Die nächste Pandemie?

Mangel an schlechten Nachrichten gibt es nicht und für niemanden. Oder? Wenn mann “auch mal das Positive sehen” (Adenauer) will, dann liesse sich das Folgende so betrachten: wie schön, dass wir keine Tiere sind. Die Texte des Autors Florian Schwinn/overton haben erfreulicherweise fast nie einen jammernden Grundton, sondern enthalten formulierte Alternativen. Weil er recherchiert, sich umhört, Fachleute befragt, die nicht schon eine Talkshow-Tournee hinter sich haben. So auch hier:

Das Virus aus der Hühnerfarm – Das Virus aus der Hühnerfarm ist das Influenza-A-Virus H5N1, das derzeit die Krankheit auslöst, die wir als Vogelgrippe oder Geflügelpest bezeichnen. Aber wieso »das Virus aus der Hühnerfarm«?”

Die Leichtfertigkeit, mit der Zoonosen riskiert werden, um das Geschäftsmodell der grossindustriellen deutschen Landwirtschaft zu erhalten, ähnelt dem verzweifelten Todeskampf um die deutschen Verbrennermotoren. Beides kann für viele von uns tödlich enden. Und ist mit tödlicher Sicherheit Symptom einer absteigenden Macht.

Oder wie würde Herr Adenauer “das Positive” sehen?

Kontrolle über die Realität

Die herrschenden Oligarchen sind im Begriff, sich ihre Wirklichkeit selbst zu schaffen. Politiker*innen, die sie daran hindern, sie gar kontrollieren und in ihrem Treiben einzuschränken, sind weit und breit nicht zu entdecken. Im Gegenteil: ihr Mächtigster geht voran.

Ralf Heimann/MDR-Altpapier: Wann tötet das Weiße Haus Journalisten? – Die US-Regierung stellt kritische Medien an einen Online-Pranger. Der Präsident droht Politikern mit dem Tod. Die Armee tötet mutmaßliche Drogenhändler, die wehrlos im Wasser schwimmen. Wie geht es weiter?”

Mitmachen oder widerstehen? Eine lebensgefährliche Frage. In Kürze auch bei uns.

Die nächste Pandemie? – Beueler-Extradienst

Kriegsmüde? Wie Russlands Gesellschaft auf den Dauerkrieg reagiert | Ulrich Heyden

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Rente – störende Fakten

Umdichtung: “Generationenkrieg” statt Klassenkonflikt – gibts das schon als “KI”?

Nur die allerdümmsten Kälber wählen ihre Metzger selber. In diesem Fall ist es der alte, weisse, deutsche Mann. Er hat seit dem Krieg schon immer rechts gewählt, mehrheitlich. Der CDU-Politiker Norbert Blüm war vielleicht der Letzte, der wusste, was dieser Mann wollte: “Die Rente ist sicher!” Der deutsche Mann, die Mehrheit dieses Typus, glaubt sich bei den Rechten sicherer. Das deutsche Bildungssystem war halt nicht besser …

Meine Rente ist zwar sicher. Wenn ich mir aber 1999 nicht eine Eigentumswohnung hätte kaufen können – heute wäre das utopisch – wäre ich heute von Altersarmut betroffen, mit drei Renten (Deutsche Rentenversicherung, Riester-Rente und Zusatzversorgungskasse des öffentlichen Dienstes/Betriebsrente). Die Wohnung macht den Unterschied.

Mein persönlicher und absolut bester politischer Rentenberater war mein Mitautor Matthias W. Birkwald, 2009-2021 MdB. Sehr gut und effizient war auch die Rentenberatung bei der Deutschen Rentenversicherung hier in Bonn (von Anderen hörte ich, dass das nicht immer und überall der Fall ist). So gelangte ich sicher an Land. Ich klage nicht.

Hanebüchen und skandalös-hetzerisch ist dagegen der öffentliche Mediendiskurs. Er baut rücksichtslos und brutal auf der Tatsache auf, dass niemand von uns Alten “zur Last fallen” will. Und darauf, dass die Mehrheit der Alten ja sowieso immer rechts wählt. Und, anders als die Jungen, zuverlässig das Wählen als staatsbürgerliche Pflicht betrachtet.

