BILD: Will Bojanowski mehr Tote durch Sturmfluten?

Die menschengemachte Klimakrise wird in den nächsten Jahrzehnten unzählige Menschenleben fordern – sei es durch Hitze, Unwetterereignisse oder auch Überschwemmungen. Während die Aufgabe von globaler Wirtschaft und Politik weiterhin vor allem die Senkung der Treibhausgasemissionen ist, sind gerade die Menschen in küstennahen Gebieten dazu gezwungen, sich mit technischen Vorkehrungen darauf einzustellen, dass der Meeresspiegel ansteigt und Sturmfluten in den nächsten Jahrzehnten immerwahrscheinlicher undzerstörerischer werden.

Eine zentrale Rolle spielt dabei die Klimaforschung. Dank deren Modellrechnungen können sich Menschen in betroffenen Gebieten gezielt auf die Veränderungen vorbereiten. Deiche können entsprechend ausgebaut werden, selbst technischeRiesenprojekte wie die Deltawerke in den Niederlanden können gezielt umgesetzt werden. Doch gerade das Beispiel der Deltawerke zeigt auch, dass es in der Vergangenheit immer erst zur Katastrophe kommen musste, bevor das Umdenken einsetzte. Auch deswegen hat sich der Fokus in den letzten Jahrzehnten dazu verlagert, bereits im Vorfeld zu warnen. Dadurch müssen wir nicht warten, bis die Sturmflut tausende Menschenleben kostet, sondern können davor tätig werden. Oder, wie Axel Bojanowski es in der BILD nennt: „Panikmache“. Was man eben so schreibt, wenn man ein Buch zu verkaufen hat.

Hollandsturmflut 1953: Die Katastrophe, die Bojanowski nicht kennt

Die Niederlande kann vom Thema Meeresspiegelanstieg ein Lied singen. Rund ein Viertel des Landes liegt unter dem Meeresspiegel – das weiß sogar die WELT. Dass die Niederlande ein dicht besiedelter Staat und kein Wattenmeer sind, ist allein den umfangreichen Flutschutzmaßnahmen zu verdanken. Dabei gibt es dort Landgewinnungsmaßnahmen und Deiche schon seit Jahrhunderten. Allerdings brauchte es erst eine echte Katastrophe, die den Startschuss für die moderne Infrastruktur zum Küstenschutz gab. Das war die Hollandsturmflut von 1953.

In der Nacht auf den 1. Februar 1953 drangen gewaltige Wassermassen von der Nordsee her in die Niederlande ein. Zahlreiche Deiche brachen, viele Inseln, vor allem in der flachen Provinz Zeeland, standen unter Wasser. Die Niederlande lernten daraus, die Flut von 1953 war die Initialzündung für den Delta-Plan, eine Kombination aus massiven Sperrwerken, Fluttoren und Schleusen. Außerdem wurden die Deiche nochmals erhöht . Und zwar nicht auf die bisher genutzte Maximalhöhe vorheriger Sturmfluten (denn das hatte sich ja als zu niedrig erwiesen), sondern auf mit statistischen Modellen berechnete Höhen, die einen Puffer enthalten. Die Maßnahmen sind bis heute wirksam, doch sie wurden zu einem bitteren Preis erkauft. Über 1.800 Menschen starben allein in der Sturmflut im Januar/Februar 1953.

Doch bei der BILD kennt man diesen historischen Hintergrund offenbar nicht – oder ignoriert ihn bewusst, um Desinformation zu verbreiten. So bezeichnete Axel Bojanowski, den Volksverpetzer-Gastautor Jan Hegenberg schon einmal eines peinlichen Rechenfehlers überführte, solche Modelle als “Panikmache”, denn “der beliebteste Weltuntergang verkaufe sich eben besonders gut” – um unmittelbar danach Werbung für sein Buch einzublenden. Keine Pointe.

Wie False Dilemma Klimaschutz gegen Prävention ausspielt

Ja, es ist mal wieder Axel Bojanowski. Der sogenannte “Chefreporter Wissen(schaft)” der WELT, dessen Thesen bei Volksverpetzer schon mehrfach widerlegt wurden, hat mittlerweile seinen Weg gefunden, sich in die großen deutschen Talkshows einzuschleichen. Er leugnet nicht die menschengemachte Klimakrise, sondern nutzt seine ganz eigene Variante des False Dilemma. Dabei handelt es sich um eine Desinformationstechnik, die fälschlicherweise annimmt, es gebe zwei entgegengesetzte Optionen und man müsse zwingend nur eine wählen, deren Verwendung die andere ausschließt.

In diesem Fall sind die beiden Optionen die Anpassung an Klimafolgen (wie Sturmfluten) sowie politischer Druck auf die Regierungen, Klimaschutz als Priorität zu behandeln (was in rechts-konservativen Kreisen gern als “Panikmache” abgeräumt wird, obwohl Modelle in der Vergangenheit die Gefahren sogar eher noch unterschätzt haben). Für Expert:innen und auch die meisten Menschen ist offensichtlich, dass wir beides machen müssen. Nämlich den Klimawandel bekämpfen und uns dennoch an seine Auswirkungen anpassen. 

Doch wie gesagt: So viel Komplexität, dass man zwei Dinge gleichzeitig machen kann, hält man bei der Axel-Springer-Presse offenbar nicht aus. Deswegen betont Bojanowski (richtigerweise!) die Bedeutung von Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel – und impliziert dabei (fälschlicherweise!) dass deswegen der politische Druck auf die Regierungen sinnlose “Panikmache” sei. 

Besonders gern nimmt Bojanowski dabei die Niederlande als Beispiel. Der oben erwähnte Delta-Plan ist sein Lieblingsargument. Da habe man schließlich ganz sachlich, nüchtern und unaufgeregt ein technisches Wunderwerk geschaffen, mit dem man sich vor der Sturmflut schützt – statt, so impliziert zumindest der Hollandflutleugner Bojanowski, der “Panikmache” zu folgen, die jetzt der “Mainstream” sei. Dass dieser Fortschritt zum Preis von über 1.800 Menschenleben erkauft werden musste, davon ist natürlich nicht die Rede.

Besonders empört zeigen sich BILD und Bojanowski dagegen von einer Analyse der amerikanischen Organisation Climate Central 2021. Die haben ein hervorragendes Tool online gestellt, mit dem man auf einer interaktiven Weltkarte genau einsehen kann, in welchem Jahr unter welchen Klimabedingungen welche Teile der Welt überflutet sein werden. Das Tool ist wichtig, um betroffenen Regionen eine Risikoeinschätzung zu erleichtern. So können zum Beispiel Bojanowskis geliebte Niederländer:innen damit abschätzen, unter welchen Bedingungen wann welche Teile ihres Landes von Überschwemmung bedroht sind. 

