Medien und Medizinsoftware: Der Profiteur von Spahns Politik
Dieser Artikel stammt von CORRECTIV.Faktencheck / Zur Quelle wechseln
Julian Reichelt schaut im verglasten Axel-Springer-GebÀude das Kanzler-Triell. An diesem 29. August 2021, mitten in Berlin, wird er vielleicht schon geahnt haben, dass er sieben Wochen spÀter nicht mehr Chefredakteur der Bild ist.
Neben ihm sitzt laut Jens Spahn in seinen letzten Tagen als Gesundheitsminister und sieht seinem Parteikollegen Armin Laschet zu, wie dieser versucht, gegen Annalena Baerbock und Olaf Scholz zu punkten.
Laschet verliert die Wahl, das Ende der Ăra Merkel ist eingelĂ€utet.
Und auch Reichelt verliert: Eine AffĂ€re um Machtmissbrauch gegenĂŒber Bild-Mitarbeiterinnen kostet ihn den Chef-Posten.
WĂ€hrend Deutschland eine Ampel-Koalition bekommt, bedeutet diese Entwicklung fĂŒr Jens Spahn vor allem den Aufstieg in der CDU. Seine Strömung, der rechtskonservative FlĂŒgel der Partei, bekommt Zulauf, wĂ€hrend das frĂŒhere Merkel-Lager an Macht verliert.
Im Januar 2022 berichtet. Etwa ein halbes Jahr nach dem gemeinsamen Fernsehabend von Reichelt und Spahn am 8. MĂ€rz 2022 wird Nius als Marke angemeldet.
Nius heiĂt die Onlineplattform, deren Chefredakteur heute Julian Reichelt ist. Sie ist Teil eines Firmengeflechts rund um die Nius-Muttergesellschaft Vius SE & Co. KGaA, das von Frank Gotthardt persönlich weitgehend kontrolliert wird.
Auf Anfrage lĂ€sst Jens Spahn von seinem Sprecher ausrichten, er sei mit der GrĂŒndung von Vius nicht befasst gewesen, spekulative Unterstellungen weise er zurĂŒck.
Lesen Sie hier Teil 1 unserer Serie: Netzwerk mit Nebenwirkungen â Jens Spahn und der MilliardĂ€r.
Frank Gotthardt gehört Nius
Zweieinhalb Jahre spĂ€ter, Oktober 2024. Chefredakteur Reichelt schreibt einen langen Artikel mit der Empfehlung an die AfD: Sie solle sich des Antisemitismus und ihres ThĂŒringer Fraktionsvorsitzenden Björn Höcke entledigen â um so fĂŒr die CDU koalitionsfĂ€hig zu werden.
Nach der Bundestagswahl 2025 sprach sich Spahn dafĂŒr aus, die AfD im Parlament âwie jede andere Oppositionsparteiâ zu behandeln. AfD-Chef Tino Chrupalla sagte, er lade Herrn Spahn gerne zu GesprĂ€chen ein.
Weitere fĂŒnf Monate spĂ€ter: Als die Juraprofessorin Frauke Brosius-Gersdorf dann im Juli fĂŒr den zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts gewĂ€hlt werden sollte, an der Personalie.
Nius schaltete bei Google Werbung fĂŒr Artikel, die gegen die SPD-Kandidatin Stimmung machten. Der zweite Senat wĂ€re potenziell fĂŒr die PrĂŒfung eines AfD-Verbots zustĂ€ndig.
Spahn, mittlerweile Fraktionsvorsitzender der CDU, verkĂŒndete am Morgen der zuvor mit der SPD-Fraktion abgestimmten Wahl, man mĂŒsse den Wahlgang absetzen.
Wer sind diese drei Personen â Julian Reichelt, Jens Spahn und Frank Gotthardt? Was haben Sie miteinander zu tun? Teilen sie politische Ideen? Haben sie voneinander profitiert? Nach dem ersten Teil, hier nun Teil 2 der CORRECTIV-Serie zum Netzwerk von Jens Spahn.
