Digitaler Omnibus: Das EU-Parlament steuert auf den nächsten Konflikt zu
In Brüssel nimmt die Debatte um den „digitalen Omnibus“ an Fahrt auf. Während vier Fraktionen im EU-Parlament die Aufweichung von KI- und Datenschutzregeln kritisieren, begrüßen Konservative das Vorhaben grundsätzlich. Werden sie wieder mit Rechtsaußen-Fraktionen stimmen, um das Vorhaben durchzusetzen?
Vergangene Woche hat die EU-Kommission den „Digitalen Omnibus“ vorgestellt. Mit dem Sammelgesetz will sie Teile ihrer Digitalregulierung vereinfachen, Kritiker:innen sprechen von einem Angriff auf Grundrechte. Ihre Änderungsvorschläge an zahlreichen Gesetzen kann die Kommission allerdings nicht im Alleingang beschließen. Auch das Europäische Parlament und der Rat der Mitgliedstaaten müssen dem Vorhaben zustimmen und diskutieren jetzt ihre Positionen.
Einige Fraktionen im Parlament haben bereits Widerstand angekündigt. Schon in Reaktion auf geleakte Entwürfe hatten die Fraktionen der Sozialdemokraten (S&D), Liberalen (Renew) und Grünen mit Kritik reagiert.
Grundsätzlich scheinen die Konfliktlinien entlang erwarteter parteipolitischer Präferenzen zu verlaufen. Während Sozialdemokraten, Grüne und Linke deutlich gegen das Vorhaben positioniert sind und auch Liberale Bedenken äußern, sehen Konservative einen Schritt in die richtige Richtung. Rechtsradikale und europakritische Parteien fordern einen noch weitergehenden Regulierungsabbau.
S&D: Digitalgesetze stärken statt untergraben
Die Sozialdemokraten (S&D) halten den Kommissionsvorschlag für problematische Deregulierung. Der Vizepräsident der Fraktion, Alex Agius Saliba, argumentiert, dass die Europäischen Digitalgesetze im demokratischen Prozess entstanden seien und jetzt nicht untergraben werden sollten. Stattdessen sollte der Digitale Omnibus dazu dienen, die unterschiedlichen Gesetze kohärenter und transparenter zu machen. Ziel sei eine „auf Rechten basierende digitale Wirtschaft“.
Dazu erklärt Birgit Sippel, die innenpolitische Sprecherin der S&D-Fraktion: „Statt sich von globalen Konzernen auf der Nase herumtanzen zu lassen oder sie sogar zu hofieren, sollte die Kommission dafür einstehen, dass wir Technologien nach unseren europäischen Grundrechten ausrichten.“ Ende-zu-Ende-Verschlüsselung, digitale Grundrechte und europäische Datenschutzstandards seien nicht nur technische Details, die man nach Belieben aufweichen könne, sondern „unsere Anker gegen Überwachung, Manipulation und Machtmissbrauch“.
Die Vizepräsidentin des EU-Parlaments, Katarina Barley (SPD), warnt unterdessen davor, im Zuge des Omnibusses den Schutz vor KI zu senken. Tatsächlich hat die Kommission in ihrem Vorschlag eine Verschiebung von Vorgaben für Hochrisiko-Systeme aus dem AI Act vorgesehen. Barley glaubt: „Jegliche Aussetzung der Regeln, auch vorübergehend, würde Bürger:innen erheblichen Risiken aussetzen – das wäre fatal.“
Grüne skeptisch, Liberale noch nicht entschieden
Ähnlich sieht das auch die Grünen-Abgeordnete Kim van Sparrentak. Durch die Verschiebung der Frist werde es Hochrisiko-Systeme auf dem Markt geben, die nicht reguliert werden. Das würde das Vertrauen der Menschen in KI noch weiter schwächen. Schon jetzt sei die Skepsis hoch. Auch die Änderungen an der DSGVO kritisieren die Grünen stark. Digitalpolitikerin Alexandra Geese etwa glaubt nicht, dass Innovation durch Regulierung verhindert wird und im Umkehrschluss auch nicht, dass Deregulierung Europas Innovationskraft stärken werde.
Die liberale Renew-Fraktion sieht deutliche Verbesserungen des offiziellen Vorschlages im Vergleich zum geleakten Entwurf. Die Fraktion hatte vorab gefordert, dass die Definition von sensiblen Daten in Artikel 9 der DSGVO nicht geändert wird. Tatsächlich wurde dieser Teil aus dem offiziellen Vorschlag gestrichen. Renew betont einerseits viele positive Aspekte im Omnibus, etwa die Bündelung der Meldewege für IT-Sicherheitsvorfälle und die Zusammenfassung von Datennutzungsgesetzen im Data Act.
