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Das ist wirklich übelste Symbolpolitik auf dem Rücken von Betroffenen. Sorry, ein recht langer Beitrag.
Was Herr Kretschmer nicht erwähnt, ist, dass der deutsche Arbeitsmarkt nicht nur für Schutzsuchende schwer zugänglich ist. Für fast alles braucht man hier irgendein Zertifikat. Und dann kommt Kretschmer mit diesem Arbeitsmarktvergleich um die Ecke und einem Satz, der wirklich extrem widerwärtig ist. Schuld sind unsere selbst gemachten Regeln, die für alle geändert werden müssten. Frei übersetzt: Bürgergeld runter, sanktionieren bis zur Obdachlosigkeit und keine Hilfen mehr für Flüchtlinge.
Ja, unsere selbst gemachten Regeln in Bezug auf das Sozialsystem sind schuld – aber nicht so, wie Herr Kretschmer das meint. Die Politik der Härte hat seit der Agenda 2010 das Vertrauen in den Staat massiv beschädigt und zu einem staatlich subventionierten, prekären Arbeitsmarkt geführt. Durch den Vermittlungsvorrang und Sanktionen entstand ein Drehtüreffekt. Langfristig und nachhaltig wurde kaum jemand in Arbeit vermittelt, denn dafür ist eine individuelle Bedarfsbetreuung notwendig. Jemand mit einem Fachabschluss braucht eine andere Betreuung als jemand ohne Abschluss. Ein Mensch mit gesundheitlichen Einschränkungen eine andere, als jemand ohne. Der eine braucht mehr Förderung, der andere weniger.
Wenn individuelle Betreuung zu einem reinen Maßregelkatalog verkommt, an dessen Ende noch mehr Hunger und Wohnungsverlust stehen, dann ist das eine sehr reale, gesundheitlich bedrohliche Situation. Das ist menschenverachtend, führt zu nichts und verursacht im Endergebnis auch noch mehr Kosten.
Wenn man Menschen in Arbeit bringen will, dann braucht man auch Zeit für Menschen. Und man muss dringend mal klarstellen, dass wir keine Situation haben, in der Behörden Menschen zur Arbeit zwingen müssen. Das ist eine jahrzehntelange Lüge, die von Politik und Medien immer wieder neu befeuert wird.
Das ewige Verängstigen, Sanktionieren und Drangsalieren von Menschen kostet uns letztendlich viel mehr Geld, als wenn wir jedem Betroffenen einen menschenwürdigen Regelbedarf zahlen würden. Und dieses Geld fließt letztlich in den Wirtschaftskreislauf zurück. Und man sollte auch endlich damit aufhören, Menschen in dieser Situation grundsätzlich zu misstrauen. Es gibt nun wirklich genügend wissenschaftlich begleitete Untersuchungen, die zu dem Ergebnis kommen, dass der Anteil arbeitsunwilliger Menschen im unteren einstelligen Bereich liegt. Wo soll da denn bitte groß gespart werden?
Was hier in unserem Land passiert, ist meiner Meinung nach schlimmste Symbolpolitik. Diese Regierung hat uns bereits nach wenigen Tagen ihrer Amtszeit in eine sehr schwierige Lage gebracht, geknüpft an eine vage Hoffnung, dass es mit der Wirtschaft wieder bergauf geht. Welchen Preis wir alle dafür zahlen werden, darüber möchte man nicht sprechen. Und ob sich diese Hoffnung überhaupt erfüllt, ist eher fraglich. Da bietet es sich doch geradezu an, Migranten, Kriegsflüchtlinge und Bürgergeldempfänger wieder einmal als die schlimmsten Kostenverursacher hinzustellen. Und die Medien machen selbstverständlich mal wieder brav mit.
Wenn man wirklich am Sozialsystem sparen will, dann tritt man nicht auf Menschen ein, sondern baut Bürokratie ab. Das deutsche Sozialsystem ist eines der größten Bürokratiemonster überhaupt. Weder wir als Bürger noch alle Sachbearbeiter in den Behörden verstehen es gänzlich in seiner Komplexität. Selbst eine studierte Fachkraft benötigt mehr als ein Jahr, um es nur ansatzweise zu durchdringen. Und selbst dann passieren immer wieder Fehler mit schlimmen Auswirkungen für die Betroffenen und zusätzlichen Kosten für den Steuerzahler. Die Fachkräfte, die noch den Durchblick haben, gehen bald in Rente. Das wird in absehbarer Zeit die nächste schlimme Baustelle sein, die für reichlich Sprengstoff sorgen wird. Durch Bürokratieabbau in diesem Bereich könnten viele Milliarden eingespart und das System für alle verbessert werden. Aber das wäre natürlich zu viel verlangt. Da kürzt man lieber bei bedürftigen Menschen – das ist ja einfacher.