Ich weiß, Nazi-Dokus nerven. Mich jedenfalls, weil die meisten so tun, als hätte ein Hitler quasi alleine (mit seiner Gang) Deutschland "übernommen", so ganz ohne "das Volk", das da mehr oder weniger machtlos daneben gestanden sei.

Dass es ein Volk und vor allem auch ein Bürgertum gab, das da teils sehr aktiv und zufrieden "reingewachsen" ist und ohne das der Scheiß nicht hätte passieren können wird gern ausgeblendet.

Drum hat mir diese hier ausnahmsweise gut gefallen.

https://www.zdf.de/play/dokus/zdfzeit-106/zdfzeit-wir-im-krieg--privatfilme-aus-der-ns-zeit-100

Wir im Krieg – Privatfilme aus der NS-Zeit

Zum 80. Jahrestag des Kriegsausbruchs 1939 zeigt die Doku mithilfe von privatem und unveröffentlichtem Filmmaterial einen persönlichen Blick auf das Leben in NS-Diktatur und Krieg.

ZDF

Gerade dass "Provinzielle", das hier dargestellt wird, die Normalisierung und dass hier viel Perspektive von außerhalb der großen Städte gezeigt wird fand ich interessant und das Gezeigte erschreckend.

Nicht überraschend, ich lebe ja selbst "auf dem Land" und wundere mich deshalb nicht, dass die Nazi-Ideologie auf eine Bevölkerung traf, die die programmatische Grausamkeit verbunden mit dem Gefühl, "besser" als bestimmte andere zu sein, als willkommenes Identitätsangebot angenommen hat.

@svenscholz@mastodon.social Hmm, bei mir ist die Erinnerung immer folgende Anekdote aus meiner Familie: Ein Groß- oder Urgroßonkel war in den 1920er, 1930er Jahren Musiker. Er soll ständig einen Koffer dabeigehabt haben in dem sich drei Instrumente und drei Auftrittskleidungen befanden. In der Philharmonie habe er einen Frack getragen und Klarinette gespielt. Bei KPD-Veranstaltungen habe er in Arbeiterkleidung Saxophon gespielt. Und bei Nazi-Veranstaltungen im Braunhemd die Schalmei.
@Life_is man arrangiert sich halt. Und wenn der KPD-Gig irgendwann nicht mehr da ist, weil die Veranstalter "verschwunden" sind, ist es halt so. Ich hätte da ja zurück gefragt, warum diese "Anekdote" nur bis Anfang der 30ger geht und wie's danach aussah... ;-)
@svenscholz@mastodon.social Mein Vater hat das einmal erzählt, als ich ein kleines Kind war. Zu der Zeit lebten wir in einem Ort, wo ich mit dem Kindergarten bei jedem Ausflug am jüdischen Friedhof vorbeiging und die Kindergärtnerin meinte, es würde nicht lohnen den Schlüssel zum Friedhof vom Bürgermeisteramt zu holen. Das galt auch für die Überreste des jüdischen Ritualbades. Im Wohnzimmer hingen drei Reproduktionen: eine Merian-Ansicht von Fankfurt, die Paulskirche, und eine Abbildung des Städel aus der Frühzeit der Fotografie. Das Haus in dem wir wohnten, hatte der lokale Adlige als Wohnhaus für die jüdischen Schauspieler seines Privattheaters gebaut. Aus dem Kinderzimmerfenster konnte ich auf den Parkplatz heruntersehen, wo das Familienauto stand und wusste, dass das bis zur Kristallnacht die Synagoge war. Nach dem Tod meines Vaters habe ich erfahren, das der Ort bis 1933 eine jüdische Bevölkerungsmehrheit hatte und das mein Vater Aktzeichenkurse in der Städelschule des Städelmuseums besucht hatte. Erst da hätte ich gern ein paar nachfragen gehabt.

@svenscholz

Auch Dorfkind. Kann das bestätigen.

@svenscholz

Und nichts hat sich seit dem geändert.
Diejenigen, die die #Geschichte kennen, weigern sich heute dennoch zu handeln.

