Bruchstellen im Mosaik: Das Compact-Verfahren im Spiegel der rechtsalternativen Szene
Belltower.News
Jürgen Elsässer, Herausgeber von Compact. Das rechtsextreme Compact-Magazin darf weiterhin erscheinen. Das entschied im Juni 2025 das Bundesverwaltungsgericht. Zwar bestätigten die RichterInnen die Verfassungswidrigkeit mancher Inhalte, diese seien für den Gesamtcharakter des Akteurs aber nicht derart prägend, dass ein Verbot gerechtfertigt sei. Mit dem letztinstanzlichen Urteil sehen sich nun jene bestätigt, die in dem (versuchten) Verbot einen nicht zu rechtfertigenden Angriff des Staates auf die Presse- und Meinungsfreiheit ausmachten.
Auf der anderen Seite wurden in den Diskussionen rund um das schwebende Verbot aber auch strategische Differenzen innerhalb der rechtsalternativen Szene sichtbar. In unserer Quick-Response-Analyse zeigen wir, wie sich das Verbotsverfahren auf die Subscriber-Zahlen des Magazins und seine Rezeption in der Szene ausgewirkt hat – und welche Fragen dabei (kontrovers) diskutiert wurden.
Empörungszentrum im rechtsalternativen Spektrum
Compact ist nicht nur dafür bekannt, eine Brücke zur reaktionären Linken schlagen zu wollen, um eine sogenannte Querfront herzustellen. Das Magazin ist vor allem ein zentrales Bindeglied im rechtsalternativen Kosmos, der verschiedene ideologische Milieus umfasst: Identitäre, Islamfeinde, Russlandfanatiker, Querdenker, Verschwörungsideologen und Neonazis. Es gibt am rechten Rand kaum einen Akteur, der nicht auf die ein oder andere Art mit Compact verbunden ist. Der Herausgeber, Jürgen Elsässer, ist bestens vernetzt in die AfD hinein, zu deren „Hausblatt“ er einst das Magazin erklärte. Als solches vertritt es nicht nur AfD-Positionen, es verkauft auch Silbermünzen mit Björn Höcke und leistet Unterstützung bei Parteiveranstaltungen. Ihre Abgeordneten kommen im Magazin und anderen Austauschformaten immer wieder zu Wort.
Compact ist kein Ort für intellektuelle Debatten. Vielmehr setzt das Magazin auf Vereinfachungen und Skandalisierung. Empörung gehört ganz zentral zu seinem Geschäftsmodell. Dabei produziert und reproduziert man verschiedenste Verschwörungserzählungen. Und das nicht unbedingt, weil man selbst daran glaubt, sondern weil sie – wie der Herausgeber 2021 in einem Interview zu verstehen gab – politisch und geschäftlich nützlich seien. Man präsentiert sich dabei als Gegenpol zum Mainstream und zur etablierten Politik, wobei sich Elsässer – auch über seine linke Vergangenheit – als ultimativer Rebell zu inszenieren versucht.
Einen größeren Aufmerksamkeitsschub erfuhr Compact während der Pandemie, als das Magazin die Querdenken-Bewegung positiv aufgriff und Verschwörungstheorien aus dem QAnon-Kult in Deutschland zur Prominenz verhalf. In diesen Zeitraum fällt auch die digitale Professionalisierung des Medienunternehmens, das sich seitdem durch tägliche Nachrichtenformate auf YouTube, eine hochwertige Webseite und eine strukturierte Präsenz auf diversen sozialen Medien auszeichnet.
Vor gut einem Jahr, am 16. Juli 2024, wurden dann die Compact-Magazin GmbH wie auch die dazugehörige Conspect-Film GmbH durch die damalige Bundesinnenministerin Nancy Faeser verboten. Das Magazin, das seit Dezember 2021 vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextremistisch eingestuft wird, wie auch fast alle Online-Auftritte der Gesellschaften waren damit gebannt. Bereits am 14. August wurde das Verbot jedoch vom Bundesverwaltungsgericht außer Kraft gesetzt, nachdem die beiden Gesellschaften mit einer Anfechtungsklage reagiert hatten. Nach einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht Mitte Juni wurde schließlich am 24. Juni 2025 das Urteil verkündet: das Compact-Verbot ist aufgehoben.