Julian Reichelt. (c): picture alliance / epd-bild | Rico Thumser
Frank Gotthardt: Vom Software-MillionÀr zum Nius-Investor
Frank Gotthardt ist im Vergleich zu den beiden anderen relativ unbekannt, hat als Softwareunternehmer aber einerseits gut von der Gesundheitspolitik der vergangenen Jahre profitiert und andererseits viel Geld als Medienunternehmer investiert.
Er ist GrĂŒnder und langjĂ€hriger GeschĂ€ftsfĂŒhrer der CompuGroup Medical (CGM). CGM ist einer der gröĂten Anbieter von IT-Systemen fĂŒr Arztpraxen, Kliniken und Apotheken â etwa fĂŒr Hard- und Software, die sie mit den Krankenkassen verbindet.
Und Frank Gotthardt kontrolliert noch heute ĂŒber ein Firmengeflecht die meisten Stimmen der Vius Gesellschaft, die weiter hinter Nius steht.
GeschÀfts-, Abo- und Werbezahlen von Vius bzw. Nius
Frank Gotthardt hat Nius ĂŒber ein verschachteltes Unternehmenskonstrukt gegrĂŒndet. Und der Firma 9,4 Millionen Euro zur VerfĂŒgung gestellt â als Reserve.
Wie viel Geld er schon in das Projekt investiert hat, ist öffentlich nicht bekannt. Personen aus seinem Umfeld gaben jedoch gegenĂŒber der Zeit im Jahr 2024 an, dass er insgesamt bis zu 50 Millionen Euro fĂŒr Nius eingeplant haben könnte.
Die jĂŒngste veröffentlichte Bilanz der Nius-Betreiberfirma Vius stammt vom 18. Februar 2025. Darin wird zum Stichtag 31. Dezember 2023 eine KapitalrĂŒcklage in Höhe von ĂŒber 20 Millionen Euro ausgewiesen â Geld, das zusĂ€tzlich zum Stammkapital in die Firma gesteckt wurde.
Der Jahresfehlbetrag der Vius belief sich Ende 2023 auf ĂŒber 13 Millionen Euro.
Trotz der negativen Zahlen erhielt Julian Reichelt Ende November 2023 ein persönliches Darlehen in Höhe von 345.000 Euro zu einem Zinssatz von 3,5 Prozent jÀhrlich. Vereinbart wurde eine EndfÀlligkeit zum 31. Dezember 2024.
Frank Gotthardt, hier im Jahr 2008. (c): picture alliance / SZ Photo | Aris Papadopoulos
Die Firma gehörte zunĂ€chst ĂŒber ein Firmenkonstrukt vollstĂ€ndig Frank Gotthardt persönlich. SpĂ€ter wurde Reichelts Rome Medien GmbH mit der Vius verschmolzen. Nach den zuletzt verfĂŒgbaren Informationen hielt Gotthardt im November 2024 ĂŒber 520.000 Stimmenanteile an der Firma, Reichelt etwa 52.000 und Christian Opitz rund 17.000.
Die Vius hĂ€lt auch 75âŻProzent der Anteile an der dem Unternehmen hinter der österreichischen Medienplattform Exxpress, die laut Medieninsider staatliche Medienförderung aus Ăsterreich erhĂ€lt.
Laut Satzung der Nius-Betreiberfirma Vius ist Unternehmenszweck der âAufbau und Betrieb von Technologie- und Anwender-Plattformen zur Erstellung und Verbreitung audiovisueller Inhalte (insbesondere Nachrichten), der Entwicklung und dem Betrieb von Online-Plattformen (u.a. Messengerdienste und Sportwetten) sowie der Bewerbung und dem Vertrieb von Produkten aller Artâ.
TatsĂ€chlich basiert das GeschĂ€ftsmodell jedoch zu groĂen Teilen auf emotionalisierenden Inhalten, Polarisierung und vielfach auf belegten Falschinformationen.