Das Tool ist aber natürlich auch ein wichtiges Mittel um Druck auf die Politik zu machen. Es zeigt eindrucksvoll und konkret, wer sich Sorgen machen muss und Spoiler: Es sind viele Millionen Menschen allein in den Küstenmetropolen. Das passt WELT und BILD natürlich gar nicht. Schließlich denkt bei so einem Tool niemand an die Interessen von armen fossilen Investoren wie KKR, denen bis vor kurzem Teile des Axel-Springer-Verlags gehörten!

Auch Deutschland lernte Sturmflut-Gefahr auf die schmerzhafte Art

Für alle anderen Menschen, also diejenigen, die weder von Klima- und Umweltzerstörung profitieren, noch Klimapolitik blockieren wollen, um ihr Buch zu verkaufen, ist es aber sehr relevant, dass die Politik auf Alarmsignale aus der Wissenschaft hört. 

Übrigens: Auch in Deutschland gab es eine ähnliche Sturmflut wie 1953 in den Niederlanden. Es handelt sich um die Sturmflut von 1962. Auch hier kam der Sturm über Nacht, allein in Hamburg starben über 300 Menschen, Tausende wurden obdachlos. Grund dafür war aber nicht allein die Gewalt der Natur. Die Sturmflut offenbarte auch massive Defizite im Küstenschutz, mit einer solchen Zerstörungskraft hatte niemand gerechnet. 

Doch man lernte aus der Sturmflut und es war gerade der politische Druck, der zu einer Verbesserung der Vorwarnsysteme (ist eigentlich auch das “Panikmache”?) und Ausbesserung sowie Erhöhung der Deiche führte, sodass 1976 eine erneute Sturmflut mit noch höheren Pegelständen zumindest in Hamburg kein einziges Todesopfer mehr forderte. Und das, obwohl bei St. Pauli der höchste jemals gemessene Pegel notiert wurde. 

Sicherlich stand bei den Deicharbeiten in den Niederlanden der 50er Jahre auch irgendwo ein Herr B. daneben und meckerte die Wissenschaftler:innen voll, die, basierend auf statistischen Modellen („Panikmache“), die Deiche erhöhten. Und bestimmt stand dessen Hamburger Cousin später an der Deichbaustelle in Finkenwerder und murmelte etwas von “unnötiger Steuergeldverschwendung”, als die Deiche dort ausgebaut wurde und noch ein Meter Puffer für ungewöhnlich hohe Wellen aufgeschlagen wurde. Doch das waren dann verwirrte Eigenbrötler, die Gesellschaft hat nicht auf sie, sondern auf die Wissenschaft gehört. Und damit Hamburg 1976 und die Niederlande wohl unzählige Male vor der nächsten Katastrophe geschützt.

Auch dank Klimawissenschaft: Sturmflut-Schutz heute ohne tausende Tote möglich

Der Unterschied ist heute: Diese Eigenbrötler haben eine Plattform, die größte Plattform der deutschen Medienlandschaft sogar. Die Wissenschaft mahnt weiterhin mit ihren Modellen, dass wir nicht gut genug vorbereitet sind. Doch anders als in den Niederlanden in den 1950er Jahren, als unumstritten war, dass die Modelle Grundlage des Ausbaus sein würden, werden diese heute reichweitenstark als “Panikmache” abgetan. Dabei ist es ein Beleg für den wissenschaftlichen Fortschritt, dass wir heute schon das Wissen haben, mit dem wir künftige Katastrophen verhindern können. Ohne dass sie erst eintreffen müssen.

Es kann sein, dass sich die öffentliche Meinung erst nach der nächsten vermeidbaren Katastrophe ändert. Doch das würde wieder Menschenleben und weitreichende Zerstörung kosten. Ein bitterer Preis, den wir vermeiden könnten, wenn wir statt auf WELT und BILD tatsächlich wieder auf die Klimaforschung hören, auch wenn deren Prognosen uns vielleicht Angst machen. Sonst müssen wir dem bitteren Lied der Niederlande von 1953 und der Hamburger Sturmflut von 1962 noch viele weitere Strophen hinzufügen. Denn Leute wie Bojanowski lernen offenbar nur aus der Katastrophe.

Übrigens: Selbst die Delta-Werke, das Vorzeigekind der Klimaanpassung, sind “nur” für einen Meeresspiegelanstieg von 40 cm vorgesehen. Manche Expert:innen rechnen bis Ende des 21. Jahrhundert mit bis zu 2 Metern. Die Niederlande müssen sich also entscheiden, ob sie das als “Panikmache” abtun, bis die nächste Hollandsturmflut kommt. Oder auf die Wissenschaft hören und sich gerade wegen der “Panikmache” daran anpassen. 

Artikelbild: gemeinfrei

Zur Quelle wechseln

#bojanowski #durch #sturmfluten

„Sturmfluten sind häufiger und höher geworden“

In diesem Sommer geht es für viele Menschen nicht an die Strände Südeuropas, sondern nach Norddeutschland. Dort, wo die anderen Urlaub machen, arbeitet Insa Meinke. Sie leitet das Norddeutsche Küsten- und Klimabüro am Helmholtz-Zentrum Geesthacht und erforscht, wie sich der Klimawandel speziell in der Region auswirkt.

Helmholtz KLIMA

Zahlen, die einen extremen Anstieg von Gewalttaten durch Zuwanderer zeigen sollen, sind falsch

Dieser Artikel stammt von CORRECTIV.Faktencheck / Zur Quelle wechseln

Hinweis: In diesem Beitrag geht es unter anderem um Fallzahlen zu sexualisierter Gewalt. Es werden keine konkreten Fälle besprochen oder Details genannt.

Schwere Gewalttaten wie Mord, Vergewaltigung und Körperverletzung seien seit 2014 extrem gestiegen, behaupten Nutzerinnen und Nutzer in Sozialen Netzwerken immer wieder. 2018 hätten sich die Zahlen in Deutschland, im Vergleich zu 2014, um das vier- bis siebenfache erhöht. 2023 seien die Straftaten, ebenfalls im Vergleich zu 2014, sogar um bis zu 7.000 Prozent gestiegen. Das würde bedeuten: Auf eine Körperverletzung im Jahr 2014 kämen 2023 knapp 70 Körperverletzungen.

Diese Behauptung verbreitet sich besonders mithilfe eines Bildes auf Facebook, Instagram, Tiktok und auf der Plattform X. Angeblich stammen die Zahlen aus der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) des Bundeskriminalamts. Das Bild teilten unter anderem Unterstützer der AfD, einzelne AfD-Kreisverbände und der Berliner AfD-Landtagsabgeordnete Harald Laatsch. Auf Nachfrage bei einigen Verbreitern erhielten wir keine Antwort. Lediglich der AfD-Kreisverband Darmstadt-Dieburg schrieb uns, dass der Beitrag „ohne ausreichende Prüfung“ veröffentlicht und inzwischen gelöscht wurde.