Follower- und Subscriber-Zahlen von Compact
Compact ist mehr als eine gedruckte Zeitschrift, die monatlich erscheint. Das Magazin, das laut Eigenangabe im vergangenen Jahr auf eine Auflage von 40.000 Exemplaren kam – eine Zahl, auf die sich auch das BMI beruft –, ist auch digital stark präsent: auf dem Microblogging-Dienst X, im Messenger-Dienst Telegram und auf der Streaming-Plattform YouTube. Die eigene Bekanntheit fördert man zudem mit Werbung und einem Online-Shop. Mit dem Verbot, das dem Magazin einiges an Aufmerksamkeit brachte, konnte man diese nochmals steigern, steigende Follower- bzw. Abo-Zahlen auf den Social-Media-Kanälen inklusive.
Compact-Organe und ihre Zuwächse
So stieg die Zahl der AbonnentInnen des YouTube-Kanals von Compact seit dem Verbot im Juli 2024 von 342.000 auf aktuell 522.000. Auch auf X konnte Compact seinen Einfluss ausbauen. Der Account kommt nun auf fast 80.000 Follower, wo er vor einem Jahr nur 41.000 zählte. Auf Telegram wiederum hatte der Compact-Kanal im Vorjahr 61.000 Subscriber; nun sind es fast 82.000, die den Kanal bestellt haben. Wie viel von dem Anstieg wirklich auf das Verbot zurückgeht, lässt sich insgesamt allerdings nicht genau beziffern. Auf YouTube etwa ließ sich schon vor dem Verbot ein kontinuierlicher Zuwachs beobachten: ein seit Jahren anhaltender Trend.
Deutlich zeigt sich der Effekt aber auf Telegram, wo die Zahlen vor dem Verbot eher stagnierten. Bis Anfang 2024 befand man sich dort sogar im leichten Abwärtstrend, bis die Bauernproteste einen Sprung in der Subscriber-Zahl brachten. In der Folge lässt sich zwar ein weiteres Wachstum feststellen, aber nur ein langsames. Mit dem Verbot im Sommer 2024 kommt es dann zu weiteren Sprüngen, von 61.000 auf über 65.000 Subscriber zwischen Juli und August – obwohl Compact in der Verbotsphase nichts postete – und dann nochmal auf über 70.000 infolge der Aussetzung des Verbots. Zu tun hat das zweifellos auch mit dem Umstand, dass Telegram die einzige Plattform ist, wo Compact nicht zumindest vorübergehend gesperrt war. Einige NutzerInnen scheinen also gezielt nach Alternativen gesucht zu haben, um an Inhalte von Compact zu gelangen.
Subscriber-Zahlen von Compact auf Telegram.
Bis heute kamen zum Compact-Kanal noch weitere 10.000 Subscriber hinzu. Dabei spielte sicher auch die Live-Übertragung des Gesprächs zwischen Elon Musk und Alice Weidel im Januar 2025 eine Rolle. Es lässt sich aber nicht ignorieren, dass der Kanal seit dem Verbot generell eine stärkere Aufwärtsdynamik aufweist. Das spiegelt sich auch darin wider, dass parallel zum Abo-Zuwachs seine Reichweite zugenommen hat. So sind, im Vergleich zum Vorjahr, dieses Jahr 23 Prozent mehr Compact-Nachrichten von anderen Kanälen des rechtsalternativen Spektrums weiterverbreitet worden. Sie wurden dabei häufiger von Milieus geteilt, für die das Magazin davor weniger relevant war. Während zuvor vor allem Kanäle rechtsextremer Prägung die Nachrichten reproduzierten, taten dies danach etwa auch Kanäle aus dem verschwörungsideologischen Milieu verstärkt.
Weiterleitungen auf Telegram nach Milieus (l.) undprozentuale Veränderung der Weiterleitungen seit dem Verbot im Vergleich zum Vorjahreszeitraum (r.).
Die Weiterleitungszahlen im Überblick:
Durchschnittlich werden die Inhalte des Telegram-Kanals CompactMagazin 664 Mal pro Monat von anderen Kanälen aus dem rechtsalternativen und verschwörungsideologischen Spektrum weitergeleitet.
Weiterleitungen aus dem Telegram-Kanal CompactMagazin haben im Vergleich zum Vorjahr in folgenden Milieus zugenommen: bei der populistischen Rechten (+85%), bei Kanälen rund um QAnon (+126%), bei Kanälen aus dem Querdenken-Milieu (+81%) und bei Anti-Konsens-Gruppen (+45%).
Deutlich auf Distanz gegangen sind hingegen die Neuen Rechten (-82%). Diese Entwicklung ist allerdings schon seit März 2024 zu beobachten.
