BuyFromEU: Am Problem vorbei gekauft
Dieser Artikel stammt von Netzpolitik.org.
BuyFromEU: Am Problem vorbei gekauft
Im Netz organisieren sich Menschen, um auf europäische Alternativen zu US-Produkten umzusteigen. Doch die bewusste Kaufentscheidung bleibt bei der Herkunftsfrage stecken und blendet ein entscheidendes Problem aus.
14.04.2025 um 11:38 Uhr
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Anna Biselli – in
Demokratie –
keine Ergänzungen Boykott oder doch was anderes?
– Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Panthermedia Statt Sportschuhe von Nike soll es lieber Adidas oder Kappa sein. Statt von Kellogg’s rieseln zum Frühstück Seitenbacher-Flocken in die Milch. Und die Zuckerbrause von Vita Cola ersetzt die Variante des US-Riesen. Vor allem im Unterforum BuyFromEU auf der Plattform Reddit und der daraus hervorgegangenen Website GoEuropean.org bekommen Menschen Tipps, welche europäischen Alternativen es zu Produkten aus den USA gibt.
Auch viele digitale Angebote oder Empfehlungen für Smartphones und Co. bietet die Community. Auf der Website findet sich das Fairphone als Alternative zum iPhone, aber auch Spotify als YouTube-Substitut beim Musikhören oder Zalando als Amazon-Ersatz.
Es soll kein Aufruf zum Boykott sein, schreiben die Initiator:innen auf ihrer Website. Auch im Subreddit erinnern Moderator:innen daran: Es gehe darum, europäische Produkte zu bevorzugen und so die europäische Wirtschaft zu stärken. Europa, darunter verstehe man die 46 Länder im Europarat und nicht nur die EU.
Doch wo liegt eigentlich der Unterschied zwischen einem Boykott und einer Bevorzugung? „Europäisch zu kaufen ist viel enger als US-Produkte zu meiden“, sagt Aline Blankertz. Sie ist Ökonomin und Tech Economy Lead bei Rebalance Now, einer NGO, die sich gegen die Monopolmacht großer Unternehmen einsetzt. Europa zu bevorzugen, schließe noch viel mehr Teile der Welt aus als die USA. So könne am Ende eine Art „europäischer Nationalismus“ hochgehalten werden.
Boykott oder Bevorzugung?
Doch die Differenzierung von Boykott und Bevorzugung scheint in der Wahrnehmung vieler der mehr als 200.000 Mitglieder des Subreddits sowieso keine besonders große Rolle zu spielen. Zahlreiche Beiträge haben Titel, die Boykott-Vorschläge machen. Moderator:innen versuchen regelmäßig, daran zu erinnern, dass es andere Unterforen für Boykott-Bewegungen gebe. Manche Beiträge werden von ihnen geschlossen, wenn die Diskussionen abdriften. Neue Kommentare sind dann nicht mehr möglich. Rein politische Posts sind nicht erwünscht.
Doch egal, ob man die Community als Boykott-Bewegung oder als Konsum-Patriot:innen beschreibt: Es geht um den Wunsch, mit der privaten Kaufentscheidung etwas zu bewirken oder wenigstens ein Zeichen zu setzen – sei es jetzt für Europa oder gegen die derzeitige US-Politik.
Wie wirksam solche Graswurzelbewegungen sind, ist eine häufig gestellte Frage. Dabei bleibt eine wichtige Frage offen: Was ist eigentlich das Ziel? Soll das eigene private Handeln zu fallenden Aktienkursen von Tesla und anderen Unternehmen von Trump-Unterstützer:innen beitragen? Geht es um Moral und Selbstvergewisserung, auf einer „richtigen“ Seite zu stehen? Das Bedürfnis, etwas tun zu wollen? Oder um mehr?
