete der Kreisverband die Absicht zur FortfĂŒhrung der „FlĂŒgel“-AktivitĂ€ten ohne formellen Rahmen.

Am 21. MĂ€rz 2020 postete Holger Winterstein[469], 2. Sprecher im Kreisverband SĂŒd-Ost-ThĂŒringen, einen Eintrag zum „Umgang mit dem FlĂŒgel“. Darin bekannte er sich zu den Zielen der Sammlungsbewegung:

„Ich habe die Erfurter Resolution unterzeichnet und ich habe das im MĂ€rz 2015 in Arnstadt, gerne getan. Sich zur GrĂŒndungsidee der AfD weiter zu bekennen, ist mir eine Ehre und gibt mir selbst den RĂŒckhalt, den ich fĂŒr mein Bewusstsein als AfD Mitglied benötige. Was man einzelnen Personen, die sich ebenfalls ritterlich dazu bekennen anlastet, spielt dabei nur eine untergeordnete Rolle. [
] Egal was beschlossen wird, bekenne ich mich zur Erfurter Resolution, als Kern meiner Überzeugung und fĂŒhle mich damit der wahrhaftigen AfD verbunden. [
] Die Nachfolger der Gestapo und Stasi, schĂŒtzen ĂŒbrigens immer noch keine Verfassung, sondern die Macht. Wenn wir vor diesem ‚Verfassungsschutz‘ kuschen, hĂ€tten wir 89 nicht auf die Straße gebraucht.“[470]

In zahlreichen Äußerungen der AfD auf Kreisebene wird die rechtsextremistische Bestrebung des „FlĂŒgel“ zudem bestritten und dieser als elementarer Bestandteil der AfD in Schutz genommen.

Daniel SchĂŒtte, Kreisverbandsvorsitzender des AfD-Kreisverbands Saarpfalz (SL), Ă€ußerte sich in einem Facebook-Eintrag vom 14. Juli 2019 wie folgt zur Person Höcke:

„Und war sich innerhalb dieser Freiheitlich, rechtlichen Grundordnung politisch oder mit seiner freien MeinungsĂ€usserung bewegt, kann niemals ein Menschenfeind sein, und der kann niemals die Abschaffung oder den Umbau Deutschlands wollen. Und dĂŒrfte somit auch niemals ein Nazi, Rechtsradikal oder Rechtsextrem beschimpft oder bezeichnet werden. Er ist ein wahrer Patriot, ja ein wahrer sozial Patriot, der sein Land liebt, sich fĂŒr deren Menschen einsetzt, und eine lebenswĂŒrdige Zukunft schaffen möchte, andere LĂ€nder und Kulturen respektiert, bereist und mit Herzklopfen wieder in seine Heimat zurĂŒckkehrt.“[471]

Der AfD-Kreisverband Wilhelmshaven-Stadt (NI) teilte am 23. MĂ€rz 2020 in einem Facebook-Eintrag einen Artikel der Tageszeitung DIE WELT mit dem Titel „Gericht: Höcke gerichtlich nicht zum Faschisten erklĂ€rt“. Der Kreisverband schrieb dazu:

„Was anderes war ja wohl auch nicht zu erwarten. Wir stehen zu unserem Parteifreund Björn Höcke.“[472]

Dubravko Mandic[473], „FlĂŒgel“-AnhĂ€nger und Beisitzer im Kreisverband Freiburg (BW), zeigte sich angesichts der Einstufung des „FlĂŒgel“ als erwiesen rechtsextremistische Bestrebung durch das Bundesamt fĂŒr Verfassungsschutz gleichgĂŒltig und erklĂ€rte am 12. MĂ€rz 2020 in einem Facebook-Eintrag:

„FĂŒr uns wahre Patrioten Ă€ndert sich heute gar nichts. Wir wurden ausgespĂ€ht, wir machen keine Fehler, bei uns gibt es nichts zu skandalisieren, sonst hĂ€tte man es lĂ€ngst gegen Höcke und andere verwendet. Wir mĂŒssen davon ausgehen, dass der VS einem festgelegten Eskalationsszenario folgt, dem man nicht durch Wohlverhalten, sondern nur durch Masse begegnen kann. Als nĂ€chstes wird es heißen, die AfD sei mit dem FlĂŒgel untrennbar verflochten (was ja nur normal wĂ€re) und mĂŒsse daher als Ganzes beobachtet werden. Deshalb Ja zu Disziplin, aber Nein zur Unterwerfung unter Haldenwangs faktische Vorgaben. SolidaritĂ€t mit dem FlĂŒgel!“[474]

Pierre Jung, Sprecher des AfD-Kreisverbands Hamm (NW), verteidigte in einem Facebook-Eintrag vom 20. MĂ€rz 2020 den „FlĂŒgel“ gegen die Kritik der Gewerkschaft der Polizei (GdP) und des Bund der Kriminalbeamten (BDK):

„Und dies ist genau das Gegenteil von Faschismus. Die Entstehung des FlĂŒgels ist demgemĂ€ĂŸ direkt mit der Bewahrung eines der demokratischen Kernelemente verbunden. Der FlĂŒgel kann somit gar als antifaschistisch bezeichnet werden, selbstverstĂ€ndlich nicht im Sinne einer linksextremen verfassungswidrigen Ideologie. [
] Sie meinen, dass wir mit den Werten der freiheitlich-demokratischen Grundordnung nicht im Einklang stĂŒnden. ZusĂ€tzlich wollen GdP, BDK und Reul prĂŒfen, wie Polizeimitarbeiter, die dem FlĂŒgel angehören, aus dem Dienst entfernt werden können. Berufsverbote gab es schon einmal in einer Zeit, in der tatsĂ€chlich der Faschismus herrschte. [
] Der FlĂŒgel versteht sich als Verfechter eines basisdemokratisch erstellten, eines durchweg demokratischen sowie das Grundgesetz bewahrenden Grundsatzprogramms, das wohl auf dem grĂ¶ĂŸten Basisdemokratischen Parteitag aller Zeiten in Stuttgart verabschiedet wurde. Personen, die diese Werte vertreten, mit Schmutz und herbeifantasierten Erfindungen zu ĂŒberziehen, ist womöglich auch strafrechtlich bedeutsam.“[475]

In einem Beitrag auf Facebook vom 10. Juli 2019 teilte der AfD-Kreisverband Solingen (NW) einen Artikel ĂŒber parteiinterne Kritik am „FlĂŒgel“ und erklĂ€rte diesbezĂŒglich, der „FlĂŒgel“ bilde das „RĂŒckgrat“ der Partei:

„Mal wieder ein völlig blödsinniger Artikel. Es hat sich nichts formiert, was es nicht auch schon vorher gab. Die innerparteiliche Strömung ‚FlĂŒgel‘ ist das RĂŒckgrat der Partei und stellt die mit Abstand meisten Aktiven. Wir Solinger sind #Basisdemokraten und stehen somit auch zu Björn Höcke, der große Mehrheiten hinter sich hat, gute Arbeit leistet und gute #Wahlergebnisse liefert. Eine grĂ¶ĂŸere Spaltung ist nicht zu erwarten. Lucke ging, Petry ging und auch ein #Pazderski kann gehen. Personen sind austauschbar. RĂŒckgraf nicht.“[476]

AnlĂ€sslich das AfD-Parteiaustritts van Verena Hartmann begrĂŒĂŸte der AfD-Kreisvorstand MĂ€rkisch-Oderland (BB) diesen am 28. Januar 2020 in einem Facebook-Eintrag und Ă€ußerte sich in diesem Zusammenhang auch positiv ĂŒber die Bestrebung:

„Machtzuwachs fĂŒr den FLÜGEL ist erstmal sympathisch. Mit Anstand und Respekt vor den Mitgliedern der Partei und ihren WĂ€hlern soll sie den Platz im Bundestag freimachen fĂŒr einen standhaften Patrioten. Ist das zuviel Ehrlichkeit verlangt?“[477]