Ein geleakter interner Datensatz zeigt, dass Nius nur geringe Abo-Einnahmen generierte: darunter auch von Mitarbeitenden sowie Brigitte Gotthardt, die Ehefrau des Hauptfinanziers. Insgesamt verzeichnete Vius zwischen Juli 2023 und Juni 2025 laut diesem Leak rund 350.000 Euro Einnahmen durch Abonnements.
Julian Reichelt bestÀtigte beim Kurznachrichtendienst X die AuthentizitÀt des Leaks, reagierte aber inhaltlich nicht auf unsere Anfrage dazu.
Im gleichen Zeitraum gab Vius mindestens 1,4 Millionen Euro fĂŒr politische Online-Werbung aus. Diese Summe basiert auf den öffentlich einsehbaren Werbedaten von Google und Meta â dort werden allerdings nur als âpolitische Werbungâ gekennzeichnete Inhalte erfasst.
Auch hierzu hat Julian Reichelt auf Anfrage nicht geantwortet. In den letzten Wochen wurden ĂŒber Nius vermehrt Anzeigen zum Thema Brosius-Gersdorf geschaltet.
Als CEO der CompuGroup Medical hat Gotthardt mit der Firma bis 2021 betrÀchtliche UmsÀtze einfahren können.
Das Unternehmen CompuGroup Medical schrieb im selben Abschnitt in seinem Finanzreport vom ersten Halbjahr 2019 ĂŒber Spahns Entwurf des âDigital-Versorgungs-Gesetzesâ (DVG) und seine eigene Vormachtstellung im Markt:
âIm Juli beschloss die Regierung den Entwurf des âDigitale Versorgungs Gesetzesâ (DVG) vom Bundesgesundheitsminister Jens Spahn.â
Ein paar Zeilen zuvor heiĂt es, dass das Unternehmen âderzeit einen Anteil von ĂŒber 50% in diesem Markt fĂŒr [Telematik-Infrastruktur]â halte, und weiter: âFinanzierungsmechanismen wurden bereits vereinbart [âŠ] um die IT -Kosten und zusĂ€tzlichen Anstrengungen dieser neuen Dienstleistungen zu decken.â
WĂ€hrend Spahn als Gesundheitsminister zwischen MĂ€rz 2018 und Dezember 2021 politische Rahmenbedingungen setzte, stieg die Bilanzsumme von Gotthardts Firma CompuGroup Medical von 848 Millionen Euro im Jahr 2018 auf knapp 1,8 Milliarden Euro im Jahr 2021.
Das könnte auch an vorherigen Investitionen des Unternehmens gelegen haben, der Sprung wĂ€hrend der Amtszeit Spahns ist aber auffĂ€llig. Das Unternehmen begrĂŒndete auf Anfrage das Wachstum unter anderem mit FirmenkĂ€ufen.
Es lieà ausrichten, dass die GeschÀfte mit der Telematikinfrastruktur nur einen sehr geringen Anteil der Umsatzsteigerungen ausmachten.
Der persönliche Anteil von Frank Gotthardt am Stammkapital des Unternehmens belief sich 2017 bis 2024 auf ĂŒber 33 Prozent.
Ăber die Gesellschaftergruppe âFamilie Gotthardt/Dr. Koopâ hielten er, seine Familienangehörigen und mit ihm verbundene Personen zwischen 2018 und 2024 gemeinsam mehr als 50 Prozent der stimmberechtigten Stammaktien. So steht es in den GeschĂ€ftsberichten der CompuGroup Medical.
Jens Spahn lĂ€sst auf Anfrage von seinem Sprecher ausrichten, dass er als Mitglied im Gesundheitsausschuss des Bundestages ab 2002 sowie als Bundesminister fĂŒr Gesundheit beruflichen Kontakt mit Herrn Gotthardt hatte. Frank Gotthardt lieĂ unsere Fragen, ob sie sich getroffen hĂ€tten, unbeantwortet.
