Erniedrigung und Willkür: Schwere Vorwürfe gegen Flüchtlingsunterkunft in Wismar
Belltower.News
Symbolbild einer Containeranlage und Unterkunft für Geflüchtete (Quelle: picture alliance / SZ Photo | Claus Schunk)Es sind schwere Vorwürfe, die gegen die Leitung einer Unterkunft für Asylsuchende in Mecklenburg-Vorpommern erhoben werden: In der Gemeinschaftsunterkunft Haffburg in Wismar sollen Schutzsuchende seit Jahren menschenunwürdigen Maßnahmen und der Willkür des Personals ausgesetzt sein.
Bewohner*innen und ehemalige Mitarbeitende berichten von willkürlichen Sanktionen, Einschüchterung und fehlender Privatsphäre. Der Flüchtlingsrat Mecklenburg-Vorpommern spricht von „entwürdigender Bestrafung“ und von „Verstößen gegen rechtsstaatliche Prinzipien“. Die Anschuldigungen lassen sich von mehreren Seiten bestätigen, sowohl von ehemaligen Mitarbeiter*innen, von Bewohner*innen, als auch von Menschen aus den Unterstützer-Netzwerken.
„Strafzimmer“
Die Vorwürfe sind schockierend: Übereinstimmende Quellen berichten davon, dass Bewohner*innen bei den kleinsten Vergehen, wie einem nicht eingehaltenen Putzplan, für mehrere Nächte im sogenannten „Strafbereich“ untergebracht werden. Dabei obliegt es allein dem Personal, zu beurteilen, ob die Putzleistung der Bewohner*innen ihren Ansprüchen entsprächen. Sei dies nach Auffassung der Mitarbeitenden nicht der Fall, lautete die Bestrafung „Strafbereich“. Ein letztes Mal dürfen die betroffene Person in ihr privates Zimmer, um persönliche Gegenstände zu holen. Dann werden die zu bestrafende Person in den “Strafbereich” gebracht – ein Bereich, der getrennt vom Rest der Unterkunft ist.
„Da würde man nicht mal einen Hund darauf schicken“
Hier gibt es nach übereinstimmenden Berichten keine abschließbaren Schränke zur Aufbewahrung persönlicher Gegenstände, keinen Kühlschrank und keine Kochmöglichkeiten. Zwar seien Männer und Frauen getrennt in Mehrbettzimmern untergebracht, doch könne man die Zimmer nicht abschließen. Die Matratzen in dem Strafbereich, seinen derart verschmutzt, „da würde man nicht mal einen Hund drauf schicken“, gibt eine betroffene Person an. Während des Bestrafungs-Zeitraums – Betroffene berichten von bis zu einem Monat – sei es den Betroffenen nicht erlaubt, die übrige Unterkunft zu betreten.
Seit Jahren Hinweise – keine Konsequenzen
Besonders brisant: Die Hinweise auf diese Praktiken sind offenbar nicht neu. Bereits seit 2021 sollen Beschwerden an den zuständigen Landkreis Nordwestmecklenburg übermittelt worden sein – ohne sichtbare Folgen. Ehemalige Mitarbeitende berichten, dass sie die Zustände nicht mehr mittragen konnten und deshalb ihre Anstellung aufgaben. Von einem „Schreckensregime“ ist die Rede, das der ehemalige Leiter Herr M. aufgebaut haben soll.
„Das perfide ist“, so beschreibt es Sabine Ziesemer, Geschäftsführerin des Flüchtlingsrats Mecklenburg-Vorpommern, gegenüber Belltower.News, „dass die Mitarbeiter*innen sich aktiv an dieser entwürdigenden Praxis beteiligten“, dabei sollten sie die Betroffenen der Unterkunft doch unterstützen, statt sie zu entmenschlichen. „In diesem System wurden sie aber mutmaßlich zu Mittäter*innen gemacht“.
Machtmissbrauch durch die ehemalige Leitung?
Nicht minder brisant ist der Vorwurf der grenzüberschreitenden Übergriffigkeit durch den ehemaligen Leiter der Unterkunft. Diese Anschuldigungen wiegen schwer – nicht nur individuell, sondern auch strukturell. Sollten sie sich bestätigen, wäre das ein gravierender Fall von Machtmissbrauch gegenüber besonders schutzbedürftigen Menschen. In einer staatlich beauftragten Unterkunft darf es keine Grauzonen geben, in denen solche Dynamiken entstehen können.
Eingriff in die Privatsphäre
Darüber hinaus sollen Mitarbeiter*innen unangekündigt und anlasslos die Zimmer der Bewohner*innen – im regulären Unterkunftsbereich – betreten haben. Das unangekündigte Betreten von Zimmern, egal ob Mietwohnung oder in einer Gemeinschaftsunterkunft, durch Vermietende oder Mitarbeitende stellt einen Eingriff in die Privatsphäre der Bewohner*innen dar und ist rechtlich höchst problematisch. Schließlich gilt auch ein Zimmer in einer Gemeinschaftsunterkunft als geschützter Wohnraum im Sinne von Artikel 13 des Grundgesetzes. Wer diesen Raum ohne Zustimmung, ohne Grund oder rechtliche Grundlage betritt, verletzt nicht nur die Würde und das Sicherheitsgefühl der Bewohner*innen, sondern untergräbt auch deren Grundrechte.
Die Praxis in der Haffburg widerspreche nicht nur den Standards der Gemeinschaftsunterkunftsverordnung MV, sondern sei aus menschenrechtlicher Perspektive inakzeptabel, so die Geschäftsführerin des Flüchtlingsrats Mecklenburg-Vorpommern. Sie fordert daher eine „unabhängige und unverzügliche Untersuchung“ sowie eine Offenlegung aller bisherigen Beschwerden und internen Prüfungen. Jene Unterkunft Haffburg ist eine der wenigen, die noch kommunal betrieben werden, durch den Landkreis Nordwestmecklenburg als Träger.
Ob und wann tatsächliche Konsequenzen folgen, bleibt abzuwarten. Klar ist: Die Vorwürfe erschüttern nicht nur das Vertrauen in die verantwortlichen Behörden – sie werfen auch ein Schlaglicht auf die Lebensrealität vieler Geflüchteter, die selbst nach ihrer Ankunft in Deutschland nicht zur Ruhe kommen. Sollten sich die Vorwürfe bestätigen, zeigt sich hier wiedermal, wie strukturell rassistisch mit geflüchteten Menschen umgegangen wird. Menschen, die in Teilen traumatisierende Fluchtgeschichten erleben mussten, und die besonders schutzbedürftig sind, scheinen hier einfach der Willkür des Personals ausgeliefert worden zu sein – und ihrer Allmachtsfantasien.
Es braucht bessere Schutzmechanismen
Gerade in Gemeinschaftsunterkünften, wo Schutzsuchende ohnehin in prekären Verhältnissen leben, braucht es besondere Schutzmechanismen – etwa unabhängige Beschwerdestellen, externe Aufsicht und klare Verhaltensstandards für das Personal. Wenn diese fehlen oder bewusst ignoriert werden, entsteht ein Klima der Angst und Abhängigkeit. Die Verantwortung liegt dabei nicht nur bei einzelnen Täter*innen, sondern auch bei jenen Institutionen, die weggeschaut oder Warnungen ignoriert haben. Solche Vorwürfe dürfen nicht im Verwaltungsalltag versanden – sie gehören ernsthaft untersucht, öffentlich gemacht und konsequent aufgearbeitet.
#erniedrigung #fluchtlingsunterkunft #gegen #schwere #vorwurfe #willkur #wismar