Am 20. MĂ€rz 2020 schrieb der AfD-Kreisverband Oberspreewald-Lausitz (BB) auf Facebook angesichts der Debatte um die Auflösung des „FlĂŒgel“: „Als hĂ€tten wir das nicht 2017 schon durch. [
] Offenbar war/ist eine Neuauflage nötig geworden“ ein Bild mit der Aufschrift: „Fliegen ohne FlĂŒgel? Guten Flug liebe ‚Parteifreunde’
“.[478]

Die beigefĂŒgte Fotomontage suggeriert, dass die AfD nur mit „FlĂŒgel“ „(f)liegen“, also erfolgreich sein könne. Der rechtsextremistische „FlĂŒgel“ wird folglich als unverzichtbarer Bestandteil der Partei betrachtet.

Am 25. MĂ€rz 2020 teilte der AfD-Bezirksverband Harnburg-Nord auf seiner Facebook-Seite eine Stellungnahme des Hamburger BĂŒrgerschaftsabgeordneten Thomas Reich, welcher ein Interview mit Alexander Gauland (MdB) kommentierte und sich dabei wie folgt gegenĂŒber dem „FlĂŒgel“ positionierte:

„Ich selbst bin und war auch kein AnhĂ€nger vom FlĂŒgel, stimme aber seiner Aussage zu, dass FlĂŒgler unser Mitglieder und keine Gegner sind. Darum: Einer fĂŒr alle, alle fĂŒr einen!“[479]

Der AfD-Kreisverband MĂ€rkisch-Oderland (BB) Ă€ußerte im Zusammenhang mit der bevorstehenden Auflösung des „FlĂŒgel‘ am 24. MĂ€rz 2020 zudem:

„Die FlĂŒgel-Leute sind wichtig. Sie sind essentiell. Als Schrittmacher in der Partei sorgen sie fĂŒr die stetige patriotische und konservative Ausrichtung.“[480]

Ein weiteres wesentliches Strukturelement, des den Einfluss des „FlĂŒgel“ auf die Gesamtpartei belegt, stellen die SolidaritĂ€tsbekundungen mit Andreas Kalbitz dar, welche im Zusammenhang mit der Debatte um dessen rechtsextremistischen Vorlauf und die Annullierung seiner Parteimitgliedschaft veröffentlicht wurden.

So solidarisierte sich der AfD-Kreisverband Hamm (NW) auf seiner Facebook-Seite am 16. MĂ€rz 2020 mit dem „FlĂŒgel“-FunktionĂ€r Andreas Kalbitz und teilte dessen Stellungnahme zu VorwĂŒrfen bezĂŒglich seines rechtsextremistischen Vorlaufs. Der Kreisverband zitierte folgenden Abschnitt:

„Die Gegner der AfD, die in bisher nie dagewesener Weise in einem nahezu geschlossenen politisch-medialen Komplex die AfD mit zunehmend unlauteren Mitteln bekĂ€mpfen, wollen keine ‚andere‘ AfD, sondern gar keine. Deshalb ist und bleibt das Gebot der Stunde der Mut zur Wahrheit, entschlossene Ausschöpfung aller juristischen und rechtsstaatlichen Mittel, sowohl in persönlicher als auch in genereller Hinsicht, vor allem aber Einigkeit und Geschlossenheit und unermĂŒdliche Sacharbeit fĂŒr unser Land. Es gilt das Wort Dr. Alexander Gaulands: ‚Seid einig, einig, einig!‘ Das war und ist die Grundlage unserer Erfolge fĂŒr die dringend nötige VerĂ€nderung in unserem Land.“[481]

Am 19. MÀrz 2020 veröffentlichte der AfD-Kreisverband MÀrkisch-Oderland (BB) auf Facebook anlÀsslich der Kritik an Andreas Kalbitz folgenden Text:

„In schwierigen Zeiten erweist sich, auf wen man sich verlassen kann, wer zur Sache sieht. Es soll Laute geben, die gerade jetzt ihr wahres Gesicht zeigen, offenbaren, daß ihnen unser Ziel unwichtig ist. [
] Kalbitz, verlaß Dich auf uns. Und der Rest soll sich auf harschen Gegenwind einstellen!“[482]

Am selben Tag teilten der AfD-Kreisverband Havelland (BB) und der AfD-Kreisverband Vorpommern-RĂŒgen (MV) auf Facebook einen Eintrag der Junge Alternative Vorpommern-RĂŒgen (MV), in welchem diese Folgendes schrieb:

„Kurz und knapp: Wir stehen zu Andreas Kalbitz!“[483][484]

Nachdem die Annullierung der Mitgliedschaft Andreas Kalbitz am 15. Mai 2020 durch den Bundesvorstand beschlossen wurde, Ă€ußerten sich Einzelpersonen auf der Kreisebene wie folgt. Holger Winterstein (TH) solidarisierte sich mit Andreas Kalbitz und bagatellisierte dessen Mitgliedschaft in der Heimattreue Deutsche Jugend (HDJ) als angebliche „JugendsĂŒnden“:

„Kalbitz hat doch gut gearbeitet. Ein paar JugendsĂŒnden hat doch jeder.“[485]

Peter Rebstock, Sprecher des AfD-Kreisverbands Zollernalb (BW), solidarisierte sich ebenfalls mit Kalbitz und veröffentlichte am 15. Mai 2020 auf Facebook ein Bild mit folgender Aufschrift:

„Heute ist ein rabenschwarzer Tag fĂŒr die AfD, Einer der besten wurde ausgeschlossen.“[486]

Der ehemalige AfD-Bezirksverordnete Bernd Pachal[487] teilte am 15. Mai 2020 auf seiner Facebook-Seite einen Artikel des neurechten Jugendmagazins Arcadi mit dem Titel „Haltet Andreas Kalbitz! Kommentar zum möglichen Rauswurf“. In dem Artikel Ă€ußerte sich der Autor Reimond Hoffmann in lobender Weise ĂŒber den „Parteisoldaten“ Andreas Kalbitz und forderte:

„SolidaritĂ€t und haltet Kalbitz!“[488]

Am 17. Mai 2020 ĂŒbernahm Edgar Naujok, Kreisvorsitzender Landkreis Leipzig (SN) und Kandidat fĂŒr die Bundestagswahl 2021, einen Facebook-Eintrag des AfD-Kreisverbands Landkreis Leipzig vom selben Tage‚ der eine Grafik mit der Aufschrift „WIR STEHEN ZU ANDREAS KALBITZ‘ beinhalte. Der zugehörige Textbeitrag lautete:

„Wir stehen natĂŒrlich hinter Andreas Kalbitz und er bekommt von uns genauso unsere UnterstĂŒtzung, wie er uns auch unterstĂŒtzt hat. Wenn die Leute meinen mit einem Rauswurf und Zerschlagung des FlĂŒgels WĂ€hlerstimmen zu generieren, irrt man sich gewaltig. [
] Andreas wir stehen hinter dir und hoffen, dass dieser Beschluss wieder zurĂŒck genommen wird.“[489]

Dubravko Mandic[490][491] postete am 16. Mai 2020 auf Twitter eine Liste derjenigen Personen im AfD-Bundesvorstand, welche fĂŒr die Annullierung der Parteimitgliedschaft gestimmt hatten, und kommentierte sie folgendermaßen:

„Sie nutzen niemanden und schaden der Partei.“[492]

Carsten HĂ€rle (Vorsitzender der AfD-Fraktion Heusenstamm und UnterstĂŒtzer des „FlĂŒgel“) teilte am 21. Mai 2020 auf Facebook einen Eintag, der auf die Annullierung der Parteimitgliedschaft Andreas Kalbitz‘ Bezug nahm:

„Dass die Parteioberen die MitgliedsbeitrĂ€ge rĂŒcksichtslos im Kampf gegen eigene Leute verschwenden, ist ja schon seit Jahren bekannt. Meuthen verkĂŒndete mal eine innerparteiliche ‚Stasi‘ um, vermeintlich Rechte verfolgen zu lassen, jetzt schmiss er seinen ‚Freund‘ Kalbitz persönlich raus.“[493]