Solidarität auf kleinstem gemeinsamen Nenner
Offenbar hat das Verbotsverfahren eine gewisse Wagenburg-Mentalität in der rechtsalternativen Szene gefördert, die vielfach ihre Solidarität mit dem Magazin bekundete. Dieser Umstand wiegt umso mehr, wenn man bedenkt, dass Elsässer und sein Projekt in jener Szene durchaus nicht unumstritten sind, wie etwa an der schon länger zu beobachtenden Distanzierung des neurechten Milieus zu erkennen. Die breite Unterstützung für Compact dürfte vor allem darauf gründen, dass das Verfahren in der Szene als Angriff auf die Presse- und Meinungsfreiheit wahrgenommen wird, als den Elsässer es auch skandalisierte. Compact-Nachrichten über staatliche Repression und eine drohende Zensur stießen schon vor dem eigenen Verbot auf starke Resonanz – so etwa im Fall von Oliver Janich, bei Verfahren wegen Beleidigungen von PolitikerInnen oder mit Blick auf eine angenommene Unterdrückung von Informationen durch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk.
So überrascht es auch nicht, dass Elsässer sich und sein Magazin als Freiheitskämpfer inszeniert. In einem Interview nach der Urteilsverkündung stellte er sich letztlich gar in eine Reihe mit Rudolf Augstein und dem Spiegel-Urteil von 1966. Schon vor dem Prozessbeginn hatte Compact eine gemeinsame Erklärung rechtsalternativer Medien „gegen Zensur“ veröffentlicht, unterzeichnet u.a. von Deutschland-Kurier, AUF1, Journalistenwatch und PI-News. Darin beklagen die UnterzeichnerInnen nichts weniger als den Tod der Presse- und Meinungsfreiheit und schwadronieren darüber, dass die EU-BürgerInnen auf Kurs des Establishments gebracht werden sollten.
Elsässers Inszenierung als Kämpfer für Meinungs- und Pressefreiheit verfängt offensichtlich – und das unabhängig davon, wie man Compact inhaltlich gegenübersteht. So schrieb etwa die AfD-Fraktion im Landtag Brandenburg auf ihrem Telegram-Kanal: „Was uns mit Compact verbindet? Jeder von uns kämpft für die Meinungsfreiheit! Deshalb ist der Prozess gegen das Verbot des Magazins durch Nancy Faeser von der SPD ein Dienst an der Gemeinschaft.“ Da die AfD selbst im Mai 2025 vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextremistisch eingestuft wurde und ein mögliches Verbotsverfahren gegen die Partei diskutiert wird, liegt es nahe, dass der rechte Rand, als deren Sammlungsbewegung die Partei dient, ein übergeordnetes Interesse an dem Verfahren hat.
Auch aus der Telegram-Kommunikation rund um das Compact-Verfahren, die wir inhaltlich analysiert haben, wird jenes übergreifende Interesse deutlich. Den größten Teil dieser Posts machen aktuelle Statusmeldungen zum Prozessgeschehen aus, die ohne Wertung weitergeleitet wurden (38 Prozent). Fast jede fünfte Nachricht (19 Prozent) sah im nicht anfechtbaren Urteil des Bundesverwaltungsgerichts einen Grund zur Freude oder feierte es als Sieg der Meinungs- und Pressefreiheit, darunter auch Glückwunsche, die Elsässer persönlich zum Fortbestehen von Compact gratulierten. Weitere Beiträge aus dieser Kategorie interpretierten das Urteil positiv vor dem Hintergrund der viel diskutierten Möglichkeit eines Verbotsverfahrens gegen die AfD. Sie entsprechen der Einordnung von Elsässer persönlich, der nach der Verhandlung verkündete: „[W]enn es unmöglich war, Compact zu verbieten, ist es auch unmöglich, die AfD zu verbieten.“
Inhaltsanalytische Auswertung Compact-bezogener Nachrichten.
Spuren eines Richtungsstreits
Die Elsässer’sche Sichtweise auf das Urteil wird allerdings auch im eigenen Dunstkreis infrage gestellt. Dort zeigen sich auch weniger euphorische Stimmen, die mahnend auf die Begründung des Gerichts eingehen (sechs Prozent). In diesen Nachrichten ist etwa die Rede von einem „Sieg mit etwas fadem Beigeschmack“. Gemeint sein dürfte damit, dass das Gericht weder ein Verbot über das Vereinsgesetz grundsätzlich ablehnte noch die Aktivitäten von Compact als klar verfassungskonform einordnete; die verfassungswidrigen Inhalte hätten lediglich nicht die Schwelle des prägenden Charakters überschritten. Diese beiden „Wermutstropfen“ räumte später auch Elsässer in seiner Bilanz zum Prozess ein.