Der CDU-Wirtschaftsrat ist auch dabei
AuffĂ€llig sind weitere Parallelen zwischen Gotthardt und Spahn: Sie arbeiteten zeitgleich zum Thema Gesundheit â Spahn als gesundheitspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und Gotthardt als Lobbyist im CDU/CSU-nahen Wirtschaftsrat.
2015 leitete Gotthardt die Bundesfachkommission Digital Health im âWirtschaftsrat der CDU e.V.â, Spahn war ab 2018 Gesundheitsminister.
Sein StaatssekretĂ€r Thomas Steffen war zu dieser Zeit mit gesundheitspolitischen Gremien des âWirtschaftsratsâ in Kontakt, die CompuGroup weiterhin in Wirtschaftsrat-Fachkommission Digital Health vertreten.
Auch in der MaskenaffĂ€re rund um Jens Spahn spielte der CDU-Wirtschaftsrat eine Rolle â unter anderem im Zusammenhang mit dem Logistikunternehmen Fiege.
Einer der GeschĂ€ftsfĂŒhrer, Hugo Fiege, war Mitglied im Bundesvorstand des Vereins. Spahn hatte die Firma im FrĂŒhjahr 2020 laut Sudhof-Bericht âhöchstselbstâ mit der Maskenlogistik beauftragt.
Michael Fuchs, bis 2015 im PrĂ€sidium des CDU-Wirtschaftsrats, interviewte Spahn im Mai 2020 fĂŒr Gotthardts regionalen Fernsehsender im Rahmen seiner Sendung Opitz und der Fuchs.
Einen Monat spÀter wurde Fuchs Mitglied des Aufsichtsrates der CompuGroup Medical.
Max MĂŒller, heute in leitender Funktion bei CompuGroup Medical, kennt Jens Spahn wiederum .
Etwa vier Jahre spĂ€ter, 2006, grĂŒndete er mit Spahn und dessen damaligen BĂŒroleiter Markus Jasper die Lobbyagentur Politas, die Pharmafirmen beriet â obwohl Spahn zugleich gesundheitspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion war. Als der Focus dies 2012 aufdeckte, löste das öffentliche Kritik aus.
Auch MĂŒller trat laut Deutscher Apotheker Zeitung 2016 als DocMorris-Vorstand beim CDU-Wirtschaftsrat auf. SpĂ€ter blieb MĂŒller im Umfeld gesundheitspolitischer Entscheidungen prĂ€sent: WĂ€hrend der Corona-Pandemie bot er dem Bundesgesundheitsministerium Schutzmasken an, . Spahn betonte aber, ĂŒber Provisionen habe er mit ihm nicht gesprochen.
Bundesministerium könne Kontakte zu angefragten Personen nicht rekonstruieren
CORRECTIV hat im Laufe dieser Recherche das Bundesministerium fĂŒr Gesundheit angefragt, ob, wie oft und zu welchem Zweck sich Spahn und Gotthardt oder deren Mitarbeiter trafen, wĂ€hrend Spahn Minister war â dies sei aber ânicht mehr rekonstruierbarâ, schreibt Hanno Kautz, Sprecher des Ministeriums.
Hanno Kautz war frĂŒher Redakteur unter Julian Reichelt bei der Bild-Zeitung und wechselte 2018 als Sprecher von Jens Spahn ins Bundesgesundheitsministerium.
Das Bundesarchiv bestĂ€tigte CORRECTIV, dass es in seiner Beratung von Bundesbehörden konsequent an die Sicherung und Ăbermittlung relevanter Unterlagen erinnert.
Zwischen 2017 und 2024 lassen sich zeitliche Ăberschneidungen beobachten: zwischen gesundheitspolitischen Gesetzesinitiativen, wirtschaftlichem Gewinn und öffentlicher Kommunikation.