Stephan Besch, Mitglied im AfD-Kreisverband Vorpommern-Greifswald (MV), teilte am 16. Mai 2920 eine Veröffentlichung das AfD-Kreisverbandes Saalekreis (ST): „Wir stehen zu Andreas Kalbitz“. Darin hieß es:

„Diese Entscheidung ist an DestruktivitĂ€t kaum noch zu ĂŒberbieten. [
] Wer Andreas Kalbitz mit einem halbseidenen Beschluß aus der Partei wirft, der beraubt die Partei eines Eckpfeilers und riskiert ihren Zusammenbruch.“[494]

Zuvor hatte Besch ein YouTube-Video verbreitet mit folgendem Inhalt:

„‚Der FlĂŒgel‘ ist eine Haltung, die sich durch die Liebe zur Heimat speist! Diese Haltung ist unauflösbar!“[495]

DarĂŒber hinaus veröffentlichten zahlreiche weitere Akteure der AfD-Kreisebene wie exemplarisch der stellvertretende Vorsitzende des AfD-Kreisverbands Brandenburg/Havel (BB) Ulf Insel[496], das ehemalige Vorstandsmitglied des AfD-Kreisverbands Rhein-Steg (NW) und UnterstĂŒtzer des „FlĂŒgel“ Joachim Gerlach[497], der stellvertretende Vorsitzende des AfD-Kreisverbands OberallgĂ€u/Lindau/Kempten (BY) Roland Aicher (BY, 3, stellv. Vorsitzender im Bezirksverband Schwaben, 1. stellv. Vorsitzender im Kreisverband OberallgĂ€u/Lindau/Kempten)[498], der Sprecher des AfD-Kreisverbands Ulm/Alb-Donau (BW) Eugen Ciresa[499] und der Vorsitzende des AfD-Kreisverbands Havelland (BB) Dominik Kaufner[500] vergleichbare Verlautbarungen.

DarĂŒber hinaus signalisierten zahlreiche Organisationseinheiten der AfD ebenfalls ihre UnterstĂŒtzung und SolidaritĂ€t gegenĂŒber Andreas Kalbitz. So erklĂ€rte der Vorstand das AfD-Kreisverbands Saalekreis (ST) am 15. Mai 2020 auf Facebook:

„Die AfD Saalekreis steht zu Andreas Kalbitz! [
] Wir versichern Andreas Kalbitz unsere uneingeschrĂ€nkte SolidaritĂ€t und hoffen, daß er vor Gericht Erfolg hat und bald wieder Mitglied unserer Partei ist.“[501]

Am 17. Mai 2020 teilte dieser Kreisverband auf Facebook außerdem eine „Protestnote zur Annullierung der AfD Mitgliedschaft von Andreas Kalbitz“, in der es unter anderem hieß:

„Die Entscheidung, Andreas Kalbitz aus unserer Partei auszuschließen, ist fĂŒr uns nicht nachvollziehbar. Wir stehen weiter zu unserem erfolgreichen Parteifreund Kalbitz und hoffen, dass der Landes- und Fraktionsvorstand von Brandenburg angemessen auf diese parteischĂ€digende Entscheidung reagieren wird.“[502]

Der AfD-Kreisverband Oberspreewald-Lausitz (BB) teilte in Facebook-EintrĂ€gen ebenfalls wiederholt SolidaritĂ€tsbekundungen fĂŒr Kalbitz.[503]

Der AfD-Kreisverband Magdeburg (ST) bekundete am 16. Mai 2020 auf Facebook seine UnterstĂŒtzung fĂŒr Kalbitz anhand einer Grafik mit der Aufschrift „KALBITZ BLEIBT!“[504]

Am 17. Mai 2020 postete der AfD-Kreisverband Landkreis Leipzig (SN) auf Facebook eine Grafik mit der Aufschrift „WIR STEHEN ZU ANDREAS KALBITZ“. Der zugehörige Textbeitrag lautete:

„Wir stehen natĂŒrlich hinter Andreas Kalbitz und er bekommt von uns genauso unsere UnterstĂŒtzung, wie er uns auch unterstĂŒtzt hat. Wenn die Leute meinen mit einem Rauswurf und Zerschlagung des FlĂŒgels WĂ€hlerstimmen zu generieren, irrt man sich gewaltig. [
] Andreas wir stehen hinter dir und hoffen, dass dieser Beschluss wieder zurĂŒck genommen wird.“[505]

DarĂŒber hinaus veröffentlichten zahlreiche weitere AfD-KreisverbĂ€nde in den Sozialen Medien SolidaritĂ€tsbekundungen gegenĂŒber Andreas Kalbitz, so exemplarisch der AfD-Kreisverband Potsdam (BB)[506]‚ der AfD-Kreisverband Teltow-FlĂ€ming (BB)[507], der AfD-Kreisverband MĂ€rkisch-Oderland (BB)[508][509][510] der AfD-Kreisverband Paderborn (NW)[511], der AfD-Kreisverband Rhein-Sieg (NW)[512], der AfD-Kreisverband Chemnitz (SN)[513], der AfD-Kreisverband Bautzen (SN)[514], AfD-Bezirksverband Hamburg-Mitte (HH)[515], der AfD-Kreisverband Forchheim (BY)[516][517], der AfD-Kreisverband UnterallgĂ€u/Memmingen (BY)[518] und der AfD-Kreisverband Ulm/Alb-Donau (BW)[519].

Das Bewerben von „FlĂŒgel“-Treffen und die positive Bezugnahme auf solche sowie die UnterstĂŒrzung kann als weiterer Beleg fĂŒr den RĂŒckhalt und die WirkmĂ€chtigkeit des „FlĂŒgel“ in der Gesamtpartei gewertet werden.

Der AfD-Kreisverband Wilhelmshaven-Stadt (NI) veröffentlichte am 11. Januar 2020 einen Facebook-Eintrag, in welchem dieser positiv ĂŒber die Teilnahme am „sechsten patriotischen Neujahrsempfang“ in Northeim (NI) berichtete:

„Gestern ging es ein paar ‚FlĂŒgel’schlĂ€ge weit zu unseren Freunden nach SĂŒdniedersachsen, wo der sechste patriotische Neujahrsempfang auf dem Programm stand. In einem schönen historischen GebĂ€ude traf man sich im Kreise der politischen Freunde in Northeim.“[520]

Am 14. Februar 2020 fand die Veranstaltung „Höcke kommt“ des AfD-Kreisverbandes Kulmbach (BY) statt. Als Veranstalter traten vom AfD-Kreisverband Kulmbach Georg Hock (Vorsitzenden) und Hagen Hartmann (stellvertretender Vorsitzender, OberbĂŒrgermeisterkandidat bei der Kommunalwahl 2020) in Erscheinung. In der Bayerische Rundschau erschien am 11. Februar 2020 der Artikel „Zu Gast bei Freunden“. Auf die Frage, weshalb sich Björn Höcke im Kulmbacher Kommunalwahlkampf fĂŒr Hagen Hartmann einsetze, antwortete Georg Hock, dass es zwischen ihm und Höcke eine enge Verzahnung und zudem einen guten Kontakt zwischen Höcke und Hartmann gebe. GegenĂŒber der Presse bezeichnete Hartmann die Person Höcke als einen „hochfeinsinnigen Menschen, förmlich ein Philosoph“. Die Veranstaltung fand am 14. Februar 2020 in der Stadthalle Kulmbach mit etwa 350 Besuchern statt. Einer nicht bekannten Anzahl von Veranstaltungsinteressenten musste mangels verfĂŒgbarer PlĂ€tze der Zutritt zur Veranstaltungshalle jedoch versagt werden. Georg Hock moderierte die Veranstaltung und begrĂŒĂŸte neben zwei bayrischen AfD-Landtagsabgeordneten auch FunktionĂ€re der bayerischen AfD-KreisverbĂ€nde Coburg, Forchheim und NĂŒrnberg. Unter den Besucher befanden sich ferner Luis Hill, Vorsitzender der JA Ostbayern, Benjamin Nolte und Paul Traxl, Vorsitzender des AfD-Kreisverband Aichach-Friedberg (BY) und Landesobmann das „FlĂŒgel“ fĂŒr Bayern. Des AfD-Kreisverband Forchheim (BY) bezeichnete nach der Veranstaltung Björn Höcke auf Facebook als „fantastisch“, „brillianteste(n) Redner und Politiker Deutschlands“, „so geht Demokratie“.