Die sozialen und ökonomischen Tatsachen sprechen dagegen. Aber seit wann sollen die politisch relevant sein? Wenn Sie dennoch zu der kleinen radikalen Minderheit gehören, die daran interessiert ist, lesen Sie entweder den oben verlinkten Kollegen und Freund Birkwald (mit ähnlichen Gesundheitsproblemen wie ich, solidarische gute Besserung!) und ergänzend bitte hier entlang:

Reiner Heyse/overton: Die Rentner sind immer zu teuer! – egal wie billig sie sind … Wer würde eine solche Umfrage bezahlen: ‘Sind Sie dafür, dass die Renten bis 2040 um 6% statt 4% gesenkt werden?’ Denn darum geht der Streit zwischen Junger Union & Co und der schwarz-roten Regierung. Die Einigkeit der Streitenden hinter dem medialen Getöse besteht darin: Die Renten müssen unbedingt weiter gekürzt werden. Die Ergebnisse derartiger Umfragen sind bis jetzt eindeutig. Deshalb werden sie tunlichst vermieden.”

Und hier:

Gerd Bosbach/Chambre des Salaries, Luxembourg 2024: “Rentenmythen aufgedeckt: Demografie im Fokus”

Millionär/inn*e*n und noch mehr Milliardär*inn*e*n führen ein angsterfülltes Leben, Verlustangst. Sie haben ja auch mehr zu verlieren als Sie und ich. Was, wenn die Mehrheit von uns auf dumme Gedanken kommt? Nicht auszudenken, was für Irre frei rumlaufen dürfen. Was, wenn das ein Virus ist? Wenn arme Junge merken, dass sie auch als Alte arm sein werden? Die Reichen wissen es schon …

Wenn Sie die heutige Bundestagsdebatte erlitten haben sollten, nehmen Sie das bitte als Gegengift. Lesen hilft. It’s politics, stupid!

Rente – störende Fakten – Beueler-Extradienst

Hat Trump Adorno gelesen?

Haha, natürlich nicht. Die Person Trump hat mutmasslich eine Aufmerksamkeitsspanne, die unter drei aufeinanderfolgenden ganzen Sätzen liegt. Sofern sie nicht von ihm selbst gesprochen sind. Aber das System Trump ist gewiss mit den Erkenntnissen der antifaschistischen deutschen Emigrant*inn*en in den USA vertraut. Adornos und Horkheimers “Dialektik der Aufklärung” gehört gewiss – und bedauerlicherweise – zu den wenigen Büchern, die mit zunehmendem Alter aktueller werden.

Warum bin ich so sicher, dass Trumps Stäbe das Werk offenbar besser studiert haben, als die denk- und lesefaule Mehrheit zeitgenössischer bürgerlicher Liberaler und “revolutionärer” Linker? Das erklärt ein alter weisser Mann, der sich dieser Mühe unterzogen hat.

Moshe Zuckermann/overton: Katastrophe und Kulturindustrie – Auf einem KI-Video ist Donald Trump mit Königskrone in einem Jet sitzend zu sehen. Er wirft auf Demonstranten der ‘No Kings’-Bewegung eine braune Flüssigkeit ab. Was hat es mit diesem Klamauk auf sich?”

Leider fällt ein weiterer Text im gleichen Medium demgegenüber stark ab, weil er sich unsachgemässe Schlenker gegen einzelne Parteien und in gänzlich andere Themen (Corona) nicht verkneifen kann, obwohl er ein wichtiges ergänzendes Thema behandelt:

Hans-Peter Waldrich/overton: Russland – Feind oder Spiegelbild? – Solange wir uns selbst nicht in Russland erkennen, bleibt nur die finale Konfrontation.”

Manche Autoren (absichtlich ohne Gendern) reissen mit der Absicht, die Welt erklären zu wollen, mit dem eigenen Arsch ein, was sie mühselig aufzubauen versucht haben. Mein Rat: immer eng beim Thema bleiben, sonst steigen immer mehr Leser*innen an bestimmten Triggerpunkten aus. In professionellen Medien gab es dafür früher Redakteur*inn*e*n. War ‘ne schöne Zeit.

Hat Trump Adorno gelesen? – Beueler-Extradienst

Perlen von gestern

Die Ganzheit. Die Ethnologie, Studenten im Niger und wir – Aminatou Echard ist die Tochter der französischen Ethnologin Nicole Echard, die ab den 60er Jahren im Niger forschte. Ihre Mutter hinterließ ihr 16mm-Filme und einen Briefwechsel. Heute sucht Aminatou mit Kunststudierenden in Niamey nach einer neuen Lesart für diese Zeitzeugnisse aus den Anfängen der Unabhängigkeit des Niger. Dabei werden sie mit der aktuellen Lage konfrontiert.” 118 min. Verfügbar ein Jahr. Hätte auch nur ein*e französische*r (oder EU-) Politiker*in, wahlweise auch ein General, diesen Film gesehen, wären diese Postimperialist*inn*en von den Entwicklungen in der Sahel-Zone nicht so überrascht worden. Wladimir Putin und seine Söldner amüsiert das. Xi Jinping und seine Handelsvertreter*innen sicher ebenfalls.