Insbesondere die juristische Bewertung des Remigrationskonzepts, wie es von Martin Sellner, dem ehemaligen Sprecher der Identitären Bewegung (IB), propagiert wird und nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts von Compact adaptiert wurde, ist über den Fall Compact hinaus relevant. So übermittelte der AfD-Bundestagsabgeordnete Maximilian Krah seine Glückwünsche an Elsässer, gab aber auch zu verstehen, man müsse die rechtliche Argumentation gut auswerten, da sie eine Grenze auch für die AfD-Aktivitäten markiere. Erst im vergangenen Jahr war Krah vom Oberverwaltungsgericht Münster vorgeladen worden, um dort seinen Volksbegriff darzulegen. In diesem Prozess wies das Gericht die Berufung der AfD zurück und erklärte damit die Einstufung der AfD als rechtsextremistischen Verdachtsfall durch den Verfassungsschutzes für zulässig.
Krah gehört zu den Stimmen, die vor möglichen Repressalien warnen, die im Raum stehen, wenn die formale Gleichheit der StaatsbürgerInnen infrage gestellt wird. Konkret mahnte er die Bundestagsfraktion der AfD an, auf Distanz zu Sellners Ideen zu gehen, die seines Erachtens zu einem Verbot der IB führen dürfte. Stattdessen plädiert er für eine Revision bzw. Eingrenzung des Remigrationskonzepts, nach der deutsche StaatsbürgerInnen explizit ausgeklammert sind – ähnlich wie es auch im Bundestagswahlprogramm der Partei formuliert wurde. Für Deutsche mit Migrationshintergrund befürwortet er das Prinzip der Segregation – also deren lokale Konzentration und Ausgrenzung. Auch wenn solch tiefgreifende Szenedebatten anderswo ausgetragen werden, zeigen die analysierten Nachrichten, dass die Diskussion rund um die Auslegung des Remigrationskonzepts und des dazugehörigen Volksverständnis mit acht Prozent aller geteilten Nachrichten im Datensatz durchaus präsent sind.
Ob man Krahs Position, mit der die durchaus radikale Vorstellung einer Art Ghettoisierung einhergeht, wirklich als „gemäßigte Linie“ einstufen sollte, sei dahingestellt. In jedem Falle stößt sie in Teilen der Szene auf Ablehnung, zum einen, weil sie als Verwässerung begriffen wird, zum anderen, weil dies der staatlichen Repression Vorschub leiste. Auch Elsässer, der sich im Verhandlungssaal von Sellners Konzept zu distanzieren versuchte und besonders radikale Äußerungen als polemische Spitzen relativierte, handelte sich, wenn auch in kleinerem Maße, Kritik ein. So missbilligen zwei Prozent der untersuchten Nachrichten jene Distanzierung, etwa weil sie ein Verrat an der patriotischen Sache seien.
Zwischen Solidarität und Spaltung
Staatliche Repression kann in sozialen Bewegungen unterschiedlich wirken. Das wissen wir aus der Bewegungsforschung, in der dieses Problem vielfach behandelt wurde. Festgestellt wurde etwa, dass Repression zu Solidarisierung und/oder Mobilisierung führen kann. Die Solidarität kann direkt sein – d.h. es wächst die Sympathie und Identifikation mit den Betroffenen und ihren Inhalten – oder indirekt: Man hat zwar Differenzen mit den Betroffenen, sieht in ihnen aber ein Symbol des Widerstands gegen staatliche Maßnahmen, die man verurteilt. Beides kann dazu führen, dass die Bewegung verbreitert wird und Ressourcen für die Betroffenen oder gegen den Staat mobilisiert werden.