Andererseits dürfe die Vereinfachung nicht auf Kosten von Datenschutzstandards gehen, so die liberale Abgeordnete Fabienne Keller in einer Pressemitteilung. Einige der Vorschläge seien „besorgniserregend“, würden den Schutz sensibelster Daten schwächen und zu einer diskriminierenden Verarbeitung beitragen. Über das Abstimmungsverhalten der Abgeordneten sei noch nicht gesprochen worden, teilt ein Sprecher der Fraktion auf Anfrage von netzpolitik.org mit.
EVP fordert schnelles Verfahren
Klar gegen den digitalen Omnibus positioniert sich die Fraktion der Linken. „Wir brauchen keine Deregulierung im Eiltempo, sondern starke, durchsetzbare Regeln für eine digitale Welt, die den Menschen dient und nicht Konzerninteressen oder geopolitischem Kalkül“, so der Fraktionsvorsitzende Martin Schirdewan in einem Pressestatement.
Doch nicht alle im Europäischen Parlament sind mit dem Omnibus unzufrieden. Die Europäische Volkspartei (EVP), zu der unter anderem CDU und CSU gehören, sieht die Änderungen grundsätzlich positiv und fordert eine schnelle Annahme durch das Parlament und den Rat. Das bedeute zwar nicht, dass sie überhaupt keine Vorbehalte hätten, sagt ein Fraktionssprecher auf Nachfrage. Zu konkreten Inhalten wolle man sich aber noch nicht ausführlich äußern, da die Debatte erst beginne.
Am Dienstagnachmittag wird der Vorschlag zum ersten Mal im Parlament diskutiert. Jetzt müssen die Fraktionen ihre Verhandler:innen festlegen. Außerdem wird bestimmt, welche Ausschüsse sich um welche Teile des Omnibusses kümmern werden. Zentral wird dabei der Binnenmarkt- und Verbraucherausschuss (IMCO) sein. In den Ausschüssen erarbeiten die Abgeordneten dann ihre Änderungsanträge.
Beobachter:innen befürchten, dass einige Fraktionen hier sogar noch über den Vorschlag der Kommission hinausgehen könnten, um zum Beispiel weitere Teile des AI Acts zu verändern. Die nationalkonservative und europaskeptische Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR) hat sich schon so positioniert. Sie glaubt, dass weniger Regeln die Wettbewerbsfähigkeit Europas stärken würden.
Konservative schließen Zusammenarbeit mit Rechtsradikalen nicht aus
Sowohl unter den Sozialdemokraten als auch den Grünen geht man davon aus, dass die EVP erneut eine Mehrheit mit den Rechtsaußen und Rechtsextremen im Parlament bilden würde, um den Omnibus nach ihrer Vorstellung durchzubringen. Das ist erst kürzlich in der Abstimmung über ein erstes Omnibus-Paket passiert, mit dem unter anderem die EU-Lieferkettenrichtlinie weitgehend entkernt wird. Die EKR sowie die rechtsextremen „Patrioten für Europa“ hatten anschließend den Fall der Brandmauer gefeiert.
So betont etwa Sergey Lagodinsky von den Grünen, dass das Omnibus-Verfahren anders ablaufen müsse als das erste. Fertige Gesetze gemeinsam mit Rechtsextremen aufzubrechen, sei keine Lösung. „Ich fordere Manfred Weber auf, diesen Weg kein zweites Mal zu beschreiten“, sagt der deutsche Abgeordnete in Richtung des Fraktionsvorsitzenden der EVP.
Dazu erklärt ein EVP-Fraktionssprecher gegenüber netzpolitik.org: „Wir suchen zuallererst eine Mehrheit in der Mitte des Parlaments.“ Gemeint sind damit Sozialdemokraten und Liberale. Dafür wolle die Fraktion konstruktiv in die Debatte gehen. Eine Zusammenarbeit mit Kräften am rechten Rand schließt die EVP jedoch nicht explizit aus.
Anna Ströbele Romero berichtet als freie EU-Korrespondentin aus Brüssel. Sie interessiert sich für die Regulierung von Plattformen, digitale Souveränität und Cybersicherheit. Mit großer Neugier verfolgt sie, wie die Digitalisierung in anderen Ländern angegangen wird. Kontakt: E-Mail (OpenPGP). Dieser Beitrag ist eine Übernahme von netzpolitik, gemäss Lizenz Creative Commons BY-NC-SA 4.0.