Gotthardt war schon sehr frĂŒh dabei, AuftrĂ€ge beim Aufbau digitaler Strukturen im Gesundheitswesen zu erhalten, die die VorgĂ€nger von Jens Spahn auf den Weg brachten.
Die Telematikinfrastruktur (TI) wurde schon ab 2003 im Auftrag der damaligen Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) vom Industriekonsortium âbIT4Healthâ entwickelt. Es legte die technische Rahmenarchitektur fĂŒr die elektronische Gesundheitskarte samt Konnektor vor.
Telematik-Konnektoren, das sind spezielle Hardware-GerĂ€te, mit denen Arztpraxen sicher und verschlĂŒsselt mit Krankenkassen kommunizieren â etwa um Patientendaten zu ĂŒbermitteln.
Das E-Health-Gesetz von Hermann Gröhe
SpĂ€ter dann hatte Hermann Gröhe, der vor Jens Spahn Gesundheitsminister war, mit dem E-Health-Gesetz von 2015 die Ărzte zur Anbindung an die TI bis 2018 verpflichtet und belegte sie mit einer potenziellen Strafe von einem Prozent HonorarkĂŒrzungen, sollten sie dem nicht nachkommen.
Zwar wurde die Telematikinfrastruktur bereits unter den AmtsvorgÀngern vorbereitet. Doch zentrale Umsetzungen wie das flÀchendeckende Rollout erfolgten erst wÀhrend der Amtszeit von Jens Spahn.
Oder auch Weichenstellungen wie die Erhöhung der Honorarsanktionen bei Ărzten und Apotheken. Und KrankenhĂ€usern, die keinen TI-Konnektor installierten sowie die Erhöhung des Bundesanteils auf 51âŻProzent bei der Gematik.
Von rechts nach links: Ehemaliger Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (rechts), Frank Gotthardt, ehemaliger Vorstandsvorsitzender der CompuGroup Medical AG (Mitte), Prof. Dr. Arno Elmer, ehemaliger HauptgeschĂ€ftsfĂŒhrer der Gematik GmbH (links). Screenshot von der Webseite E-HEALTH-COM
Ein ehemaliger leitender Mitarbeiter des Bundesgesundheitsministeriums berichtet gegenĂŒber CORRECTIV, dass Frank Gotthardt es schwerer hatte, einen FuĂ in die TĂŒr zu bekommen, als Hermann Gröhe noch Gesundheitsminister war.
Mit dem Amtsantritt von Jens Spahn und seinem Abteilungsleiter Gottfried Ludewig sei es leicht gewesen, regelmĂ€Ăige Treffen im Bundestag oder im Ministerium fĂŒr Kontakte oder inhaltliche Abstimmungen zu bekommen, sagen gegenĂŒber CORRECTIV, zwei voneinander unabhĂ€ngige leitende Mitarbeiter des Gesundheitsministeriums. Auf Anfrage weist Spahn eine spekulative Unterstellung ĂŒber eine NĂ€he zu Gotthardt zurĂŒck.
Er habe âals Mitglied im Gesundheitsausschuss des Bundestages (ab 2002) sowie als Bundesminister fĂŒr Gesundheit unregelmĂ€Ăigen beruflichen Kontakt mit Herrn Gotthardt in dessen Funktion als Vorstandsvorsitzender der CompuGroup.â Fachliche Fragen sollten zudem mit dem Gesundheitsministerium besprochen werden.
Auf Anfrage zu Treffen und Absprachen mit Gotthardt verwies Ludewig auf das Bundesministerium.
Dieses schrieb, es könne die dienstlich gefĂŒhrten Kontakte des ehemaligen Ministers fĂŒr den angefragten Zeitraum nicht rekonstruieren. Ob, wie oft und wer sich von der CompuGroup zu welchen Themen in der Amtszeit Spahns getroffen hat, lieĂ auch das Unternehmen unbeantwortet.