Diese Zahlen sind aus den Bundeslagebildern des Bundeskriminalamts (BKA) falsch entnommen (Quelle: X; Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Mehrere Dutzend Leserinnen und Leser baten uns per Whatsapp, die Zahlen zu prüfen. Unsere Recherche zeigt: Die Angaben auf dem Bild sollen Straftaten mit mindestens einem zugewanderten Tatverdächtigen widerspiegeln, doch die meisten Zahlen sind falsch oder erfunden. Außerdem sollte man wissen, dass die meisten Fälle aus der PKS strafrechtlich nicht weiterverfolgt werden, weil es sich eben um Verdachtsfälle handelt.

Falsche Zahlen sollen Stimmung gegen Geflüchtete machen 

Einzelne Kommentare unter den Beiträgen lassen erahnen, welches Narrativ hinter der Behauptung steckt. Den Verbreitern geht es wohl nicht allein um den angeblich starken Anstieg der Gewalttaten, sondern darum, dass Zuwanderer dafür verantwortlich sein sollen, die im Zuge der sogenannten „Flüchtlingskrise“ nach Deutschland gekommen sind.

So schreibt der AfD-Kreisverband Offenbach-Land: „Zur Erinnerung, verantwortlich dafür sind Angela Merkel mit ihrer CDU, Die Grünen und die SPD.“ In einem Facebook-Beitrag fordert jemand: „Remigration aller Auffälligen sofort.“ In einem Tiktok-Beitrag heißt es: „Schaut selber, wie die Straftaten gestiegen sind, seit wir diese Goldstücke im Land haben!“ Begriffe wie „Goldstück“ und „Remigration“ haben sich vor Jahren in der rechten Szene etabliert, um Geflüchtete oder Menschen mit Migrationshintergrund herabzusetzen.

Einen Teil der angeblichen PKS-Zahlen hat CORRECTIV.Faktencheck schon 2019 geprüft: Damals kursierte ein Bild, das sehr ähnliche Zahlen für 2014 und 2018 zeigen sollte. Schon diese Darstellung war wegen falscher Bezeichnungen der Straftaten irreführend und die Daten grundsätzlich nicht vergleichbar.

Die Falschbehauptung über angeblich massiv gestiegene Gewalttaten seit 2014 in Deutschland (rechts) verbreitete sich schon 2019 (links) in ähnlicher Form (Quelle: Facebook; Screenshot und Collage: CORRECTIV.Faktencheck)

Zahlen beziehen sich auf tatverdächtige „Zugewanderte“ – Personengruppe inzwischen anders definiert als 2014

Bereits 2019 war klar: Die PKS-Zahlen beziehen sich nicht auf verurteilte Straftäter, sondern auf Tatverdächtige. Sie spiegeln damit die Tätigkeit der Polizei wider, „also gegen wen die Polizei Ermittlungen aufgenommen hat“, sagte gegenüber dem Mediendienst Migration Gina Rosing Wollinger, Professorin für Kriminologie und Soziologie an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung NRW. Der vermeintliche Anstieg der Fallzahlen sagt also nichts Eindeutiges darüber aus, ob es auch wirklich mehr Straftaten gab.

Die Daten von 2014 und 2018 stehen zwar im Bundeslagebild des Bundeskriminalamtes (Download, PDF), einem Übersichtspapier mit ausgewählten Zahlen aus der PKS, können aber nicht sinnvoll miteinander verglichen werden. Das BKA erklärte im Bundeslagebild 2017 selbst (Download, PDF), dass die Definition von Zugewanderten verändert wurde, sodass die Statistik für das Jahr 2017 eine deutlich größere Personengruppe betrachte.

Seit 2017 fallen auch Asylsuchende mit positiv abgeschlossenen Verfahren unter die „Zuwanderer“ – zuvor waren sie in einer anderen Kategorie aufgeführt.

Die Zahlen aus 2018 sind mit den Zahlen aus 2014 nicht vergleichbar, weil sich die Definition von tatverdächtigen Zugewanderten in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) geändert hat (Quelle: Bundeskriminalamt; Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Zum Verständnis: Fallen mehr Menschen in die Statistik, steigt laut Fachleuten in der Regel auch die Anzahl der Vergehen. Es ist also wichtig, den Kontext solcher Zahlen zu berücksichtigen.

Zahlen sind aus Bundeslagebildern größtenteils falsch entnommen

Darüber hinaus sind die Zahlen nicht korrekt den Kategorien zugeordnet, weder im Bild von 2019 noch im aktuellen. Dadurch sehen die Zahlen höher aus, als sie es in der Realität sind. Der Straftatbestand „Vollendeter Mord und Totschlag“ ist eigentlich eine Unterkategorie der „Straftaten gegen das Leben“.

Das heißt für das Jahr 2018: Die angeblich 430 Tatverdächtigen mit Straftatbestand „Vollendeter Mord und Totschlag“ sind in Realität 430 Personen, die verdächtigt wurden, „Straftaten gegen das Leben“ begangen zu haben. Darunter fallen beispielsweise auch Schwangerschaftsabbrüche und fahrlässige Tötung. In Realität beläuft sich die Zahl der Tatverdächtigen für Mord und Totschlag auf 405 Personen.

Auch beim Straftatbestand „Körperverletzung“ wird dieser Trick angewandt: Die Zahlen für 2014 und 2018 beziehen sich auf „Rohheitsdelikte und Straftaten gegen die persönliche Freiheit“, also die Oberkategorie, unter die neben Körperverletzung zum Beispiel auch Fälle von Bedrohung und Nötigung fallen. Statt angeblich rund 73.000 Tatverdächtigen in 2018, wurden in der Realität etwa 54.500 Personen der Körperverletzung beschuldigt.

Die Zahl von 6.046 „sexuellen Übergriffen“ aus der Behauptung, findet sich auch so im Bundeslagebild, allerdings heißt die Kategorie dort „Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung“. Auch hier ist ein Vergleich zwischen 2014 und 2018 aber nicht sinnvoll, denn seit der Strafrechtsreform 2016 fallen mehr Straftaten in diese Kategorie. Im Bundeslagebild 2018 steht ein entsprechender Hinweis auf der gleichen Seite wie die Zahlen.

Zahlen für 2023 sind erfunden, Bundeslagebild weist niedrigere Zahlen aus

Während also die Zahlen für 2014 und 2018 größtenteils falsch aus dem Bundeslagebild des BKA entnommen wurden, gibt es für die Zahlen aus 2023 keine Belege. Sie tauchen nicht im Bundeslagebild beziehungsweise in der Polizeilichen Kriminalstatistik auf. Mit anderen Worten: Die Zahlen sind erfunden und viel zu hoch.