NSU-Debakel des SWR?

Den Kollegen Thomas Moser/overton halte ich mittlerweile – wie sein Online-Magazin – für ein politisches Irrlicht. Meinen Respekt vor seinen NSU-Recherchen habe ich allerdings behalten. Die meisten seiner Berufskolleg*inn*en sehen ihm gegenüber für mich blamabel aus. Es ist eben immer eine Frage der Alternativen. Der Kiesewetter-Mord und der SWR: An vorderster Desinformationsfront – Was der Sender in einer aktuellen Dokumentation zum Polizistenmord von Heilbronn abliefert, ist bewusste Manipulation. Man schützt die Täter im Apparat. Hat das mit dem zweiten NSU-Prozess zu tun, der im November 2025 vor dem Oberlandesgericht Dresden beginnt?”

Russland und China – das Gegenteil erträglicher Alternativen

Was China betrifft, ist das ebenfalls overton zu entnehmen, und zwar von Florian Rötzer: China will das Internet von zu negativen und pessimistischen Äußerungen reinigen – In Europa bemühen sich Regierungen oft mit der Hilfe von NGOs und Autoren die Angst vor Desinformation auszunutzen, um Menschen, öffentliche Diskurse und unerwünschte Kritik zu diffamieren oder auszuschalten.” Mal wieder frappierend, wie sich die Sprache der Herrschenden ähnelt – und sie verrät.

Oder wie gefällt Ihnen dieses Moskau? Matthias Lindner (Interview)/telepolis: ‘Moskau ist ein Teil Europas und gleichzeitig ein eigener Kosmos’ – Ein Berliner Fotograf zeigt das neue Gesicht Moskaus – rasant, höflich, hochmodern. Und erklärt, warum die Stadt Europas schnellste und sauberste Metropole ist.” Ich hassse ja schon die asozialen Subtropen Berlins oder Frankfurts, kann also mit dieser Sorte kapitalistischer Modernität nichts anfangen. Dann lieber Ruhrpott – die provinziellen Bonner*innen wissen nicht im geringsten, was “schmutzig” ist 😉

Fakenews waren das Fundament der West-BRD

Aber warum fällt es Medien bis heute so schwer, das zuzugeben? Dietrich Duppel/Arte schafft es doch auch: Geraubtes Wirtschaftswunder – Die übertünchte Vergangenheit der Deutschen – Deutschlands Wirtschaftswunder: Die Deutschen haben sich nach der Stunde Null wieder hochgearbeitet. Wirtschaftsminister Ludwig Erhard hat die D-Mark und die soziale Marktwirtschaft eingeführt, während die Amerikaner Westdeutschland unterstützten. Doch was davon hält einer Überprüfung stand? Der Dokumentarfilm zeigt: Das Wirtschaftswunder basiert auch auf Unrecht aus der NS-Zeit.” 90 min. Verfügbar bis 11.1.26.

Wie weit geht der Polizeistaat?

Diese Frage stellte sich schon oben bei Thomas Moser. Und was ist das? Markus Reuter/netzpolitik: Adenauer-Protestbus: Ermittlungen mit Schlagseite – Nachdem die sächsische Polizei den Protestbus beschlagnahmt hatte, hagelte es Kritik an der Maßnahme. Jetzt ermittelt die Polizei wegen Hassrede gegen Unterstützer:innen der Aktionskünstler. Gleichzeitig wurden offenbar interne Details der TÜV-Prüfung des Busses an einen rechten Youtuber weitergegeben.”

Perlen von gestern – Beueler-Extradienst

Relevant

Das A und O politischer Diskurskämpfe ist das Agendasetting. Das ist das Ressort, in dem die demokratischen Kräfte im Kampf gegen die AfD am schlimmsten versagen. Ob es nun mehr “die Politik” ist, oder mehr “die Medien”, ist einerseits die Frage nach der Henne und dem Ei. Da ich in meinem Berufsleben mehr “der Politik” angehört habe, über ihr Handwerk also mehr weiss, bin ich darüber am meisten entsetzt. Nach den Regeln repräsentativer – also faktisch: bürgerlicher – Demokratie, müsste sie die Öffentlichkeit führen. Faktisch aber lässt sie sich treiben von den gegenwärtigen konzerneigenen Triebkräften der Aufmerksamkeitsökonomie. Die müssen von Politiker*inne*n selbstverständlich aufmerksam zur Kenntnis genommen – und im optimalen Falle: bespielt – werden. Was aber heute – nicht nur hier, sondern weitgehend global – zu sehen ist, ist vor allem ideen- und wehrlos, arm und billig. Finde ich.