Allerdings spielten nicht alle Ărzte beim Einbau der Konnektoren mit, die Umsetzung des E-Health Gesetzes von Gröhe stockte. Mindestens 20 Prozent der Ărzte bauten die Konnektoren nicht ein und nahmen ein Prozent HonorarkĂŒrzungen in Kauf.
Das Digitale Versorgungsgesetz als Booster fĂŒr die CompuGroup Medical
2019 verpflichtete Spahn mit dem Digitalen-Versorgung-Gesetz neben VertragsĂ€rzten auch Apotheken und KrankenhĂ€user dazu, medizinische Daten kĂŒnftig elektronisch ĂŒber die Telematikinfrastruktur (TI) zu ĂŒbermitteln. Technische Voraussetzung dafĂŒr war ein Konnektor.
Das Geld fĂŒr GerĂ€t, Installation und Software wurde zunĂ€chst ausgelegt von Praxen, Apotheken und KrankenhĂ€usern, dann erstattet von den Krankenkassen.
Wer sich nicht an diese Infrastruktur anschloss, dem drohten HonorarkĂŒrzungen â von Gröhe eingefĂŒhrt, von Spahn verschĂ€rft. Kurz gesagt: Wer keinen Konnektor nutzen wollte, sollte weniger verdienen.
In ihrem Finanzbericht von 2019 verweist CGM darauf, dass mit den geplanten Gesetzen zur Digitalisierung des Gesundheitswesens ein âstarkes Momentum fĂŒr neue Einnahmequellen auf Grundlage neuer eHealth-Regulierungâ seien.
Auf Anfrage von CORRECTIV schreibt die CompuGroup Medical, Spahns Politik habe keine spĂŒrbaren Auswirkungen auf die Gewinn- und Umsatzentwicklung gehabt. Das weltweite Umsatzwachstum durch Konnektoren im âArzt-Software-Sektorâ habe von 2018 bis 2021 bei nur 5 Prozent gelegen.
Im Finanzbericht von 2019 steht: âDer wiederkehrende Umsatz stieg 2019 um 11 Prozent auf 466,1âŻMillionenâŻEuro â vor allem, weil die GeschĂ€fte mit der Telematikinfrastruktur (TI) sowie die WartungsvertrĂ€ge im Krankenhaus- (HIS) und Praxisbereich (AIS) deutlich zulegten.â
Und das zu einem Zeitpunkt, als die CompuGroup Medical und das Unternehmen T-Systems Health Industrie als einzige Anbieter die nötigen Konnektoren, Softwarelösungen und Dienstleistungen liefern konnten.
2019 gab die CompuGroup an, einen Marktanteil von 50 Prozent beim Ausbau der Telematikinfrastruktur zu haben. Im MĂ€rz 2022 wechselte der fĂŒr Digitalisierung zustĂ€ndige Abteilungsleiter unter Spahn, Gottfried Ludewig, auf die Position des Senior Vice President bei T-Systems Health Industrie.
Das Geld kam von den Beitragszahlern der Krankenkassen
Auch das Patientendaten-Schutz-Gesetz von 2020 eröffnete einen Markt fĂŒr CGM. Es verpflichtete Krankenkassen zur EinfĂŒhrung der elektronischen Patientenakte â wiederum ein Feld, auf dem Gotthardts Unternehmen Lösungen entwickeln konnte.
2018 schon bereitete Spahn zudem ein Gesetz fĂŒr die EinfĂŒhrung des E-Rezepts vor, das 2022 von seinem Nachfolger Karl Lauterbach eingefĂŒhrt wurde, den Weg fĂŒr das nĂ€chste Wachstumssegment, in dem CGM als erstes Unternehmen zertifizierte Hard- und Software anbot.
Das Unternehmen steigerte seinen Umsatz 2018 unter anderem durch neue Produkte, FirmenzukÀufe und Softwareentwicklung:
Allein in diesem Jahr wurden beispielsweise rund 436.000 Stunden interner Programmierarbeit als Firmenwert verbucht â das verbesserte das Betriebsergebnis fĂŒr dieses Jahr um 18,5 Millionen Euro. Ein GroĂteil dieser Arbeit floss in ein neues digitales System fĂŒr KrankenhĂ€user.