Wie die tatsächlichen Zahlen in den richtigen Kategorien aussehen, zeigt diese Grafik:

Das heißt, im Jahr 2023 gab es – im Vergleich zu 2018 – sogar einen Rückgang der Straftaten gegen das Leben, an denen mindestens ein „zugewanderter Tatverdächtiger“ beteiligt gewesen sein soll. Ansonsten ist es zwar richtig, dass die Anzahl solcher Straftaten gestiegen sind, doch nicht in dem Ausmaß wie behauptet.

Zahl der Straftaten mit zugewanderten Tatverdächtigen sind – gemessen an allen Straftaten – gering

Für die hier betrachteten Delikte gilt: Der Anteil der Fälle, bei denen Zugewanderte verdächtigt wurden, liegt bei nur etwa 4 bis 14 Prozent. Das bedeutet, in den Jahren 2014, 2018 und 2023 gab es stets deutlich mehr Taten, bei denen kein Zugewanderter tatverdächtig war.

Weil pro Fall jedoch mehrere Personen tatverdächtig sein können, ist diese Betrachtung nur bedingt aussagekräftig. Mit Blick auf die PKS und die Zahl der Tatverdächtigen zeigt sich: Für die hier besprochenen Verbrechen in allen drei Jahren waren die Tatverdächtigen mehrheitlich Deutsche, also Personen mit deutscher Staatsbürgerschaft.

Die Quote der nichtdeutschen Tatverdächtigen, worunter Zugewanderte, aber auch alle anderen Personen ohne deutschen Pass fallen, liegt im Jahr 2023 bei den „Straftaten gegen das Leben“ bei 38 und bei „Rohheitsdelikten“ bei etwa 37 Prozent. Nichtdeutsche machen unter den Verdächtigen für „Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung“ etwa 28 Prozent aus.

Nichtdeutsche sind für das BKA Zugewanderte oder Ausländer, aber auch Touristen und Grenzpendler. Die konkreten Definitionen des BKA nennen wir im Folgenden:

PKS kann nichts über tatsächliche Täter aussagen, nur über Tatverdächtige 

An der PKS und ihrer Interpretation gibt es immer wieder Kritik.

Martin Rettenberger, Direktor der Kriminologischen Zentralstelle, sagt dazu uns gegenüber: „Aus meiner Sicht ist die PKS keine geeignete Grundlage, um einen Zusammenhang zwischen Migration/Flucht und Kriminalitätsgeschehen zu überprüfen.“ Die PKS sei eine „wichtige statistische Quelle“, für Aussagen über einen kausalen Zusammenhang sei sie aber nicht geeignet.

Auch Dietrich Oberwittler, Gruppenleiter am Max-Planck-Institut zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht, sagt: „Die PKS darf nicht als reales Abbild der Wirklichkeit gesehen werden“. Aber auch: „Die PKS ist grundsätzlich eine wichtige Informationsquelle zur Kriminalitätslage.“ Seiner Meinung nach gebe es durchaus verfälschende Aspekte, wie höhere Anzeigebereitschaft, die unter anderem zu einer Überrepräsentation von Personen mit Migrationshintergrund in der Statistik führe.

Beide Experten weisen darauf hin, dass die Gewaltkriminalität langfristig nicht etwa steigt, sondern zurückgeht. Beide Experten sprechen hierbei übergreifend von „westlichen“ oder „entwickelten“ Gesellschaften, nicht nur von Deutschland. Sexuelle Gewalt etwa steige in den letzten Jahren in der Statistik vor allem durch gesetzliche Ausweitungen der Strafbarkeit und „die deutlich gestiegene Sensibilität […] von jungen Frauen“, so Oberwittler.

Desinformation zu Kriminalität ist ein bekanntes Narrativ gegen Geflüchtete

Die Polizeiliche Kriminalstatistik wird immer wieder für Desinformation gegen Geflüchtete herangezogen. Wenn überhaupt echte Zahlen zitiert werden, dann häufig aus dem Kontext gerissen oder ohne notwendige Einordnung. Im August 2024 behauptete beispielsweise der österreichische Sender Auf1, Messerattacken von migrantischen Personen hätten „Hochkonjunktur“. Wie wir in einem Faktencheck dazu erklärten, ist der Fall der Gleiche: Die von Auf1 genannten Zahlen stammen teilweise aus der PKS, sind jedoch nicht miteinander vergleichbar. Wie ein Sprecher des BKA erklärte: Messerkriminalität wird erst seit Anfang 2024 flächendeckend einheitlich erfasst.

Auch ohne Bezug zur PKS wird Geflüchteten in Deutschland häufig besonders kriminelles Verhalten unterstellt. So sprach beispielsweise Bundeskanzler Friedrich Merz vor der Bundestagswahl 2025 von „täglichen Gruppenvergewaltigungen“ von Asylbewerbern in Deutschland. Wir haben die Behauptung überprüft und fanden dafür keine Belege.

Fazit: Die in der Behauptung aufgeführten Zahlen beziehen sich auf „zugewanderte“ Tatverdächtige. Die meisten Zahlen stammen aus den Bundeslagebildern des BKA, die auf Daten der PKS beruhen. Andere Zahlen sind jedoch erfunden. Korrekte Zahlen wurden größtenteils falsch den Kategorien zugeordnet. Das Bild, das dadurch gezeichnet wird, ist falsch. Die Zahl der Straftaten mit „zugewanderten“ Tatverdächtigen in den Kategorien Straftaten gegen das Leben, gegen die sexuelle Selbstbestimmung und Rohheitsdelikte sind von 2014, zu 2018, zu 2023 zwar gestiegen, jedoch in viel geringerem Ausmaß und aufgrund veränderter Definitionen nicht vergleichbar.

Redigatur: Kimberly Nicolaus, Sarah Thust

Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:

  • Polizeiliche Kriminalstatistik 2023, Bundeskriminalamt: Link (archiviert)
  • Bundeslagebild Kriminalität im Kontext von Zuwanderung 2023: Link (archiviert)
  • Bundeslagebild Kriminalität im Kontext von Zuwanderung 2018: Link (archiviert)
  • Statistik „Bevölkerung nach Nationalität und Geschlecht 1970 bis 2023 in Deutschland“, Statistisches Bundesamt, 14. Juni 2024: Link (archiviert)

Zur Quelle wechseln
Author: Sara Pichireddu

#anstieg #durch #einen #extremen #gewalttaten #zahlen #zuwanderer

Österreich: Internationale Rechtsextreme marschieren durch Wien

Belltower.News


Auf einer IB-Demo in Wien versuchen Teilnehmende Journalist*innen zu blockieren.