Gerade weil das so ist, will ich nicht aufhören mit Hinweisen auf Alternativen. Heute mit einem sichtlichen Übergewicht des insgesamt politisch furchtbar irrlichternden overton-magazins.

Darum fange ich lieber mit dem besten Text des Wochenendes an. Der war nämlich in der FAZ, und ist dort digital eingemauert. Der ist vom Medienredakteur der Sonntagsausgabe, der sich seit Jahren intellektuell positiv vom missionarischen Kreuzzügler der Milliardärsverlegerinteressen Hanfeld abhebt, Harald Staun: “Was den Fortschrittsvisionen von Musk, Thiel und Altman fehlt – Marskolonien, fliegende Autos, ewiges Leben: Die futuristisch klingenden Projekte von Musk, Thiel oder Altman sind nur aufgewärmte Fortschrittsentwürfe von gestern. Was ihnen fehlt: die Fähigkeit, die Gegenwart als veränderbar zu begreifen.” Meine Freund*inn*e*n wissen, dass ich über diverse Paywallbohrer verfüge. Ich konnte den Text lesen, und stelle ihn gerne ganz individuell, unkommerziell und nur “zum privaten Gebrauch” zur Verfügung. Es lohnt sich.

Und nun schalte ich um zu den bösen “Alternativmedien”. In diesem Fall steckt meines Wissens kein Russe dahinter, sondern ein paar Frankfurter Irrlichter aus dem Westend-Verlag. Die waren so schlau, dem verrenteten Ex-Telepolis-Chef Florian Rötzer ein publizistisches Exil anzubieten. Und Rötzer brachte ein paar Autor*inn*en mit, die das Lesen verdienen. Stephan Schleim z.B.: “Ist der Cannabis-Konsum nach der Entkriminalisierung angestiegen? – Nach einer Zwischenevaluation änderte sich der Konsum kaum, aber die Kriminalität ist stark gesunken. Drogenpolitische Schlussfolgerungen.”

Ich persönlich bin 100% Nichtraucher. Diese Debatte ist für mich relevant, weil es um Genuss- versus Verbotskultur und Kriminalisierung versus Entkriminalisierung geht. Schauen Sie mal auf Schleims Schaubild und beachten Sie die Kurve der 12-17-jährigen. Insbesondere, wenn Sie am Verbieten von Smartphones und asozialen Medien irgendwas richtig finden. Beachten Sie die Legalisierung 2012. Was ändert sich bei dieser Altersgruppe? Nichts. Weil es sie nicht interessiert. Ist für ihre Lebenspraxis komplett egal. Platter Symbolismus für die, die es für ihr eigenes Wohlbefinden nötig haben.

Die damit einhergehenden Gefahren sind selbstverständlich dennoch nicht zu leugnen, aber nicht kinder- oder jugendspezifisch. Florian Rötzer: Studie: Kognitive Beeinträchtigungen nehmen zu, vor allem bei den jüngeren Menschen – In den USA breitet sich vor allem bei den Unter-40-Jährigen eine kognitive Beeinträchtigung oder Störung (cognitive disability) aus. Darunter werden ernsthafte Konzentrations-, Gedächtnis- und Entscheidungsprobleme verstanden.” “Jüngere” sind in diesem Zusammenhang unter 40, also eindeutig Erwachsene, und sehr, sehr häufig Eltern.

Zum Trump-Netanjahu -Deal schreibt Moshe Zuckermann, für Netanyahu und seine Freunde wahrscheinlich ein lupenreiner “Antisemit”: Der Trump-Netanjahu-Deal – Donald Trump und Benjamin Netanjahu haben einen Plan zur Beendigung des Gazakrieges erstellt. Obwohl er von vielen in der Welt bejubelt wird, birgt er große Schwierigkeiten in sich.” Auch diesen Autor hatte Rötzer zu overton mitgebracht.

Wie auch den Ex-Bundeswehroffizier Jürgen Hübschen: Vorsicht vor den Heißspornen ohne sicherheitspolitischen Sachverstand! – Ein paar kurze persönliche Anmerkungen zur Kriegsrhetorik – und ein dringender Rat.”

Nicht vollständig zu folgen bereit bin ich Kurt Hackbarth/Jacobin mit seiner nahezu widerspruchsfreien Eloge auf Claudia Sheinbaum. Da über sie als politisch erfolgreiche Linke aber hierzulande absichtsvoll null berichtet wird, bleibt die Lektüre ihrer starken Seiten umso aufschlussreicher. Immerhin blamierte sich diese Dame gegenüber dem “mächtigsten Mann der Welt” weit weniger, als die speichelleckenden und auf Schleimspuren rodelnden sieben EU-Zwerge. Kurt Hackbarth: Sheinbaums erstes Amtsjahr war ein Triumph – Mexikos Präsidentin Claudia Sheinbaum zeigt: Der Ausbau von Infrastruktur und Sozialstaat ist ein Erfolgsmodell. 3.000 Kilometer neue Eisenbahnschienen, 1,8 Millionen neue Wohnungen und Zustimmungswerte um 80 Prozent sprechen für sich.”