Die Bilanzsumme der CompuGroup erlebte in der Zeit von 2017 bis 2021 eine Verdoppelung ihrer UmsÀtze.
Zulassung und Konnektortausch bei der Gematik
FrĂŒhe Marktstellung von CGM
Nur wenige Unternehmen, darunter die CompuGroup Medical (CGM), erfĂŒllten anfangs die technischen und regulatorischen Voraussetzungen, um Arztpraxen an die Telematik-Infrastruktur (TI) anzubinden. Blick in die ZulassungsĂŒbersicht zeigt:
Als erster Konnektor wurde der CGM zugelassen â noch vor dem Amtsantritt von Jens Spahn als Gesundheitsminister im MĂ€rz 2018. Kurze Zeit danach, im August 2018, genehmigte die Gematik ein weiteres Produkt vom Konkurrenten T-Systems. Erst im Dezember 2021 wurde ein drittes Unternehmen zertifiziert.
CGM hatte den Antrag bereits Ende 2016 gestellt. Die frĂŒhe Zulassung vom CGM-Konnektor war also kein Ergebnis von Spahns Politik.
Kontrolle durch das Gesundheitsministerium
ZustĂ€ndig fĂŒr die Zulassung ist die Gematik, die zentrale Aufsichtsagentur fĂŒr die TI. Seit 2019 steht sie unter der direkten Kontrolle des Bundesgesundheitsministeriums, nachdem Spahn per Gesetz den Bundesanteil auf 51âŻProzent erhöht hatte â eine MaĂnahme, die politische Steuerung ermöglichte.
Im Quartalsbericht 2019 der CompuGroup wird die Anteilserhöhung auf 51 Prozent durch das Ministerium erwÀhnt.
Laut Gematik waren âVertreter der Industrieâ an der Entwicklung der Rahmenarchitektur fĂŒr die Konnektoren eingebunden.
Da es jedoch so lange her ist, sei es âheute fĂŒr die gematik kaum noch nachvollziehbar, wann tatsĂ€chlich Vertreter der CompuGroup Medical oder deren Tochter KoCo Connector GmbH erstmals zur Thematik der Konnektor-Entwicklung und Zulassung involviert waren.â
Einfluss durch Personalentscheidungen?
Mitte 2019 wurde Markus Leyck Dieken als GeschĂ€ftsfĂŒhrer der Gematik bestellt â ein langjĂ€hriger Bekannten von Jens Spahn. Die Neubesetzung mit einer deutlichen Gehaltserhöhung verbunden:
verdoppelte sich das Jahresgehalt im Vergleich zu dem VorgĂ€nger von Leyck Dieken fast â auf ĂŒber 300.000âŻEuro. Zuvor, im Januar 2018, hatte Leyck Dieken Spahn laut verkauft.
Spahn betonte, der Posten sei in einem âoffenen, transparenten Verfahrenâ vergeben worden; persönliche Kontakte hĂ€tten keine Rolle gespielt, die Wohnung sei zu einem marktĂŒblichen Preis verkauft worden.
LaufzeitverlÀngerungen und Kritik am Konnektortausch
Im Juni 2021 veröffentlichte die Gematik eine verpflichtende Spezifikation zur softwarebasierten LaufzeitverlÀngerung von Konnektoren.
Die Hersteller RISE und Secunet hatten das Feature laut cât Ende 2021 implementiert. CompuGroup verzichtete darauf. Dem Ărzteblatt verriet das Unternehmen in einem anderen Zusammenhang, dass es bereits neue Konnektoren fĂŒr Millionen von Euro bezogen hĂ€tten, die Lager seien voll, alles bereit zur Auslieferung.