Das gilt auch für die extreme Rechte, wie wir im Fall von Compact sehen. Zweifellos konnte sich das Magazin im Verfahren als Staatsfeind inszenieren und seine Reichweite steigern. Entsprechend lassen sich in der analysierten Kommunikation auf Telegram Solidarisierungseffekte feststellen, sowohl der direkten als auch der indirekten Art. Wobei letzteres zu überwiegen scheint: Wie aufgezeigt, sahen viele hier vor allem die Presse- und/oder Meinungsfreiheit durch einen „Zensur-Staat“ bedroht, weshalb man dem Magazin Unterstützung zukommen ließ; mit einer inhaltlichen Kongruenz ging das nicht unbedingt einher. Dafür, dass die Szene ein eher ambivalentes Verhältnis zum Magazin pflegt, spricht auch, dass der Fall zu keiner weitergehenden Mobilisierung führte.
Gleichwohl hat die Bewegungsforschung auch festgestellt, dass Repression nicht zwangsläufig mehr Einigkeit in einer Bewegung stiftet. Während in manchen Fällen Differenzen in weltanschaulichen und strategischen Fragen unter dem Eindruck von Repression in den Hintergrund treten, brechen sie in anderen Fällen auf. Mitunter können sie zur Spaltung einer Bewegung führen. Immerhin stellt das eine solche vor richtungsweisende strategische Fragen – Konfrontation oder Deeskalation, Radikalisierung oder Mäßigung? –, die zu internen Spannungen führen.
Auch solche Tendenzen lassen sich am rechten Rand feststellen, wo in den Diskussionen rund um das Compact-Verfahren strategische Bruchstellen aufscheinen. Sie stehen im breiteren Kontext eines möglichen AfD-Verbots, bei dem ebenso wie bei Compact das Verhältnis zum Remigrationskonzept eine zentrale Rolle spielt. Ob und inwiefern das Verfahren etwaige Differenzen verstärkt hat, lässt sich allerdings nur schwer bewerten. Dass Elsässer unter dem Druck auf Abstand zu Sellner gehen musste, den er nach der Verhandlung – offenbar zwecks Schadensbegrenzung – als „Rudi Dutschke von Rechts“ bauchpinselte, ist zumindest naheliegend. Das spricht für eine katalysierende Funktion.
Eine knirschende Wagenburg
Andererseits ist auch denkbar, dass die Wagenburg-Mentalität bestehende Differenzen zeitweise sogar überlagert hat. Dass in die Debatte auch andere Motive mindestens mit hineinspielen, zeigt sich etwa daran, dass sich Krah schon länger mit einer eigenen Linie in Sachen Migration zu profilieren versucht – und dabei machtpolitisch wie auch ideologisch argumentiert. Denkbar ist also auch, dass er ein drohendes AfD-Verbot, auf das man aus dem Compact-Urteil Rückschlüsse ziehen kann, als Hebel nutzt, um seine Position argumentativ zu stärken. Dazu passt, dass Sellner selbst auf Telegram behauptete, Krah würde die Urteilsbegründung als Druckmittel gegen ihn in Stellung bringen.
Fakt ist jedenfalls, dass in AfD-Kreisen Bemühungen einer Mäßigung sichtbar sind, wie etwa auch am kürzlich beschlossenen Verhaltenskodex der Bundestagsfraktion zu sehen. Ob dies nun durch den Druck drohender Repression oder anders motiviert ist – die Bruchstellen im Mosaik der extremen Rechten sind real. Darauf deutet auch Götz Kubitscheks Rede auf dem Sommerfest des Antaios-Verlags hin, in der er die Aufgabenteilung zwischen Vorfeld und Partei betonte: Die außerparlamentarischen Gruppen müssten ihre Radikalität nicht der Parteiräson beugen, die anderen politischen Zwängen folge. Man kann das als Versuch lesen, die Bruchstellen präventiv mit einem Kitt zu überziehen.
Dass es nun an den Bruchstellen ein gesteigertes öffentliches Interesse gibt, mag sicherlich mit der Hoffnung zu tun haben, der repressive Druck könnte sie zu echten Brüchen werden lassen: zu einem Richtungsstreit, der die AfD bzw. die extreme Rechte schwächt – oder zumindest die radikaleren Stimmen einhegt. Nicht vergessen sollte man dabei aber – auch das lehrt uns die Bewegungsforschung –, dass die Antwort auf derlei Druck selten einförmig ist. So mag ein Teil der Bewegung sich mäßigen oder gar zurückziehen, ein anderer hingegen sich weiter radikalisieren. Insofern muss eine Spaltung, auf die staatliche Repression häufig abzielt, nicht unbedingt eine Schwächung des Extremismus bedeuten. Es kann auch zur weiteren Aktivierung radikaler Positionen führen.
Den ganzen Beitrag gibt es nachzulesen bei Machine Against the Rage.
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