(Quelle: Recherchenetzwerk Berlin)

Seit Wochen hat die Identitäre Bewegung (IB) für ihre Sommer-Demo nach Wien mobilisiert: Die Posterboys und -girls der Gruppe warben, Rechtsextremisten aus dem Ausland riefen zur Teilnahme auf. Am Ende erscheinen am 26. Juli, dem vergangenen Samstag, aber höchstens 500 Teilnehmende. Rechtsextreme aus Deutschland, der Schweiz, Frankreich und auch Österreich grölen „Wien ist unsere Stadt”, skandieren Abschiebefantasien und feiern Menschenfeindlichkeit. Von einer herkömmlichen Neonazi-Demo unterschied sich die selbst erklärte „neurechte” Elite nur in Oberflächlichkeiten.

Groß- und Klein-Kubitschek

Am Tag vor der Demonstration trifft sich der Kern der IB in einem Keller im Wiener Stadtteil Margareten. Berichten zufolge erscheinen mehrere Rechtsextreme mit Sporttaschen. Schon im vergangenen Jahr fand am Tag vor der Demo ein Boxkampf in dem Keller statt, der sich im Besitz der IB befinden soll.

Ehrengast an diesem Tag: Der rechtsextreme Verleger Götz Kubitschek. Dessen Sohn Wieland lebt inzwischen in Wien und ist offenbar zu einer Führungsfigur der dortigen IB aufgestiegen. Im November 2023 war Kubitschek junior gemeinsam mit seinem Vater in Wien und schlug mit einer Glasflasche einen Kameraden nieder; offenbar weil er ihn für einen Antifaschisten gehalten hatte.

Zur Veranstaltung am Vorabend der Demo kommen etwa 100 IB-Anhänger, überwiegend aus Deutschland und Österreich sowie eine Gruppe aus Frankreich. Vor Ort waren unter Anderem der AfD-nahe Influencer Dennis Braun („Arminius”) sowie die FPÖ-Mitarbeiter Matthias Ohm und Gernot Schmidt.

Internationale Neonazis

Am Samstag startet die Demonstration am Wiener Dr.-Karl-Lueger-Platz, benannt nach dem ehemaligen Wiener Bürgermeister und bekennenden Antisemiten Karl Lueger (1844 – 1910). Unter den aus dem Ausland angereisten Rechtsextremisten sind, neben Deutschen, vor allem Schweizer stark vertreten, darunter die Neonazi-Truppe „Junge Tat”. Auch je ein Redner aus den Niederlanden und Slowenien sind zugegen.

Manuel Corchia (Junge Tat) klagt in seiner Rede, dass sich auch in der Schweiz „der Bevölkerungsaustausch in schwerster Härte“ zeige. „Remigration“, führt er weiter aus, sei „nicht nur eine oberflächliche Behandlung unserer Probleme, sondern die fundamentale Lösung“. Mit der Rede vom „Bevölkerungsaustausch“ verweist er auf die rechtsextreme Verschwörungstheorie, dass angeblich finstere Eliten die ansässige Bevölkerung durch Migration austauschen wollen würden

IB-Anwalt brüllt IB-Slogans

Auch Andrea Ballarati, Organisator der „Remigrations-Komferenz” am 17. Mai in Mailand, hielt eine Rede. Der 23-Jährige war Mitglied der Jugendorganisation der Partei Fratelli d’Italia, die er 2022 verließ, um die Gruppe „Azione Cultura Tradizione” zu gründen, eine Art italienischer Ableger der Identitären Bewegung.

Als der Italiener die Menge dazu anheizt „Save Our Nation – Remigration” zu skandieren, brüllt auch ein AfD-Vertreter mit: Gerhard Vierfuß, Rechtsanwalt der IB Deutschland. Der Jurist steht mit einem Phalanx-Shirt mitten in der Menge, als er in den rassistischen Chor mit einstimmt.

Bürgerkriegsfantasien und Hitlergruß

Ein deutschsprachiger IB-Vertreter wird in seiner Rede besonders deutlich: „Das Recht hat der Politik zu folgen“, fordert er. Auf die Absage an den Rechtsstaat folgen kaum verhohlene Aufstandsfantasien: „Sie sagen Remigration führt zum Bürgerkrieg, wir sagen: Remigration verhindert einen Bürgerkrieg“.

Nicht nur die Reden und Sprechchöre erinnern stark an klassische Neonazi-Demos: Mindestens ein Teilnehmer hat eine Schwarze Sonne tätowiert, mehrere haben mutmaßlich verbotene Körperbemalung abgeklebt. Ein Teilnehmer zeigt den in Deutschland und Österreich strafbaren Kühnengruß. Ein augenscheinlich betrunkener Demo-Teilnehmer reckt den rechten Arm augenscheinlich zum Hitlergruß.

Die Teilnehmer des Aufmarsches bestehen nur zum Teil aus IB-Mitgliedern: Auch Wiener Neonazi-Gruppen wie die „Tanzbrigade” schließen sich an, zudem folgen einige ältere Anhänger des österreichischen Querdenken-Ablegers „Fairdenken” dem Aufruf. „Bei der Demo war fast das ganze militante Neonazi-Milieu versammelt”, schreibt der Wiener Journalist Markus Sulzbacher.

Polizei bestenfalls überfordert

Mehrfach wird der Aufmarsch von Antifaschist*innen blockiert, die Route muss geändert werden. Die Wiener Polizei ist davon heillos überfordert. Schon nach der ersten geräumten Straßenblockade drängt sie Journalist*innen von der IB-Demo weg. Der Belltower-News-Reporter konnte an dieser Stelle nur deshalb weiterarbeiten, weil die Wiener Beamt*innen keine geschlossene Polizeikette bilden konnten.

Während die Polizei sich auf das Abdrängen der Presse konzentriert, zünden die IB-Anhänger Pyrotechnik auf dem symbolträchtigen Stephansplatz. Auch als die Rechtsextremen später „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus” in den Wiener Gassen skandieren, schreitet die Polizei nicht ein.

Vermeintliche Krieger mit Regenschirmen

Von Beginn an bemühen sich IB-Mitglieder, augenscheinlich jüngere Anwärter, die Demonstration „abzuschirmen”, was konkret bedeutete: Journalist*innen werden Regenschirme direkt vor die Kamera oder auch von hinten vors Gesicht gehalten. An keiner Stelle schreitet die Polizei ein, teilweise verteidigen Beamte die Belästigungen sogar auf Nachfrage.

Währenddessen zeigt die Wiener Zivilgesellschaft Haltung: Tausende Gegendemonstrant*innen sind in der Stadt, mehrfach werden die Identitären blockiert. Kurz vor Ende des Aufzugs werden die Neonazis mit Eiern und in Papier eingewickelten Pferdeäpfeln beworfen.