Relevant – Beueler-Extradienst

Die Wehrlosmacher

Indizien für die gegenwärtige Irrelevanz der Linken

An analytischer Schärfe und Intelligenz fehlt es schon länger. Aber noch mehr fehlt es an der daraus zu folgernden strategischen, bündnis- und organisationspolitischen Intelligenz. Die ist der anstrengendste Teil und wird auch von den kritischsten Geistern gemieden, als wenn sie Angst haben, sich damit zu infizieren. Drei tagesaktuelle Beispiele.

Das Onlineportal Jacobin gibt es nun schon seit einiger Zeit deutschsprachig. Es ist eine Gründung der US-amerikanischen Linken, derer, die sich dort als Democratic Socialists verstehen, und an die sich die deutsche Partei Die Linke anzudocken versucht. Nicht abwegig, finde ich. Dort erschien dieser Tage ein wichtiger Text von Vivek Chibber unter dem Aufmacher Die Parteifrage – Die Wirkungslosigkeit der heutigen Linken ist kein Zufall, sondern Ergebnis ihrer Organisationsstruktur. Will sie neue Stärke aufbauen, muss sie diese von Grund auf ändern.” Eine der wichtigen Strategiefragen unserer Zeit, dachte ich, und begann zu lesen. Um dann nach der Frage “Was ist also passiert?” vor dieser Wand zu landen: “Dieser Artikel ist nur mit Abo zugänglich. Logge Dich ein oder bestelle ein Abo.” Verarschter kann mann sich nicht fühlen. Die wollen nicht gewinnen, war das Resultat meiner Lektüre.

Bei overton, bei allem persönlichen Respekt für Florian Rötzer nach meinem Gefühl immer wieder inhaltlich grenzwertig und mit einem merkwürdigen Überhang an BSW-Sympathien, die gelegentlich schmerzfrei ins AfD-Spektrum übergehen (so deren eigene Online-Leser*innen-Umfragen), lese ich von dem Journalisten Patrik Baab, dem zweifellos in seiner Laufbahn mehrfach übel mitgespielt wurde: Deutschland – Quo Vadis? – Ein Nachruf in 12 Thesen – oder der Absturz eines Auslauf-Modells.” Oje, ja schlimmschlimm. Und jetzt? Was tun?

Mehrere Minuten mitgehen konnte ich den Gedanken von Andreas Buderus/Junge Welt:Kapitalismus: Reale Barbarei – Warum es keine Reorganisation des Kapitalismus gibt – und was droht, wenn wir das nicht zur Kenntnis nehmen. Eine Positionsbestimmung”. Endlich mal der Versuch einer materialistischen Analyse, dachte ich über längere Passagen. Doch gegen Ende entpuppt sich das Opus als folgenlose Bescheidwisserei. Reformist*inn*en sind doof und auf dem falschen Danpfer. Richtig liegen nur die durchblickenden Revolutionär*inn*e*n. Und weil die in den mächtigen kapitalistischen Kernländern nur eine irrelevante Minderheit sind – und unbedingt bleiben wollen – gilt es geduldig zu warten, bis die ausgebeuteten Massen irgendwoanders auf der Welt den Entschluss fassen, die wahre Revolution zu beginnen. Das ist, mit Verlaub, hier weit besser erklärt. Und selbstverständlich wird die Junge Welt das in einigen Tagen in einem paywallbewehrten Archiv verschwinden lassen. Damit die Massen so doof bleiben, wie sie sind. Alles Andere wäre ja mit (politischer) Arbeit verbunden.

(Materialistische) Dialektik, wo bist du?

Es gibt Ansätze in einzelnen Gewerkschaftsteilen, das Gegenwarts-Proletariat zu identifizieren und zu organisieren. In den Sätzen des Bescheidwissers Buderus: “Laut der Internationalen Arbeitsorganisation (International Labour Organization, ILO) sind weltweit über 1,8 Milliarden Menschen in abhängiger Lohnarbeit; hinzu kommen rund zwei Milliarden im informellen Sektor – insgesamt also weit über drei Milliarden Menschen, deren Existenz direkt auf abhängiger Beschäftigung basiert. Hinzu kommen die jeweils abhängigen Familienangehörigen. Nie zuvor in der Geschichte gab es eine derart große Klasse von Menschen, die für ihr Überleben Lohnarbeit leisten müssen. Diese Klasse ist jedoch zunehmend in prekären und rechtlosen Verhältnissen gefangen: von der massenhaften Ausweitung unsicherer Dienstleistungs- und Logistikjobs über die extrem prekäre digitale Tagelöhnerarbeit in der »Clickwork«-Ökonomie bis hin zur Identifizierung ganzer Bevölkerungen als »überschüssig«.” Das ist richtig erkannt. Und wer das ignoriert, kann politisch buchstäblich nichts gewinnen. Die Rechten wissen davon. Die sind ja nicht blöd.