„Es ist eher ein Gefühl, dass bei solchen Bewegungen mit aufgegriffen wird“, sagt Blankertz. „Was man eigentlich stärken möchte, bleibt oft unspezifisch.“ Was mitschwinge, sei die Sorge vor einer wirtschaftlichen Rezession. Auch Ökonom:innen plädieren dafür, die Binnennachfrage zu stärken, wenn etwa durch Zölle die Exporte in die USA zurückgehen. Blankertz gibt zu bedenken, dass auch durch solche Forderungen manche Länder mehr profitieren als anderen – etwa Deutschland mit seiner sehr exportorientierten Wirtschaftsstruktur.
Bewusstsein stoppt an der Staatsgrenze
Wenn es um bewusste Konsumentscheidungen geht, spielt im Subreddit meist nur ein Kriterium eine Rolle: Aus welchem Land stammt das Smartphone, der Streaming-Dienst, die Kola oder der Einwegrasierer?
Die Chance für eine tiefergehende Reflexion der eigenen Entscheidungen bleibt weitgehend ungenutzt. Und so liegt das dezentrale PeerTube als YouTube-Alternative in der Liste weit abgeschlagen hinter Spotify, das für seinen Umgang mit Künstler:innen immer wieder in der Kritik steht. In der Liste von Google-freien Mail-Anbietern stehen datenschutzfreundliche Anbieter neben werbefinanzierten, kommerziellen Diensten.
„Wir können keine politische Bewertung jeder Firma vornehmen“, sagte eine der GoEuropean-Initiator:innen dem Spiegel. Man wolle vor allem informieren und dann solle jede:r „selbst entscheiden, was zu den eigenen Werten und dem eigenen Budget passt“.
Unter einem Beitrag mit „großen europäischen Marken“, die Gründe geben würden, stolz zu sein, kommt immerhin die Diskussion darüber auf, ob man nicht den Nestlé-Konzern aus der Liste entfernen solle. Seit Jahrzehnten gibt es Skandale um das Großunternehmen, zu dem viele bekannte Marken gehören: vom Umgang mit Trinkwasser bis zu belasteter Babynahrung.
Ebenso dabei der Fast-Fashion-Riese H&M, dem Greenwashing vorgeworfen wird. Und bei dem ein großer Teil der Produktion außerhalb Europas stattfindet, genau wie bei vielen anderen Schwergewichten am Markt. Am Ende ändert sich an der Liste nichts, auf ihr stehen zahlreiche Unternehmen, die etwa wegen ihrer Arbeitsbedingungen oder wegen schwerer Umweltvergehen in der Kritik stehen.
Auch auf der Website GoEuropean bleibt es bei der nationalen Verortung des Unternehmenssitzes. Und so steht ein ungarischer Nudelproduzent, bei dem schonmal Viktor Orbán zur Grundsteinlegung vorbeischaut, neben kleinen Modelabels, die sich Nachhaltigkeit und fairem Handel verschrieben haben. Einen Freischein dafür, dass beim Kauf Steuereinnahmen keinem Staat mit autokratisch geneigtem Chef anheimfallen, gibt es durch die Bevorzugung der EU-Erzeugnisse also nicht. Und der Sitz des Unternehmens in Europa allein ist noch lange kein Garant dafür, dass es weniger schädlich für die Welt ist.
Am Kernproblem vorbei
„Dinge, die in Europa hergestellt werden, müssen teilweise höheren Anforderungen entsprechen, was Arbeitsbedingungen und Umweltschutz angeht“, sagt Blankertz. „Wie glaubwürdig das ist, steht auf einem anderen Blatt.“ Beispielsweise würden bei der Ernte mit Saisonarbeiter:innen immer wieder Menschenrechte verletzt. Das Problem ist bekannt. „Ist europäischer Kapitalismus besser als US-Kapitalismus?“, fragt sie.
Auch bei Tech-Unternehmen stellt sich diese Frage. Die großen Unternehmen für digitale Angebote stammen mehrheitlich aus den USA. Aber schon lange bevor die USA durch ihre rechtsradikale Kettensägenregierung eine weltwirtschaftliche Achterbahnfahrt ausgelöst haben, waren sie ein Problem. Und das lag nicht hauptsächlich an dem Standort ihrer Mutterkonzerne, sondern an der teils monopolistischen Marktmacht und Dominanz.
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Author: Anna Biselli
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