Wundersame Bahn CCXXXVII – Weihnachtsausgabe
Es gibt unendliche Möglichkeiten für die Bahn, an Weihnachtsfeiertagen zu scheitern. Dass die Feiertage alle mitten in der Woche liegen, von Wochenenden umrahmt, könnte sich als günstig erwiesen haben, um die Passagierströme zeitlich zu entzerren. Ich fahre seit Jahren am 24. hin und direkt am 25. zurück, weil die Ränder der Reisehochsaison die hohen Schwierigkeitsgrade markieren. Dieses Jahr ist es – im Rahmen all der sowieso schon konstanten Malaisen – ganz gut gelungen.
Als ich Heiligabend mittags nach dem Verzehr der obligatorischen Mittwochs-Reibekuchen im Momo-Bistro auf bahn.de die Lage sondierte, wurde für Bonn Hbf. eine “Signalstörung” gemeldet. Wie praktisch, dass ich mich in fussläufiger Entfernung des Bahnhofs Beuel aufhielt. Eine leichte Entscheidung.
In Deutz dann erneute Prüfung der Lage. Vom RE5 von Bonn Hbf. nach Oberhausen meldete einer 90 und ein weiterer 50 Minuten Verspätung. Wie gut, dass ich ihn gemieden hatte. Merkwürdigerweise zeigten die Echtzeitfahrplandisplays in der Deutzer Bahnsteigunterführung gar keinen RE1, der stündlich von Aachen ins Ruhrgebiet verkehrt, und als meistgenutzter RE der BRD bekannt und berüchtigt ist. Warum auf dem Bahnsteig frieren, wenn sich eine S-Bahn von Köln-Nippes nach Essen Hbf. anbot? Fahrzeit von Deutz bis Essen: 96 Minuten. Ein IC benötigt für die Strecke die Hälfte dieser Zeit. Aber ich fahre ja Deutschlandticket, und die S-Bahn ist beheizt.
Diese S6 fährt erst seit neuestem wieder. In Hösel, einem Villenghetto zwischen Düsseldorf und Essen, hatte ein Erdrutsch die Bahnstrecke heimgesucht. Erst vor wenigen Wochen wurde sie wiedereröffnet. Mit dieser S-Bahn verbinde ich zwischen Düsseldorf und Essen Jugenderinnerungen. Als ich als Schülerreferent im NRW-LaVo der Jungdemokraten begonnen hatte (1975) nutzte ich sie häufig für Fahrten zu den Landesvorstandssitzungen. Entlang der Ruhr und dem Baldeneysee ist sie landschaftlich reizvoll. Und warum Weihnachten hektisch werden, wenn ich einen warmen Sitzplatz habe?
Unterwegs wurden wir von einem RE1 überholt, der in Deutz nicht angekündigt worden war. Ärgern? Ja, wenige Minuten. Dann zurück zum inneren Weihnachtsmodus. Es ist längst eine neue Sitte der nichtfunktionierenden Bahn, dass Züge, die angeblich “ausfallen”, dann überraschend und unangekündigt doch fahren. Ein cleverer PR-Trick? Eher nicht.
In Essen angekommen, hatte die örtliche Ruhrbahn den Fahrplanbetrieb schon eingestellt. Ich erreichte den Übergangsbetrieb zwischen Samstags- und Nachtfahrplan, der schon um 18 h starten sollte (= alle Linien nur noch stündlich). Mit der U-Bahn Glück gehabt: meine kam schon nach 10 Minuten, ein letzter Rest von “Metropole”, Heiligabend um 16 h.
Rückfahrt
Eine stündlich verkehrende Regionalbahn von Essen-Altenenssen sollte genau in der Stunde nicht fahren (sondern erst ab 10.1.), als das familiäre Mittagsmenü optimal gesättigt und gemütlich beendet war. Also fuhr meine Schwester mich auf gut Glück zum Essener Hauptbahnhof. Und was soll ich sagen: ich hatte den Bahnsteig 1/2 soeben betreten, da fuhr der RE1 nach Köln leicht verspätet ein, und hielt einen sonnigen Sitzplatz für mich bereit, zielsicher und ohne Ringkampf schnell und effektiv erspäht. Ich wollte schon freudig erregt meiner Schwester diesen sensationellen Erfolg übers Handy melden. Gut, dass ich es seingelassen habe. Denn in Düsseldorf-Flughafen war alles zuende. Es ging nicht mehr weiter. Und wenn, dann mit Schrittgeschwindigkeit.
Der RE1 wird wie der RE5, beide im RRX-Design, vom britischen Anbieter “National Express” betrieben. Er hatte mutmasslich – die Verträge sind nichtöffentlich – den Verkehrsverbünden VRR und VRS das billigere Angebot gemacht. Ob er Tariflöhne zahlt? Was meinen Sie? Zugbegleiter*innen sind ja auch nur noch sehr, sehr schwer zu finden. Also bleiben sie eingespart. Der Lokpilot drückt penetrant informationsbefreite automatische Ansagen. “wir bitten um Entschuldigung”. Zweimal meldete er sich auf freier Strecke persönlich, nur um zu gestehen, dass er auch nichts wisse. Es ist in der Tat eine Betriebstatsache, dass die malochenden Beschäftigten der Bahn genausowenig informiert werden wie die Fahrgäste.
Während wir im RE1 also geparkt waren, überholte uns der fahrplanmässig mit 20 Minuten hinter uns verkehrende RE5, der mich ab Köln hätte nach Bonn bringen können. Mit einer entsprechenden Information hätte in Düsseldorf-Flughafen eine letzte Wechselchance bestanden. Nun war er vor uns – und weg.
In Düsseldorf-Benrath sah ich dann durchs Fenster auf einer Bahnsteiglaufschrift, dass unsere auf über 30 Minuten herangewachsene Verspätung ebenfalls mit einer “Signalstörung” begründet wurde. Unser Lokpilot wusste das offenbar nicht. Oder hats nur nicht gesagt …
Auf der richtigen Rheinseite
In Deutz dann mein Glück im Unglück. Der RE5 nach Bonn war zwar weg. Aber die Regionalbahn nach Beuel fuhr geradezu punktgemau, und ohne Umsteigehektik zu verursachen, ein. Unterm Strich war ich so sogar schneller zuhause.
Geht doch.
Nettofahrzeit Essen Hbf. – Beuel Haustür: 2 Std. 30 min. Schön war die Zeit, als es doppelt so schnell ging. Das hiess damals “Bundesbahn”.