Die Wehrlosmacher – Beueler-Extradienst

Was machen wir nur mit ihnen …?

Es gibt unzählige Gründe für Mediendiät – hier nur wenige aktuelle Beispiele

Immerhin sei vorbemerkt, dass die Beispiele dafür stehen, dass es (noch) medienkritischen Journalismus gibt. Den Kollegen Suchsland z.B., im Hauptberuf Filmkritiker, fasse ich gedanklich nur mit spitzen Fingern an, wenn er sein Fachgebiet verlässt, und politische Strategien zu verstehen versucht. Und in der Regel immer missversteht. Aber als Filmkritiker ist er Experte für die Herstellung von Bildern. Und das ist mittlerweile die Hauptbeschäftigung der meisten Profipolitiker*innen. Da gerät oft vieles durcheinander. Aber hier ist Suchsland auf der richtigen Spur:

Ukraine-Krieg: Der begrenzte Blick der deutschen Medien und Trumps Erfolg – Baerbockmentalität statt Grautöne: Das Treffen von Alaska – Warum die Medien Diplomatie nicht mehr sehen.”

Roland Czada/overton war mir bisher nicht bekannt. Trump, Putin und die Geopolitik – Europas Marginalisierung resultiert nicht aus Uneinigkeit, wie viele annehmen. Der Kontinent steht abseits, weil europäische Staaten immer noch geschlossen an ihrer von Doppelmoral triefenden Mission als Vorkämpfer einer liberalen Welteinheit und Bollwerk gegen das autoritäre Russland festhalten.” Sein Befund ähnelt dem von Dani Rodrik/IPG-Journal: Wo bleibt der Widerstand? – Trumps Handelskrieg entlarvt nicht nur den US-Imperialismus, sondern auch die eklatante Führungsschwäche anderer Mächte.

Über Widerstand in den USA sandte mir Nora Guthrie gestern eine lesenswerte E-Mail, die ich Ihnen auf Anfrage gerne weiterleite. Was in der hiesigen Öffentlichkeit, und auch bei Nora jedoch wenig bekannt ist, dass der Fortschritt in Spanien den in Deutschland mittlerweile überholt hat, und das nicht nur im Fussball: Omar G. Encarnación/IPG-Journal: Pragmatismus statt Parolen – Spaniens Migrationspolitik stellt sich gegen den europäischen Trend – und widerlegt rechte Untergangserzählungen.” Dä. Wussten Sie das? Haben Sie sich in Ihrem letzten Spanienurlaub dafür interessiert?

Uebermedien hat zwei medienkritische Texte aus seiner Paywall entlassen. Ich warne Sie. Sie sind geeignet, Ihr Medienvertrauen zu unterminieren.

Nils Altland/uebermedien: ‘Grüner Ikarus’: Gerüchte oder Tatsachen? Warum eine MeToo-Recherche des ‘Stern’ Fragen aufwirft – Ein Bericht des ‘Stern’ führt zum Rücktritt des grünen EU-Abgeordneten Malte Gallée. Doch die Recherche wirft die Frage auf: Wie transparent muss MeToo-Berichterstattung trotz des nötigen Quellenschutzes sein?”

Boris Rosenkranz/uebermedien: Niederlagen vor Gericht: Was bleibt vom Verdacht? Wie der ‘Tagesspiegel’ seinen Artikel zum Fall Judy S. leise umbaute – Im Frühjahr ging die Zeitung der brisanten Frage nach, wie die Unwahrheiten über eine Berliner Polizistin in ‘Bild’ und ‘B.Z.’ gekommen sein könnten. Mehrere Personen gingen juristisch gegen den Text vor. Auch die ‘Bild’-Autorin klagte – mit Erfolg. Aber der Rechtsstreit ist noch nicht vorbei.”

Beide Kritiken werfen die Frage auf:

Was lernen Journalist*inn*en eigentlich in ihrer Ausbildung?