@svenscholz Grade bei Lehrern und Ärzten waren extrem viele in die Partei eingetreten.
Mich hat es bei meinen Uni-Arbeiten auch immer verstört, wie viele sich ab 1933 aktiv angebiedert haben und sich dann nach 1945 als unpolitisch oder gar heimlicher Nazigegner stilisierten.

@KatjaGausMimO Ja, das sehr aktive Mitmachen war deutlich größer und tatsächlich die Regel und nicht die Ausnahme. Dass das "nur" ignoriert worden sei (bestenfalls noch aus "Machtlosigkeit") ist ein Mythos, den diese Leute selbst etabliert haben. Weil sie eigentlich sehr genau wussten, welche Rolle sie selbst in Wahrheit gespielt haben.

Und ich finde es erschreckend, denn ich bin überzeugt: sie würden es genau so wieder tun, sobald sie die Möglichkeit dazu haben.

@svenscholz Das kommt definitiv auf die Liste der Dinge, die ich noch gucken muss. Danke für den Hinweis!
@svenscholz finde da auch das Buch "Emotionen machen Geschichte" spannend, weil die da schildern, was für die, für die es funktionierte alles gemacht wurde, also im Sozialen und für diese war das komplett positiv besetzt. Stichwort "nicht mehr hungern"
@svenscholz Danke für den Hinweis auf diese Dokumentation. Ich kann noch den Podcast 'Unter dem Gras darüber' empfehlen. Zeitzeugen berichten aus 100 Jahre deutscher Geschichte.
Dieser Podcast ist vor über 25 Jahren entstanden.
https://www.hr2.de/podcasts/hoerspiel/unter-dem-gras-darueber/index.html
100 Jahre erlebte Geschichte | Unter dem Gras darüber

Über einen Zeitraum von mehreren Jahren haben Inge Kurtz und Jürgen Geers über 350 Stunden Interviewmaterial gesammelt. Durch Gespräche mit Zeitzeuginnen und -zeugen ist ein Erinnerungs-Panorama des 20. Jahrhunderts entstanden. Wie haben die Erzählenden die letzten 100 Jahre deutscher Geschichte wahrgenommen? Welche Folgen hatten die sozialen und politischen Umbrüche dieses Jahrhunderts im privaten Alltag? Es entsteht ein kollektiver Chor, aus dem sich immer wieder einzelne Stimmen herausheben, die das Interesse auf individuelle Biografien lenken. "Unter dem Gras darüber" ist bei Der Hörverlag unter dem Titel "Meine Geschichte" erschienen und im Handel erhältlich. Von Inge Kurtz und Jürgen Geers Produktion: text&ton/Inge Kurtz/Jürgen Geers/hr 1999 Audio verfügbar bis zum 19.06.2025

hr2.de

@svenscholz 2 Dinge die ich sehr gut fand:

1. Die ständige Einordnung des Sozialpsychologen, weil es mir klarmacht, dass die Art und Weise wie ich und die meisten mit den ständigen Grausamkeiten unseres Alltags umgehen in dem wir uns auf uns selbst, unser Leben und unser Vorankommen zurückziehen, solchen unmenschlichen Taten den Weg bereitet.

2. Der Hinweis am Ende wie die Menschen im Film nach dem Krieg ihr Leben weiterführten, weil es mal wieder klar macht, dass jede deutsche Familie Geschichten wie diese in ihrer Großeltern- und Urgroßeltern Generation hat.

@svenscholz Das war ja auch am Anfang der Sinn dieser Dokus, die zudem die Bilder der Täter verbreiteten, um die Deutschen von ihrer Schuld zu entlasten und den Mythos Hitler war`s zu etablieren. Die Opfer haben keine Bilder, sie Shoah von Lanzmann.
@AnjaWachsmuth Umso erfreulicher, dass es inzwischen Dokus gibt, die diesem Mythos deutlich widersprechen.
@svenscholz Ja, seit G. Knopp nicht mehr aktiv ist, hat das, glaube ich, auch etwas abgenommen. Der, und vor ihm J. Fest, stehen ja für dieses Format.

@svenscholz

Danke fürs Teilen. Dass Hitler erst durch die Salons der Bürgerlichkeit wandern und dafür auch als kultivierte Person anerkannt werden musste, hatte ich bisher nur gelesen und noch nie im Flimmerkasten sehen können. Freut mich, wird reingeschaut.