Trotz der mühevollen Inszenierung mit Bannern, buntem Rauch und lautem Gebrüll zeigt die Demonstration in Wien vor allem eins: Auf der Straße bleibt die IB der Scheinriese, der sie immer gewesen ist. Den Einfluss der überschaubaren Truppe sollte man dennoch nicht unterschätzen: Das identitäre Filmkunstkollektiv, dass auch die Demo am Samstag filmte, ist inzwischen in die Medienarbeit der AfD eingebunden, zahlreiche Kader sind inzwischen Mitarbeiter von AfD oder FPÖ. Die hasserfüllten Abschiebefantasien haben es längst in die Parlamente geschafft.

#durch #internationale #marschieren #osterreich #rechtsextreme

Österreich: Internationale Rechtsextreme marschieren durch Wien

Wochenlang warben rechtsextreme Influencer für eine Demo der „Identitären Bewegung“ in Wien. Ein Besuch.

Belltower.News

(Schlager.de) Atemlos durch die Pride: Wie wichtig ist Helene Fischers Musik für den CSD?

Ohne die Musik von Helene Fischer geht beim CSD nichts mehr. Ob “Atemlos” oder “Nur mit dir” – Doch warum ist das so?

Direktlink

#atemlos #durch #fischers #helene #pride #schlager #wichtig

Atemlos durch die Pride: Wie wichtig ist Helene Fischers Musik für den CSD?

Ohne die Musik von Helene Fischer geht beim CSD nichts mehr. Ob "Atemlos" oder "Nur mit dir" - Doch warum ist das so?

Schlager.de

(BuzzFeed) Mutiger Schritt: Kandidatin outet sich durch “Princess Charming”-Teilnahme

“Princess Charming”-Kandidatin Caro nimmt an der queeren Datingshow teil – obwohl sie vor ihrer Familie bislang noch nicht geoutet ist.

Direktlink

#buzzfeed #durch #kandidatin #mutiger #outet #princess #schritt

Mutiger Schritt: Kandidatin outet sich durch „Princess Charming“-Teilnahme

„Princess Charming“-Kandidatin Caro nimmt an der queeren Datingshow teil – obwohl sie vor ihrer Familie bislang noch nicht geoutet ist.

(watson) Queer durch die Jahrzehnte: Was die Generationen voneinander lernen können

Wie sah ein Coming-out in den 70ern aus? Welche Schwierigkeiten haben junge queere Menschen heutzutage? Darüber hat watson mit zwei queeren Personen gesprochen.

Direktlink

#durch #generationen #jahrzehnte #lernen #queer #voneinander #watson

Pride und LGBTQIA+: Queeres Leben in verschiedenen Generationen

Wie sah ein Coming-out in den 70ern aus? Welche Schwierigkeiten haben junge queere Menschen heutzutage? Darüber hat watson mit zwei queeren Personen gesprochen.

watson

Nacktbehandlungen durch Spielerberater? Staatsanwaltschaft sucht Betroffene

Dieser Artikel stammt von CORRECTIV.Faktencheck / Zur Quelle wechseln

Ende März teilt Matthias* einen CORRECTIV-Artikel im Familienchat mit seinen Eltern auf Whatsapp: Der einflussreiche Spielerberater N. soll in über hundert Fällen minderjährige Fußballer im Intimbereich berührt haben. N. wies die Anschuldigungen im März zurück. Die Unschuldsvermutung gilt.

Die Mutter von Matthias, der lieber anonym bleiben will, fragt im Chat: „Ist N. gemeint?“. Matthias antwortet kurz mit „ja“. Beim Abendessen spricht er erstmals mit der Familie über das, was er erlebt haben will.

Die Vorwürfe gegen den Spielerberater N. sind offenbar umfangreicher als bislang bekannt: Nach der Veröffentlichung am 26. März meldeten sich sechs weitere Fußballer bei CORRECTIV. Auch sie schildern, wie N. sie unter dem Vorwand einer sportmedizinischen Behandlung nackt behandelt und berührt habe. Die meisten geben an, dass sie zum Zeitpunkt der Berührungen noch minderjährig gewesen seien.

N. äußert sich erneut. Er verweigert zwar ein zitierfähiges Gespräch, antwortet aber schriftlich auf einen neuen Fragenkatalog von CORRECTIV. „Ich habe zu keinem Zeitpunkt jemals Spieler gezielt grenzverletzend intim oder gar mit irgendeiner sexuellen Intention berührt“, schreibt N. Er habe niemals unter „medizinischem Vorwand“ oder „machtmißbräuchlich“ gehandelt. „Sämtliche Angebote entstanden aus konkreten Bedarfen von Spielern und waren niemals Selbstzweck.“

Ein Spieler spricht von kostenlosen Fußballschuhen und körperlichen Untersuchungen

Was alle Fußballer eint, die ihre Erfahrungen mit N. gegenüber CORRECTIV teilen: Sie träumten vom Profifußball, als N. zwischen 2005 und 2018 ihr Berater wurde. Die meisten spielen heute noch im Amateurfußball, wenige schafften es in den Profifußball.

Matthias ist einer der betroffenen Spieler. Am Abend, als er mit seiner Familie zum ersten Mal über das Erlebte spricht, sitzen sie in einem Restaurant. Sie sprechen noch verhalten, da sie oft in diesem Lokal sind und Bekannte dort ein und aus gehen.

Mitte der 2000er Jahre begann der Spielerberater N., ihn zu betreuen. Matthias erinnert sich an Vorteile, die N. ihm verschaffte: neue Fußballschuhe, schnelle Arzttermine und Unterstützung bei privaten Problemen.

Gleichzeitig berichtet er von unangenehmen Erlebnissen. Regelmäßig habe er leicht bekleidet Übungen bei N. durchgeführt, oft Krafttrainings. Immer wieder sei es zudem zu körperlichen Untersuchungen gekommen, bei denen er nackt gewesen sei.

Ehemaliger Spielerberater äußert sich: Es haben kein Abhängigkeitsverhältnis bestanden

Über acht Jahre sei es zu solchen Nacktbehandlungen gekommen. Matthias erinnert sich, dass N. ihn schon im jungen Alter, deutlich unter 18 Jahren, im Intimbereich berührte. Über die Jahre hinweg habe N. ihn hunderte Male im Genitalbereich berührt. Warum hat er sich dagegen nicht gewehrt? „Wer bin ich, dass ich als 15-jähriger Junge dem Berater sage, der hundert Spieler betreut: Halt stopp, das ist falsch“, sagt Matthias heute. „Im Nachhinein bereue ich, dass ich dabei gewesen bin.“

N. bestreitet die Vorwürfe. In seiner schriftlichen Stellungnahme an CORRECTIV äußert er, dass der Begriff „Nacktbehandlungen“ irreführend sei. Die Spieler seien immer teilweise bekleidet oder mit einem ausreichend großen Tuch bedeckt gewesen. 180 mal 70 Zentimeter groß sei das Tuch gewesen. Zudem habe es einen Umkleide-Bereich mit Sichtschutz gegeben. „Ein, wie auch immer geartetes, Abhängigkeitsverhältnis bestand nie“, schreibt N.