Bleibt zum Abschluss noch die bewährte MDR-Altpapier-Kolumne, gestern von Antonia Groß: Klöckners Beziehung(en) zu Medienmännern – Bundestagspräsidentin Julia Klöckner schadet ihrem Amt und der Demokratie, finden manche aus der Medienwelt. Und das liegt nicht einmal an ihrer öffentlich gewordenen Hetero-Beziehung.” Sehr gut enthüllt Frau Groß, wie aus belanglosem Tratsch gehaltvolle Politik wird, und welch eine Künstlerin in dieser Disziplin die zweite Frau im Staate ist.

Was macht eigentlich Claudia Roth?

Was machen wir nur mit ihnen …? – Beueler-Extradienst

Neuber vs. Rötzer

Ein Vergleich

mit Update nachmittags

Wir dürfen davon ausgehen, dass die sich nicht (mehr) leiden können. Harald Neuber ist der Nachfolger von Florian Rötzer als Chefredakteur des bei der Heise-Gruppe angesiedelten Onlinemagazins telepolis. Rötzer wurde nicht gefeuert, sondern ging in Rente. Ob sie bei Heise drei Kreuze geschlagen haben? Das sieht heute so aus. Wie kommich auf das abseitige Thema?

Ich bin Leser von beiden, seit langem, seit Ende der 90er Jahre. Und glaube intellektuell davon profitiert zu haben. Heute mache ich mir Sorgen, ob das (für mich) noch möglich ist.

Sehr genervt bin ich, und schalte als Leser clickverweigernd davon ab, wie sich Neuber redaktionell aufbläst. Das ist so anstrengend, wie die Presenter-Dokus in der Glotze. Der Inhalt verschwindet immer mehr hinter einer aufgeblasenen Person. Und wenn die sich auch noch selbst aufbläst, weil es niemand anders macht – dann braucht die Person doch wohl eher professionelle Hilfe, als was mit Medien. Aber gut, das ist meine private Meinung.

Heute nun ist vom Kollegen Neuber ein vielsagender Text erschienen. Er als Chef tut sowas natürlich nicht unterhalb der Selbstbezeichnung Leitartikel. Aber geschenkt, darüber lässt sich hinwegsehen.

Harald Neuber/telepolis: Europa außen vor: Wie die USA und Russland über unsere Zukunft verhandeln – Die EU setzt auf Moral, doch am Verhandlungstisch zählt Macht. Warum Europa zunehmend nur noch Zuschauer ist. Ein Telepolis-Leitartikel.”

Das ist nach meinem Empfinden einer der besseren Neuber-Texte. Ich stimme überein, weitgehend. Lobend ist zu erwähnen, dass er sich an Genscher erinnern kann, und sogar an dessen Politik. Ich teile auch seine Kritik an der nur sog. “wertebasierten Aussenpolitik”, wie sie einige Grüne propagieren, die doch nur eine heuchlerische Verpackung für blankes “Atlantiker”-tum ist (und war). Was ich bei Neuber nicht nur in diesem Text vermisse – und das hält er wohl für “unabhängigen Journalismus”, den er gegen Rötzer wendet – den eigenen Standpunkt, von dem aus er analysiert und – wertet! Was er dagegen als Telepolis-Strategie praktiziert, ist Seitensteherei. Die eigene Position enttarnt sich ausschliesslich im Agendasetting. Und das ist bei Herrn Neuber dünn geworden (Ex-Telepolis-Autor Kolonko nannte es vor einem Jahr treffend: “News-Fabrik”). Es wird verzichtbar, weil es sich immer weniger vom herrschenden Brei unterscheidet.

Neuber bejubelt nicht überprüfbare Clickzahlen. Exakt das könnte das Problem sein.

Nun zu Rötzer

Er ist als Rentner beim Westend-Verlag ins publizistische Exil geflüchtet. Dort werden auch rechte Spinner, wie der leitende Angestellte des Springer-Verlages Poschardt, verlegerisch gepampert. Warum wohl? Ein Grund könnte darin liegen, dass Online-Umfragen des overton-magazins nicht nur dominierende BSW-Sympathien dokumentieren, sondern – direkt darauf folgend – solche für die faschistische AfD. Ich wäre längst weg, wg. Allergieschock. Aber bitte, hier schreibt

Florian Rötzer/overton: Die nächste Droge: Der Umgang mit den KI-Chatbots soll KI-Psychosen auslösen können – Ein Gespenst geht um: die KI-Psychose. Das soll eine neue psychische Erkrankung sein, die mit der zu intensiven Nutzung der intelligenten Chatbots oder generativen LLMs verbunden ist. Wenn Menschen KI-Agenten oder extra für persönliche Gespräche zugeschnittene KI-Companions als Freunde oder gar als Therapeuten sehen oder sich mit ihnen in wahnhafte Welten einspinnen, soll dies psychotische Tendenzen verstärken oder auslösen können.”