Obwohl die Veranstaltung als WahlkampfaktivitĂ€t in Kulmbach mit der Symbolik der AfD beworben und durchgefĂŒhrt wurde, ist sie aufgrund der beteiligten Organisatoren und Redner als Veranstaltung unter erheblichem Einfluss des „FlĂŒgel“ zu bewerten.[521][522][523][524][525][526][527][528][529][530][531][532][533][534]

Mit einem Facebook-Eintrag vom 27. April 2020 und einer zugehörigen Grafik warb der AfD-Kreisverband Landkreis Leipzig (SN) fĂŒr das „letzte ‚offizielle‘ FlĂŒgeltreffen“ im Landkreis Leipzig am 30. April 2020.[535]

Hintergrund fĂŒr die DurchfĂŒhrung des finalen „FlĂŒgel“-Treffens im Landkreis Leipzig war offenbar die Vorgabe der „FlĂŒgel“-FĂŒhrungspersonen Björn Höcke und Andreas Kalbitz, die AktivitĂ€ten des „FlĂŒgel“ bis zum 30. April 2020 einzustellen. Die Ausrichtung eines solchen Treffens im Landkreis Leipzig belegt die Verbundenheit das Kreisverbandes zum „FlĂŒgel“. DarĂŒber hinaus wird mit dem Setzen von AnfĂŒhrungszeichen beim Adjektiv „offiziell“ angedeutet, dass es fortan inoffizielle Veranstaltungen des „FlĂŒgel“ gaben soll.

Die Teilnahme von FunktionĂ€ren der AfD-Kreisebene an „FlĂŒgel“-Treffen kann ferner als weiterer Beleg fĂŒr einen strukturellen Einfluss in der Gesamtpartei gewertet werden.

Karl Schwarz, Beisitzer im AM-Kreisverband Freiburg/Breisgau (BW), berichtete auf Facebook von seiner Teilnahme am „FlĂŒgeltreffen“ am 1. April 2019 in Berlin.[536]

Gerhard BĂ€rsch, Sprecher das AfD-Kreisverbands Vogelsberg (HE), veröffentlichte am 6. Juli 2019 auf seiner Facebook-Seite ein gemeinsames Foto mit Björn Hocke vom „KyffhĂ€usertreffen 2019“.[537]

In einem weiteren Beitrag Ă€ußerte sich Gerhard BĂ€rsch zum „KyffhĂ€usertreffen“ wie folgt:

„Danke fĂŒr einen wundervollen Tag unter Parteifreunden! Vielen Dank vor allem an Björn Höcke, Andreas Kalbitz und Christine Anderson sowie die Organisatoren des diesjĂ€hrigen KyffhĂ€usertreffens. Es waren tolle Reden zu hören, viele interessante GesprĂ€che wurden gef

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Author: Andre Meister

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Verdachtsfall Rechtsextremismus: Wir veröffentlichen das 1.000-seitige Verfassungsschutz-Gutachten zur AfD

Die Alternative fĂŒr Deutschland steht im Verdacht, rechtsextrem und verfassungsfeindlich zu sein. Der Verfassungsschutz beobachtet die Partei und hat 2021 ein ausfĂŒhrliches Gutachten erstellt. Wir veröffentlichen dieses Dokument in voller LĂ€nge.

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