Seit der CORRECTIV-Veröffentlichung haben Matthias’ Eltern häufiger mit ihrem Sohn darüber gesprochen. Auch andere Fußballer, die von N. betreut wurden, berichten, dass sie nach dem Artikel erstmals offen mit ihren Eltern über die Behandlungen gesprochen haben. Die Mutter und der Vater von Matthias reflektieren auch zu zweit, ob sie ihren Sohn enger hätten begleiten sollen.

„Natürlich macht man sich Vorwürfe und überlegt, ob man das hätte bemerken müssen“, sagt die Mutter im Juli gegenüber CORRECTIV. Sie seien grundsätzlich nicht so sensibilisiert gewesen zum Thema Missbrauch. Für die Zukunft wünscht sie sich Aufklärung zum konkreten Fall und fordert Vereine auf, Eltern mit Infoblättern über „Go’s und No-Go’s“ in der Zusammenarbeit mit Spielerberatern zu informieren.

Staatsanwaltschaft: „Wir brauchen immer namentlich benannte und aussagebereite Zeugen“

Noch am Abend der Veröffentlichung im März trennte sich die Fußballagentur, bei der N. angestellt war, von ihm. Ein CORRECTIV vorliegender Beschluss bestätigt seine Freistellung an diesem Tag. In derselben Woche nahmen bayerische Ermittlungsbehörden erstmals die Vorwürfe gegen N. unter die Lupe und prüfen seitdem eine mögliche Straftat.

Die Staatsanwaltschaft München 1 sucht Betroffene. Das sagt Oberstaatsanwältin Anne Leiding auf Anfrage von CORRECTIV. „Unsere Ermittlungen dauern an.“ Sie bräuchten immer namentlich benannte und aussagebereite Zeugen oder Geschädigte. „Allein mit anonymen Hinweisen können wir keinen Tatnachweis führen. Uns ist klar, dass das für Zeugen und insbesondere Geschädigte sehr belastend sein kann, aber ohne sie geht es leider nicht.“

Zu den bekannten Vorwürfen sagte die Strafrechtlerin Christina Clemm bereits im März, dass diese Handlungen strafrechtlich „unter den Aspekten der sexuellen Nötigung, der sexuellen Belästigung, der Körperverletzung oder Nötigung relevant sein“ können. Clemm, Anwältin für Familien- und Strafrecht, hat viele Betroffene sexueller Gewalt vertreten.

Sie hat immer wieder erlebt, wie schwer es Betroffenen fällt, eine Anzeige zu erstatten oder als Zeuge vor Gericht auszusagen, etwa aus Angst vor Schmutzkampagnen oder Unterlassungsaufforderungen. Sie betont, wie wichtig es ist, „Betroffene zu stärken, Täterstrategien zu entlarven und denjenigen, die es wagen, öffentlich zu werden und gegebenenfalls Anzeigen zu erstatten, Respekt entgegenzubringen.“

Häufig wenden sich Betroffene eher an Medien, weil diese besser Informanten schützen können. Anders ist es bei Ermittlungsbehörden, die keine absolute Vertraulichkeit garantieren können, weil Aussagen protokolliert und eventuell vor Gericht offengelegt werden müssen.

Hintergrund: Journalistischer Quellenschutz und Aussagen bei strafrechtlichen Ermittlungsbehörden

Wenn Menschen Missstände erfahren, haben sie die Möglichkeit, diese Dritten gegenüber zu äußern. Dabei unterscheidet sich bei Medien und Ermittlungsbehörden grundlegend, was vor einer Kontaktaufnahme beachtet werden sollte.

Warum CORRECTIV keine Quellen an Ermittlungsbehörden übergibt

CORRECTIV schützt Hinweisgeberinnen und Informanten. Wer sich vertrauensvoll an die Redaktion wendet, kann sich sicher sein, dass sein Name nicht preisgegeben wird. Dieser Quellenschutz gilt für jedes Gespräch der Journalistinnen und Journalisten. Deshalb wissen im Fall des Spielerberaters N. die Fußballer nicht, wer mit der Redaktion gesprochen hat, es sei denn, sie informieren sich gegenseitig.

Auch an Ermittlungsbehörden gibt CORRECTIV keine Namen weiter. Dazu können Journalistinnen und Journalisten auch nicht gezwungen werden. Denn Medienschaffende verfügen gegenüber der Justiz über ein Zeugnisverweigerungsrecht. In ganz besonderen Ausnahmen gilt dieses Privileg für Medien nicht, wenn etwa der Verdacht besteht, dass Hinweise zum Verhindern einer besonders schweren Straftat (z. B. Terrorismus) führen können.

Grundsätzlich gilt: Quellen sollten selbst entscheiden, ob sie mit der Polizei oder Staatsanwaltschaft sprechen, ob sie dort aussagen oder rechtliche Schritte gegen eine Beschuldigte einleiten. Sie sind es, die am Ende die Folgen eines möglichen Verfahrens tragen.

Sind Sie betroffen? Oder überlegen Sie, mit einer Ermittlungsbehörde Kontakt aufzunehmen?

Neben spezialisierten Anwältinnen und Anwälten für Sexualstrafrecht können Sie sich an Fachberatungsstellen als Erstanlaufstelle wenden. Davon sind einige auf den Sport ausgerichtet:

Ansprechstelle Safe Sport: 0800 11 222 00 (montags, mittwochs und freitags von 10 Uhr bis 12 Uhr und donnerstags von 15 bis 17 Uhr)

Anlauf gegen Gewalt: ‭0800 90 90 444 (montags, mittwochs und freitags von 9 Uhr bis 13 Uhr, dienstags und donnerstags von 16 Uhr bis 20 Uhr)

Hilfe-Telefon Sexueller Missbrauch: 0800 22 55 530 (montags, mittwochs und freitags von 9 Uhr bis 14 Uhr, dienstags und donnerstags von 15 Uhr bis 20 Uhr)

Kein Täter werden: Hilfestelle für Menschen, die sich sexuell zu Kindern hingezogen fühlen

Wann ermittelt eine Staatsanwaltschaft?

Ein Ermittlungsverfahren beginnt erst, wenn sich ein Anfangsverdacht bestätigt, also die Möglichkeit einer Straftat besteht. Ein solcher Anfangsverdacht kann durch eine schriftliche Dokumentation gegeben sein oder eine Aussage, die Betroffene oder andere Zeugen tätigen. Wer einen solchen Schritt geht, kann dies bei einer Staatsanwaltschaft oder der Polizei tun. In der Regel hilft es, sich dort direkt an Fachpersonen für Sexualdelikte vermitteln zu lassen.

Zu einer Anklage kommt es erst, wenn einer Staatsanwaltschaft so viele Belege vorliegen, dass sie eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für eine Verurteilung sieht. Ein Gericht entscheidet dann, ob es zu einem Verfahren kommt.