Das ist in diesem Fall sicher nicht – im Gegensatz zu Neuber oben – einer der besten Rötzer-Texte, sondern eine seiner Routine-Arbeiten, darin ebenso vielsagend. Die starke Seite ist sein Agendasetting. Er dackelt nicht dem Tagesstrom hinterher, sondern sucht nach Trüffeln, die Hinweise auf die Zukunft geben. Das schätze ich an ihm.

Und eine Fehleinschätzung vermeidet er stringent. Nicht das Medium/die Technik ist das Böse. Sondern die Gesellschaft, die es sozioökonomisch hervorbringt. Mit dieser Erkenntnis eilt er aber dem öffentlichen Diskurs nicht meilenweit voraus, um am Ende von niemandem mehr verstanden zu werden. Sondern Rötzer bleibt anschlussfähig, schreibt verständlich und nachvollziehbar. Jedenfalls für mich.

Und er hört nicht auf. Danke.

Update nachmittags

Lesen Sie zum Wirken von KI/AI ergänzend auch den wie immer anregenden

Georg Seeßlen/Jungle World: Künstliche Intelligenz ersetzt zukünftig vielleicht nicht nur den Künstler, sondern auch den Kritiker: Kunstkrieg mit der KI – Ob etwas Kunst ist oder nicht, wird bisher gesellschaftlich ausgehandelt. Schreitet die Künstliche Intelligenz nicht nur darin voran, Kunstwerke zu verarbeiten, sondern auch darin, in ihrer totalitären Tendenz den gesellschaftlichen Aushandlungsprozess zu untergraben, wird sie zukünftig vielleicht nicht nur Kunst produzieren, sondern darüber entscheiden, was als Kunst gilt.”

Und noch eine Preisfrage hinterher. Über Gesetzgebung lamentieren, die Jahrzehnte hinterherdackelt? Das mache ich jetzt auch schon über zehn Jahre. und lasse es dieses Mal – ausnahmsweise. Stattdessen meine Preisfrage als Hausaufgabe: nennen Sie mir eine*n oder mehrere Politiker*innen mit einem Amt oder Mandat, die die hier aufgezählten Texte überhaupt lesen (können)! Als Preis winkt Ihnen eine innere Beruhigung.

Neuber vs. Rötzer – Beueler-Extradienst

Gegen rechten Zionismus …

… und für konsequenteren Datenschutz: zwei kompetente Autoren gaben gestern konstruktive Hinweise

Die Positionierung zu Zionismus und Antisemitismus wird hierzulande gerne genutzt, um ahnungslose Linke und Liberale faktenfrei aufeinanderzuhetzen. Es funktioniert einfach zu gut. Das ist verführerisch für Medienökonomie und Herrschende. Darum beginne ich lieber mit dem – was die gesellschaftliche Praxis betrifft – wichtigeren Thema: dem Datenschutz.

Hierzu hat wie immer Falk Steiner/heise faktenreich beizutragen: Missing Link: Die Wegschaubehörden - Während Datenschutz und Datensicherheit immer wichtiger werden, entfremden sich die zuständigen Behörden zunehmend von ihrer Aufsichtsrolle”.

Ich bin nicht ganz sicher, wie richtig er mit seiner Bewertung liegt. Aus meiner Kenntnis und Erfahrung unterliegen die zahlreichen Jurist*inn*en in diesen Behörden einem Mangel an Medien- und PR-Kompetenz. Sie haben sich zu tief in ihr eigenes Fach eingegraben, und dabei zu wenig nach links und rechts in die Gesellschaft und ihre politische Wirklichkeit geblickt. So sicherten sie sich gegen fachinterne Kritik und Angreifbarkeit ab, vernachlässigen aber ihre Aussenwirkung. Schade eigentlich. Finde ich (zit. Meike Droste in “Mord mit Aussicht”, nur Staffel 1-3).

Nicht zu heisslaufen – lieber eine Kurve länger denken

Das meine ich zum Thema Zionismus und Antisemitismus. Peter Nowak/overton tut es. Aus längjähriger Lektüre weiss ich, dass dieser Autor ein Faible für kleine, meist wirkungslose, besserwissende Sekten hat. Aber seiner inhaltlichen Positionsbestimmung kann ich in diesem Falle folgen:

Gegen Hamas und Netanyahu – Warum moralische Empörung gegen Israel oft nur heuchlerisch ist und wie eine emanzipative Kritik aussehen könnte.”

Merke: binäres Denken ist immer eine Sackgasse. Am schädlichsten für die, die es selbst ausüben.

Gegen rechten Zionismus … – Beueler-Extradienst