Am 28. Februar 2022 beschloss die Gesellschafterversammlung der Gematik, dass alle Konnektoren komplett durch neue GerĂ€te ersetzt werden mĂŒssen. Mit dabei: das Bundesgesundheitsministerium unter Karl Lauterbach (SPD) mit einer Stimmenmehrheit von 51 Prozent.
Lauterbach hatte den StaatssekretĂ€r Thomas Steffen von seinem VorgĂ€nger Jens Spahn ĂŒbernommen. Das Protokoll der Sitzung stufte die Gematik als vertraulich ein, Grund der Entscheidung seien laut Gematik sicherheitstechnische und wirtschaftliche Risiken bei einer LaufzeitverlĂ€ngerung der Konnektorzertifikate gewesen.
Die CompuGroup argumentiert, ein Software-Update sei aus SicherheitsgrĂŒnden nicht ausreichend gewesen. AuĂerdem hĂ€tte es zu vielen unterschiedlichen Versionen der GerĂ€te gefĂŒhrt â was den Betrieb der Telematikinfrastruktur komplizierter und teurer gemacht hĂ€tte.
Ob das stimmt, lĂ€sst sich nicht unabhĂ€ngig ĂŒberprĂŒfen â laut Bundesamt fĂŒr Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) gab es zumindest keine EinwĂ€nde gegen das vorgesehene LaufzeitverlĂ€ngerungs-Feature.
Im Mai 2022 wurde dann die Möglichkeit, die Laufzeit der GerÀte per Software zu verlÀngern, aus den offiziellen Vorgaben gestrichen.
Das Ministerium begrĂŒndete das damit, dass solche Softwarelösungen zu diesem Zeitpunkt angeblich noch nicht reif fĂŒr eine Zulassung gewesen seien. Ein spĂ€terer zusĂ€tzlicher Tausch der GerĂ€te hĂ€tte nach EinschĂ€tzung der Gematik doppelte Kosten verursacht.
Erst im August 2022 â nach öffentlichem Druck von der Fachzeitschrift cât und dem Chaos Computer Club (CCC) â erlaubte die Gematik wieder eine softwarebasierte Update-Lösung. Diese war nun aber nur noch optional â ein vollstĂ€ndiger Tausch der GerĂ€te blieb weiterhin möglich.
2023 verlieĂ Markus Leyck Dieken frĂŒhzeitig die Gematik.
Finanziert wurde der Konnektorentausch aus dem Gesundheitssystem selbst: Die Krankenversicherungen ĂŒbernahmen den GroĂteil der Kosten.
Damit zahlten letztlich Versicherte ĂŒber ihre KrankenkassenbeitrĂ€ge beider Systeme indirekt fĂŒr den Konnektorentausch.
Und die Preise der Anbieter von Konnektoren, auch von CGM, lagen oft erstaunlich nah an den Fördersummen fĂŒr Hardware, Software und Dienstleistungen, also dem Geld, das die KassenĂ€rztlichen Vereinigungen den Arztpraxen nach Kauf eines Konnektors erstatteten.
Auf einer BroschĂŒre fĂŒr eine Investorenkonferenz von CGM im September 2019 wirbt die CompuGroup Medical damit, dass der Preis der Fördersumme entsprach: âPreis entspricht der TI-Finanzierung im 4. Quartal 2018 = 2.880âŻâŹ inkl. MwSt (Erstattung: 2.882âŻâŹ)â.
In der selben Investorenunterlage drei Seiten zuvor, ein Spahn-Konterfei, daneben das Zitat: âGet a Connectorâ â seine Aufforderung an Ărzte und Apotheken, sich an die Telematikinfrastruktur anzuschlieĂen. âEtwa 54.000 Praxen haben eine TI-Anbindung bei CGM bestelltâ, heiĂt es neben dem Abbild von Spahn, âdavon nutzen rund 14.000 Praxen zusĂ€tzlich eine wettbewerbsfĂ€hige PrimĂ€rsoftware von CGM.â
Zur Quelle wechseln
Author: Jean Peters
#medien #medizinsoftware #politik #profiteur #spahns