In den ersten Wochen nach Bekanntwerden der Vorwürfe gegen N. berichteten mehrere nationale Medien, darunter Bild, Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), Welt, Süddeutsche Zeitung und das Fußballmagazin 11Freunde.

N. äußerte sich weder auf Social Media noch proaktiv gegenüber Medien. Er reagierte jedoch auf Anfragen von Journalisten mit einem Gesprächsangebot, solange diese zusagten, aus den Gesprächen mit ihm nicht zu zitieren. Unter anderem rief N. einen FAZ-Journalisten an, der ihn zuvor mit den Vorwürfen zu möglichem Machtmissbrauch und sexualisierten Übergriffen konfrontiert hatte. Am Telefon habe N. sich ausführlich geäußert, aber nur unter der Bedingung, dass seine Aussagen nicht öffentlich verwendet werden dürfen. Über den genauen Inhalt des Gesprächs ist CORRECTIV nichts bekannt.

N. suchte auch bei CORRECTIV den Weg für ein vertrauliches Hintergrundgespräch. Die Redaktion forderte, dass die „groben Themen“ in einem Artikel beschrieben werden können und unabhängig von einem solchen Gespräch zitierfähige Antworten zu den Vorwürfen für das öffentliche Interesse wichtig seien. N. lehnte ein Gespräch in diesem Rahmen ab.

Sie haben Hinweise?

Hier wird erklärt, wie Sie CORRECTIV vertraulich und sicher Informationen zukommen lassen können. Sie entscheiden, welchen Kontaktweg Sie nutzen. Ein Weg für besonders sensible Hinweise ist der anonyme Briefkasten.

Direkter Kontakt zu den Autoren:

Jonas Hummels: Signal-Messenger und j.hummels@proton.me

Jonathan Sachse: Signal-Messenger und jonathan.sachse@correctiv.org

„Es war ein offenes Geheimnis und jeder wusste es.“

Relevante Fußballmedien wie der Kicker und die Sport Bild berichteten bisher nicht über die Vorwürfe gegen N. Auch prominente Persönlichkeiten aus der Fußballbranche äußerten sich nicht öffentlich. Gleichzeitig waren die Vorwürfe gegen N. in der Branche wochenlang ein Thema, wie Insider gegenüber CORRECTIV bestätigen.

Auch bei CORRECTIV meldeten sich dutzende Menschen, die nicht selbst von N. betreut wurden, aber Beobachtungen, weitere Erfahrungen zu N. oder auch Kritik am Artikel teilen. Darunter waren Berater, Anwälte, Trainer, Ärzte, Pädagogen und weitere Insider aus der Sport- und Fußballbranche.

Einer schrieb: „Es war ein offenes Geheimnis und jeder wusste es.“ Eine andere Person sagt: „Es gab viele Freunde, die von N. beraten wurden und (…) nackt behandelt. Jetzt fragen sie sich im Nachhinein, ob das grenzüberschreitend war.“ Ein weiterer Insider kritisiert Teile der Berichterstattung und betont, dass N. vielen Spielern „sozial und medizinisch“ geholfen habe.

Es bleibt abzuwarten, ob künftig offen diskutiert wird, wie der Kinder- und Jugendschutz in Vereinen und Fußballagenturen verbessert werden kann.

N. selbst will nicht mehr in der Spielerberatung tätig sein. Aktuell befinde er sich in einer beruflichen Auszeit, schreibt er an CORRECTIV. „Ich werde erst nach einem Sabbatjahr für mich entscheiden, in welchem Kontext ich dann beruflich tätig werde.“

__

Mitarbeit:

Redigat: Elena Kolb

Faktencheck: Finn Schöneck

Illustration: Mohamed Anwar

Weitere Informationen:

*Matthias ist ein Pseudonym. Der echte Name ist den Autoren des Artikels bekannt.

CORRECTIV recherchiert gemeinsam mit dem Fußballmagazin 11Freunde und Lokalmedien aus ganz Deutschland langfristig zum Thema Gewalt und Machtmissbrauch im Kinder- und Jugendfußball: Weitere Informationen

Zur Quelle wechseln
Author: Jonathan Sachse

#betroffene #durch #nacktbehandlungen #spielerberater #staatsanwaltschaft #sucht

Nacktbehandlungen durch Spielerberater? Staatsanwaltschaft sucht Betroffene

Sexualisierte Übergriffe im Fußball: Nach Enthüllungen zu Vorwürfen gegen den Spielerberater N. sucht die Staatsanwaltschaft Betroffene.

correctiv.org

(Süddeutsche Zeitung) UN-Behörde befürchtet vier Millionen mehr Aids-Tote durch US-Kürzungen

Die US-Kürzungen von 4,3 Milliarden Dollar bedrohen den globalen Kampf. Unaids warnt vor Millionen zusätzlichen Infektionen und Todesfällen.

Direktlink

#befurchtet #behorde #durch #kurzungen #millionen #suddeutsche #zeitung

Aids-Krise: US-Kürzungen gefährden Millionen Leben weltweit

Die US-Kürzungen von 4,3 Milliarden Dollar bedrohen den globalen Kampf. Unaids warnt vor Millionen zusätzlichen Infektionen und Todesfällen.

Süddeutsche Zeitung

(NDR) CSD vor 45 Jahren: Erste Stonewall-Demo zieht durch Hamburg

Seit Anfang der 1980er-Jahre demonstrieren Schwule und Lesben in Hamburg für Akzeptanz und Toleranz. Am 28. Juni 1980 fand die Stonewall-Demo – der Vorläufer des Christopher Street Day – erstmals in der Hansestadt statt.

Direktlink

#durch #erste #hamburg #jahren #stonewall #zieht

CSD in Hamburg: Bunt und vielfältig - Vorläufer-Demo eskalierte 1980 in Polizeigewalt

Seit Anfang der 1980er-Jahre demonstrieren Schwule und Lesben in Hamburg für Akzeptanz und Toleranz. Am 28. Juni 1980 fand die Stonewall-Demo - der Vorläufer des Christopher Street Day - erstmals in der Hansestadt statt.

ndr.de

(taz) “Der Nachwendekindertalk”: Que(e)r durch die Winkelgasse – Pride, Potter, Protest

Chipi hat seinen ersten Leitartikel in der taz geschrieben. Marie macht sich Gedanken, ob man Joanne K. Rowling noch unterstützen sollte.

Direktlink

#durch #nachwendekindertalk #potter #pride #protest #winkelgasse

„Der Nachwendekindertalk“: Que(e)r durch die Winkelgasse – Pride, Potter, Protest

Chipi hat seinen ersten Leitartikel in der taz geschrieben. Marie macht sich Gedanken, ob man Joanne K. Rowling noch unterstützen sollte.

TAZ Verlags- und Vertriebs GmbH